akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 429 / 26.08.1999

Siemens Wille geschehe

Kanzler bezahlt AKWs in der Ukraine

Ein Votum des deutschen Bundestages gegen die Finanzierung von zwei Atomreaktoren in der Ukraine nötigte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Juli zu Verhandlungen mit der ukrainischen Regierung in Kiew über nicht-atomare Alternativen. Erwartungsgemäß beharrte die Ukraine auf dem Atomkraftwerksbau. Nach dieser Good-Will-Tour möchte Schröder nun zugunsten des deutschen Atomkonzerns Siemens die Finanzierung der Atommeiler durchpauken. Doch nur 13 Prozent der deutschen und 9 Prozent der ukrainischen Bevölkerung unterstützen diese Atompolitik des Kanzlers.

1995 wollte die Ukraine noch Gaskraftwerke als Ersatz für Tschernobyl bauen (vgl. ak 428). Doch Deutschland und Frankreich wollten zugunsten ihrer Atomfirmen Siemens bzw. Framatome nur Kredite für die Fertigstellung der beiden Atomkraftwerksblöcke Khmelnitzki-2 und Rowno-4 bereitstellen. Das extrem finanzschwache Land willigte schließlich ein.

Im Juli 1999 reiste nun der Kanzler einer rot-grünen Koalition wegen eines Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 17. Juni nach Kiew, um wiederum über nicht-atomare Alternativen wie Gas- und Kohlekraftwerke zu verhandeln. Derselbe deutsche Bundeskanzler hatte selbst monatelang immer wieder deutlich gemacht, daß er sich nicht mit dem mächtigen Atomkonzern Siemens anlegen und den Atomkraftwerksbau finanzieren möchte. Unmittelbar im Vorfeld seiner Gespräche mit der ukrainischen Regierung lieferte Schröder die Steilvorlage für das von ihm gewollte "Scheitern" der Verhandlungen über die Alternativen: Er betonte, die Schließung der noch laufenden Reaktoren in Tschernobyl sei das wichtigste Ziel, wohl wissend, daß die Bedingung der Ukraine für diese Abschaltung die Fertigstellung der neuen Atommeiler ist. Und so kam, was kommen mußte: Die Ukraine bestand auf der Finanzierung der Atomkraftwerke und Kanzler Schröder kündigte an, jetzt werde im September endgültig über den Atomkredit entschieden. In der rot-grünen Koalition gäbe das keine ernsthaften Auseinandersetzungen.

Mit in Kiew dabei war übrigens ein führender Atommanager des Siemens-Konzerns. Einladungen des Bundesumweltministeriums an atomkritische Bundestagsabgeordnete sowie AtomkraftgegnerInnen von Greenpeace und von der alternativen Ärzteorganisation IPPNW scheiterten hingegen am Veto des Bundeskanzleramts.

Doch Bundeskanzler Schröder, Deutschlands oberster Dienstleister für die Atomindustrie, hat seine Bevölkerung nicht hinter sich. Eine repräsentative Meinungsumfrage im Auftrag der IPPNW, durchgeführt am 19. und 20. Juli ergab, daß nur 13 Prozent der Bevölkerung in Deutschland wollen, daß der Westen neue Atomkraftwerke in der Ukraine als Ersatz für Tschernobyl finanziert. 79 Prozent plädieren hingegen für nicht-atomare Alternativen.

75 Prozent lehnen es generell ab, daß der deutsche Atomkonzern Siemens in Osteuropa Atomkraftwerke baut, aus denen dann Atomstrom unter anderem nach Deutschland geliefert wird, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Nur 15 Prozent befürworten dieses Vorhaben von Siemens.

Eine überwältigende Mehrheit von fast 80 Prozent der Menschen in Deutschland besteht damit auch nach den "Verhandlungen" in Kiew darauf, daß mit ihren Steuergeldern keine neuen Atomkraftwerke in der Ukraine finanziert werden. Die Regierung Schröder würde sich mit der Finanzierung der Atomkraftwerke also sowohl über das eindeutige Votum des Deutschen Bundestages - mit den Stimmen der regierenden grünen und der SPD-Fraktion - und über eine überdeutliche Mehrheit in der Bevölkerung hinwegsetzen. Eine derartige Konstellation dürfte es in der bundesrepublikanischen Demokratie selten gegeben haben! Sie dokumentiert eindrucksvoll die Macht des Atomkonzerns Siemens.

Henrik Paulitz


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