akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 428 / 08.07.1999

Null Effekt

Rot-grüne Atompolitik in Hamburg

Noch ist Hamburg mit knapp über 50 Prozent der Anteile Mehrheitsaktionär bei den Hamburgischen Electricitäts Werken (HEW). Bis vor wenigen Jahren verfügte die Stadt sogar noch über 75 Prozent. Ab Ende des Jahres dürfte sich dieser Anteil noch mal auf dann 25,1 Prozent reduziert haben. Die HEW selbst sind in unterschiedlichen Beteiligungen gemeinsam mit PreussenElektra Betreiber der AKWs Brunsbüttel, Brokdorf, Stade und Krümmel. Und seit eindreiviertel Jahren regiert in Hamburg eine rot-grüne Koalition. Und wie geht's dem Ausstieg aus der Atomenergie?

Daß es in Hamburg mit dem Atomausstieg nicht weit her sein kann, wird schon daraus ersichtlich, daß der Vorstandssprecher der HEW, Manfred Timm, bundesweit in der Presse als Atom-Hardliner agieren kann. So avancierte er Anfang des Jahres zum Chefkoordinator der Atomwirtschaft in den Verhandlungen mit der Bundesregierung für einen Atomkonsens. Offenbar waren die Vertreter der Vorstände aus den AKW-betreibenden Unternehmen überwiegend der Auffassung, daß der HEW-Sprecher ihre Interessen für den Weiterbetrieb der AKWs optimal vertreten können wird. Daß Timm von dieser Aufgabe nur kurze Zeit später wieder zurücktrat, lag vor allem an dem Wechsel in der Verhandlungsregie. Die kleine HEW mußte in die zweite Reihe zurück, da zunächst die ganz großen Atomunternehmen und die Spitzen der Bundesregierung in getrennten Runden Vorklärungen auszuhandeln versuchten. Die rot-grüne Regierung in Hamburg hatte mit diesem Rücktritt jedoch nichts zu tun. Die Grünen schimpften zwar in der Presse, daß "ihr" Vorstandssprecher diese Aufgabe übernommen hatte, die SPD fand das aber vollkommen normal und mochte sich nicht daran stören.

Neben dem anstehenden Verkauf von weiteren HEW-Anteilen sind zwei Punkte in den Koalitionsvereinbarungen von herausragender Bedeutung: die angestrebte Stillegung des AKW Brunsbüttel und ein wirtschaftlicher Vergleich zwischen Atomkraftwerken und neu zu errichtenden Gas- und Dampf-Kraftwerken. Letzter verfolgt das Ziel, den Nachweis zu führen, daß die Alternativen zum Atomstrom heute günstiger sind, und daher der in der Satzung festgelegte Auftrag der HEW, so "schnell wie wirtschaftlich vertretbar und rechtlich möglich" aus der Atomenergie auszusteigen, zur Anwendung gebracht werden kann.

Brunsbüttel stillegen

Zweidrittel des AKW Brunsbüttel gehören den HEW, der Rest PreussenElektra. Zum Betrieb des Atommeilers haben beide Unternehmen einen Gesellschaftsvertrag für die "Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH" abgeschlossen. In den Kündigungsregelungen ist festgehalten, daß bei einer Kündigung dieses Vertrages zunächst die HEW das Recht erhalten, die Anlage komplett zu übernehmen. Spätestens dann könnten die HEW allein über die weitere Zukunft von Brunsbüttel entscheiden, PreussenElektra kann nicht mehr mitreden und eine Abschaltung verhindern. Nur mit dieser Vertragskündigung, so die Überlegung, kann auch sichergestellt werden, daß die HEW nicht einfach aus dem Betrieb des AKWs aussteigen und PreussenElektra die Kiste dann allein weiter betreibt. Dieser Fall würde nämlich eintreten, wenn bei den drei anderen AKWs, die HEW und PreussenElektra miteinander betreiben, die HEW eine solche Kündigung aussprechen würden.

