akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 425 / 15.04.1999

Weghauen oder einpacken?

Wie Atomstandorte wieder zur grünen Wiese werden

Ob mit oder ohne Rot-Grün in Bonn: Immer mehr Atomkraftwerke werden abgeschaltet und endgültig stillgelegt. Die Frage ist nur, wie werden die atomaren Altlasten am sinnvollsten beseitigt? Die Atombranche setzt inzwischen eindeutig auf den schnellen Abriß der Altanlagen. Dabei wird sie teilweise sogar von kritischen Gutachtern unterstützt. Einer der Gründe, warum die Atomwirtschaft diesen Weg forciert, ist die Hoffnung, im weltweiten Geschäft eine führende Rolle übernehmen zu können. Denn bis heute liegen weltweit nur wenige Erfahrungen über den Abriß von Atomanlagen unmittelbar nach der endgültigen Stillegung vor. Ein lukratives Geschäft also, wenn man bedenkt, daß weltweit der Neubau von Atomanlagen außer Mode geraten ist und in den kommenden Jahren einige zig AKWs abgeschaltet werden müssen. Wolfgang Neumann, Gutachter und Mitarbeiter der Gruppe Ökologie aus Hannover, hat sich mit den unterschiedlichen Konzepten auseinandergesetzt und diese gegenübergestellt.

In der BRD wurden bis heute 14 zur Stromproduktion genutzte Atomkraftwerke stillgelegt bzw. abgerissen. Gründe für die endgültige Außerbetriebnahme waren in der Regel Nachrüstmaßnahmen, die entweder aufgrund vorgefallener Störfälle oder zur Vorbeugung von Störfällen notwendig geworden wären. Die erforderlichen Nachrüstmaßnahmen hätten zu technischen Problemen geführt und/oder hohe Kosten verursacht. Für die Stillegung der Atomkraftwerke wurden als Konzept entweder der "Schnelle Abriß" oder der "Sichere Einschluß" gewählt. Das nächste Atomkraftwerk (AKW), für das eine Konzeptentscheidung getroffen werden muß, ist nach gegenwärtigem Stand das AKW Mülheim-Kärlich. Dieses Kraftwerk ist aufgrund eines höchstrichterlichen Urteils wegen Fehlern im Genehmigungsverfahren (u.a. bzgl. Erdbebensicherheit) abgeschaltet.

Stillegung bis zum Abriß

Nach dem endgültigen Abschalten eines AKWs folgt zunächst die sogenannte Nachbetriebsphase. Während dieser werden zunächst alle Kernbrennstoffe (hauptsächlich bestrahlte Brennelemente) aus der Anlage entfernt, angefallene Betriebsabfälle konditioniert und soweit möglich ebenfalls abtransportiert sowie die Dekontamination von bestimmten Komponenten und Gebäudestrukturen vorgenommen. Diese Arbeiten werden im Rahmen der Betriebsgenehmigung für die Anlage durchgeführt. Auch nach Abschluß der Nachbetriebsphase handelt es sich bei dem AKW nach wie vor um eine Atomanlage. Das Gesamtaktivitätsinventar der Anlage wird zwar vor allem durch den Abtransport der bestrahlten Brennelemente reduziert (von ca. 1020 Bq auf ca. 1017 Bq), bleibt aber dennoch sehr hoch. Das heißt, während der Stillegungs- und Abrißarbeiten sind die Beschäftigten einer Strahlenbelastung ausgesetzt. Auch sind nach wie vor Störfälle mit Freisetzungen radioaktiver Stoffe möglich. Deren Auswirkungen können allerdings aufgrund des geringeren Gefährdungspotentials (kein Kernbrennstoff mehr vorhanden, bestimmte Störfallabläufe sind nicht mehr möglich usw.) nicht mehr so katastrophal sein wie bei einem in Betrieb befindlichen Reaktor.

