akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 421 / 17.12.1998

Bankrotterklärung der Plutoniumwirtschaft

Im letzten Jahr kündigte die französische Regierung das Ende des Schnellen Brüters Superphénix an. Die neue rot-grüne Regierung in Deutschland will nun per Atomgesetz die Wiederaufarbeitung beenden. Doch weder für die französische, noch für die deutsche Atomwirtschaft kommen diese Schritte überraschend. Diese hat denn auch vorgesorgt. Ohne jegliche öffentliche Debatte wurde das ursprünglich auf Brüter abgestellte Konzept der Plutoniumwirtschaft auf die allgegenwärtigen Leichtwasserreaktoren übertragen. Große Mengen Plutonium sollen nun auch langfristig in herkömmlichen Atomkraftwerken eingesetzt werden. Ein teures und gefährliches Konzept, wie die zweijährige Untersuchung eines internationalen Teams bestätigt.

Das Ende der Schnellen Brüter

Es ist, als sei ein 45 Jahre währender Traum zu Ende gegangen. Am zweiten Februar 1998 hat die französische Regierung den Schnellen Brüter Superphénix im Rhônetal endgültig zurück in die Asche geschickt.

Die energetische Fatamorgana der Brutreaktoren begann, als am 20. Dezember 1951 der Experimental Breeder Reactor No. 1 (EBR-1) im amerikanischen Idaho Falls als weltweit erstes Atomkraftwerk Strom erzeugte und vier 200-Watt-Glühbirnen zum Leuchten brachte. Die Faszination der Technokraten war verständlich und ließ sich ohne Schwierigkeiten auf die Politiker übertragen. Schließlich sollten diese wundersamen Maschinen mehr des Energierohstoffs Plutonium erzeugen als verbrauchen - ein energetisches Perpetuum Mobile also. Während 1976-77 die Schlägertrupps der CRS wiederholt den Weg für die Baumaschinen auf eine Wiese bei Creys-Malville gegen den erbitterten Widerstand der Bevölkerung freiprügelten, verkündete der Chef des Atomenergiekommissariats das Ergebnis seines Blicks in die Kristallkugel. Mit 540 Kraftwerken weltweit vom Typ Superphénix sei bis zum Jahrhundertwechsel zu rechnen. Parallel rechnete die Nuclear Energy Agency der OECD bis 2000 mit weit über 1.000 laufenden herkömmlichen Reaktoren allein in ihren damals 24 Mitgliedsländern. Mit schweren Versorgungsengpässen und entsprechender Verteuerung von Natururan wurde gerechnet.

Doch es kam anders. Die Atomeuphorie war in den USA bereits verflossen, als es in Westeuropa erst losging. Die letzte nicht stornierte Bestellung eines amerikanischen AKW datiert vom Oktober 1973. Heute sind in der OECD (etwa) 328 AKW (mehr oder weniger) in Betrieb - Tendenz fallend - nicht ein Drittel der erwarteten Meiler. Doch die Uranpreise purzelten von einem historischen Tief ins andere. Gigantische Überkapazitäten entstanden überall in den Bereichen Konversion und Anreicherung von Uran. Der Superphénix von Creys-Malville ist der einzige jemals fertiggestellte Brutreaktor der anvisierten industriellen Größenordnung von 1.200 MW. Heiligabend 1996 wurde er für einen "geplanten Stillstand" von etwa sechs Monaten vom Netz genommen. Niemand ahnte, daß die zwei gigantischen 600-MW-Turbinen sich nie wieder drehen sollten. Doch im Februar 1997 kassierte das höchste französische Gericht, der Conseil d'É tat, die Betriebsgenehmigung des Brüters. Die Regierung hatte die Bestimmung des Reaktors allzu leichtfertig von Stromproduktion auf Forschung umgeschrieben.

Im März 1997 verabschiedeten die Sozialistische Partei und die Grünen eine gemeinsame Plattform für die unerwarteten Neuwahlen, auf der das Abschalten des Brüters ganz oben stand. Im Juni 1997 bestätigte der frischgewählte Premier Lionel Jospin die "Aufgabe" des Superphénix. Dieser Begriff, l'abandon im Französischen, führte schnell zu Spekulationen. Damit sei nicht ausgeschlossen, hieß es, den Reaktor noch einmal anzuwerfen, und sei es nur, um den Restbrennstoff zu nutzen. Erst die interministerielle Erklärung vom Februar 1998 machte dem Spuk ein Ende.