Der Brunsbüttel-Vertrag kann alle drei Jahre zum Ende September gekündigt werden. Der nächste Termin dazu ist der 30. September 1999. Wird gekündigt, dann läuft eine weitere dreijährige Frist, nach desren Ablauf die Anlage vollkommen in den Besitz der HEW übergeht. Am 1. Oktober 2002 könnten die HEW dann die endgültige Stillegung veranlassen.

Zwar ist dieses Modell unter dem Aspekt Sofortausstieg sicher kein Renner. Aber unter der Annahme, daß andere Wege keinen Ausstieg erbringen (Ende September regierte noch die CDU in Bonn), war das immerhin eine Möglichkeit, die für den rot-grünen Senat und Mehrheitsaktionär zur Verfügung stand. Der Haken, der schon im Koalitionsvertrag festgelegt war: Dieser Weg sollte im Rahmen einer Verständigung mit den HEW beschritten werden.

Damit vereinbarten GAL und SPD also schon Ende 1997 das, was auf Bonner Ebene im Herbst 1998 mit den Konsensverhandlungen flächendeckend auf die Tagesordnung gestellt wurde. Die Atombetreiber müssen der Abschaltung ihrer Anlagen zustimmen, sonst geht nichts.
Ein konfrontativer Kurs gegenüber dem HEW-Vorstand, diesem die eigene Kündigung anzudrohen, sollte er sich gegen die Aufgabe von Brunsbüttel stemmen, war schon damals bei der GAL nicht mehr denkbar. So hatte die GAL bereits in den Koalitionsverhandlungen einen der wichtigsten Posten in der Auseinandersetzung mit den HEW aufgegeben. Der Vorsitz des Aufsichtsrats ging entgegen allen sonstigen Gepflogenheiten der Hamburger Regierungspraxis von der Umweltbehörde (GAL) an den Ersten Bürgermeister (SPD). Bis dahin hatte im Rahmen des sog. Funktionsmodells immer die Umweltbehörde bzw. deren Senator den Vorsitz im Aufsichtsrat übernommen. Begründet wurde diese Maßnahme mit der "großen Bedeutung, die von beiden Koalitionspartnern der Erreichung der energiepolitischen Ziele beigemessen wird". Damit stellte sich die GAL in den Kommunikationswegen selbst kalt. Denn immerhin ist der Vorstand im Aktienrecht gezwungen, aufs engste mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zusammenzuarbeiten, ihn zu informieren, Sitzungen vorzubereiten etc. So hätte die GAL von vornherein auf alle Abläufe Einfluß nehmen können. Nicht einmal in den Sitzungen des Konsortialausschusses, der seit der Beteiligung von PreussenElektra und dem schwedischen AKW-Unternehmen Sydkraft eine wichtige steuernde Funktion übernimmt, sind die GALlier beteiligt.

So laufen die entscheidenden Informationen und Absprachen zwischen dem Vorstand und den beteiligten Aktionären an der GAL vorbei. Der Verzicht auf den AR-Vorsitz bedeutete praktisch den Ausschluß aus der Unternehmenskommunikation. Und daß die SPD oder ihr Erster Bürgermeister auch nur einen Funken daran interessiert sein würden, gegen den Willen des HEW-Vorstands auch nur einen Schritt zu unternehmen, hatte von Anfang niemand bei den Grünen geglaubt.

Dennoch wurde diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag als einer der großen grünen "Pluspunkte" abgefeiert. Diese Regelung sollte wettmachen, was die Grünen bis dahin schon alles an Kröten geschluckt hatten: - Hafenerweiterung in Altenwerder, gegen die die Grünen jahrelang massiv angegangen waren, Ausbau des Dasa-Geländes zu Lasten eines großen Naturgebietes in der Elbe (Mühlenberger Loch), - Zustimmung zur weiteren Vertiefung der Elbe, um nur drei Punkte zu benennen.

