akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.06.1999

Keine Demo bis zum Konsens

Es ist vollbracht. Was seit Monaten diskutiert wurde, zahlreiche Treffen inklusive der Frühjahrskonferenz der Anti-AKW-Bewegung ausführlich beschäftigte und leidenschaftliche Kontroversen zwischen den möglichen Standorten Berlin und Hannover verursachte - ist beerdigt!

Nur wenige Leute hatten sich in Göttingen versammelt, um noch einmal eingehend zu beraten, wie es mit der schwierigen Beschlußlage der Anti-AKW-Bewegung für eine bundesweite Demo im Herbst weitergehen könne (vgl. ak 426). Zwar hatte die Frühjahrskonferenz ein Votum für den Oktober und Hannover abgegeben. Dennoch war ein nicht unrelevanter Teil derjenigen, die konkret etwas für die Vorbereitung tun wollten, eher für eine Demo in Berlin. Hinzu kam, daß verschiedene Gruppen mit dem geplanten Oktobertermin nicht einverstanden waren und statt dessen eine Demo im November favorisierten.

Am 29. Mai, also parallel zu den Kölner Euromärschen, versammelten sich in Göttingen VertreterInnen der Hamburger Mobilisierungsgruppe, der PDS, der Bäuerlichen Notgemeinschaft aus dem Wendland (das sind die Treckerfahrer), das Kasseler Anti-Atom-Plenum, ÖkoLinx (Frankfurt), das HessenBadenPlenum, das Hannoveraner Anti-Atom-Plenum, die süddeutschen Initiativen in Form des Anti-Castor-Bündnisses Neckarwestheim, eine Vertreterin des Forum NGOs und Gewerkschaften sowie (verspätet) des BBU. VertreterInnen aus Ahaus oder Greifswald ließen sich gar nicht erst blicken.

Eine also nicht eben repräsentative Versammlung der Anti-AKW-Bewegung, die aber durchaus zeigte, wie wenig die Bewegung trotz vieler Stellungnahmen und Behauptungen hinter dem Demo-Projekt stand. Dabei mag die Konkurrenzlage zu den Kölner Ereignissen für einige als Begründung für das Fernbleiben herhalten. Überzeugend ist dies jedoch nicht. In den Brettern der alternativen Mailbox Comlink wurde kritisiert, daß diese Terminierung die Autonomen quasi ausgeschlossen habe. Ungeachtet der Frage, wer die denn tatsächlich sind, hat es im Vorfeld des Termins genau null Rückfragen bei der zentralen und auf der Heidelberger Konferenz auch bekanntgemachten Telefonnummer gegeben.

Dumm gelaufen

Dennoch sind in der Vorbereitung viele Pannen passiert, die ganz sicher nicht dazu beigetragen haben, daß das Göttinger Treffen erfolgreich ablaufen konnte. Die von einem winzigen Vorbereitungskreis vorgelegte Einladung fand nicht den Zuspruch anderer Multiplikatoren; die Verwirrung über Ort und Zeitpunkt der Demo führte dazu, daß einige dafür plädierten, das Treffen lieber in den eigenen Anti-AKW-Kreisen abzuhalten, um sich auf ein gemeinsames Konzept und Vorgehen zu verständigen. Die Unklarheit sollte beseitigt werden, bevor man sich mit potentiellen Bündnispartnern zusammensetzt. Der Versuch einer Verständigung auf niedrigerem Niveau, ein kleines "Köpfetreffen", scheiterte aufgrund von Terminüberschneidungen ebenso wie an dem Problem, daß die Gegensätze zwischen "Berlinern" und "Hannoveranern" zu groß waren.

Eine Absage des Termin kam schließlich aber auch nicht mehr in Frage, da er bereits veröffentlicht war, bevor die Unklarheiten und die neuerlichen Schwierigkeiten auftauchten. Alles zusammen kann getrost unter der Rubrik "dumm gelaufen" verbucht werden.

