akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 429 / 26.08.1999

Gib Gas für den Atomausstieg

Alternativen zum unwirtschaftlichen Atomstrom

Mitte Juli veröffentlichte die Hamburger Umweltbehörde eine Studie, die die Wirtschaftlichkeit der Atomreaktoren Brunsbüttel, Brokdorf, Stade und Krümmel untersuchte und mit dem Bau und Betrieb von modernen Gas-Kraftwerken verglich. Für die Hamburgischen Electricitäts Werke (HEW), so das Fazit der Studie, würde sich der sofortige Ausstieg aus den AKWs auch finanziell lohnen. Die Studie ist jedoch nicht nur unter diesem Blickwinkel interessant. Die rot-grüne Koalition in Hamburg hatte nämlich vereinbart, diese Studie durchzuführen und bei entsprechendem Ergebnis das noch zu 50,1 Prozent im Besitz der Stadt befindliche Unternehmen dazu zu drängen, den Atomausstieg zügig auf den Weg zu bringen (vgl. ak 428).

Nun liegen die Fakten auf dem Tisch: Der Neubau bzw. Verkauf von Strom aus Gas- und Dampfkraftwerken bringt den HEW gegenüber dem Weiterbetrieb ihrer vier Atomkraftwerke einen satten wirtschaftlichen Vorteil. Würden die HEW sofort alle AKWs in Brunsbüttel, Krümmel, Stade und Brokdorf abschalten, dann ergäben sich langfristig Mehreinnahmen von 250 Mio. DM für das Unternehmen, das vorerst noch mehrheitlich im Besitz der Stadt Hamburg ist. Aufgeschlüsselt nach den einzelnen AKWs könnten die Mehreinnahmen sogar noch höher ausfallen.

Denn laut den Gutachtern wäre die Stillegung des AKW Brokdorf aus heutiger Sicht nicht wirtschaftlich und mit 391 Millionen DM günstiger als die Alternative Gasstrom. Die Stillegung von Brunsbüttel würde jedoch einen Vorteil von 272 Millionen DM bringen, die Stillegung von Stade 200 Millionen DM und bei Krümmel wären es immerhin noch 170 Millionen DM. Ließe man also Brokdorf am Netz und würde "nur" die drei anderen Atommeiler abschalten, dann ergäbe sich ein wirtschaftlicher Vorteil für die Gas- und Dampfkraft-Variante in Höhe 642 Mio. DM gegenüber dem Weiterbetrieb der AKWs.

Das ist das wesentliche Ergebnis einer Studie der Hamburger Umweltbehörde, die nach nunmehr eineinhalb Jahren rot-grüner Regierungstätigkeit in Hamburg vorgelegt wurde. Die Berliner Unternehmensberatung LBD und das Freiburger Öko-Institut haben auf Basis öffentlich zugänglicher Daten und mit profunden Insiderkenntnissen dem Senat eine Studie in die Hand gegeben, der nun Taten folgen müssen: Denn im Koalitionsvertrag zwischen GAL und SPD ist festgelegt, daß die Hamburger Regierung auf den Atomausstieg "drängen" wird, sollte die vereinbarte Studie zu dem Ergebnis kommen, daß die Alternativen zum Atomstrom wirtschaftlicher sind.

Spannender könnten die Rahmenbedingungen, in denen die Studie publiziert wird, kaum sein. Bis Ende September läuft noch die Frist, bis zu der die HEW den Gesellschaftervertrag mit PreussenElektra über den Betrieb des AKW Brunsbüttel kündigen kann. Bis dahin muß sich zeigen, ob die SPD und die GAL bereit und willens sind, den Koalitionsvertrag umzusetzen oder ob beide weiter tatenlos auf die Bonner Konsensverhandlungen starren. Der Gesellschaftervertrag zwischen HEW und PreussenElektra zum Betrieb des AKW Brunsbüttel sieht vor, daß er alle drei Jahre gekündigt werden kann. Geschieht dies, so erhalten die HEW das Recht, die Anlage vollständig zu übernehmen. Nach Ablauf einer weiteren Dreijahresfrist würde Brunsbüttel dann zu 100 Prozent (heute 66,6 Prozent) den HEW gehören.