Plutoniumberge

Das Erwachen ist bitter. Laut Berechnungen des Cour des Comptes (Rechnungshof) von 1996 hat das Abenteuer Superphénix ca. 60 Milliarden französische Francs (FRF) verschlungen. Eine grob verharmlosende Rechnung. Sie veranschlagt etwa für den Abriß weniger als fünf Milliarden FRF, kaum mehr, als die in Frankreich - aus der Luft gegriffenen - für herkömmliche Kraftwerke angesetzten 15% der reinen Investitionskosten. Erste Analysen zeigen freilich, daß die Betreiber für diese ultramoderne Anlage nicht einmal ein Abschaltverfahren entwickelt hatten. So bleibt vorerst ungeklärt, wie die etwa 4.500 Tonnen Natrium sicher ausgeladen und entsorgt werden sollen. Im Falle des deutschen Brutreaktors in Kalkar, der nie mit Brennstoff beladen wurde und dessen Primärnatrium deshalb auch nie kontaminiert war, dauerten Entladung und Abtransport etwa zwei Jahre. In Malville dürfte ca. das Fünffache der in Kalkar behandelten Natriummenge zu entsorgen sein ...

Ohne Antwort bleibt auch die Frage, wohin der bestrahlte Brennstoff des Superphénix verbracht werden soll und wie mit einem bereits hergestellten Zweitkern mit weiteren sechs Tonnen unbestrahltem Plutonium zu verfahren ist. Intern gibt die Betreiberfirma NERSA zu, daß es keinen Anreiz für die aufwendige Abtrennung des in den Brennstoffen - bestrahlt oder unbestrahlt - befindlichen Plutoniums gibt. So wird der Grundgedanke des Plutoniumbrütersystems vielleicht gänzlich ad absurdum geführt und der bestrahlte Brennstoff der direkten Endlagerung zugeführt.

Kein Wunder, gewaltige Plutoniumberge häufen sich in Westeuropa mit atemberaubender Geschwindigkeit an. Während der Ablauf der Geschichte sich nicht nach den Kristallkugelvisionen der Atomindustrie richtete, wurde der Bau gigantischer Plutoniumfabriken im französischen La Hague und im englischen Sellafield unbeirrt fortgesetzt. Die Inbetriebnahme der Anlagen UP2-800 und UP3 in La Hague, die die Nominalkapazität dort von 400 auf etwa 1.600 Jahrestonnen erhöhte, fand erst 1989-90 statt. Die neue 800-Tonnen-Anlage THORP in Sellafield startete gar erst 1994, da war der Plutoniumbestand in England bereits auf über 40 Tonnen angewachsen. Neben Frankreich und England spielen Deutschland und Japan mit etwa 80% des ausländischen Auftragsvolumens der Betreiber COGEMA und BNFL die Hauptrollen im Plutoniumpoker.

Als die Brüterpleite Anfang der 1980er Jahre ruchbar wurde, entwickelte die Plutoniumwirtschaft das Übergangskonzept MOX für LWR. Uran-Plutonium-Mischoxydbrennstoff für Leichtwasserreaktoren sollte die Lücke füllen, bis die Brüter kommen. Die Plutoniummengen, die aus den Anlagen in La Hague und Sellafield flossen, sollten auf diese Weise absorbiert werden. Die bestehenden milliardenschweren Verträge müßten nicht in Frage gestellt, die Plutoniumfabriken könnten zu Ende gebaut, das Gesicht der Atomplaner gewahrt werden. So der Plan.

Die Brüterpleite wurde nie öffentlich zugegeben, die MOX-Strategie niemals öffentlich diskutiert. Letztere erweist sich heute als perfider Doppel-Trick: Die MOX-Lösung, heißt es, erlaube das schwerwiegende Problem der Plutoniumberge zu beseitigen und erlaubt gleichzeitig, das Problem weiter zu verschärfen. Verschärfung deshalb, weil zahlreiche Atommeiler auch noch weit in die Zukunft hinein betrieben werden müssen, denn um das Plutonium zurückzuführen, bedarf es natürlich eines gewissen Bestands an Reaktoren. Dies gilt für fast alle Länder, die heute Wiederaufarbeitungsverträge haben. Es ist klar, daß in keinem westeuropäischen Land ein neues Atomkraftwerk gebaut werden wird. Damit geht es nur noch um den "Bestandsschutz" laufender Meiler, ob in Deutschland, Holland, Schweden oder in der Schweiz.

