akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 429 / 26.08.1999

Lagern für die atomare Zukunft

Erstes Standort-Zwischenlager entsteht am AKW Lingen

Die ersten Ergebnisse der rot-grünen Bundesregierung in Sachen Atomausstieg nehmen Form an: es werden neue Atomanlagen gebaut, die verhindern sollen, daß die bestehenden AKWs abgeschaltet werden müssen. Am AKW Lingen (Niedersachsen) läuft seit Anfang August die Auslegung der Unterlagen für den Bau einer neuen Lagerhalle für hochradioaktive Brennelemente. Nach Gorleben, Ahaus und der Castorhalle am stillgelegten AKW Greifswald wird Lingen damit zum ersten in Betrieb befindlichen Meiler, der sich ein solches von der Bundesregierung heiß ersehntes Atommüll-Zwischenlager gönnt.

Am AKW-Lingen läuft das atomrechtliche Genehmigungsverfahren für das bundesweit erste standorteigene Zwischenlager. Es ist für die Brennelemente aus 50 Reaktorbetriebsjahren ausgelegt. Mit dem Baubeginn der Halle wird ab November gerechnet.

Seit das AKW-Lingen im Dezember letzten Jahres, als erstes und bislang einziges Atomkraftwerk, den Antrag auf ein Standort-Zwischenlager beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) eingereicht hat, arbeitet das inzwischen grün geführte BfS mit Hochdruck an der schnellen Abwicklung des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens. Wobei es die BürgerInnenbeteiligung auf das gesetzlich notwendige Mindestmaß beschränkt: Die Auslegung der Antragsunterlagen im Genehmigungsverfahren begann zusammen mit dem Sommerloch und alle Fristen werden auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum beschränkt.

Regierung und Betreiber eint das Interesse, widerstandsträchtige Castortransporte in Zukunft so gut es geht zu vermeiden, um der öffentlichen Diskussion um die sofortige Stillegung aller Atomanlagen, die durch Castorblockaden erneut angefacht würde, zu entgehen. Weshalb die rot-grüne Bundesregierung auch darüber hinwegsieht, daß die Kapazität der beantragten Castorhalle ihren sogenannten "Ausstieg" zur Absurdität werden läßt. Der Antrag sieht nämlich vor, daß auf den 130 Castorstellplätzen der größtmögliche Behältertyp zum Einsatz kommen soll. Dadurch können die abgebrannten Brennelemente aus 50 Jahren Reaktorbetrieb aufgenommen werden. Als radioaktives Inventar sollen 1.500 Tonnen Schwermetall zugelassen werden. Das ist dieselbe Menge, für die ursprünglich auch Gorleben und Ahaus genehmigt wurden.

Mit dem Baubeginn der Halle ist noch in diesem Jahr zu rechnen. Denn für die reine Baugenehmigung der Halle ist nicht das BfS sondern die Stadt Lingen zuständig. Und diese Genehmigung ist ohne weiteres noch vor dem Ende des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens möglich. Ein Vorgehen das auch in Ahaus angewandt wurde.

Castor- oder Standortbewegung

Durch ihre Dimensionen und den Versuch von Betreibern und BfS sie so schnell wie möglich zu genehmigen, bietet die Lingener Castorhalle eine gute Möglichkeit, öffentlichen Druck auf Regierung und Atomlobby aufzubauen. An ihr läßt sich derzeit am deutlichsten zeigen, daß es bei Schröders Pro-Atom-Konsens nicht um den Ausstieg, sondern um den langfristigen und vor allem reibungslosen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke geht.

Mit dem Widerstand gegen die standorteigenen Castorhallen soll erreicht werden, den durch den Transportstop und die angekündigten Castorblockaden nun langsam eintretenden Entsorgungsnotstand der AKWs aufrecht zu erhalten. Denn wächst der Widerstand gegen die dezentralen Atommüllager stark an, so stecken die Stromkonzerne nämlich in einem Dilemma. Verzichten sie auf den Bau standorteigener Castorhallen, müssen sie, um die abgebrannten Brennelemente loszuwerden, langfristig auch weiter Castortransporte in die Wiederaufarbeitungsanla-gen nach Frankreich und England oder in die Zwischenlager in Gorleben und Ahaus durchführen. Diese müssen, wenn sie überhaupt durchführbar sind, gegen massiven Widerstand durchgesetzt werden. Bauen sie die Castorhallen, schaffen sie mit jeder Halle einen neuen Kristallisationspunkt für die Anti-Atom-Bewegung. Sie müssen also befürchten, das Umgehen der Anti-Castor-Bewe-gung mit einem Comeback der Anti-AKW-Bewegung an den Standorten zu bezahlen.

Ziel der in Lingen aktiven Anti-Atom-Gruppen ist es derzeit vor allem, die Castorhalle Lingen und die Problematik der dezentralen Zwischenlagerung regional und bundesweit ins Bewußtsein zu bringen. Im Zentrum stehen dabei erstmal, Einwendungen gegen die atomrechtliche Genehmigung der Halle zu sammeln und der Aktionstag am 25. September. Beide Aktionsformen bringen viele Menschen mit dem Thema in Kontakt und geben vielen Gruppen die Möglichkeit, dazu zu arbeiten.

Wie es nach dem Aktionstag weitergehen, wird derzeit noch diskutiert. Klar ist, daß es eine große Aktion bei der Lingener Ratssitzung, auf der die Baugenehmigung abgesegnet wird soll, und einen Aktionstag am ersten oder zweiten Samstag nach Baubeginn geben wird. Im Gespräch ist außerdem, ab dem Aktionstag monatliche Spaziergänge durchzuführen, um einen regelmäßigen Termin an den Anlagen zu schaffen und so die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit zu legen.

Während des Baus der Halle dürfte vor allem die Baustellenzufahrt als Aktionsort interessant sein, da der Bauplatz auf dem AKW-Gelände liegt. Hier bietet sich vor allem die Aktionsform der technischen Blockade, also der Blockade mit Tripoden (Dreifüßen), Festschließaktionen und ähnlichem, an. Einige Gruppen arbeiten auch an der Idee eine Aktion "Ausgebaut" durchzuführen und, in Anlehnung an die Aktion Ausrangiert, in einer öffentlich angekündigt Aktion zivilen Ungehorsams die Baustellenzufahrt rückzubauen.

Und wenn das Zwischenlager betriebsbereit ist, bieten die Transporte der leeren Castorbehälter, die zum beladen nach Lingen gebracht werden sollen, genauso gute Ansatzpunkte für Aktionen und Blockaden wie volle Castoren.

Bernd Schmidt

Aktionstag in Lingen: Samstag 25.9.99

Vormittags: Öffentlichkeitsaktionen in der Lingener Innenstadt und auf dem Wochenmarkt, 13.00 Uhr: Auftaktkundgebung vorm Tor des AKW-Lingen. Anschließend: Aktionen rund um die Anlagen, 18.30 Uhr: Abschlußkundgebung, Abends: Open-Air-Kino im Camp. Von Freitag bis Sonntag gibt es ein Übernachtungscamp und während der Aktionen am AKW eine Mahnwache als Erholungs- und Rückzugsraum. Falls der nächste Castortransport in der zweiten Septemberhälfte stattfindet, wird der Aktionstag in den späteren Herbst verlegt.

Wichtig: Wir werden keine Aktionen auf den Schienen machen, da die Strecke am AKW stark befahren und das Betreten der Gleise lebensgefährlich ist.


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