ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 422 / 21.01.1999
Konsens in der Atomfrage ist schon echt Klasse. Das Ende der Wiederaufarbeitung wird sofort ins Gesetz geschrieben, aber erst Anfang nächsten Jahres wirksam - wenn nichts dazwischen kommt. Machen Rot-Grün so weiter, dann haben wir sicher mit der Atomwirtschaft Konsens, daß der Sofortausstieg aus der Atomenergie per Atomgesetz festgeschrieben wird, aber - naja - eben erst im Jahre 2030 die letzten Meiler stillgelegt werden. Irgendwie beeindruckend.
Nur gut, daß sich die Anti-AKW-Bewegung dieses "später" nicht als "sofort" andrehen läßt. Auf dem zweiten Beratungstreffen der Initiativen nach der Bundestagswahl in Göttingen haben sie nun beschlossen, sich einzumischen. Zu Beginn der Konsensgespräche am 26. Januar wollen die Initiativen mit einer "Störfallparade" am Tagungsort - vermutlich Bonn - präsent sein. Befürchtet wird, daß der rot-grün-atomwirtschaftliche Konsens auf eine Modernisierung des Atomprogramms hinausläuft. Denn eins ist schon jetzt klar: Mit der vor allem von Grüner Seite geforderten Zwischenlagerung des Atommülls an den AKW-Standorten wird der Atomindustrie ein richtig großes Geschenk gemacht. Für drei Uralt-Reaktoren (Obrigheim, Biblis, Stade) erhalten sie unbegrenzte Lagerkapazitäten für den Atommüll. Damit verschwinden nach einer Übergangszeit (zwei bis drei Jahre) die leidigen und immer wieder zu Großveranstaltungen mutierten Castortransporte vollkommen aus der Öffentlichkeit. Die AtomgegnerInnen können sich dann wieder - wie Ende der 80er Jahre - die Nasen an den Stahlzäunen vor den AKWs plattdrücken. Den Grünen bleibt dann nur noch die Hoffnung, daß sich die Reaktortechnik an das Konsens-Drehbuch hält und schwere Störfälle ausbleiben.
Der Rest vom Konsens dürfte in etwa so aussehen: Die Gaspreise werden international weiter sinken, damit werden Gas- und Dampfkraftwerke (Marke Siemens!) so billig werden, daß auch die moderneren Atommeiler kaum noch wirtschaftlich zu betreiben sein dürften. Denn schon heute stehen die meisten AKWs am Rande der Wirtschaftlichkeit. Einigt sich Rot-Grün schon in den nächsten Monaten darauf, die derzeitige Besteuerung von Gas für die Stromproduktion aufzugeben (oder umgekehrt Uran als Brennstoff ebenso wie das Gas zu besteuern), dann dürfte es mit dem Ausstieg etwas schneller gehen. Im Zentrum der Begehrlichkeiten bleiben dann die Entsorgungsrückstellungen, die die Atombetreiber seit Jahrzehnten steuerfrei angesammelt haben und die bundesweit runde 60 Milliarden DM ausmachen. Allein die jährlichen Zinsen aus diesen Rückstellungen bringen den Unternehmen mindestens (!) Einnahmen in Höhe von drei Milliarden DM ein! Diese Rückstellungen dürfen die Betreiber bilden, um die anfallenden Kosten für die Entsorgung des Atommülls und den späteren Rückbau der Reaktoren zu finanzieren. Aus dieser Kriegskasse haben die atomaren Energieversorger - unabhängig von jedem Bankkredit - große Teile der Abfallwirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht und dominieren inzwischen neben der Telekom den expandierenden Markt der Telekommunikation. Der eventuelle Verlust dieser Kriegskasse ist der Grund, warum die Energieversorger derart laut jaulen, daß es in den Ohren nur so schmerzt. Und da die Bundesregierung der Atombranche nun mal nicht so richtig weh tun mag, dauert der Atomausstieg eben noch. Es sei denn, viele Menschen mischen sich ein, z.B. am 26. Januar in Bonn.
DSe
Das nächste Treffen der Standorte-Initiativen findet statt: 6. Februar 1999, 11 Uhr in Göttingen.
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