akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 420 / 19.11.1998

Das sicherste AKW der Welt

20 Jahre kein AKW in Zwentendorf

Während in Deutschland, der Schweiz oder in Schweden seit Jahren über den Ausstieg aus der Atomenergie gestritten wird, hat ein Land in Europa dieses Problem schon vor 20 Jahren nachhaltig und konsequent entschieden: Österreich. In einer bis heute beispielhaften gesellschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Bürgerinitativen auf der einen und mächtigen Industrieverbänden und der Regierung auf der anderen Seite gelang es, der österreichischen Atomwirtschaft ein schnelles und überraschendes Ende zu bereiten. Widerstand lohnt sich eben doch. Peter Weish erinnert sich:

In den späten Sechzigerjahren fiel in Österreich die Entscheidung zum Start eines Nuklearprogramms. Eine Planungsgesellschaft für Atomkraftwerke wurde gegründet. 1972 begann die deutsche Kraftwerksunion (damals Siemens und AEG) mit dem Bau des ersten österreichischen AKWs in Zwentendorf (ca. 30 km donauaufwärts von Wien). Dieser Siedewasserreaktor mit einer Leistung von 700 Megawatt sollte 10% des in Österreich produzierten Strom erzeugen.

Anfang 1974 wurde eine Errichtungsgesellschaft für ein zweites AKW gegründet. Die kleine, aber seit den Sechzigerjahren wachsende Anti-AKW-Bewegung konzentrierte sich auf die Verhinderung dieses Atomkraftwerkes. Ende 1974 wurden die Pläne zum Bau des zweiten Atomkraftwerkes zurückgestellt, teils weil sich die Zunahme des Stromverbrauchs verlangsamte, teils wegen der starken Proteste gegen das Projekt.

Sowohl die regierende Sozialistische Partei (SPÖ), als auch die sich in Opposition befindende Volkspartei ÖVP waren damals uneingeschränkt pronuklear. Nur die Freiheitliche Partei FPÖ war etwas kritischer eingestellt. 1975 sah der offizielle Energieplan vor, daß 1985 drei AKWs rund 3.000 Megawatt Strom produzieren sollten.

Im Herbst 1976 startete die Regierung eine Informationskampagne mit dem Ziel, die Nutzung der Atomenergie zu rechtfertigen. Doch der Effekt war gegenteilig. Erstmals erschienen in den Zeitungen nuklearkritische Artikel und die Anti-Atom-Bewegung erfuhr einen Aufschwung. Speziell das ungelöste Problem der Atommüll-Lagerung sorgte für Diskussionen. Erstmals konnte man die Inbetriebnahme von Zwentendorf in Frage stellen, ohne sofort als Spinner gebrandmarkt zu werden.

Viele Gründe sprachen gegen die Atomkraft. Die vielleicht wichtigsten waren:

- die Gesundheitsgefahren durch Radioaktivität,

- die ungelösten Sicherheitsprobleme des Reaktors,

- das ungelöste und unlösbare Problem der Atommüll-Lagerung,

- die Tatsache, daß zivile und militärische Nutzung der Atomenergie untrennbar miteinander verbunden sind,

- ungenügende Notfallpläne und die Unmöglichkeit, eine Millionenstadt wie Wien zu evakuieren.

Viele Aktivitäten fanden statt. So wurde im April 1977 in Salzburg von NGOs aus mehreren Ländern eine internationale Konferenz für eine nicht-nukleare Zukunft abgehalten. Im Herbst 1977 gab es große Demonstrationen in Zwentendorf und den Großstädten. Im Dezember des Jahres verhinderten AKW-Gegner durch die Androhung von Aktionen die geheime Lieferung von nuklearen Brennstoff für Zwentendorf. Um Widerstand zu vermeiden, wurde der Antransport der Brennelemente auf 1978 verschoben und dann von Bundesheerhubschraubern durchgeführt. Das Kraftwerksgelände selbst war von starken Polizeikräften abgeriegelt. Alle Formen des antinuklearen Widerstandes waren völlig gewaltlos.