Zwar ist dies kein "goldener Weg" für den Atomausstieg, aber immerhin wäre es ein Instrument, daß der Hamburger Senat über den Aufsichtsrat gegen den Vorstand der HEW in Anschlag bringen könnte.

Während der letzten Bürgerschaftssitzung vor der Sommerpause Anfang Juli, einen Tag bevor die Umweltbehörde die Studie veröffentlichte(!), war diese Problematik auf Antrag der REGENBOGEN-Gruppe bereits Thema. Dabei hatte der grüne Umweltsenator Alexander Porschke schon mal den möglichen Kurs des Senats skizziert. Aus seiner Sicht ist die Frist für die Vertragskündigung nicht mehr sonderlich wichtig. Denn, so seine Argumentation, wenn die AKWs unwirtschaftlich laufen, dann müßte der HEW-Vorstand schlicht auf Basis des Aktienrechts die entsprechenden Anlagen abschalten. Dazu bedarf es nach Porschke dann keiner Frist. Damit gibt der Umweltsenator eine der wichtigen Regelungen des Koalitionsvertrages auf und bis heute hat die GAL-Fraktion dieser in der Bürgerschaft geäußerten Position nicht widersprochen. Dabei waren die Vereinbarungen zur Stillegung des AKW Brunsbüttel, wie sie im Vertrag zwischen GAL und SPD stehen, damals als das Highlight und als der entscheidende grüne Erfolg gefeiert worden. Für die GAL war dies ein wichtiger Pluspunkt in den Verhandlungen, nachdem man u.a. der Hafenerweiterung in Altenwerder oder dem Ausbau der DASA und der Zuschüttung des Mühlenberger Lochs zugestimmt hatte.

Durch die Abspaltung der REGENBOGEN für eine neue Linke Bürgerschaftsgruppe von der GAL ist in jedem Fall sichergestellt, daß es nach der parlamentarischen Sommerpause in der Bürgerschaft zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen dürfte. Die REGENBOGEN-Gruppe hat bereits einen Antrag angekündigt, mit dem sie vor allem die GAL-Fraktion in Verlegenheit bringen dürfte. Denn das Gutachten, die Ende September ablaufende Frist für die Vertragskündigung von Brunsbüttel und die nicht absehbaren Ergebnisse der Bonner Konsensverhandlungen werden die GAL zwingen, deutlich und öffentlich zu erklären, wie sie denn den vereinbarten Hamburger Atomausstieg auf den Weg bringen will.

Einfluß auf Konsensverhandlungen?

Doch nicht nur für die Hamburger Perspektive hat die Studie und das Verhalten des Hamburger Senats große Bedeutung. Mit Blick auf die Konsensverhandlungen zwischen der Bonner Regierung und der Atomwirtschaft, könnten die Hamburger erheblichen Druck machen und die Richtung des weiteren Geschehens maßgeblich beeinflussen. Würden in Hamburg Atomkraftwerke aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt, dann würde dies mächtigen Gegenwind für die Atomwirtschaft bedeuten. Deren Forderungen nach Betriebszeiten von 40 Jahren und Schadensersatzzahlungen im Falle einer "vorzeitigen" Stillegung sind mit der Hamburger Studie einigermaßen zahnlos geworden. Zwar können die Ergebnisse der Gas- und Dampfkraft-Atom-Studie nicht einfach auf andere Reaktoren übertragen werden. Doch erkennbar ist, daß diejenigen Anlagen, die bis Anfang der 80er Jahre in Betrieb gegangen sind, vor erheblichen wirtschaftlichen Problemen stehen. Für diese Anlagen dürften eventuelle Schadensersatzzahlungen also kaum noch einen Abschreckungsfaktor für die Bundesregierung darstellen.