Die Göttinger Runde sah sich angesichts der Situation, daß bislang zuwenig Bündnispartner angesprochen wurden, der zu geringen inhaltlichen Vorbereitung und der offenkundig fehlenden Demo-Stimmung denn auch nicht mehr in der Lage, das Projekt weiter am Leben zu erhalten. "Erste Klasse Beerdigung" war die gemeinsame Formel, mit der man auseinanderging.

Mit verantwortlich für dieses Ergebnis ist auch, daß die Unklarheiten über den Fortgang der Atomkonsensgespräche zwischen Bundesregierung und Atomwirtschaft nicht zu beseitigen sind. Ob die Verhandlungen tatsächlich, wie Wirtschaftsminister Müller angekündigt hat (vgl. nebenstehenden Artikel), bereits Ende Juni abgeschlossen sind und bis September in ein vom Kabinett zu beschließendes neues Atomgesetz münden, ist weitgehend offen. Bislang hat sich diese Bundesregierung ja noch so gut wie nie an irgend etwas gehalten, was sie mal versprochen hat. Hinzu kommt, daß es zu verschiedenen anderen Dingen eine Menge zu tun gibt: zahlreiche Anti-AKW-AktivistInnen sind derzeit heftig mit Aktivitäten gegen den NATO-Krieg befaßt, die BI Lüchow-Dannenberg und ihr Umfeld sind derzeit stark ausgelastet, da mit der abschließenden Genehmigung der Pilotkonditionierungsanlage (PKA) (vgl. nebenstehenden Artikel) gerechnet wird. Außerdem wird die BI im Sommer eine Delegation in Richtung Wiederaufarbeitungsanlage La Hague schicken. Sie soll dem dortigen Widerstand darlegen, warum man sich auch in Zukunft gegen die Rücktransporte von hochstrahlendem Atommüll ins Zwischenlager Gorleben querstellen wird. Und außerdem bereitet man sich im Wendland weiter auf eben einen solchen Transport aus La Hague vor.

Bewegter Provinzialismus

Dennoch: All das mag eine Erklärung sein, warum es im Moment nicht reicht, eine bundesweite Demo aufs Gleis zu setzen. Mist ist es dennoch. Denn wenn die Regierung ausnahmsweise Wort hält und tatsächlich im September/Oktober ein neues Atomgesetz den Bundestag beschäftigen wird, dann sollte auf der Straße schon einiges los. Doch statt sich politisch darauf zu konzentrieren, die Kräfte links von SPD und Grünen einzuladen, mit ihnen über Positionen zum Sofortausstieg zu diskutieren und zu versuchen, diese in gemeinsame Aktivitäten einzubinden, dümpelt die Anti-AKW-Bewegung in zahllosen Kleinstprojekten herum. Zumindest für Norddeutsche ist es atemberaubend, wenn man mit ansehen muß, wie sich die wenigen Anti-AKW-Gruppen, die es noch gibt, mit tierisch viel Aufwand an einer zunächst mal als bundesweite Aktion geplanten Demo in Gronau (Urananreicherungsanlage, UF6) abarbeiten und dann ganze 300 Leute auflaufen. In einem Artikel (vgl. anti-atom-aktuell 101) schafft es ein Vertreter der Gronauer Initiative es sogar, diese Demo als großen Erfolg zu verkaufen. Glaubt das wirklich einer?

Überall wuseln die Inis in ihrem Städtchen an eigenen Projekten und Dingen herum und glauben, damit bundesweit hausieren gehen zu müssen. Die einen machen Siemens-Boykott, die anderen informieren über Uranabbau in Kanada, die anderen diskutieren die Wahrscheinlichkeit von Kernschmelzunfällen, andere sorgen sich um den Bau von Reaktoren in Osteuropa, wieder andere kämpfen für grünen Öko-Strom, einige für Solarstrom, andere basteln sich eine Windmühle und so weiter. Eine Bündelung all dieser sicher sinnvollen Teilaspekte findet nicht mehr statt, eine gemeinsame Diskussion gibt es nicht: jedeR macht, was er/sie will. Und das findet noch nicht einmal jemand schlecht. Statt eine politische Bündelung der gemeinsamen Anliegen zu organisieren wird von Vernetzung gefaselt. Vernetzung ist so etwas wie "wenn 10 Leute aneinander vorbei reden ist das immerhin besser, als wenn das nur drei machen."