Daher ist für die Stillegung bis zum Abriß des Reaktors ein eigenständiges atomrechtliches Genehmigungsverfahren erforderlich. Dabei werden jeweils einzelne Phasen bis hin zum Abriß des letzten Gebäudeteiles genehmigt. In der ersten an den Nachbetrieb anschließenden Stilllegungsphase wird ein Teil der aktiven Sicherheitseinrichtungen außer Betrieb genommen werden, die Systeme, Komponenten und Rohrleitungen des Reaktors entleert und gespült, weitergehende Dekontaminationsmaßnahmen von Oberflächen in Kontrollbereichen vorgenommen sowie eventuell mit dem Abriß konventionell genutzter Gebäude begonnen. Für die folgenden Stillegungsphasen wird eine Instandsetzung (Ertüchtigung) technischer Einrichtungen und eventuell auch von Gebäudestrukturen vorgenommen, deren Umfang von Zustand und Alter des Reaktors und der Komponenten abhängt. Danach können zunächst die Demontage und der Abbau von relativ gering radioaktiv belasteten Einrichtungen erfolgen und im weiteren Verlauf die Kerneinbauten aus dem Reaktordruckbehälter entfernt werden. Der Abbau der Rohre und Komponenten des Primärkreislaufes sowie Ausbau und Zerlegung des Reaktordruckbehälters bilden den Abschluß. Der letzte Akt, bevor das Gelände wieder eine "grüne Wiese" und damit zur Nutzung frei verfügbar ist, ist der Abriß der inneren Abschirmung (biologischer Schild) des Reaktors und des Reaktorgebäudes. Während der gesamten Stillegungszeit bis einschließlich Abriß des Reaktorgebäudes werden sukzessive die entstehenden radioaktiven Abfälle gesammelt und behandelt.

Für den bisher beschriebenen generellen Ablauf von der endgültigen Abschaltung eines Reaktors bis zu seinem Abriß gibt es die zwei Konzepte "Schneller Abriß" und "Sicherer Einschluß", die einen unterschiedlichen Zeitrahmen erfordern. Mit der Bezeichnung Schneller Abriß ( es wird gelegentlich auch "Sofortiger Abbau" oder "Direkter Rückbau" verwendet) soll jedoch lediglich ausgedrückt werden, daß die oben beschriebene Stillegung bis zum Abriß Schritt auf Schritt ohne konzeptbedingte Verzögerung durchgeführt wird. Wegen des nach wie vor hohen Gefährdungspotentials und der notwendigen Sorgfalt beim Ausbau und Zerlegen von Systemen und Komponenten sowie beim Abriß von Gebäudestrukturen bedarf auch dieses Vorgehenskonzept mehrerer Jahre zur Umsetzung. Insofern ist die Bezeichnung "Schneller Abriß" irreführend. Für das 1994 abgeschaltete Atomkraftwerk Würgassen wird zum Beispiel mit einem Zeitraum von 12 Jahren von der Erteilung der ersten Stilllegungsgenehmigung (1997) bis zur "Grünen Wiese" geplant.

Das Stillegungskonzept Sicherer Einschluß beinhaltet eine Phase der Unterbrechung der Arbeiten. Nach der Ertüchtigung von Systemen und Strukturen sowie dem Abbau eines Teiles von Einrichtungen mit geringem Aktivitätsinventar wird die Phase des "Sicheren Einschlusses" eingeleitet. Dazu werden Belüftung, Beleuchtung und Möglichkeiten zur Radioaktivitätsmessung im Sicherheitsbehälter (Containment) sowie eventuell einigen angrenzenden Gebäudeteilen eines Atomkraftwerkes sichergestellt und alle anderen Rohr- bzw. elektrischen Leitungen an diesen räumlichen Grenzen unterbrochen und abgedichtet. Gleichfalls werden mit Ausnahme eines Zuganges alle anderen Öffnungen zugemauert, -betoniert oder verschweißt. Damit entsteht (sofern die Gebäudestruktur dafür geeignet ist) ein relativ leicht zu überwachender, dicht verschlossener Bereich, der "Sichere Einschluß". "Sicher" muß allerdings in dem Sinne relativiert werden, daß auch hier Störfälle denkbar sind, die zu Freisetzungen führen können. In ihm können auch die bis zu diesem Zeitpunkt bei den Stillegungsarbeiten angefallenen Abfälle zwischengelagert werden. Außerhalb des "Sicheren Einschlusses" können die Arbeiten an aus dem Zuständigkeitsbereich des Atomgesetzes entlassenen Gebäuden fortgesetzt werden. In der BRD war für die Phase "Sicherer Einschluß" in der Vergangenheit ein Zeitraum von etwa 30 Jahren vorgesehen. International sind Zeiten bis zu 100 Jahren Planungsgrundlage.