Ob die Bonner Koalition die Hamburger Studie nun nutzen wird, bleibt abzuwarten. Allerdings dürfte es für die Regierung immer schwieriger werden, ein Einknicken bei der Ausstiegsfrage zu rechtfertigen. Denn sollte die Regierung sich mit der Atomwirtschaft auf Restlaufzeiten von etwa 30 Jahre "verständigen", dann würde dies nicht nur eine Lebensverlängerung für die AKWs von fünf bis zehn Jahre gegenüber früheren Planungen bedeuten. Daß die Bundesregierung möglicherweise einem solchen "Konsens" zustimmt, der sogar noch unwirtschaftliche Reaktoren am Netz läßt, dürfte kaum vermittelbar sein.

Die 130 Seiten und zwei umfangreiche Anlagenbände umfassende Studie untersucht nicht nur die Kostenstrukturen für die HEW-Reaktoren, sondern betrachtet auch den Stand und die Entwicklung der internationalen Gasmärkte. Neben der Liberalisierung des Strommarktes und der damit verbundenen Aufhebung der Monopolgebiete, wird in der Energiebranche für die kommenden Jahr vor allem der verstärkte Einsatz von Gas zur Stromerzeugung erwartet. Werden heute größere Kraftwerke neu errichtet, so sind dies überwiegend auf Gasbasis befeuerte Anlagen.

Der Grund dafür ist naheliegend. In den vergangenen Jahren sind immer mehr Gasvorkommen entdeckt und erschlossen worden. Aus Sicht der Gutachter stehen für den europäischen Markt heute Gasvorkommen in Höhe von 87.045 Mrd. m3 (1996) zur Verfügung. Demgegenüber betrug die europäische Nachfrage 1996 "nur" 392 Mrd. m3. Rein rechnerisch wäre damit das zweihundertfache der heutigen Nachfrage zur Verfügung. Für die Gas-Preis-Entwicklung ist außerdem von entscheidender Bedeutung, daß die Transportkapazitäten erheblich angewachsen sind und in den kommenden Jahren noch weiter ausgebaut werden. Gasleitungen nach Deutschland bestehen für die riesigen russischen Vorkommen ebenso wie zu den norwegischen und niederländischen Förderstätten in der Nordsee. Seit 1998 besteht außerdem zwischen England und Belgien eine Verbindung, so daß auch hierüber Importe von großen Mengen Gas nach Deutschland erfolgen können. Das deutsche Ferngasnetz ist außerdem mit den dänischen Gasfeldern sowie den französischen und italienischen Netzen verbunden. Über verschiedene europäische Anlandepunkte kann außerdem Erdgas aus Algerien und Nigeria auf dem deutschen Markt verfügbar gemacht werden. Und weitere Leitungen sind in Planung: so sollen in den nächsten Jahren weitere Pipelines von England nach Polen, von Rußland über Skandinavien nach (Ost-) Deutschland gebaut werden. Dadurch wird das Erdgas immer einfacher und in immer größeren Mengen zur Verfügung stehen.

Mit Stand von 1996 wurde der deutsche Erdgasbedarf folgendermaßen gedeckt:

Inlandsförderung: 20 Mrd. m3, Norwegen: 18 Mrd. m3, Niederlande: 24 Mrd. m3, Rußland: 34 Mrd. m3, Dänemark: 2 Mrd. m3, Summe: 98 Mrd. m3.

Auf der Abnahmeseite (1996) sieht es folgendermaßen aus: Haushalte: 34 Prozent, Industrie: 40 Prozent, Öffentliche Einrichtungen: 5 Prozent, Handel, Land- und Forstwirtschaft: 6 Prozent, Fernwärme: 7 Prozent, Energieversorgungsunternehmen (EVU): 5 Prozent, Sonstige: 3 Prozent.