Mit der MOX-Strategie versuchen die Stromunternehmen die betroffenen Länder auch langfristig vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dies, obwohl die MOX-Produktion und -Nutzung sich eindeutig nicht nur als Plutoniumfalle für Ausstiegswillige (s.o.) sondern als eindeutiger Irrweg entpuppt hat.

Ende 1997 hat die Projektgruppe International MOX Assessment (IMA) unter der gemeinsamen Leitung von Dr. Jinzaburo Takagi, Gründer und damals Direktor des Tokioter Citizens' Nuclear Information Center, und des Autors dieses Artikels in Tokio, Paris und London ihren Abschlußbericht vorgelegt. An dem zweijährigen IMA-Projekt haben 15 Wissenschaftler aus sechs Ländern teilgenommen, darunter der ehemalige Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, Frank Barnaby, der Leiter des Washingtoner Nuclear Control Institutes, Paul Leventhal und der stellvertretende Chef der russischen Kontrollbehörde Gosatomnadzor, Alexander Dmitriev. Die 335-Seiten-Studie ist eine vernichtende Kritik der Rückführung von Plutonium in herkömmliche Reaktoren.

Der IMA-Bericht stellt abschließend fest, daß "die Nachteile des Plutonium-MOX-Pfades gegenüber der Direkten Endlagerung überwältigend sind, ob auf der Ebene industrieller, strategischer, sicherheits- und abfalltechnischer oder gesellschaftlicher Implikationen".

Die MOX-Strategie ändert nichts an Grundübeln und Auswüchsen der Plutoniumwirtschaft. Im Gegenteil:

- Anfang 1997, zehn Jahre nach Beginn der industriellen MOX-Nutzung in französischen Reaktoren, lag der Plutoniumbestand in Frankreich und England zusammen bei etwa 120 Tonnen, etwa drei Viertel des weltweiten "zivilen" Bestands. Diese Halde wächst jährlich, trotz MOX-Programmen, um etwa 15 Tonnen an. Im Jahr 2001 wird der "zivile" Bestand den militärischen Bestand voraussichtlich bereits übertreffen.

- Weniger als 10 kg Plutonium sind nötig für den Bau eines Atomsprengkörpers (die o.g. Menge reicht demnach für etwa 12.000 Bomben).

- Die letale (tödliche, ak) Dosis für die Entstehung von Lungenkrebs wird bereits durch die Inhalation von Plutonium im Mikrogrammbereich erreicht (die o.g. Menge reicht theoretisch aus, um die Weltbevölkerung 10.000 mal zu vergiften).

Die Bombe aus der WAA ist machbar

Der IMA-Bericht veröffentlicht darüber hinaus zum ersten Mal die atemberaubende Beurteilung des Proliferationsrisikos von Reaktorplutonium durch den amerikanischen Wissenschaftler Matthew Bunn, stellvertretender Direktor des Programms für Wissenschaft, Technologie und Staatspolitik der John F. Kennedy School of Government der Harvard Universität. Bunn leitete die großangelegte Untersuchung der National Academy of Sciences zur Entsorgung amerikanischen Waffenplutoniums. Bunn's Forschung erlaubte nicht nur Zugang zu bisher geheimgehaltenen Dokumenten "von beispielloser Detailliertheit zu diesem Thema", sondern auch Gespräche mit Waffendesignern aller Atomstaaten. Sein Fazit ist selbst für Fachleute von brutaler Klarheit. Für einen Laien würde die Herstellung eines groben Atomsprengsatzes mit reaktorgrädigem Plutonium "nicht mehr Spezialisierung bedürfen als der Bau einer Bombe mit waffengrädigem Plutonium". Darüber hinaus erklärte ein russischer Waffendesigner, daß es "unter gewissen Umständen für einen Laien leichter sei, mit reaktorgrädigem Plutonium eine Bombe zu bauen (da kein Neutronengenerator nötig wäre)".

