akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 431 / 21.10.1999

Image ist alles, Politik ist nichts

Bei Bündnis 90/Die Grünen kommt Panik auf

Langsam verliert Joschka Fischer die Geduld mit seiner Partei. "Aufopferungsvoll" dient er den Interessen des Staates als Bundesaußenminister, seine Partei aber will da nicht richtig mitspielen. Hat sie doch noch immer nicht kapiert, daß die Zeiten der Opposition vorbei sind. Angesichts der ständigen Wahlniederlagen muß - so Fischer - der Umbau hin zu einer "normalen" Partei endlich abgeschlossen werden.

Noch vor der Landtagswahl in Sachsen wußte Bild von einer internen Absprache führender Vertreter des "Fundamentalisten- und des Realo-Flügels" der Grünen zu berichten. Nach den Niederlagen bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und dem Saarland sollten die Parteisprecherinnen Antje Radcke und Gunda Röstel abgelöst werden. Außerdem solle unter Leitung von Joschka Fischer eine Wahlkampfzentrale nach dem Vorbild der sozialdemokratischen "Kampa" aufgebaut werden.

Diese Bild-Meldung ging noch unter. Als der Spiegel allerdings am Wochenende der Sachsenwahl in einer Vorabveröffentlichung die Sache publizierte, war der Streit um die Führung der Partei öffentlich entbrannt. In der Spiegel-Version kam es zu einer kleinen, aber wohl entscheidenden Veränderung. Hier war nicht mehr von einer ominösen Absprache zwischen FlügelvertreterInnen die Rede, sondern davon, daß Joschka Fischer der Initiator sei. Im Spiegel las sich das dann so, daß Fischer den Rücktritt der beiden BundesvorstandssprecherInnen zur Voraussetzung für ein eigenes verstärktes Engagement an der Parteispitze mache. Er verlange die Ernennung eines Generalsekretärs (Werner Schulz), die Schaffung eines Präsidiums und die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat.

Vor allem Gunda Röstel reagierte pikiert: "So eine Debatte kurz vor der Wahl schadet uns. Noch dazu, wenn man der Spitzenkandidatin in Sachsen, die gegen den Bundestrend um Stimmen kämpft, in den Rücken schießt."(Rheinische Post, 18.9.99) Als sächsische Spitzenkandidaten der Grünen hatte sie im Vorfeld der Wahlen angekündigt, sie stehe zu der "besonderen Verantwortung, vor der ich mich auch im Fall einer bitteren Niederlage nicht drücken werde". (FR, 15.9.99) Kein Wunder, daß da Spekulationen über einen möglichen Rücktritt auch vom Posten der Bundesvorstandssprecherin aufkamen. Da aber Röstel wohl weiß, wem sie ihren Posten zu verdanken hat, betonte sie, es sei zu begrüßen, wenn sich der Außenminister als "populärster Politiker der Grünen" stärker in die Parteiarbeit "einklinken" wolle. "Ein dauerhafter Erfolg wird nur ein gemeinsamer sein."

Ihre Sprecherkollegin Antje Radcke, die den Posten auf dem linken Ticket bekam, schlug gemäß der grünen Rollenverteilung härtere Töne an: Fischer "scheint zu glauben, daß die Partei auf den Knien vor ihm hinrutscht und um seine Hilfe fleht". (B.Z., 19.9.99) Es stehe ihm gar nicht zu, solche Forderungen zu erheben, betonte sie trotzig, über diese Fragen entscheide immer noch die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK). "Unterwirft sich die Partei dem populärsten Politiker Deutschlands, oder bringt sie sich um ihre Existenz", fragte Ende September der Spiegel scheinheilig. Seit eineinhalb Jahren verliert Bündnis 90/Die Grünen regelmäßig bei Wahlen. Langsam macht sich Nervosität in ihren Reihen breit. Vor allem die Ergebnisse der Kommunalwahl in NRW und bei den Abgeordnetenhaus- und Bezirkswahlen in Berlin beunruhigen. Mit einem Minus von 2,9 Prozentpunkten erreichten die NRW-Grünen ihr schlechtestes Ergebnis, seit sie dort zum ersten Mal 1984 antraten. Das einstellige Ergebnis in Berlin ist ein deutliches Zeichen, daß Teilen der grünen Wählerschaft angesichts der Leistungen der Grünen in der Bundesregierung die Geduld ausgeht.

"Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit"

Das schlechte Abschneiden von Bündnis 90/Die Grünen in Ostdeutschland war nicht überraschend. Das zufriedenstellende Ergebnis bei der Bundestagswahl im September 1998, als die Partei in den ostdeutschen Bundesländern 5,2% erreichte, wurde bei den Europawahlen im Juni 1999 halbiert. "Wir drohen in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen", warnte Reinhard Bütikofer, der politische Geschäftsführer der Partei, im Vorfeld der ostdeutschen Landtagswahlen. (schrägstrich, 07-08/99) Im Nachhinein erwies sich sogar Bütikofers Erwartung, man werde im Osten rund drei Prozent der WählerInnen erreichen, als übertrieben. "Das Wunder ist möglich", "Grün muß drin sein" und "Jetzt erst recht" - mit solchen Sprüchen machten sich die Grünen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen Mut. Aber es half nichts. 2,6% in Sachsen, 1,9% in Brandenburg und ebenso viel in Thüringen, das waren die niederschmetternden Ergebnisse.

In der Parteiführung und in der Bundestagsfraktion ist man mehrheitlich der Meinung, das schlechte Abschneiden sei beileibe nicht eine Folge der Politik der Bundesregierung und der blamablen Rolle, die die Grünen dabei spielen. Ganz Regierungspartei, sieht man vor allem ein "Vermittlungsproblem". Das Erscheinungsbild der Grünen stimme halt nicht, die politische Stoßrichtung dagegen sehr wohl. Wenn Kritik am Sparpaket der Bundesregierung geübt wird, dann nicht wegen der "sozialen Schieflage", sondern weil die Einschnitte nicht weit genug gehen. Noch Ende September verlangte beispielsweise die wirtschaftspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Margareta Wolf, in einem Grundsatzpapier eine radikale Abkehr vom bisherigen Kurs staatlicher Regulierung und Einflußnahme. Das Sparpaket der Bundesregierung könne lediglich ein erster Schritt sein, da die hohe Arbeitslosigkeit strukturelle Ursachen habe, heißt es dort. Dazu zählten die geringe Flexibilität der Arbeits- und Gütermärkte sowie die hohen Lohnnebenkosten. Ein echter Aufbruch sei nur durch entschlossenen Abbau von Bürokratie und Deregulierung sowie durch Liberalisierung und Lohnöffnungsklauseln erreichbar.

Teile der Mitgliedschaft und immer mehr WählerInnen wollen das aber nicht verstehen. "Positionsveränderungen durch neue Inhalte sind nicht in die grüne Identität eingegangen, nicht verinnerlicht", so Fischers messerscharfe Analyse. Ein echtes Schulungsproblem sei das, so Joschka Fischer. (Bild, 22.9.99) Und da er die gegenwärtige Führung nicht für geeignet hält, das richtige Schulungsprogramm in der Partei durchzusetzen, mobbt er los. Gleichzeitig tritt er, unterstützt von den Medien, dafür ein, die Trennung von Amt und Mandat bei den Grünen aufzuheben. Fischers dream team für die Parteispitze besteht nämlich aus dem baden-württembergischen Fraktionsvorsitzenden Fritz Kuhn und seiner Berliner Kollegin Renate Künast. Als ParlamentarierInnen kämen sie aber nach geltendem grünen Statut nicht für diese Posten in Frage. Eine Änderung des Statuts ist allerdings nur mit einer Zweidrittelmehrheit auf einer BDK möglich.