Hier wird auch ersichtlicht, daß Erdgas bis heute nur eine geringe Rolle bei der Stromerzeugung spielt. Mit nur fünf Prozent liegt der Anteil der deutschen EVUs am Erdgasverbrauch sehr niedrig. Eben deshalb wird auch in den kommenden Jahren erwartet, daß Erdgas in starkem Maße zur Stromerzeugung eingesetzt werden wird. Denn wie schon jetzt die Liberalisierung der Strommärkte die Preise für die Kilowattstunde sinken läßt, so wird auch auf den liberalisierten Gasmärkten mit Preisreduzierungen gerechnet.

Für ihre Berechnungen bei den Kosten zum Bau und Betrieb von Gaskraftwerken spielt der Gaspreis die entscheidende Rolle. Die Gutachter geben folgende Preise an: "Die Grenzübergangspreise, zu denen Gas aus Norwegen, Rußland und den Niederlanden nach Deutschland importiert werden, lagen im Mai 1999 zwischen 0,92 und 1,05 Pf/kWh und damit deutlich über den derzeitigen Grenzkosten für Produktion und Transport." Diese Preise bieten also noch ausreichend Spielraum für weitere Preissenkungen. Unter Berücksichtigung der Transportkosten von der Grenze bis zu einem Kraftwerksstandort (bei Hamburg) gehen die Gutachter von einem Gaspreis von 1,20 Pf/kWh aus. Die derzeit noch bestehende Ergassteuer lassen die Gutachter vorerst unberücksichtigt, da sie davon ausgehen, daß die Bundesregierung diese Steuer in nächster Zeit abschaffen wird.

Bei Errichtungskosten von rund 862,50 DM je Kilowatt installierter Leistung kommen die Gutachter schließlich zu einem Strompreis von 3,98 Pf/kWh aus Gaskraftwerken. Dabei wird eine Nutzungsdauer von jährlich 7.884 Stunden unterstellt.

Dieser Preis je erzeugter Kilowattstunde aus neuen Gaskraftwerken wird in der Studie als Vergleichsbasis für die in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke der HEW angelegt.

Kosten des Atomstroms

Für den Weiterbetrieb der AKWs müssen die Gutachter zahlreiche Annahmen treffen, von denen die künftigen Strompreise abhängen. Einige der wesentlichen Daten sowie zwei unterschiedliche Varianten, die berechnet worden sind, sind der nebenstehenden Tabelle (1) zu entnehmen.

Für die künftigen Wartungskosten in den AKWs unterstellen die Gutachter niedrigere Ausgaben als in den vergangenen Jahren, sie unterstellen aufgrund höherer Abbrände bei den Brennelementen geringere spezifische Brennstoffkosten als derzeit. Außerdem wird unterstellt, daß im Rahmen der Kosten der Entsorgung die Betreiber die bestehenden Wiederaufarbeitungsverträge bis zur Erfüllung bedienen werden und erst danach auf die billigere "direkte" Endlagerung übergehen. Die Auswirkungen auf die vier AKWs der HEW in Form von Barwerten (Summe aller Jahresergebnisse) sind der Tabelle (2) zu entnehmen.

Im Ergebnis zeigt sich, daß es für das AKW Brokdorf nicht wirtschaftlich wäre, wenn die HEW auch dieses Kraftwerk abschalten würden. Lediglich wenn die Ausnutzung von Brokdorf (Stromabsatz) und/oder die Gaspreise deutlich sinken würden, wäre die Abschaltung von Brokdorf unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vertretbar, so die Gutachter. Im einzelnen haben die Gutachter die maximalen Gas-Preise bestimmt, bis zu denen der Ausstieg aus den vier AKWs wirtschaftlich wäre: Für Brokdorf müßte der Gaspreis bis maximal 0,95 Pf/kWh betragen, für die AKW Brunsbüttel und Stade könnte er getrost bis über 2 Pf/kWh ansteigen und für das AKW Krümmel würde ein Gaspreis bis 1,4 Pf/kWh möglich sein, bis zu dem der Atomausstieg und Gaseinsatz günstiger wäre, als der Weiterbetrieb der Reaktoren.

DSe

Die Studie kann bei der Umweltbehörde Hamburg unter Telefon 040-42845-3248/9 bestellt werden.


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