akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 430 / 23.09.1999

Castor 99 - Up on the Road again?

Während Bundesregierung und Betreiber noch öffentlichkeitswirksam über Konsens und Dissens und um Vollast- oder Kalenderjahre streiten, spitzt sich die Situation an den AKW-Standorten zu. Denn noch immer gilt der Merkelsche Transportestopp für hochradioaktiven Atommüll. Nachdem die Betreiber noch im Frühjahr dachten, es sei möglich, demnächst wieder von allen Kraftwerken abgebrannte Brennelemente auf Reisen zu schicken, haben sie inzwischen verstanden, daß es angesichts des geplanten Widerstandes aus der Anti-AKW-Bewegung not tut, die Kräfte auf diejenigen Reaktoren zu bündeln, die demnächst abgeschaltet werden müßten, wenn nicht bald wieder Transporte rollen.

Im Frühsommer haben die Betreiber ihren mehrmaligen Ankündigungen Taten folgen lassen. Für die AKWs Biblis, Stade, Philippsburg und Neckarwestheim wurden beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Transportanträge gestellt. Geplant sind jeweils ganze Transportserien von Stade nach La Hague, von Neckarwestheim 1 nach Sellafield, von Neckarwestheim 2 nach Ahaus, von Biblis nach La Hague und nach Sellafield und schließlich von Philippsburg nach La Hague. Zusätzlich wurde für die sechs in La Hague bereitstehenden Waggons mit in Glaskokillen eingeschmolzenen hochaktiven WAA-Abfällen ein neuer Transportantrag für die Lieferung nach Gorleben gestellt, nachdem die bereits erteilte alte Transportgenehmigung bisher nicht in Anspruch genommen wurde und im Oktober ausläuft.

Allerdings kann das BfS die Transporte erst genehmigen, wenn verschiedene Vorbedingungen erfüllt sind. So ist das Problem der Außenkontamination noch immer nicht abschließend gelöst. Öko-Institut und Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) wurden beauftragt, in drei Gutachten zu erarbeiten, wie die Kontamination zukünftig zu vermeiden ist. Die Gutachten beziehen sich auf die drei unterschiedlichen Arten von Transporten, zum einen Atommüll-Fuhren von den AKWs zu den Zwischenlagern Ahaus und Gorleben, zum zweiten die Rücktransporte hochradioaktiver Abfälle aus der Wiederaufarbeitung nach Gorleben und zum dritten die Transporte aus den Reaktoren in die ausländischen WAAs.

Gutachten...

Das erste Gutachten zu den innerdeutschen Transporten wurde im Mai fertiggestellt. Die Betreiber mußten nun zu einer ausführlichen Liste von Auflagen Stellung nehmen. Im Juli lag die Antwort vor. Jetzt sind die Gutachter damit beschäftigt zu prüfen, ob mit den von den Betreibern vorgesehenen Maßnahmen die Auflagen wirklich erfüllt sind. Mitte September erklärte Jürgen Trittin, daß die Betreiber nun nahezu alle Anforderungen erfüllt hätten und er für den Januar 2000 mit einem Transport von Neckarwestheim nach Ahaus rechnet.

Das zweite Gutachten zu den Rücktransporten ist seit Juli fertiggestellt. Zur Zeit wird von den Betreibern die Liste der Auflagen bearbeitet. Allerdings scheitert der geplante Sixpack von La Hague nach Gorleben an der baufälligen Bahnbrücke bei Hitzacker im Wendland. Die Deutsche Bahn AG teilte kürzlich den Betreibern des Zwischenlagers in Gorleben mit, daß die Sanierung der denkmalgeschützten Brük-ke erst im Herbst 2000 abgeschlossen werden kann. Die Verzögerungen ergäben sich wegen "Genehmigungsproblemen im Bereich des Naturschutzes" und wegen Unterbrechungen der Bauarbeiten während der Elbe-Hochwasser.

