akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 429 / 26.08.1999

Auf der Suche nach dem Führungskader

BKA droht der Anti-AKW-Bewegung

Anfang Juli langte das BKA voll hin. Zahlreiche Wohnungen von AtomkraftgegnerInnen wurden in mehreren Städten durchsucht. Hintergrund der Durchsuchungen sollen laut BKA Anschläge auf die Bundesbahn in Zusammenhang mit Castor-Transporten ins Wendland sein. Wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" oder "gefährlichem Eingriff in den Schienenverkehr" wird gegen die Betroffenen ermittelt. Die ak-Redaktion erklärt sich mit den Betroffenen solidarisch. Auf die Anklagebank gehören diejenigen, die mit ihrem Atomprogramm Leben und Umwelt bedrohen und diejenigen, die diese dabei schützen. Wir dokumentieren hier den Offenen Brief der Betroffenen, der inzwischen von zahlreichen Gruppen unterschrieben wurde.

Am 6.7.1999 durchsuchte das Bundeskriminalamt (BKA) insgesamt 10 Wohnungen in Berlin, Bremen, Hamburg, im Landkreis Lüchow-Dannenberg und im Landkreis Lüneburg, einen Taxi-Betrieb in Berlin Kreuzberg und ein Umweltinstitut in Bremen. Der Vorwurf lautet "Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" (129a) oder "gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr" (315). Nach der Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes (vom 6.7.1999) waren 9 StaatsanwältInnen, 100 BKA-BeamtInnen und weitere 200 PolizistInnen der Länder beteiligt. Die angetroffenen Beschuldigten wurden erkennungsdienstlich behandelt, teilweise wurden noch zusätzlich Speichelproben und Haarproben (aus Haarbürsten) für DNA-Analysen entnommen. In eine Wohnung in Berlin drangen vermummte SEK-BeamtInnen mit Stahlhelm und gezogenem Revolver ein. Ein Mensch wurde von der Arbeit "verbracht".

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gingen der Durchsuchungsaktion "intensive Ermittlungen der Arbeitsgruppe Energie beim Bundeskriminalamt" voraus. Diese Ermittlungen hätten ergeben, daß die Aktionen auf eine Personengruppe aus dem militanten Widerstand gegen die CASTOR-Transporte und auf eine aus dem Widerstand gegen die Olympischen Spiele in Berlin (AOK, Anti-Olympia-Komitee) zurückzuführen sind.

Begründet wurde der Vorwurf mit den Hakenkrallenaktionen gegen die Deutsche Bahn AG, die laut Pressemitteilung des Generalbundesanwaltes am 7. Oktober 1996 an 12 Orten im Bundesgebiet und am 25. Februar 1997 an 8 weiteren Orten in Norddeutschland stattfanden, sowie dem "Kommuniqué autonomer Gruppen" zu diesen Aktionen und weiteren BekennerInnenschreiben. In dem breit veröffentlichten Kommuniqué heißt es dazu: "Ziel der Anschläge war es, die Deutsche Bahn AG unter Druck zu setzen, um die CASTOR-Transporte auf dem Schienennetz einzustellen."

Aus der Zeitgleichheit der Aktionsserien und gemeinsamer Erklärungen schließt die Generalbundesanwaltschaft auf die Existenz einer Organisation "Autonome Gruppen", deren "Führungskader" sie in den Beschuldigten gefunden zu haben glaubt.

Es gibt eine weitere Beschuldigung wegen gefährlichem Eingriff in den Schienenverkehr im Rahmen des Widerstandes gegen das AKW Krümmel.

Die Staatsanwaltschaft unterstellt, daß durch die reißenden Oberleitungen Gefahr für Leib und Leben von LokomotivführerInnen und Reisenden entstanden war. Dagegen geht aus den Diskussionen der Anti-AKW-Bewegung ganz klar hervor, daß solche Aktionen so angelegt sind, daß keine Menschen gefährdet werden. In dem besagten Kommuniqué heißt es dazu: "Wir bewegen uns mit dieser Aktion im Konsens des wendländischen Widerstandes, keine Menschenleben zu gefährden".