Die Absage der Demo wird nun wahrscheinlich dazu führen, daß die Bundesregierung mit der Atomwirtschaft in relativer Ruhe an einem Konsens weiterbasteln kann. Anzunehmen ist, daß sie die wichtigsten Punkte des Atomprogramms bis zum Spätsommer geregelt haben wird: Das Ende der Wiederaufarbeitung wird je nach Situation und Verträgen für jede einzelne Atomanlage festgelegt. Bis zum jeweiligen Ende der WAA-Verträge werden an verschiedenen Atommeilern neue Zwischenlager beantragt. Entlang der Wirtschaftlichkeit der AKWs, die sich zusammensetzt aus elektrischer Leistung, Alter der Anlage, technischen Problemen und sicher auch aus der Entwicklung der europäischen Strompreise im Zuge der Liberalisierung der Energiemärkte, wird es einen Stillegungplan für die AKWs geben. Dabei könnte es einige Alt-Anlagen wie Stade oder Obrigheim schneller erwischen. Dies scheint auch deshalb plausibel, weil die Bundesregierung einigermaßen Wert darauf legen dürfte, daß es einen sichtbaren Auftakt für den Ausstieg gibt. Auch deshalb, weil es nach dem Konsens mit der Atomwirtschaft und der Absegnung des neuen Atomgesetzes im Herbst bzw. Winter dieses Jahres wieder Atomtransporte geben wird. Diese werden dann aber "Ausstiegstransporte" heißen.

Was kommt
nach dem Konsens?

Keine Frage: die ersten Castortransporte, zumal wenn sie nach Gorleben oder Ahaus rollen, werden von großen Aktionen begleitet werden. Dennoch wird sich das politische Umfeld verändern. Wie wird sich ein rot-grüner Atomkonsens ideologisch auswirken, wenn der Atomausstieg nur noch eine Frage der Zeit ist? Welche Mobilisierungskraft werden Anti-AKW-Aktionen dann noch haben, wenn die Atomwirtschaft nur noch ein Auslaufmodell ist? Wie wird sich die grüne Basis und das Umfeld der Partei verhalten, wenn die Bonner Spitze den Konsens abnickt? Werden sich diese Leute dann noch an Aktionen beteiligen und sich damit gegen "ihre" Regierung stellen? Oder werden sie abtauchen? Welche Auswirkungen wird es auf die Anti-AKW-Bewegung haben, wenn nun die ehemaligen MitstreiterInnen auf der Gegenseite stehen? Schon bei den Regierungsbeteiligungen auf Landesebene (z.B. in Niedersachsen) zeigte sich, daß damit die Widersprüche innerhalb der Anti-AKW-Bewegung anwuchsen und Aktionen eher gehemmt wurden. Wie sehen Aktionen gegen Atomtransporte aus, wenn diese von den AKWs nur noch über wenige Kilometer ins benachbarte Zwischenlager gehen, aber nicht mehr zur WAA oder nach Gorleben? Wie werden die Medien reagieren, die bislang überwiegend freundlich und wohlwollend über die Anti-Castor-Aktionen berichtet haben? Welchen Einfluß haben sie auf die Mobilisierung?

Nicht daß eine bundesweite Demo gegen das Atomprogramm alle diese Fragen beantworten könnte. Aber die Vorbereitung einer solchen Demo hätte sicher die Möglichkeit geboten, mit anderen Bündnispartnern intensiver in die politische Debatte zu kommen, auch über Fragen des weiteren Umgehens mit einem modernisierten Atomprogramm.

DSe


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