Daraufhin meldete sich das Innenministerium in Hannover zu Wort und bekräftigte, daß Transporte, die nicht bis zur Umladestation in Dannenberg auf der Schiene rollen können, aus polizeilicher Sicht nicht durchführbar sind: "Der Schutz der Transporte auf der Straße zwischen Dannenberg und Gorleben bereitet der Polizei bereits jetzt erhebliche Probleme. Ein noch längerer Straßentransport sprengt den Rahmen von Aufwand und Kosten vollends".

Das dritte Gutachten - zu den WAA-Transporten - soll bis Ende November fertiggestellt sein. Bis zur Erfüllung der Auflagen kann es bis Februar 2000 dauern. Es gibt auch Andeutungen, daß sich Öko-Institut und GRS nicht ganz einig darüber sind, ob es überhaupt technisch möglich ist, die Außenkontamination vor allem bei den französischen Transportbehältern zu vermeiden.

Die Erfüllung der Auflagenlisten aus den Gutachten ist allein noch nicht ausreichend, damit das BfS die Transporte genehmigt. Dazu bedarf es unterschiedlichster Unterlagen. Noch Ende August machte das Bundesamt öffentlich, daß die Betreiber sich zwar einerseits über das langsame Tempo der Antragsbearbeitung beschweren, andererseits aber ihre Unterlagen noch nicht vollständig vorgelegt haben.

Ein zentraler Punkt bei der Genehmigung sind auch die bisher fehlenden verkehrsrechtlichen Zulassungen der Behälter. Ob und wann das BfS die verschiedenen Fabrikate wieder auf Straßen und Schienen läßt, ob dazu neue Falltests oder weitere Gutachten nötig werden, all das steht zur Zeit in den Sternen.

Bevor ein Transport rollen kann, muß im betroffenen Kraftwerk noch eine sogenannte Kalthantierung mit dem entsprechenden Behältertyp durchgeführt werden, um zu beweisen, daß die in der Theorie entwickelten Kontaminationsschutzmaßnahmen auch in der Praxis etwas taugen. In Philippsburg und Neckarwestheim stehen dafür schon Behälter bereit.

Da sich die bisherigen Anträge hauptsächlich auf Transporte zu den WAAs beziehen, die Frage des Kontaminationsschutzes bei den dafür genutzten Behältertypen aber am schwierigsten zu lösen ist und allein die Abarbeitung des entsprechenden Gutachtens noch voraussichtlich bis Februar dauern wird, arbeiten die Betreiber an Alternativlösungen. So deutete Jürgen Trittin bei seinem Besuch in Ahaus im Sommer an, daß nicht nur aus Neckarwestheim, sondern auch aus Biblis und Philippsburg demnächst Transporte in das münsterländische Zwischenlager beantragt werden sollen. Damit halten sich die Betreiber alle Optionen offen. Schließlich ist man in Sachen Kontamination bei den innerdeutschen Transporten schon am weitesten vorangekommen. Wegen der Brückenprobleme und der Expo in Hannover fällt das Zwischenlager Gorleben vorerst aus, so wird bis Ende 2000 nur Ahaus als Zielort dieser Transporte in Frage kommen.

Ob allerdings der langwierige Zeitplan in Sachen WAA-Transporte wirklich Bestand hat oder ob durch ein Machtwort des Bundeskanzlers plötzlich alle Sicherheitsbedenken mit einem Schlag vom Tisch sind, das wird von den Beteiligten unterschiedlich bewertet. Ende August klopfte die britische WAA-Betreiberin BNFL schon mal bei Gerhard Schröder an und pochte auf die Einhaltung der Lieferverträge. Dementsprechend läßt sich nicht mit Gewißheit sagen, daß in diesem Jahr kein Castor mehr rollt. So müßte beispielsweise die Transportserie vom Block Biblis B eigentlich spätestens im Oktober beginnen, um ein Abschalten des Reaktors im nächsten Frühjahr zu vermeiden.