Die Mär vom "schlechten" Plutonium für den Bombenbau ist hiermit endgültig begraben. Die Untersuchungen von Frank Barnaby im Rahmen des IMA-Projekt lassen keinen Zweifel, daß frischer MOX-Brennstoff wie abgetrenntes Plutonium zu beurteilen ist, da seine Herauslösung keinerlei technische Schwierigkeiten bereiten würde. Damit wird jeder MOX lagernde Standort, also auch jeder betroffene Reaktor, zu einem Lager von direkt waffenfähigen Material. Ein Alptraum für die Verantwortlichen, die den physischen Schutz von Atomtransporten und Anlagen überwachen müssen.

Wohin mit dem Bombenstoff?

Die Politik, selbst wenn sie bisher meist weit davon entfernt war, Plutonium als Idealsubstanz verteidigen zu wollen, sah sich doch unfähig, das Zepter wieder in die Hand zu nehmen. Wird dies nun anders? Die Koalitionsvereinbarung der rot-grünen deutschen Bundesregierung enthält im 100-Tage-Programm einen lapidaren, aber entscheidenden Satz: "Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung". Dies schließt de facto die Wiederaufarbeitung und damit die Plutoniumproduktion aus. Es geht ans Eingemachte, wie man sagt. Die Industrie spricht von "worst case scenario", COGEMA sieht unangenehme Folgen und Le Monde breitet bereits die möglichen Konsequenzen für den heimischen Staatsstromer EDF aus: Auftrieb für die Plutoniumkritiker im Haus. Nach wie vor unbekannt ist, daß die EDF - im Gegensatz zu deutschen EVUs - immer noch keinen Vertrag für die Periode nach 2000 abgeschlossen hat. Diese post-2000-Verträge enthalten eine "politische-höhere-Gewalt"-Klausel, die es ermöglicht, im Falle eines staatlichen Wiederaufarbeitungsverbots eine Kündigung ohne schmerzliche Kompensationszahlungen abzuwickeln. Finanziell können die deutschen EVUs bei einer Kündigung der Verträge nur gewinnen. Selbst bei Kündigung der sogenannten Altverträge (falls ausgeführt, bis etwa einschließlich des Jahres 2000 abgearbeitet) übersteigen die eingesparten Kosten für Lagerung, Verarbeitung von Plutonium zu MOX-Brennstoff und für dessen Einsatz mit Sicherheit die zusätzlichen Kosten, die aus der Vertragskündigung und der Rückführung des nicht aufgearbeiteten Brennstoffs resultieren.

Nachdem im September 1998 am Standort der (offiziell noch) geplanten japanischen Wiederaufarbeitungsanlage in Rokkasho-mura die ersten abgebrannten Brennelemente aus japanischen AKWs ins Zwischenlagerbecken platschten, ist auch in diesem Land der Druck weg, der ursprünglich zur Auslagerung des Atommüllproblems in die Wiederaufarbeitungsländer England und Frankreich geführt hatte. Mit anderen Worten: den Plutoniumfirmen COGEMA und BNFL brechen spätestens in etwa zwei Jahren die Auslandskunden komplett weg. Deutsche und japanische Kunden deckten über 80% des ausländischen Auftragsvolumens in La Hague und Sellafield ab. Die lokalen sozialen Konsequenzen einer drastischen Senkung der Aktivitäten in La Hague und Sellafield wären dramatisch und erfordern umgehende eine Analyse und die Erarbeitung von entsprechenden Rekonversionskonzepten.

Bleibt die Frage, was tun mit den bereits existierenden Plutoniumbergen. Deutsche EVUs allein haben über 20 Tonnen des Problemstoffs angehäuft. Wenn MOX keine Lösung darstellt, dann bleibt nur die Konditionierung mit anderem hochaktiven Müll zu einem "endlagergerechten Gebinde". Was immer das heißen mag. Dabei wird es nötig sein, auch kurzfristig Konzepte zu diskutieren, die nicht leicht vermittelbar sein mögen, die aber für eine definitive Trendwende unablässig sind. Wenn es um abgetrenntes Plutonium geht, heißt dies z.B. die Modifizierung des Konzepts der Verglasungsanlage für hochaktive Abfälle, die bereits in Karlsruhe in Planung ist, für die Konditionierung von Plutonium. Nur so wird es mittelfristig möglich sein, auch über heute abstrus erscheinende Ideen zu reden, wie etwa die Nutzung freiwerdender Kapazitäten in La Hague zur Plutoniumverglasung. Na denn man los!

Mycle Schneider

M. Schneider ist Direktor von
WISE-Paris, WISE Paris im Internet:
www.pu-investigation.org


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