akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.06.1999

Rainbow Warriors an der Elbe

Grüne DissidentInnen bilden neue Gruppe

Am 14. Mai, unmittelbar nach dem grünen Kriegsparteitag in Bielefeld, verkündete der arbeitsmarktpolitische Sprecher der GAL-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Norbert Hackbusch, seinen Parteiaustritt. Am Montag, den 17. Mai folgten vier weitere Bürgerschaftsabgeordnete: die Sprecherin für Stadtentwicklungspolitik, Heike Sudmann, der energiepolitische Sprecher, Lutz Jobs, die hochschulpolitische Sprecherin Julia Koppke und die wohnungsbau- und migrationspolitische Sprecherin, Susanne Uhl. Unter Mitnahme ihrer Mandate traten die fünf gleichzeitig aus der Bürgerschaftsfraktion der GAL aus und etablierten sich als eigenständige parlamentarische Gruppe.

Unmittelbarer Anlaß für diesen Schritt ist natürlich die Haltung der Grünen zum NATO-Krieg im Kosovo. Mit ihrer Unterstützung des Krieges biete die Partei kein Forum mehr für Menschen, "die die Rolle der NATO als neue Weltpolizei nicht akzeptieren und die entsetzt sind von der neuen militärischen Dominanz gegenüber der Politik", heißt es in der Austrittserklärung der Fünf. Doch die Unzufriedenheit mit der ehemals eigenen Partei sitzt tiefer und ist älter als der Kosovo-Krieg. "Die schleichende Auflösung grüner Grundsätze" und die "FDPisierung der Grünen" machen die AussteigerInnen auch an der Wirtschafts-, Sozial- und Haushaltspolitik und nicht zuletzt an der Anti-AKW-Politik fest: "Wir werden uns an diesem Wettstreit um die neue Mitte zwischen FDP, grüner Partei sowie Hombachs und Schröders SPD nicht beteiligen. Dagegen setzen wir die Themen soziale Gerechtigkeit, Umverteilung von oben nach unten und die sozialen BürgerInnenrechte für alle Menschen."

In diesen Austritten und der Neukonstitution einer oppositionellen Formation, die mittlerweile den Namen "Regenbogen für eine neue Linke" trägt, artikuliert sich eine weitverbreitete Enttäuschung über die Realität rot-grüner "Reformprojekte" an der Macht. Für einige, gesellschaftlich gesehen wenige Linke und Linksradikale mag es seit langem klar gewesen sein, daß rot-grüne Regierungen als bundesdeutsche Variante von "New Labour" auch hier einen "Thatcherismus light" durchsetzen würden. Der deutliche Wahlerfolg von Rot-Grün im letzten Oktober zeigt aber, daß dieses "Reformprojekt" bis weit in das linke, reformerische und linksliberale Lager als Hoffnungsträger nach der lähmenden Ära Kohl interpretiert und empfunden wurde. Es ist daher die ureigenste Basis dieses Projektes, die von rot-grünen Regierungen permanent und offen brüskiert und frustiert wird. Auch wenn der NATO-Krieg in Hamburg wie auch anderswo als Anlaß eindeutig im Vordergrund steht: Die Austritte und Abspaltungen bei den Grünen sind in erster Linie ein Reflex auf eine galoppierende Erosion rot-grüner Reformhoffnungen.

Alle "Abtrünnigen" in Hamburg sind wichtige Frontmenschen des linken Flügels der Hamburger Grünen gewesen. Auch wenn immer noch eine kleine "Regierungslinke" um die Fraktionsvorsitzende Antje Möller in der Bürgerschaftsfraktion verblieben ist: Mit diesem Schritt ist es den Hamburger Grünen schwer bis unmöglich geworden, linke Strömungen in Partei und Fraktion zu integrieren. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil neben den Bürgerschaftsabgeordneten auch viele AktivistInnen aus den Bezirken nach Bielefeld die Partei verlassen haben. In mittlerweile vier von sieben Hamburger Bezirksparlamenten haben GAL-DissidentInnen eigene Fraktionen gebildet, die teilweise ebenso stark wie die verbliebenen GAL-Fraktionen sind.

