akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 424 / 18.03.1999

Gestern - heute - morgen

Sing doch Vogel, sing ...

Ein Standort hat Geburtstag. Vor 22 Jahren wurde das wendländische Gorleben als atomarer Entsorgungspark auserwählt. Eine lange Geschichte, eine brisante Gegenwart und möglicherweise eine fast endlose Zukunft. Über die aktuellen Auseinandersetzungen um Gorleben erinnert Wolfgang Ehmke, Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, an die WAA, an Albrecht, an den Treck der 100.000, an Harrisburg und daran, daß der Widerstand weitergeht.

Gerade lese ich eine ernüchternde Meldung. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert aus der jüngsten Atomgesetznovelle, die Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) im März zur Beratung dem Bundeskabinett vorlegen wird. Die rot-grünen Pläne für einen Ausstieg aus der "Kernenergie" sind demnach "deutlich entschärft", ein gesetzliches Verbot der Wiederaufarbeitung von Atommüll sieht der Gesetzentwurf nicht mehr vor.

Entschärft sind angeblich ursprünglich "kühne" Pläne. Dabei gehört es zum anti-nuklearen ABC zu wissen, daß die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente weder ein Entsorgungsbeitrag noch mit der gesetzlich geforderten schadlosen Beseitigung des Mülls zu tun hat. Sogar teurer kommt das alles im Vergleich zur sogenannten direkten Endlagerung. Diese allerdings hat einen Haken: Außer den heiß umstrittenen externen Zwischenlagern in Ahaus, Greifswald und Gorleben gibt es derzeit keinen Lagerplatz für den Strahlenmüll, der Jahrtausende sicher gegen die Biosphäre abgeschirmt werden muß. Direkt Endlagern geht auf absehbare Zeit nicht. Und weil die Atombranche das weiß, ist ihnen der Verzicht auf die Lieferungen an die Wiederaufarbeitungsanlagen (WAAs) im französischen Cap de la Hague bzw. britischen Sellafield lieber als das kostengünstigere Aufbewahren der Brennelemente an den heiß umstrittenen Orten. Am Ende drohen auch noch Klagen oder gar regierungsamtliche Feststellungen, weil zu offensichtlich wird, daß die Atommüllentsorgung gar nicht gesichert ist.

Wenn ich die "kühnen" Pläne mit Gänsefüßchen versehe, dann deshalb, weil das gesetzliche Verbot der Wiederaufarbeitung noch lange nichts mit einem Atomausstieg zu tun hat. Reaktoren können auch ohne die Wiederaufarbeitung der Brennelemente betrieben werden. Kenner der Branche wissen zudem, daß die Atomstromproduzenten vor allem befürchteten, daß von den steuerfreien 60 Milliarden DM rund die Hälfte für die WAA zurückgestellt wurden. Diese 30 Milliarden DM müßten bei einem gesetzlichen Verbot der Wiederaufarbeitung besteuert werden, dem Fiskus würden ca. 9 Milliarden DM zukommen. Kenner der rot-grünen Bundesregierung wissen darüberhinaus, daß die SPD - und im koalitionären Schulterschluß auch die Grünen - die Konzerninteressen nicht tangieren möchten...

Jene Reuters-Meldung las ich am 22. Februar. Was das für ein Tag war/ist? Für uns im Wendland ist das bis heute ein ganz besonderer Tag, es ist der Tag der "Standortbenennung". Vor 22 Jahren hatte der damalige Ministerpräsident Albrecht (CDU) Gorleben als Standort für ein "Nukleares Entsorgungszentrum" benannt. Im Salzstock Gorleben sollte gebuddelt werden, um ein Endlager im Salzgestein einzurichten. Oberirdisch sollten Pufferläger für alle Arten von Atommüll entstehen, eine Konditionierungsanlage und eine Brennelementfabrik und als Herzstück eine WAA. Ab und zu ist es im politischen Alltag recht wichtig, innezuhalten. Dazu taugen derartige "Gedenktage", denn 22 Jahre nach der CDU-Entscheidung geht es in Gorleben schon lange nicht mehr um eine Wiederaufarbeitungsanlage. Die Atombranche zog es am Ende vor, auf den Bau einer nationalen WAA zu verzichten, zieht es aber immer noch einem Risiko- und Problemtransfer ins Ausland vor, anstatt auf die Wiederaufarbeitung zu verzichten. Warum? Weil die direkte Endlagerung eine Fiktion ist. Siehe oben.

22 Jahre nach der Standortbenennung, für die nicht etwa geologische Qualitäten des Salzstocks sprachen, sondern die Industrieferne des Wendlands, die DDR-Grenznähe, die geringe Bevölkerungsdichte und der Konservatismus der Wenden (herrlich, wie sich Politstrategen täuschen konnten!), hat die CDU als Regierungspartei in Hannover und Bonn ausgedient. Was aber ändert sich? Aus unserer Sicht so wenig bis gar nichts, wenn es um Gorleben als (un-)heimliches Atommüllzentrum der Nation geht, daß wir immer noch und immer wieder zu Protest und Widerstand aufrufen.