Vergleich der Stillegungskonzepte

Das Aktivitätsinventar eines Atomkraftwerkes, das abgeschaltet ist und aus dem die Brennstoffe sowie radioaktiv belastete Flüssigkeiten entfernt sind, ist im wesentlichen in den Materialien von Komponenten, Teilen und Gebäudestrukturen enthalten (durch die radioaktive Strahlung während des Reaktorbetriebes aktivierte Bestandteile des Materials) oder an sie gebunden (während des Reaktorbetriebes freigesetzte radioaktive Stoffe, die sich an Oberflächen abgelagert haben). Das Aktivitätsinventar besteht aus einem großen Spektrum von Radionukliden aller drei Strahlungsarten (a-, b-, g-Strahlung) mit sehr unterschiedlichen Halbwertszeiten. In bezug auf die Frage nach dem sinnvollsten Stillegungskonzept sind vor allem die Radionuklide mit Halbwertszeiten bis zu wenigen Zehnerjahren relevant. Für die aktivierten und kontaminierten Komponenten sind dies vor allem Co-60, Cs-137 sowie FE-55 und für den aktivierten Beton z.B. Ba-133, Eu-152/154, Co-60 und Cs-134.

Die Radionuklide erzeugen auf mehreren Pfaden Strahlenbelastungen für auf dem Atomkraftwerksgelände arbeitendes Personal und/oder die Bevölkerung. Bei den Demontage-, Zerlege- und Abrißarbeiten werden Radionuklide freigesetzt, die die Aktivität in der Gebäudeatmosphäre erhöhen, aber auch - trotz Filter - luftgetragen oder über Abwasser zu einem gewissen Prozentsatz in die Umgebung gelangen. Gleiches gilt für Störfälle während der Stillegungsarbeiten, wobei in diesem Fall die Freisetzungsmengen erheblich größer sind. Wie hoch die Strahlenbelastungen durch Freisetzung von Radionukliden sind, hängt von der Aktivität ab, die zur Freisetzung zur Verfügung steht. Bei Abbau und Zerlegung von Komponenten und Anlagenteilen sowie beim Abriß von Gebäudestrukturen tritt für das Personal auch eine radioaktive Belastung durch Direktstrahlung auf. Sie wird vor allem durch relativ kurzlebige g-Strahler und das Isotop Fe-55 verursacht. Bei den Arbeiten fällt eine große Zahl von Abfallgebinden an. Da diese gelagert und transportiert werden müssen, kann auch die Bevölkerung außerhalb des Anlagengeländes betroffen sein.

Eine Strahlenbelastung über die aufgeführten Pfade während der Stillegung für den Normalbetrieb ist grundsätzlich nicht zu vermeiden. Eine wesentliche Einflußgröße für deren Höhe ist der Zeitpunkt, zu dem bestimmte Arbeiten und Transporte durchgeführt werden. Durch die physikalische Halbwertzeit der Radionuklide wird die Aktivität mit zunehmender Zeitdauer ab dem Abschaltzeitpunkt des Reaktors geringer. Dies gilt insbesondere für die oben genannten Radionuklide mit relativ kurzen Halbwertszeiten. Das Stillegungskonzept mit "Sicherem Einschluß" bewirkt bei sonst gleichen Randbedingungen also eine geringere Strahlenbelastung. Die Kollektivdosis für das Personal wird in einer deutschen Studie zur Stillegung von Atomkraftwerken (1994) bei einem "Sicheren Einschluß" um den Faktor 1,5 niedriger angegeben. In einer US-amerikanischen Studie von 1988 wird abgeschätzt, daß die Kollektivdosisbelastung bei einem "Schnellen Abriß" für das Personal knapp 4mal und für die Bevölkerung etwa 7mal so hoch ist wie bei Abriß nach einem "Sicheren Einschluß" über 30 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit für Aktivitätsfreisetzungen nach Störfällen, die oberhalb zulässiger Werte liegen, ist für den "Schnellen Abriß" nach Untersuchungen für bundesdeutsche Reaktoren etwa um den Faktor 5 häufiger.