Die Hamburger Grünen haben damit sowohl an Integrationskraft als auch an fachpolitischem Know-how empfindlich eingebüßt. In den für die links-fortschrittliche Außendarstellung so wichtigen Bereichen der Sozial-, Flüchtlings- und Anti-AKW-Politik haben die Grünen von einer Konstellation gelebt, in der engagierte linke Vorturner gezeigt haben, daß die GAL aktiv ist, während die Realo-Mehrheiten dafür gesorgt haben, daß es an diesen eigentlich ungeliebten Themen nicht zur tatsächlichen Eskalation mit der SPD kommt. Dieser Mechanismus funktioniert nun nicht mehr. Die Grünen werden diese Politikfelder nun entweder brach liegen lassen oder aber neoliberal ausgestalten müssen.

Grüne ohne Vorzeige-Linke

Während dümmere Realos nun ihre Chance sehen, endlich ohne linke Querulanten auch in Hamburg Niedriglöhne, Zwangsarbeit und den faktischen Verzicht auf den Atom-Ausstieg offensiv angehen zu können, zeigen sich klügere, wie etwa der Stadtentwicklungssenator Willfried Maier, weniger euphorisch. Die Zweite Bürgermeisterin Krista Sager betont gegenüber der Presse einerseits, daß die GAL jetzt keineswegs nach rechts rücke, andererseits sieht auch sie jetzt den Weg frei für eine Öffnung zur "Neuen Mitte". Man darf getrost davon ausgehen, daß die Grünen letzteren Weg mutig weiter voranschreiten werden, doch diesmal mit der unangenehmen Begleiterscheinung, sich nicht mehr hinter einer linken Minderheit verstecken zu können. Die organisierte Ausstiegsentscheidung des linken Flügels in Verbindung mit einer bewußten Entscheidung, sich aus der parlamentarischen Ebene nicht zurückzuziehen, ist somit ein bedeutsamer Schritt zur dringend notwendigen Entzauberung der Grünen.

Die neue Formation hat bisher ein erstaunlich positives bis begeistertes Medienecho erfahren. Von der TAZ über die Hamburger Morgenpost bis hin zu den Springer-Zeitungen Welt und Hamburger Abendblatt wird der Ausstieg als absolut nachvollziehbarer, teilweise sogar notwendiger Schritt interpretiert. Natürlich spielt hier auch mediales Eigeninteresse eine Rolle, etwa die Hoffnung, daß die Rathaus-Berichterstattung mit einer neuen linken Oppositionsgruppe endlich aus dem lähmenden Schlaf rot-grüner Regierungslangeweile gerissen wird. Doch mit ihrer Berichterstattung artikulieren die Journalisten auch ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Opposition.

Doch genau hier läßt Regenbogen noch viele Fragen offen. "Wir fangen etwas Neues an" war das Motto der Austrittspressekonferenz. Was dieses Neue ist, ist zur Zeit bestenfalls in ganz groben Konturen erahnbar. Die Gruppe hat sich zwar zu ihrer Oppositionsrolle bekannt, betont aber gleichzeitig immer wieder den Wunsch nach einer themenbezogenen "konstruktiven Opposition", die eine partielle Zusammenarbeit mit der Mehrheits-GAL keineswegs ausschlösse. Überhaupt ist in der Anfangsphase in der Öffentlichkeit eher das Gemeinsame als das Trennende betont worden, etwa wenn Hackbusch sich auch jetzt zu wesentlichen Teilen des Hamburger Koalitionsvertrages bekennt und seine damalige Unterschrift immer noch rechtfertigt.

Neuer Anfang -
aber wohin geht's?