Gute Politik, mieses "Erscheinungsbild"

Schon im Vorfeld, aber vor allem nach der Berlinwahl mehren sich die Stimmen in der Partei, die die Politik der Bundestagsfraktion und die "Performance der Partei auf der Bundesebene", so die Berliner Landessprecherin Regine Michalik, kritisieren. (taz, 12.10.99) Schon der grüne Parteirat hat am 20. September Korrekturen angemahnt: "Die entscheidenden Schwächen unserer Partei liegen derzeit in der Politik auf Bundesebene ... Zu sehr verschwimmt in manchen Bereichen das grüne Profil." (1)

Seitdem gab es diverse Treffen zwischen den Spitzen der Bundestagsfraktion, der Partei und den grünen Kabinettsmitgliedern, bei denen es um die Möglichkeit einer grünen Profilierung in der Regierung ging. Durch einen Kurs des "begrenzten Konflikts" soll bei den Themen Transrapid, Atomausstieg und Asylpolitik grünes Profil gezeigt werden. Dadurch soll dem weitverbreiteten Eindruck begegnet werden, die Grünen würden von vornherein bei den Verhandlungen mit der SPD zurückstecken.

Seit der Niederlage in Berlin haben nun auch Bündnis 90/Die Grünen die Bedeutung der "sozialen Gerechtigkeit" erkannt - zumindest wollen sie diesen Eindruck erwecken. Schon der Parteiratsbeschluß vom 20. September benannte das Thema: "In der öffentlichen Debatte über soziale Gerechtigkeit haben wir in den letzten Monaten viel zu defensiv agiert." Falsch liegt, wer erwartet, nun würden die neoliberalen Vordenker in der Bundestagsfraktion an die Kandare genommen. Selbst der Parteirat blieb in seinen Empfehlungen auf Linie: "Da wir sowohl eine Vermögensabgabe als auch eine Neueinführung der Vermögenssteuer aktuell nicht für sinnvoll halten, wollen wir ... für mehr Steuergerechtigkeit sorgen." Konkretes Vorhaben: Die Steuerhinterziehung bei Zinserträgen soll bekämpft werden. Ansonsten sollen untere und mittlere Einkommen sowie Kleinunternehmer und Kleinaktionäre steuerlich entlastet werden.

Auf den ersten Blick erscheint es, Fischer sei mit seinem Vorstoß nicht durchgekommen. Von einem "Politikproblem" wollte er nichts wissen. Für ihn waren die Niederlagen bei den letzten Wahlen und das schlechte Erscheinungsbild der Partei Ergebnis von Unprofessionalität und internen Strukturproblemen. Anfang Oktober allerdings hat eine Vorstandskommission Vorschläge zur Parteireform vorgelegt, die durchaus auf Fischers Linie liegen. Zwar ist eine radikale Reform, wie sie der Außenminister gewollt hat (ein Vorsitzender, ein Generalsekretär) vom Tisch, vorgeschlagen wird aber: die Einrichtung eines Präsidiums als Ersatz für den Parteirat und drei Varianten, die eine zukünftige Vereinbarkeit von Amt und Mandat ermöglichen sollen. Egal für welche Variante sich die grünen Delegierten auf dem Parteitag im März entscheiden, sicher ist, daß danach Abgeordnete und Minister auch Spitzenämter in der Partei übernehmen dürfen.

Das "Ablenkungsmanöver" (so die Kritik der Parteilinken) wird wohl funktionieren, selbst wenn der worst case eintritt: Falls im Winter Castor-Transporte rollen, ohne daß vorher ein von der Basis akzeptiertes Konzept für den Atomausstieg vorliegt, wird es unweigerlich einen Sonderparteitag geben. Im Zweifelsfall werden wohl die Delegierten dem Verbleib in der Regierung zustimmen, gleichzeitig wird Fischer die Strukturreform durchsetzen und mit Renate Künast als Bundessprecherin die gemäßigte Parteilinke eingebunden haben.

mb., Berlin

Anmerkung:

1) Beschluß des Parteirats am 20.9.99 "Aktuelle Lage und Konsequenzen"


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