Doch bis heute ist nichts von einem Ausstieg aus Brunsbüttel zu sehen. Die gemeinsamen "Verhandlungen" zwischen Umweltsenator Alexander Porschke (GAL), Ortwin Runde (SPD) und dem HEW-Vorstandssprecher Timm brachten Anfang diesen Jahres keinen Erfolg. Worüber immer die Herren gesprochen hatten: Manfred Timm faßte im Beisein des Grünen Senators unwidersprochen vor der Presse zusammen, daß die Kündigung des Gesellschaftervertrages "vom Tisch" sei. Zwar ruderte die GAL-Fraktion diese Aussage in den Tagen danach zurück, vereinbarte neue Gespräche mit der SPD, - aber die Fronten waren klar. Die SPD ließ sich zwar auf neue Gespräche ein, machte aber an anderer Stelle klar, daß sie die Sache für erledigt ansah. Zusätzlich betonte die Partei, daß es keinen Hamburger Sonderweg geben dürfe und die Verhandlungen über den Ausstieg in Bonn nun zügig zu Lösungen führen müßten.

Alternativen zum Atom

Schon vor den Wahlen hatte die GAL mit der Behauptung für Aufsehen gesorgt, daß neu zu bauende Kraftwerke auf Gasbasis (GuD-Kraftwerke) billiger seien, als in Betrieb befindliche abgeschriebene AKWs. Dazu hatte sie innerhalb weniger Monate zwei Studien vorgelegt, die die (öffentlich genannten) Strompreise der HEW-Atommeiler mit den Stromerzeugungskosten in den Gaskraftwerken verglich. Die HEW regierten angestochen. Vor allem für das AKW Brunsbüttel, das wegen mehrfach längeren Stillständen (Risse, Störfalle) und aufgrund fehlender Stromnachfrage einen katastrophalen Wirkungsgrad (über die gesamte Laufzeit liegt die Arbeitsausnutzung dieses Kraftwerks nur um die 60 Prozent) hat, war diese Argumentation extrem heikel. So deutete selbst Manfred Timm an, daß es mit der Wirtschaftlichkeit von Brunsbüttel nicht weit her sei und das AKW unter Umständen tatsächlich vor dem Aus stand.

Eine vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin im Auftrag der HEW erstellte Studie sorgte schon kurz vorher für Unruhe. Diese Studie kam zwar zu dem Ergebnis, daß sich der Atomausstieg für die HEW nicht lohne und zusätzliche Kosten auf das Unternehmen zukämen. Allerdings basierten viele wirtschaftlichen Eckdaten auf vollkommen überholten Werten, vor allem bei den Daten für GuD-Kraftwerke. Diese Studie bestärkte die Auffassung, daß es den HEW-Anlagen allein aus wirtschaftlichen Gründen an die Gurgel gehen könnte.

Doch nicht Stillegung war die Marschrichtung der HEW. Intensiv wurde in den folgenden Jahren daran gearbeitet, den Atommeiler nachzurüsten und auf Vordermann zu bringen. Heute behauptet der Vorstand denn auch, daß die erfolgten Maßnahmen in Brunsbüttel dazu geführt haben, daß die Anlage wieder voll rentabel ist.

Die rot-grüne Koalition vereinbarte vor diesem Hintergrund eine Studie, in der die HEW-Anlagen mit neuen GuD-Anlagen verglichen werden sollten. Die Grüne Umweltbehörde sollte diese Studie klarmachen. Doch die kam monatelang nicht aus den Startlöchern. Die Absicht des Umweltsenators, die Studie auf Daten der HEW aufzubauen und diese daher zur Mitarbeit zu gewinnen, zogen sich über Monate hin, ohne daß letztlich was dabei herauskam. Das angestrebte Ziel, den Auftrag an die Gutachter innerhalb der ersten 100 Tage zu erteilen, scheiterte. Erst im November 1998 erteilte die Umweltbehörde an die LBD-Beratungsgesellschaft (Berlin) und das Öko-Institut Freiburg einen entsprechenden Auftrag - über ein Jahr nach der Regierungsübernahme des rot-grünen Senats. Nur wenige Tag später war dann der Welt zu entnehmen, daß Bürgermeister Runde dem Auftrag nicht zustimme, da die Beteiligung der HEW nicht vorgesehen sei. Ob diese Kritik schon klarmachen sollte, daß die SPD, egal welches Ergebnis rauskommt, diese Studie als unwichtig oder Gefälligkeitsgutachen (die LBD hatte schon vor der Regierungsübernahme für die GAL eine Kurzstudie zu dem Thema vorgelegt, das Öko-Institut gilt immer noch als einseitig atomfeindlich) abtun wird, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Vermutlich Anfang Juli, wenn diese ak erscheint, will die Umweltbehörde endlich diese Studie veröffentlichen.