Für die Entscheidung über das Stillegungskonzept sind eine Reihe technischer Aspekte zu beachten. Der Betonzustand von Gebäudestrukturen ist hier von wesentlicher Bedeutung. Durch Alterung des Betons kann dessen Belastungsfähigkeit verringert sein oder können Risse auftreten. Kontaminiertes Wasser könnte in den Boden unter dem Baugrund sickern und langfristig das Grundwasser belasten. Ist ein eindeutiger Befund gegeben und mit angemessenem Aufwand keine Abhilfe zu schaffen, ist ein zügiger Abbau der Anlage zu empfehlen. Ist jedoch kein Befund vorhanden, sondern besteht "nur" die Gefahr für entsprechende Schäden, so kann ein "Sicherer Einschluß" herbeigeführt werden und eine intensive Überwachung veranlaßt werden. Ggf. kann der weitere Abbau jederzeit wiederaufgenommen werden. Konkrete Probleme mit Betonstrukturen, die einen "Sicheren Einschluß" nicht erlauben, sind der Literatur bisher allerdings nicht zu entnehmen. Gelegentlich wird auch angeführt, daß für den "Sicheren Einschluß" eine Nachrüstung von Anlagenteilen und Gebäudestrukturen erforderlich ist. Dieses Argument trifft nur zum Teil zu, da bei älteren Anlagen auch für den "Schnellen Abriß" Nachrüstmaßnahmen erforderlich sind.

Ein Argument für den "Schnellen Abriß" könnte der Erfahrungsgewinn und die dadurch mögliche Weiterentwicklung der Technologie sein. In den letzten Jahren sind zum Beispiel Fortschritte auf den Gebieten der Fernhantierungstechnik und der Unterwasserzerlegung von Komponenten erreicht worden, die zu einer Verringerung der Strahlenbelastung des Personals führen können. Diese Entwicklungen finden jedoch außerhalb von Atomanlagen statt und müssen dann allenfalls in einzelnen Modellprojekten qualifiziert werden. Als Begründung für eine grundsätzliche Konzeptentscheidung gegen den "Sicheren Einschluß" ist dies nicht geeignet.

Untersuchungen zu den bei den beiden Stillegungskonzepten anfallenden Abfallmengen haben immer ein geringeres Aufkommen für den "Sicheren Einschluß" ergeben. Aufgrund der Aktivitätsverteilung in stillgelegten Atomkraftwerken fällt der Vorteil mit ca. 5% geringeren Mengen allerdings sehr gering aus. Auf jeden Fall sind pro Kraftwerk mehrere 1.000 t radioaktiver Abfälle (genaue Menge hängt vom Reaktortyp ab) zu behandeln und endzulagern. Werden mehrere Atomkraftwerke gleichzeitig stillgelegt - das ist bei der Altersstruktur in der BRD unabhängig von der weiteren Atomenergienutzung der Fall - so ergäben sich bei einem Stillegungskonzept mit "Schnellem Abriß" logistische Probleme in externen Anlagen (Zwischenlager, Konditionierungsanlagen, Endlager).

In bezug auf die Personalsituation für das Atomkraftwerk wird von Betreiberseite in letzter Zeit vor allem mit zwei Argumenten gegen den "Sicheren Einschluß" Position bezogen. Es wird darauf verwiesen, daß nach 30 Jahren kein anlagenkundiges Personal mehr zur Verfügung steht. Dies wird in vielen Fällen zutreffen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß dies auch bei "Schnellem Abriß" eintreten kann. Die Arbeiten, für die anlagenkundiges Personal vor allem hilfreich sein kann, beginnen nach ca. acht Jahren. Bei den gefragten Beschäftigten handelt es sich um Ingenieure und Techniker der mittleren Führungsebene, also hochqualifiziertes Personal. Gerade diese Personengruppe wird aber, wenn keine mittelfristige Beschäftigungsmöglichkeit mehr existiert, vom Zeitpunkt der Abschaltung an eine andere Arbeitsstelle suchen. In beiden Fällen müssen die Arbeiten also hauptsächlich aufgrund der Dokumentation vorgenommen werden. Die Dokumentation muß beim Genehmigungsantrag für die Stillegung vorgelegt werden und kann mit Hilfe der zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Personen vorgenommen werden. Das Problem ist damit erheblich reduziert.