Doch auch wenn sich die Transporte aus genehmigungstechnischen Gründen weiter verzögern oder wenn die Verstopfungsstrategie der Anti-Atom-Bewegung dazu führt, daß wegen fehlender Polizeikapazitäten nur ein oder zwei Transporte rollen können, geben die Betreiber noch nicht auf. Zur Zeit wird geprüft, ob es rechtlich möglich ist, in großem Umfang abgebrannte Brennelemente in Castoren auf dem Gelände der AKWs unter freiem Himmel zu lagern. Diese sogenannte Transportbereitstellungslagerung ist in Neckarwestheim bereits für sechs Behälter genehmigt, dort allerdings mit der entscheidenden Auflage, daß die auf diese Weise geleerten Stellplätze im Abklingbecken freibleiben müssen, da sonst die für das Kraftwerk genehmigte Umgangs- und Lagermenge radioaktiver Stoffe überschritten wird. Die Erhöhung dieser Menge bedarf eines sich über mehrere Jahre hinziehenden Genehmigungsverfahrens. Jetzt prüfen die JuristInnen, ob die Transportbereitstellungslagerung nicht auch außerhalb dieser genehmigten Lagermenge erfolgen kann. Eine für die nahe Zukunft vielleicht entscheidende Frage beim Kampf um die Verstopfung der Reaktoren.

Das gleiche Problem besteht bei dem für das AKW Stade beantragte zusätzliche Lagergestell, mit dem die Kapazität des Abklingbeckens so erhöht werden soll, daß der Reaktor noch ein weiteres Jahr am Netz bleiben kann. Ein vom niedersächsischen Umweltminister Wolfgang Jüttner in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, daß es sich beim Einsatz des Gestells um eine "wesentliche Änderung" der Betriebsgenehmigung handelt. Deshalb muß nicht nur das Gestell, sondern die ganze Anlage neu auf ihre Risiken überprüft werden. Ob auch eine Öffentlichkeitsbeteiligung notwendig wird, hängt letztendlich von der Bewertung der Risiken ab, ist also augenblicklich noch offen.

Bewegung aktiv

Viel zu tun also weiterhin für die Anti-Atom-Bewegung. Den Anfang hat die "Lebenslaute" in Biblis gemacht. Am 25. September gibt es einen Aktionstag gegen das geplante Zwischenlager in Lingen und Aktionen am AKW Neckarwestheim. Am 3. Oktober wird gegen die Inbetriebnahme der PKA in Gorleben und am 10. Oktober wird am Schacht Konrad demonstriert. Am 30. Oktober gibt es schließlich einen europäischen Aktionstag gegen Atommülltransporte mit Aktionen in Großbritannien, Frankreich und der Bundesrepublik. Hierzulande werden die Schwerpunkte nach vorläufigen Planungen in Berlin, in Stade und entweder in Philippsburg oder in Neckarwestheim liegen.

Die aktionsorientierten Initiativen an den Standorten und in den Städten und auch die Kampagne "X-tausendmal quer - überall" erhalten in nächster Zeit deutliche Unterstützung aus den Umweltverbänden. Fast in allen Gruppierungen, ob Greenpeace oder IPPNW, ob NABU oder BUND, ob BBU oder Robin Wood hat die Frage des Atomausstiegs hohe Priorität. Der Druck auf die Bundesregierung und die Atomwirtschaft soll verstärkt werden. Die Verbände planen sogar einen eigenen Aufruf gegen den nächsten Castor-Transport.

Sollte dieser tatsächlich Anfang kommenden Jahres nach Ahaus rollen, dann wird vor allem interessant, wie sich die Diskussion innerhalb der Grünen entwickelt. Ein grüner Minister vertritt die Transporte politisch, ein grün geführtes BfS spricht die Genehmigung aus und ein grüner Polizeipräsident soll den Castor vor Ort durchsetzen. Und dies alles kurz vor den Landtagswahlen in NRW. Der dortige Landesverband hat bereits massive Proteste angekündigt - übrigens strömungsübergreifend.

Jochen Stay

Mitte September erklärte Jürgen Trittin, daß die Betreiber nun nahezu alle Anforderungen erfüllt hätten und er für den Januar 2000 mit einem Transport von Neckarwestheim nach Ahaus rechnet.


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