akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 430 / 23.09.1999

Neue Castorhalle - mit und gegen die Grünen

Am AKW Lingen läuft das Genehmigungsverfahren für den Bau der ersten standorteigenen Castorhalle. Noch vor einem Jahr hätten die Grünen Kopf gestanden, hätte irgendein AKW-Betreiber die ungelöste Entsorgung und den Ärger mit den Castortransporten über diesen Weg zu beseitigen gedacht. Heute sieht das anders aus. Unser Autor skizziert die Reaktionen und Umgangsweisen der Grünen mit dem Ausbau des Atomprogramms am Standort Lingen.

Akzeptanzprobleme beim Bau der standorteigenen Zwischenlager könnten dazu führen, daß die Atompolitik der Grünen in der grünen Partei selbst ein Akzeptanzproblem bekommt.

Die Atompolitik kann für die Grünen in den nächsten Monaten zur großen Zerreißprobe werden. Die von der rot-grünen Bundesregierung betriebene Politik der Absicherung des langfristigen Weiterbetriebs der Atomanlagen widerspricht den ursprünglichen grünen Grundsätzen, Wahlkampfslogan "Ausstieg nur mit uns!", genauso sehr wie der Kosovokrieg. Aber im Gegensatz zur Auseinandersetzung um den Kosovokrieg wird die um die Atomkraft nicht nach ein paar Monaten vorbei sein. Und mit der Anti-AKW-Bewegung steht Regierung und Betreibern eine Basisbewegung gegenüber, die wesentlich mobilisierungs- und konfliktfähiger ist als die Friedensbewegung.

Die grüne Partei ist sich nicht einig, welchen Kurs sie beim Ausstieg der Atomenergie einschlagen will. Die SpitzenpolitikerInnen der Bundespartei tragen fast alle den weichen Konsenskurs der Regierung mit. Viele Mitglieder an der Basis hingegen sehen sich in Opposition dazu und beginnen sich am Widerstand dagegen zu beteiligen. Bisher schaffen die Grünen es, die parteiinternen Risse weitgehend zu verdecken, weil die atompolitische Diskussion derzeit von der Bundesregierung und der Atomindustrie dominiert wird und sich vor allem um die Konsensgespräche dreht. Doch es ist absehbar, daß die Anti-Atom-Bewegung wieder als öffentlich wahrnehmbare Kraft in die Debatte eingreift und die Auseinandersetzung vom Konsenstisch auf die Straße zurückholt. Womit sie erreichen kann, daß die Frage nach der Akzeptanz der Atomenergie nicht mehr nur über die Anerkennung eines Rechtsanspruchs der Atomkonzerne auf den Betrieb ihrer Reaktoren durch die Bundesregierung, sondern auch über die nicht vorhandene Bereitschaft großer Teile der Bevölkerung mit den Gefahren dieser Technologie zu leben, definiert wird. Und dann müssen die Grünen Farbe bekennen. Diese Situation kann zum einen mit der Wiederaufnahme der Castortransporte, zum anderen mit der Genehmigung und dem Bau der standorteigenen Zwischenlager eintreten.

Akzeptanzprobleme...

Zumindest der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin fürchtet Akzeptanzprobleme der dezentralen Zwischenlagerung mehr als Castorblockaden. Mit dem Widerstand gegen die AKW-eigenen Castorhallen kann die Bewegung zwar nicht direkt das Abschalten einzelner AKWs erzwingen. Mit den Castorblockaden ist ihr das zumindest zeitweise möglich, wegen der notwendigen großen Polizeieinsätze und dem Platzmangel in den Abklingbecken einiger Kraftwerke. Aber: "Die Glaubwürdigkeit dieser Regierung wird nicht von einzelnen Atomtransporten abhängen, sondern davon, ob es uns (der Regierung, Anm. ak) gelingt, klarzumachen, daß neue Zwischenlager nicht dem unbefristeten Weiterbetrieb dienen, sondern ein Schritt zum Ausstieg sind", so Trittin. Daß es aber schwerfallen dürfte, das klarzumachen, wenn die Zwischenlager an den Kraftwerksstandorten geschaffen werden, bevor ein Ausstieg aus der Atomenergie auch nur absehbar ist, scheint ihn nicht zu stören.