Als zweites Argument gegen den "Sicheren Einschluß" wird der Verlust von Arbeitsplätzen am Standort herangezogen. Bei einer Bewertung dieser Frage ist das Ergebnis sehr stark davon abhängig, welche Aspekte wie berücksichtigt werden. Für die erste Stillegungsphase von einigen Jahren ist für beide Konzepte der Personalbedarf etwa gleich groß. Es ist also zunächst Zeit, Arbeitsplatzalternativen aufzubauen. Nach dem Erreichen des Zustandes "Sicherer Einschluß" wird allerdings weniger Personal gebraucht als bei unmittelbar fortschreitendem Abriß. Die Arbeitskräfte für den Abriß werden jedoch nach der Einschlußphase wieder gebraucht. Eine bestimmte Zahl von Arbeitsplätzen wird durch einen "Sicheren Einschluß" über einen erheblich längeren Zeitraum aufrechterhalten. Unter dem Strich ist also davon auszugehen, daß die Gesamtpersonenstunden von Eintritt in die Stillegungsphase bis zur "Grünen Wiese" mit "Sicherem Einschluß" höher ist. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, daß ein erheblicher Teil der Abrißarbeiten mit Fremdpersonal durchgeführt wird. Die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze für ortsfestes Personal werden dadurch deutlich relativiert.

Für die Entscheidung über das Stillegungskonzept können auch die Kosten eine Rolle spielen. Vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebene Studien haben entweder keine Kostenunterschiede ergeben oder solche um 10-20% zugunsten des "Sicheren Einschlusses". Die Kostenhöhe kann also - wenn überhaupt - nur ein Hilfsargument bei der Konzeptentscheidung sein und spricht eher für den "Sicheren Einschluß". Zusätzlich sind auch extern entstehende Kosten zu berücksichtigen. Steht zum Beispiel zum Zeitpunkt des Abrisses kein Endlager zur Verfügung, in das die Abfälle direkt gebracht werden können, muß der Bau von Zwischenlagern finanziert werden, und es fallen zusätzliche Lagerkosten an.

In einer Kalkulation ist jedoch nicht nur die absolute Höhe der Gesamtkosten von Bedeutung, sondern auch, wann sie anfallen. Hier bietet das Konzept mit "Sicherem Einschluß" die Möglichkeit einer zeitlichen Verlagerung des größten Teils der Investition für die Stillegung. Dies wird finanztechnisch allgemein als Vorteil angesehen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für das zu verfolgende Stillegungskonzept ist die Kompatibilität mit der Entsorgungsstrategie für den Atommüll überhaupt. Der Vorteil für den "Schnellen Abriß" ist die Kenntnis der genauen Abfallmengen zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Als schwerwiegender Nachteil muß allerdings angesehen werden, wenn während der Abrißarbeiten kein Endlager zur Verfügung steht, in das die Abfälle verbracht werden können. Zum einen stehen erst nach genauer Festlegung des Endlagerungskonzeptes die Bedingungen fest, die an eine Konditionierung der Abfälle zu stellen sind. Zum anderen müßten zunächst Zwischenlager errichtet werden, in die die Abfälle gebracht werden können, um von dort später ins Endlager zu kommen. Bei "Sicherem Einschluß" ließe sich der größte Teil der Abfälle direkt nach ihrer Entstehung endlagerfähig verpacken und direkt zum Endlager transportieren und einlagern. Zu einer "Entsorgungs"strategie, die auf eine wissenschaftlich fundierte Standortsuche sowie eine Eignungsüberprüfung des Endlagerstandortes mit festgelegten Kriterien setzt und bis zum Erreichen der Endlagerinbetriebnahme einen dezentralen Umgang mit allen radioaktiven Abfällen (Konditionierung und Zwischenlagerung) vorsieht, paßt nur ein Stillegungskonzept mit "Sicherem Einschluß". Das Konzept mit "Schnellem Abriß" ist aus Sicht einer Gesamtentsorgungsstrategie nur sinnvoll, wenn ein Endlager bereits zur Verfügung steht. Nach gegenwärtigem Stand ist mit der Festlegung eines Endlagerungskonzeptes erst mittelfristig und mit der Inbetriebnahme eines Endlagers nur langfristig zu rechnen.

Allgemeine politische Probleme stellen vor allem die Nachnutzung des Standortes und die Akzeptanz der Gesellschaft für das Stillegungskonzept dar. Bei einem "Sicheren Einschluß" steht der Standort über einen längeren Zeitraum nicht für andere Nutzungen zur Verfügung. Wie hoch der Stellenwert einer möglichst schnellen Nachnutzung einzuordnen ist, hängt generell vom Einzelfall ab. Die Frage stellt sich allerdings nicht, wenn sich die dezentrale Zwischenlagerung der Brennelemente durchsetzt. Für diesen Fall sind die meisten Standorte für die nächsten 30 - 40 Jahre ohnehin kaum anders nutzbar.