Sollte die Studie zu der Aussage kommen, daß mindestens die AKWs Stade und Brunsbüttel nicht wirtschaftlich sind, dann dürfte es spannend sein, wie die GAL gegenüber ihrem Partner SPD damit umgeht, bzw. wie sich die SPD verhalten wird.

Verkauf von Aktien

Aufgrund der Entwicklung der öffentlichen Haushalte hatte sich die SPD vor einigen Jahren entschlossen, den Anteil an den HEW-Aktien von rund 75 Prozent auf 50,1 Prozent zu reduzieren. Satte 1,3 Mrd. DM brachte das in die öffentlichen Kassen. Käufer waren zu gleichen Teilen die PreussenElektra und das schwedische Atomunternehmen Sydkraft. Da sich die Haushaltslage weiter verschlechterte, wurde im Sommer 1997 (noch vor rot-grün) ein weiteres Aktienpaket von 25 Prozent bei der Hamburger Landesbank geparkt. Die Bank ist (noch) zu über 50 Prozent im Besitz der Stadt. Während der Landesbank nun die Dividende aus den Aktien zufließt, sind die Stimmrechte in vollem Umfang bei der Stadt geblieben, die damit immer noch über die Mehrheit verfügt. Die Einnahme von ebenfalls rund 1,3 Mrd. DM sind inzwischen in den endlosen Weiten des Hamburger Haushalts verschwunden. Die Vereinbarungen zwischen der SPD und der Landesbank sehen vor, daß die Stadt bis zum Jahr 2000 die Aktien zurücknehmen muß. Die Beschlußlage, an der die GAL nicht mehr gerüttelt hat, sieht nun vor, daß das Paket bis Ende des Jahres vollends verkauft wird. Auch hier dürften PreussenElektra und die Sydkraft als Käufer in der Tür stehen. Nebenbei: Der PreussenElektra-Chef Haarig ist Vorsitzender des Aufsichtsrats von Sydkraft AB.

Interessant ist auch die Entwicklung der HEW-Dividende. Lag die zu Zeiten einer Senats-Mehrheit bei schlappen 13 Prozent, so hat sie inzwischen rekordverdächtige Höhe erreicht. Mit Zwischenschritten über die vergangenen Jahre wurde in diesem Jahr eine Dividende von satten 27 Prozent ausgezahlt. Das sind Gewinne, die nun nur noch zum geringen Teil den öffentlichen Haushalten zugute kommen. Gewinne, die durch massive Rationalisierungen, Arbeitsplatzabbau und die Neustrukturierung des Konzerns ermöglicht wurden und zu massiven Kosteneinsparungen geführt haben. Hintergrund dieser Entwicklung dürfte nicht nur die Beteiligung von PreussenElektra und Co sein. Auch die einsetzende Liberalisierung der Energiemärkte und der damit verbundene Kostendruck auf die Unternehmen machen sich hier bemerkbar.

Über den Versuchen, aus dem AKW Brunsbüttel auszusteigen, schwebt dieses Verkaufsverfahren. Vor allem in der SPD ist es verbreitete Sorge, daß ein Ausstieg aus Brunsbüttel den Verkaufswert der Aktien schmälern könnte und in der Folge der Hamburger Haushalt für diese Verluste aufkommen müßte. Nicht nur in der Bundespolitik spielt also so etwas wie "entschädigungsfreier Atomausstieg" eine Rolle.

Gespannt sein darf man darauf, wie sich die GAL in diesem Geflecht weiter verhalten wird. Einrichten sollte man sich aber darauf, daß man zwar nichts an der Fortsetzung der Atompolitik ändern wird, aber es in jedem Fall sinnvoll und dringend notwendig ist, daß Grüne auch in Hamburg mitregieren. Da verdient man einfach besser!

DSe


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