Und auch der Bundesvorstand der Grünen erklärt gegenüber der Presse: "Mit ihrem Vorhaben, im emsländischen Lingen ein Zwischenlager einzurichten, weisen die Dortmunder VEW den anderen den richtigen Weg", und fügen im Hinblick auf das offene Ergebnis der Konsensgespräche sogar noch an: "Unabhängig vom Ausgang der Energiekonsensverhandlungen wären deshalb alle AKW-Betreiber gut beraten, dem Beispiel der Dortmunder VEW zu folgen."

Das sehen die Betreiber genauso. Die Zwischenlager ermöglichen ihnen den Betrieb ihrer Atommeiler ohne Castortransporte und damit, so hoffen sie, ohne Widerstand. Und so einfach und schnell wie unter der rot-grünen Bundesregierung kommen sie nie wieder an Atommüllager. Die grüne Führungsriege hat ihren Widerstand gegen das Konzept der Zwischenlagerung anscheinend vergessen. Noch 1997 warf der heutige Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Rainer Baake, der damaligen CDU/FDP-Bundesregierung vor, sie würde bei der Frage der Zwischenlagerung "gedrängt durch die Stromwirtschaft" Rechtsbruch begehen: "Die Zwischenlagerung soll als Entsorgungsnachweis - entgegen der Rechtslage - (...) anerkannt werden." Und jetzt kündigt die energiepolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Michaele Hustedt, sogar "eine zügige Genehmigung von Zwischenlagern bei den Atomkraftwerken an." Und als ein Vertreter der AKW-Betreiber auf einer Podiumsdiskussion die Befürchtung äußert, daß es lange Zeit dauert, bis neue Zwischenlager genehmigt und juristisch durchgefochten sind, antwortet Hans Martin Groth, einer der Autoren des grünen Ausstiegskonzeptes: Unter Rot-Grün "können sie das in eineinhalb Jahren genehmigt bekommen." Das Rekordtempo, mit dem das Bundesamt für Strahlenschutz das Genehmigungsverfahren für die Castorhalle in Lingen durchführt, gibt ihm Recht.

Zumindest die BundespolitikerInnen der Grünen sind sich also einig. Sie wollen, vermutlich ebenfalls gedrängt durch die Stromwirtschaft, die Standort-Zwischenlager so schnell wie möglich durchsetzen. Unabhängig davon, ob der Ausstieg aus der Atomenergie absehbar ist oder nicht.

Bei den Landesverbänden sieht es unterschiedlich aus. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, einem Bundesland, in dem kein AKW, dafür aber das Zwischenlager Ahaus steht, huldigt die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn dem Sankt-Floriansprinzip. Zur geplanten Castorhalle im 60 km von Ahaus entfernten, aber schon zu Niedersachsen gehörenden Lingen erklärt sie: "Die Betreiberfirma gibt damit ein positives Beispiel, dem andere Stromkonzerne folgen sollten. Aus NRW-Sicht ist vor allem erfreulich, daß das Zwischenlager in Ahaus entlastet werden kann."

