akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.06.1999

Atomausstieg:

Betriebswirtschaftliche Chance

Es ist schon fast egal, ob Kanzler Schröder dem BDI-Chef Olaf Henkel nun wirklich versprochen hat, daß der Atomausstieg noch runde 30 Jahre dauern wird, wie es der Spiegel jüngst behauptete, oder ob Schröder es nicht gesagt hat. Die neue Gelassenheit jedenfalls, die sich unter den Atombetreibern breit gemacht hat, spricht Bände. Offenkundig reichen die Signale aus den Führungsgremien der SPD vollkommen aus, damit sich die Vorstandsetagen beruhigen.

Dafür, daß die Grünen an der Regierung auch nicht mehr für fünf Pfennig ernst genommen werden müssen, dafür hat die Partei inzwischen selbst gesorgt. Wenn nicht mal mehr ein verfassungs- und völkerrechtswidriger Krieg der NATO gegen Jugoslawien die Führungsspitzen der Grünen dazu bringen kann, eventuell mal über die Grenzen einer Regierungsbeteiligung nachzudenken, dann braucht sich wirklich niemand in den Herrschaftseliten dieses Landes zu sorgen. Wohl kaum eine andere Partei seit Bestehen der Bundesrepublik hat einen derart krassen Opportunismus zuwege gebracht wie die Grünen.

Drohungen

Michaele Husstedt, energiepolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, nahm den 13. Tschernobyl-Jahrestag am 26. April zum Anlaß, mit großem Habitus die Atomindustrie in die Schranken zu verweisen. Sie drohte per Presseerklärung, daß die Wirtschaft endlich ernsthafte Angebote für einen Konsens machen und über die Restlaufzeiten für die Atommeiler verhandeln solle. Wenn nicht, werde die Bundesregierung im Herbst ein "Ausstiegsgesetz" ohne die Wirtschaft machen. Ja, do a legst di nieda!

Leider vergaß sie anzumerken, was denn da drin stehen wird, in dem herbstlichen Ausstiegsgesetz. Bei den Grünen gibt es derzeit keinerlei Debatte, geschweige denn Übereinkunft, was die Mindestanforderungen an ein solches Ausstiegsgesetz sein sollen. Von den Planungen aus der Vorwahlzeit, als die Grünen in einem Gesetzentwurf eine Gesamtlaufzeit von 25 Jahren je AKW festlegten und dadurch der vollständige Ausstieg faktisch innerhalb von fünf Jahren abgewickelt werden sollte - davon redet heute in der Partei niemand mehr.

Neubauten

Statt dessen muß sich die Partei mit atomaren Neubauten befassen. So soll nun die lange Jahre heftig umstrittene Pilotkonditionierungsanlage (PKA) in Gorleben wohl doch mit Zustimmung oder zumindest Duldung von Jürgen Trittin in Betrieb gehen. Während eines vom niedersächsischen Umweltminister Jüttner initiierten Fachgesprächs in Hannover verkündete Wolfgang Renneberg, Abteilungsleiter Kernenergie des Bundesumweltministeriums, daß er die PKA für Reparatur- und Service-Aufgaben für ganz nützlich ansehen würde. Ihm sekundierte Michael Sailer vom Öko-Institut Darmstadt und heutiger Chef der Reaktorsicherheitskommission (RSK). Ganz atomkritisch ist Sailer der Auffassung, daß es um die erforderliche Sicherheit von 40 Jahren bei der Zwischenlagerung von Castorbehältern in Gorleben nicht eben gut bestellt ist. Aus diesem Grund sei die "Heiße Zelle", Kernstück der PKA, in der hochradioaktive Materialien hinter meterdickem Beton gehändelt werden können, unbedingt sinnvoll. Da wird die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), Betreiberin der PKA, fast überflüssig. Die verwies keck darauf, daß die neue Bundesregierung unbedingt eine solche PKA brauche, um überhaupt aussteigen zu können. Denn wenn alle Atomkraftwerke abgeschaltet und anschließend abgerissen werden, wo sollen dann die kaputten Castorbehälter repariert werden? Besser geht es eigentlich gar nicht mehr?