Angesichts einer völlig marginalisierten außerparlamentarischen Linken ist es strategisch sicher klug, wenn Regenbogen sich in erster Linie auf enttäuschte Grüne und Sozialdemokraten bezieht. Nicht so sehr die außerparlamentarische radikale Linke, sondern eher diese enttäuschten Reformkräfte sind objektiv die eigentliche Basis für diese neue Formation, sei es als neue AktivistInnen oder als zukünftiges WählerInnenpotential. Wer ein neues Reformprojekt im gesellschaftlichen Raum etablieren und verankern möchte, tut daher gut daran, jeden Schritt in eine Fundamentalopposition mit linksradikalem Gestus zu vermeiden. Wer aber ein solches Projekt gegen den rot-grünen Mainstream durchsetzen und den neoliberalen Durchmarsch unter dem Tarnmantel eines rot-grünen "Reformprojektes" nachhaltig stoppen will, der kommt um eine deutliche und unmißverständliche Abgrenzung auch und gerade gegenüber den Grünen nicht herum. Dies gilt erst recht für eine etwaige Wahloption bei den nächsten Bürgerschaftswahlen. Diese hat nur dann eine Chance, ins Parlament zu kommen bzw. eine Wahlniederlage als politische Kraft zu überstehen, wenn sie sich vor allem gegen die Grünen profiliert.

Der "offene Prozeß", den Regenbogen initiiert hat, ist einerseits sympathisch, da er in der Tat Raum läßt für die unterschiedlichsten Vernetzungen und Anknüpfungspunkte. Er macht aber andererseits auch deutlich, daß die neue Gruppe sowohl organisatorisch als auch programmatisch noch ganz am Anfang steht. Ohne die Richtigkeit und Notwendigkeit des Schrittes in Zweifel zu ziehen: Die Abspaltung ist zwar organisiert erfolgt, aber nicht entsprechend vorbereitet worden. Letztlich handelte es sich um eine "Bauch-Entscheidung" mit der Konsequenz, daß das Wasser sehr kalt ist, in das man da gesprungen ist.

Die Bildung einer linken Opposition in der Bürgerschaft, die auch den Anspruch auf ein Wahlbündnis für die nächsten Wahlen im Jahr 2001 erhebt, macht vor allem der PDS erhebliche Sorgen. Sie ist in Hamburg auf absehbare Zeit nicht in der Lage, die Rolle einer ernstzunehmenden linksreformistischen Kraft einzunehmen. Eine erfolgreiche Regenbogen-Gruppe setzt daher auch die PDS in Hamburg unter Druck: Entweder es gelingt ihr endlich, sich von ihren sektiererischen Tendenzen zu trennen oder sie wird endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Bisher reagiert die PDS jedoch eher borniert: Im Rahmen der Vorbereitung für eine Anti-Kriegs-Demo am 12. Juni in Hamburg setzte sie sich massiv gegen einen Redebeitrag der neuen Regenbogen-Gruppe ein.

Für die außerparlamentarische Linke sind die Prozesse bei den Grünen kein Thema. Trotz Sympathie für und allgemeiner Zustimmung zu den Abspaltungen gibt es derzeit keinen Ort, wo dieser Schritt und seine gesellschaftliche Bedeutung kollektiv diskutiert werden würden. Das ist auch kein Wunder, ist die verbliebene Restlinke doch weitgehend auf Einzelpersonen reduziert, die in eng umrissenen Politikbereichen meist höchst isoliert ihren Geschäften nachgehen. Gemeinsame Projekte, die auch eine gemeinsame strategische Debatte und gemeinsame Einschätzungen ermöglichen würden, gibt es - mit Ausnahme von Teilbereichsinitiativen - kaum noch. So ist es heute schon schwierig, diese Restlinke zusammenzusammeln. Doch selbst wenn das gelingt, sind die Ergebnisse nicht eben erbaulich, zu unterschiedlich sind die Einschätzungen, Diskussionsbedürfnisse und Prioritäten.

Das mindeste, auf was der NATO-Krieg und die Veränderungen im Grünen-Spektrum die (radikale) Linke hinweisen könnten, ist der Umstand, daß mit der rot-grünen Berliner Republik nicht nur die Kohl'sche Kontinuität gewahrt wird, sondern daß auch erhebliche Brüche in der gesellschaftlichen Entwicklung durchgesetzt werden. Dies nicht kollektiv zu reflektieren, wäre grob fahrlässig. Die Vernetzung und Neukonstitution einer breiten linken Debatte steht auf der Tagesordnung. Die grünen Dissidenten versuchen dies immerhin.

dk/DSe


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