Niedersachsens Grüne

In Niedersachen, dem Bundesland, wo die Lingener Castorhalle errichtet werden soll und in dem die Grünen in der Opposition sind, spricht sich die Fraktionsvorsitzende der grünen Landtagsfraktion, Rebecca Harms, gegen die neue Castorhalle aus. Allerdings hat sie keine Bedenken gegen die Zwischenlagerung selber, sondern nur gegen die Dimension der Lingener Halle und den Zeitpunkt ihrer Genehmigung, noch vor dem Ende der Konsensgespräche. Im Dezember letzten Jahres, als die VEW den Antrag für die Halle stellte, erklärte sie: "Ein Zwischenlager, dessen Kapazitäten weitere 30 Jahre Laufzeit für das AKW ermöglicht, schadet den Bemühungen, bundesweit ein verantwortbares Entsorgungskonzept durchzusetzen. (...) Akzeptanz für die dezentrale Zwischenlagerung (...) wird es nur geben, wenn gleichzeitig für das jeweilige AKW verbindliche Restlaufzeiten vereinbart werden." Eine recht moderate Kritik, die aber schärfer wird, als die in den Konsensgesprächen verhandelten Restlaufzeiten immer länger werden, und bekannt wird, daß die Kapazität der Halle nicht für 30, sondern für über 50 Jahre Laufzeit ausreicht. Im Juli nennt Harms das Lingener Zwischenlager dann eine "Provokation der Energieversorgungsunternehmen, die die Energiekonsensgespräche empfindlich stört" und bezeichnet sie als "völlig überdimensioniert".

Damit gibt Rebecca Harms auch in etwa die Position der niedersächsischen Landesgrünen wieder, die allerdings nicht ganz einheitlich ist. Zum einen gibt es PolitikerInnen wie Renee Krebs, Mitglied des Landesvorstands, deren Ablehnung der standorteigenen Castorhallen wesentlich grundsätzlicher ist. Zum anderen aber auch Leute, die die Position vertreten, die niedersächsischen Landesgrünen könnten sich doch nicht Widerstand gegen den eigenen Bundesumweltminister leisten. Und so fällt die Unterstützung der niedersächsischen Landesgrünen für den Widerstand, obwohl sie sich offiziell gegen die Lingener Castorhalle aussprechen, manchmal sehr halbherzig aus. Bei einen Antrag über 10.000 DM, den die Lingener Anti-Atom-Gruppen beim Ökofonds gestellt haben, bekamen sie beispielsweise nur 1.000 DM bewilligt. Für den Ökofonds und die bundesweite Bedeutung der Lingener Halle ist das sehr wenig, gerade genug, um den öffentlichen Vorwurf, sie würden den Widerstand nicht unterstützen, zu verhindern.

Die grüne Basis an den meisten Atomstandorten hingegen steht hinter dem Konsens der Anti-Atom-Bewegung, daß über die Frage "Wohin mit der Atommüll?" erst gesprochen wird, wenn die AKWs abgeschaltet werden. Viele Grüne beteiligen sich am Widerstand gegen Weiterbetrieb, Castorhallen und Transporte. Und sie tragen diese Auseinandersetzung auch in die Partei hinein. Ob es ihnen gelingt, eine grundsätzliche Diskussion über den atompolitischen Kurs zu entfachen, und wie die dann ausgeht, hängt entscheidend davon ab, ob es den grünen SpitzenpolitikerInnen gelingt, ihrer Basis, das, was in den Konsensgesprächen ausgehandelt wird, als Ausstieg aus der Atomenergie zu verkaufen. Und der Teststein dafür wird sein, ob es, wie Jürgen Trittin richtig sagte, "gelingt klarzumachen, daß neue Zwischenlager nicht dem unbefristeten Weiterbetrieb dienen". Gelingt ihm das nicht, werden die bisher verdeckten atompolitischen Risse in der Partei aufbrechen. Wie die entlang dieser Risse dann ausbrechende Auseinandersetzung endet, wird sich zeigen. Möglich wäre sowohl ein Zurückschwenken der Bundesgrünen auf einen ernst zu nehmenden Ausstiegskurs, als auch eine Spaltung der Partei oder der Austritt vieler atompolitisch engagierter Basisgrüner. Nur die Risse wieder zu verdecken dürfte mit jeder neuen Zuspitzung, also mit jedem Castortransport und mit jedem Zwischenlager, schwieriger werden.

Bernd Schmidt


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