Es gibt elf "Beschuldigte" und neun weitere "Betroffene", wobei dieses Personen sind, die mit den "Beschuldigten" in Kontakt stehen sollen, oder zu deren Räumen die "Beschuldigten" Zugang haben sollen.

Die Durchsuchungen - zumindest bei den "Beschuldigten" - fanden in allen Räumen statt, zu denen sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Zugang haben. Das betraf auch Keller, Dachböden, Schuppen, Ställe, Autos, Gärten und landwirtschaftliche Flächen. Die Durchsuchungen begannen zeitgleich etwa um 8 Uhr morgens und dauerten bis zu 13 Stunden. Es wurde zugelassen, eine AnwältIn zu benachrichtigen, dann aber konnten, bis auf eine Ausnahme, keine weiteren Telefongespräche geführt oder empfangen werden.

In Bremen gehört ein Mitarbeiter der Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.) zu den Beschuldigten. Sein Arbeitsplatz, sowie die Räume der Meßstelle und das gesamte Haus, in dem sich die Meßstelle befindet, wurden durchsucht. Geschäfts- und Arbeitsunterlagen wurden in einem Ausmaß beschlagnahmt, daß ein Weiterbetrieb gefährdet ist. Hier wurde vor Ort eine weitere Beschuldigung erhoben: "Anfangsverdacht des Betruges durch unzweckmäßig verwendete Fördergelder". Das geschah sicher nicht zufällig: Die Meßstelle hat z.B. die Kampagne gegen Atomtransporte durch Bremen und Bremerhaven ('97,'98) wissenschaftlich begleitet und politisch unterstützt. Diese Kampagne bekam durch den "CASTOR-Skandal" eine zusätzliche Bestätigung.

Nach unseren bisherigen Erkenntnissen wurden bei den Durchsuchungen beschlagnahmt (wobei bei den verschiedenen Durchsuchungen sehr unterschiedlich vorgegangen wurde): PCs und Datenträger (Disketten, CDs), Videofilme, Fotos, Kalender, Adress-, Notiz- und Tagebücher, Material, an dem gerade gearbeitet wurde (unter anderem Artikel und weitere Texte, unabhängig vom konkreten Tatvorwurf), Krankenunterlagen und Therapieunterlagen über die eigene Behandlung, PatientInnenunterlagen, Strategiediskussionen zu Uran-, CASTOR-Transporten und AKW-Widerstand, Unterlagen zu Bankkonten, Quittungen, Verträge usw., Schraubstöcke, Rohrzangen, Bolzenschneider, Schraubschlüssel, Eisenbahnschienen, Funkscanner, Signalwesten, Landkarten, Schreibmaschinen, Typenrad, Handschriften- und Schreibmaschinenproben, Haarbürsten und Hanfpflanzen. Außerdem wurden Zigarettenkippen beschlagnahmt, da laut eines Durchsuchungsbeschlusses eine Zigarette (Marke Juwel) auf einer Betonschwelle im Gleisbett ausgedrückt worden sei. Sie soll 13,20 m von der Stelle gelegen haben, an der eine Hakenkralle bei Potsdam eingehängt worden sein soll.

Erfahrungsgemäß kann es eine zweite Welle von Durchsuchungen geben. Darauf sollten wir uns vorbereiten!

Diese Staatsschutzaktion steht für uns im ganz konkreten Zusammenhang mit den Energiekonsensgesprächen zwischen Regierung und Atomindustrie.