Behinderungen

Geht doch. Niedersachsen Umweltminister Jüttner ist munter dabei, die Grünen vorzuführen, wo immer es geht. So traf er sich Mitte Mai mit Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und Kanzleramtschef Bodo Hombach, um über die Atomtransporte nach Gorleben zu reden. Jüttner lehnt nämlich Castortransporte ins Wendland bis Ende 2000 ab. Dafür hat er gute Gründe: So müsse erstmal eine unter Denkmalschutz stehende Eisenbahnbrücke bei Dannenberg umfangreich repariert werden. Das dauert mindestens 40 Wochen. Und Jüttner legt noch einen drauf. Für die ab Juni stattfindende EXPO 2000 braucht Jüttner jeden Polizisten im Land und vermutlich noch darüber hinaus. Aus diesem Grund fehlt einfach das Personal, um einem ins Wendland rollenden Castor den ausreichenden "Schutz" angedeihen zu lassen. Den Grünen Trittin manövriert das angesichts des Drängens der Atomwirtschaft in eine unangenehme Lage. Während Jüttner Atomtransporte nach Gorleben blockiert, muß Trittin diesen möglicherweise den Weg ebnen.

Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Jüttner ist nun keineswegs der bessere Atomkraftgegner. Es sieht einfach besser aus, wenn man sich in den Widerstand gegen Atomtransporte einordnet und es Trittin überläßt, das Zeug durch die Republik zu prügeln. Wie nebenbei geht es Jüttner aber auch darum, daß die Kosten für künftige Castoreinsätze nicht allein beim Land Niedersachsen hängen bleiben. Hier soll der Bund künftig mehr Kosten übernehmen.

Was seitens der SPD in Sachen Atomkonsens zu erwarten ist, zeigte die Rede des Wirtschaftsministers Müller vor der Jahrestagung Kerntechnik Mitte Mai in Karlsruhe. Dieser größten Versammlung von Atomtechnikern, die jährlich auf Einladung des Deutschen Atomforums und der Kerntechnischen Gesellschaft zusammenkommen, erzählte Müller auf überaus deutliche Weise, wie er sich die atomare Zukunft vorstellt. Zunächst machte er klar, was alle Vorstände der großen Energieversorger wissen: Neue Atomkraftwerke sind schlicht und ergreifend nicht bezahlbar. Daher sei das Geschrei über eine Zukunftsoption für die Atomenergie vollkommen absurd. "Der merkwürdige Streit über die Kernenergieoption wird für beendet erklärt. Die Politik nimmt die Kernenergie, wie sie hierzulande (in den Vorstandsetagen, Anmerkung ak) behandelt wird, also als Restnutzung des Investments. Und die Politik will diese Restnutzung so ordnen, daß sie auch stattfinden kann. Denn zur Zeit ist sie, man denke an Praxis und Rechtsrahmen der Entsorgung, nicht ordentlich geregelt", so Müller. Deutlicher geht es kaum noch: "Ich will heute dafür werben, daß Sie dies als betriebswirtschaftliche Chance begreifen." Für Müller wird der Ausstieg im Rahmen der Wirtschaftlichkeit der Atommeiler erfolgen. Die noch auszuhandelnden Restlaufzeiten müssen Anlage für Anlage festgelegt werden. "Die Frage, welche Kernkraftwerke als erste vom Netz gehen werden, kann ich Ihnen nicht beantworten. Bauernopfer wird die Bundesregierung im Zuge des Konsensprozesses mit der Strombranche niemandem abverlangen. Ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, daß das eine oder andere Kernkraftwerk, das heute bereits am Rande der Wirtschaftlichkeit arbeitet, einen früheren Abschalttermin erhalten wird als manch andere.

Im konkreten Einzelfall wird die betriebswirtschaftliche Situation jedes einzelnen Kraftwerks den Ausschlag geben, wann es abgeschaltet wird, denn die festzulegende Restlaufzeit muß nicht unbedingt ausgeschöpft werden", so Müller. Nach seinem Zeitplan geht er von einer Einigung bis Ende Juni aus. Etwa im September, so Müller, werde die Bundesregierung die Novellierung des Atomgesetzes ins Verfahren geben. "Wir wollen dabei eine Novellierung durchführen, d.h. der vormalige Entwurf muß in der Sommerpause an die Ergebnisse oder Nicht-Ergebnisse des Konsensversuches angepaßt werden."

Chancen

Alles spricht dafür, daß es die Wirtschaftlichkeit der Altanlagen sein wird, die über Betrieb und Nichtbetrieb entscheiden werden. Wozu man dafür aber eine rot-grüne Bundesregierung braucht ist unklar. Denn die Entscheidungen über die Wirtschaftlichkeit zu treffen, ist doch eigentlich Aufgabe der Vorstände der Atomunternehmen. Interessant ist lediglich, mit welch tierisch überzeugenden Argumenten die Grünen es als Erfolg verkaufen werden, wenn der Kapitalismus seinen wirtschaftlichen Gang geht.

DSe


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