Inwieweit ein im "Sicheren Einschluß" befindlicher Reaktor in der Öffentlichkeit als lästige Altlast angesehen und ob diese Einschätzung bezüglich des Standortes durch das Verschwinden der Gebäude verringert wird, ist schwer zu bewerten. Der Makel des Atomkraftwerksstandortes wird eher auch so erhalten bleiben. Auch diese Frage löst sich von selbst, wenn sich die dezentrale Zwischenlagerung von Brennelementen durchsetzt. Bei "Schnellem Abriß" wird nach gegenwärtigem Stand bis zum Abrißzeitpunkt der meisten heute in Betrieb befindlichen Reaktoren kein Endlager zur Verfügung stehen. Das heißt, es müßten Zwischenlagerkapazitäten geschaffen werden. Egal wo, würde dies ebenfalls auf Akzeptanzprobleme treffen.

Einschließen

Weltweit wird gegenwärtig überwiegend das Stillegungskonzept mit "Sicherem Einschluß" bevorzugt. Dies galt lange Zeit auch für die Bundesrepublik. Der in letzter Zeit zunehmende "Schnelle Abriß" von Atomkraftwerken in der BRD hat unter bestimmten Randbedingungen stattgefunden, die in Zukunft z.T. nicht mehr gegeben sein werden. Zu nennen sind hier das relativ geringe Aktivitätsinventar einiger Anlagen, die Verfügbarkeit des Endlagers in Morsleben, die geplante Inbetriebnahme von Konrad etwa zum Jahr 2000, Demonstrationsvorhaben zur Erprobung von Techniken, Förderungsprogramme des Bundes, fehlendes Containment und sonstige Gebäudestrukturen in den DDR-Reaktoren. Insofern muß auch hier für die künftig abzuschaltenden Reaktoren eine grundsätzliche Konzeptentscheidung getroffen werden. Sollte es zu einer Vereinbarung über die Atomenergienutzung in der Bundesrepublik kommen, wäre es sinnvoll, diese Konzeptentscheidung im Rahmen der dort festgelegten "Entsorgungs"strategie zu treffen.

Die Aspekte Technologieentwicklung, Abfallmengen, Personalsituation, Kosten und öffentliche Akzeptanz können jeweils keine entscheidenden Kriterien für die Wahl des Stillegungskonzeptes sein. Bei einer Bewertung sind gegenwärtig für alle diese Aspekte geringe Vorteile für den "Sicheren Einschluß" festzustellen. Auch die Strahlenbelastung von Personal und Bevölkerung ist für den "Sicheren Einschluß" eher geringer. Dieser Vorteil würde deutlicher ausfallen, wenn die Einschlußzeit über 30 Jahre hinaus verlängert würde.

Neben der Strahlenbelastung bleiben als relevanteste Entscheidungskriterien die Fragen "wie sicher ist der Einschluß?" und "wie paßt das Stillegungskonzept in eine Gesamtentsorgungsstrategie?". Die erste Frage, bei der es vor allem um die Integrität des Betons in den Gebäudestrukturen geht, ist nur durch eine Einzelfallprüfung zu beantworten. Dabei sollte berücksichtigt werden, daß für den Fall eines konkreten Befundes ein "Sicherer Einschluß" jederzeit wieder aufgehoben und der Abbau zügig fortgeführt werden kann. Bezüglich der Gesamtentsorgungsstrategie muß vor allem berücksichtigt werden, zu welchem Zeitpunkt ein Endlager zu Verfügung steht, in das die Abfälle mehr oder weniger direkt nach ihrem Anfall verbracht werden können. Ist ein solches Vorgehen möglich, hat dies eine Reihe positiver Auswirkungen. Die wichtigsten sind die Minimierung von Strahlenbelastungen für Personal und Bevölkerung durch Umgang (einschließlich Transporte) mit den Abfällen und die nicht notwendige Einrichtung von Zwischenlagerkapazitäten.

Unter Abwägung aller Aspekte ist für die BRD als grundsätzliches Stillegungskonzept der "Sichere Einschluß" zu empfehlen. In Einzelfällen kann hiervon abgewichen werden, insbesondere wenn die Sicherheit des Einschlusses nicht gewährleistet werden kann.

Wolfgang Neumann


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