Im Vorfeld der politisch und praktisch in Vorbereitung befindlichen Atomtransporte soll der Widerstand dagegen kriminalisiert, eingeschüchtert, in "friedliche" und "gewalttätige" gespalten und dadurch geschwächt werden. Das bekommt gerade jetzt eine besondere Bedeutung: Weil sich die Grünen und die SPD von Ihrer Kritik an der Atomtechnologie mit der Übernahme staatlicher Macht immer stärker zu den Garanten der Atomindustrie entwickeln.

Weil demnächst wieder Atomtransporte von den AKWs zu den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague (F) und Sellafield (GB), bzw. von diesen Anlagen in die "Zwischenlager" Gorleben oder Ahaus, oder von den AKWs in die "Zwischenlager" rollen sollen.

Weil außerdem fast täglich Atomtransporte, wie z.B. mit Uranhexafluorid für die Brennelementeproduktion durch die BRD fahren.

Abschließend wollen wir betonen: Unsere Widerstandsformen gegen die menschenfeindliche Atomtechnologie bestimmen wir selbst. Wir lassen sie uns nicht von den VertreterInnen der Atomindustrie und deren staatlichen UnterstützerInnen vorschreiben! Egal, welche "Farbkombination" in Berlin regiert: Wir werden solange gegen Atomanlagen und transporte kämpfen, bis alle Anlagen stillgelegt sind! Wir wissen: Gemeint sind wir alle - aber wir lassen uns nicht einschüchtern und auch nicht spalten. Entscheidend für Veränderung war immer nur der Druck, den wir selbst erzeugen konnten.

Sofortige Rückgabe aller beschlagnahmten Gegenstände!

Einstellung aller Verfahren gegen AtomkraftgegnerInnen!

Sofortige Stillegung aller Atomanlagen!

UnterzeichnerInnen der Erklärung:

ADELANTE Umzugskollektiv, Hamburg / AG Schöner Wohnen, Berlin / AK gegen Konservatismus, Coburg / AK KRAAK, Videomagazin, Berlin / Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand, Neckarwestheim / Anti-Atom-Aktuell Zeitung für die sofortige Stillegung aller Atomanlagen / Anti-Atom-Büro Hamburg / Anti-Atom-Plenum Berlin / Anti-Atom-Plenum Göttingen / Antifaschistische Aktion Oldenburg / Antifa Ammerland / Antifa-Café im Alhambra, Oldenburg / Antifa-Café in der B5, Hamburg / Antifaschistisches Komitee, Bremen / Antifaschistische Aktion Lüneburg-Uelzen / Anti-Rassismus-Büro, Bremen / Arbeitskreis Umwelt, Wiesbaden / ARGE Gemeinsam gegen Atomgefahr, St. Peter, Austria / ASO - Anarchistischer Störtrupp, Oldenburg / Atomplenum Greifswald / Atomplenum Minden / BamM! (Büro für antimilitaristische Maßnahmen), Berlin / BBA-Infoladen, Bremen / Bremer Anti-Atom-Forum (BAAF) / Bremer Friedensforum / Bremer Kassiber Stadtzeitung für Politik, Alltag, Revolution / Bremer Mahnwache-Frauen / BIU-Bürgerinitiative Umweltschutz, Budweis, Cech. Republik / Buchhandlung Oh 21, Berlin Kreuzberg / CASTOR-Gruppe Bremen / CASTOR-Gruppe Dahlenburg / Centrum ENERGIE, Budweis, Cech. Republik / "Copy Time" Kopierladen, Berlin-Kreuzberg / Dachverband der Oberpfälzer Initiativen gegen Atomanlagen, Schwandorf / Deutsche Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK), Landesverband Berlin, Landesverband Bremen / Delegiertenkonferenz der Abrüstungsinitiativen Bremer Kirchengemeinden / DGB Jugendbildungsstätte Fulda / "D.U.P." Der Umzug Platzt, Berlin / Ermittlungsausschuß (EA) -Berlin / EA-Bremen / EA-Hamburg / El Rojito Nicaragua-Kaffee-Handel, Hamburg / Einige AntifaschistInnen aus München / EZM-Energie Zukunft Mühlviertel, St. Stefan, Austria / Ex Levanti, Bremen / FC Dynamo Hasenheide, Berlin / FDCL Forschung und Dokumentation für Chile und Lateinamerika im Mehringhof, Berlin / Frauengruppe "Drächin Futura", Berlin / FrauenLesben-Info-Laden Mafalda, Bremen / FROXS Radikal Ökologische und Internationalistische Initiative, Bremen / Fritz Bauch -Kneipenkollektiv, Hamburg / Gegeninformations-Büro Mehringhof, Berlin / Gruppe Mücadele, Berlin / Hamburger Bündnis Antimilitaristischer, Antiimperialistischer Gruppen und Einzelpersonen / HessenBaden Plenum der Initiativen gegen Atomanlagen / Info-Café Anna und Arthur, Lüneburg / Initiative gegen den Coburger Convent, Coburg / Internationaler Menschenrechtsverein Bremen / Kaffee Klatsch Kollektiv, Wiesbaden / Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, Berlin, Potsdam / Kölner Gegenstrom gegen Atomanlagen / KöXüz MigrantInnenzeitschrift / Kurdistan Solidarität, Hamburg / Leben nach Tschernobyl, Gießen / Lebensmittel Hille, Berlin-Kreuzberg / Meßstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS e.V.), Bremen / Meuchefitzer Gasthof Kneipenkollektiv, Wendland / Mozart-Apotheke, Berlin-Kreuzberg / NIX MEHR Info-Telefon 030 261 98 12, Kampagne gegen Atomtransporte, Berlin / OOe Überparteiliche Plattform gegen Atomgefahr, Austria / Ratschlag der Anti-AKW-Initiativen in Trebel (Wendland) vom 20.7.1999 / Rote Hilfe, Ortsgruppe Bremen / Rote Flora - Plenum, Hamburg Schulz & Korn Naturkost, Berlin-Kreuzberg / Schwarzer Hahn e.V. Kulturverein, Lensian (Wendland) / Schwarzmarkt Infoladen, Hamburg / "Schwarze Risse" Buchladen im Mehringhof, Berlin / Soligruppe "Goldene Hakenkralle" / Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung, Bremen / "Taverna Babis", Berlin-Kreuzberg / Umbruch Satz, Repro, Bildarchiv, Berlin / Unorganisierte AKW GegnerInnen, Oldenburg./ WiWos Autonome FrauenLesben Gruppe, Bremen / Wohnprojekt Nimm 2, Hamburg / Zeitungsladen Mehringdamm, Berlin-Kreuzberg / Zieten-Apotheke, Berlin-Kreuzberg

Eigene Solidaritätserklärungen von: Autonome Gruppe Gegenenergie, Presseerklärung vom 14.7.99, Berlin / Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU), Presseerklärung vom 21.7.99, Bonn / GRUPPE LANDFRIEDENSBRUCH, Basisgruppe Reiskirchen, Offener Brief an das Bundeskriminalamt

Gemeinsames Solikonto:
Rote Hilfe e.V., Kto. 48 19 12 206, BLZ. 200 100 20, Postbank Hamburg, Verwendungszweck: "Goldene Hakenkralle".

Wir brauchen starke finanzielle Unterstützung. Aktuelle Infos sind abzufragen bei www.nadir.org unter Punkt "Aktuelles".
Weitere UnterzeichnerInnen oder Solidaritätserklärungen an:
BBA-Infoladen, St. Pauli Str. 10-12, 28203 Bremen, Tel./Fax: 0421 / 700 144.


© a.k.i Verlag für analyse, kritik und information GmbH, Rombergstr. 10, 20255 Hamburg
ak Logo www.akweb.de   E-Mail: ak-redaktion@cl-hh.comlink.de
Weiterveröffentlichung in gedruckter oder elektronischer Form bedarf der schriftlichen Zustimmung von a.k.i.