Gerade droht die Inbetriebnahme der Pilot-Konditionierungsanlage (PKA). Die PKA gleicht einem Chamäleon. Bei Antragstellung 1986 sollte dort die "direkte Endlagerung" für Sonderbrennelemente, die für die WAA nicht taugen, "erprobt" werden. Diese würden in der PKA endlagerfertig verpackt. Heute diene die PKA plötzlich der Optimierung des Zwischenlagers, behauptet die Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) mit dem Segen aus Hannover und Bonn! Das Faßlager nahm im Orwelljahr 1984 den pannenreichen Betrieb auf, die Castorhalle 1995. Ob das Moratorium für die Endlagerbauer in Gorleben greifen wird - warten wirs nicht ab. Auch unter Rot-Grün kommt es entscheidend auf uns und unsere Aktivitäten an. Gestern noch war der Atomausstieg grünes Essential, heute schon sind wir angeblich "Randgruppe" und "Fundamentalisten", die ein "Minderheitenthema" vertreten. So schnell dreht sich der Wind und die Fahnen der Partein flattern bekanntlich im Wind... Politische Substanzlosigkeit nennen wir das.

Ein anderer Gedenktag muß im gleichen Atemzug erwähnt werden: Am 25. März 1979 startete der legendäre Bauerntreck aus dem Wendland nach Hannover. 5.000 Menschen waren am ersten Tag auf den Beinen, dann zockelten einige Traktoren durch die Heide. Und am 31. März bereiteten über 100.000 Menschen den Bäuerinnen und Bauern in Hannover einen triumphalen Empfang. Die Ereignisse überstürzten sich: noch debattierten Wissenschaftler in Hannover m Rande der Massendemonstration auf einem Symposium das Für und Wider der Wiederaufarbeitung, da sickerte eine Nachricht durch und wurde schließlich zur Gewißheit: In AKW Harrisburg war ein schwerer Störfall mit Kernschmelze eingetreten. Das, was angeblich rein hypothetisch war und bis heute als sogenanntes Restrisiko abgetan wurde, war wirklich geworden: der Größte Anzunehmende Unfall (GAU). Im Mai 1979 schließlich zog besagter Ernst Albrecht (CDU) die Konsequenz: Auf den Bau der WAA in Gorleben sollte verzichtet werden.

Das war listig. Hinterlistig. Albrecht nahm an - und das war gar nicht mal so falsch -, der Bauernprotest richte sich in erster Linie gegen jene WAA-Planungen. Dazu schrieb er einen Brief an den SPD-Kanzler Helmut Schmidt, um seinen Schritt zu erläutern. "Hingegen glaubt die Landesregierung, daß zumindest eine gute Chance gegeben ist, die Tiefbohrungen (für das Endlager, Anm.W.E.) vornehmen zu können, wenn die Wiederaufarbeitungsanlage aus der Planung herausgenommen wird."

Dieser Plan war gut und ging schon deshalb nicht auf. Der Widerstandsfunken sprang über von den WAA-Planungen bis hin zu den Castortransporten und der PKA. Doch aufgepaßt. Schon wieder übt sich manch Regierungsoffizieller im Überlisten. Der Atommüll aus der WAA in La Hague müsse "zurück" nach Deutschland, also nach Gorleben. Die PKA ist "nur noch" eine Reparatureinrichtung für das Brennelementzwischenlager, der Endlagerbau wird "gestoppt".

Aber die Wiederaufarbeitung wird nicht beendet, die Castorhalle suggeriert den Nachweis einer gesicherten Entsorgung, ist doch nur ein Abstellplatz, das Endlagerbergwerk wird nicht verfüllt, sondern die Gorleben-Option wird offengehalten. Das sind die Absichtsbekundungen von Rot-Grün. Als Jürgen Trittin (die Grünen) im Januar 1999 in seiner Eigenschaft als Bundesumweltminister dem Wendland seinen Antrittsbesuch abstattete, schickte er für die nachrichtenhungrigen Journalisten per Fax eine Erklärung voraus: "Ich beabsichtige, die Erkundungsarbeiten für ein atomares Endlager im Salzstock Gorleben zu unterbrechen, sobald geklärt ist, wie im Falle einer solchen Entscheidung unnötige Regreßansprüche vermieden werden können." Und gegenüber den Bergleuten in Gorleben erklärte er, daß er mit Bedacht "unterbrechen" und nicht "beenden" gesagt habe.

Nach 22 Jahren dauerhaften und nachhaltigen Anti-AKW-Widerstands sitzt ein Atomkraftgegner auf dem Ministersessel und redet nicht anders als seine Vorgänger. Orwellsche Zwiesprache. Nur daß 22 Jahre Widerstand uns nicht dümmer gemacht haben, auch nicht verbittert, sondern erfahrener. Politische Zwiesprache können wir ohne jede Schwierigkeit entziffern.

Und so hat der Antritts-Besuch Trittins etwas Klärendes: Er hat den Widerstand wieder richtig angetreten.

Wir kämpfen schon lange nicht mehr für faule Kompromisse oder die "beste aller schlechtesten Lösungen" der Atommüllentsorgung, sondern für den sofortigen Atomausstieg.

Wolfgang Ehmke


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