Atomkraft im allgemeinen und die Inbetriebnahme von Zwentendorf im besonderen wurden zu einem heißen politischen Thema. Die Regierung gab die Entscheidung an den Nationalrat weiter. Die alleinregierende SPÖ war überzeugt, dort mit der größten Oppositionspartei, nämlich der ÖVP, zu einem Übereinkommen zu gelangen, waren doch viele einflußreiche Sektoren innerhalb der Volkspartei deutlich atomfreundlich. Die Regierung übermittelte einen Bericht über die Kernenergie an das Parlament. Dieser wurde als Zusammenfassung einer beeindruckend großen Menge an Papier präsentiert und war extrem einseitig und pronuklear. Er zeigte aber auf, daß die Regierung einige wichtige Fragen offen ließ, die während ihrer eigenen Informationskampagne aufgeworfen wurden. Der alte Vorwurf der Atomkraftgegner, daß die Informationskampagne nur zur Beruhigung der Bevölkerung gedacht war, erwies sich als richtig.

In den darauf folgenden parlamentarischen Hearings wurden einige Sicherheitsdefizite des Standortes und der Konstruktion von Zwentendorf, aber auch das Fehlen wichtiger Untersuchungen (so gab es keine radioökologische Studie) von den AKW-Gegnern aufgedeckt. Dies führte zu einem Meinungsumschwung bei der Volkspartei. So erklärte ÖVP-Obmann Taus, daß er zwar die Atomkraft befürworte, aber wegen von Sicherheitsmängeln gegen die Inbetriebnahme von Zwentendorf sei.

Der Widerstand gegen das Atomprojekt war nun so groß, daß die Partei die Nationalratswahlen verlieren würde, die für die Inbetriebnahme von Zwentendorf verantwortlich wäre. Die SPÖ-Regierung wagte es nun nicht, das Parlament über Zwentendorf entscheiden zu lassen, war doch die Unterstützung durch die ÖVP und Vorarlberger SP-Abgeordnete ungewiß. Die Vorarlberger hatten nämlich gerade erfolgreich gegen das Rüthi-Projekt gekämpft, in dessen Rahmen die Schweiz ein AKW direkt an der Grenze zu Vorarlberg bauen wollte. Die Bevölkerung Vorarlbergs war zu einem überwältigenden Anteil antinuklear und fürchtete, daß die Inbetriebnahme von Zwentendorf ihre Verhandlungsposition schwächen würde.

Im Juni 1978 gab Bundeskanzler Kreisky - der bis dahin die Entscheidung über Zwentendorf als völlig ungeeignet für eine Volksabstimmung bezeichnet hatte - bekannt, daß am 5. November ein Referendum darüber abgehalten würde. Die pronuklearen Kräfte gingen mit vielen Ressourcen in diese Auseinandersetzung. Allein der staatliche Verbundkonzern gab 30 Millionen Schilling Steuergelder für seine Werbekampagne aus. Weitere Dutzende Millionen Schilling kamen von der Industriellenvereinigung, dem ÖGB und der SPÖ.

Die Zwentendorf-Gegner hatten nur ihre Ersparnisse und viel Enthusiasmus aufzubieten, ihre Aktivitäten waren jedoch sehr erfolgreich. Eine bunte Koalition verschiedenster Organisationen wurde aktiv. Mehrere Koordinationszentren - eines davon von den Österreichischen HochschülerInnen - und zwei Dachorganisationen wurden gegründet. Die Zusammenarbeit zwischen Bürgerinitiativen und kritischen Wissenschaftern war hervorragend. In den großen Zeitungen wurde der Zwentendorf-Abstimmung breiter Raum eingeräumt. Alle Aspekte wurden breit diskutiert. Dennoch herrschte nur geringe Hoffnung auf eine antinukleare Mehrheit.

Doch das Undenkbare passierte

Am 5. November 1978 stimmte eine hauchdünne Mehrheit von 50,5% gegen die Inbetriebnahme von Zwentendorf. Fast zwei Drittel der Wahlberechtigten, nämlich 3,26 Millionen, gingen zur Abstimmung. Die Tatsache, daß sich eine enthusiastische Bürgerinitiative gegen die einflußreichsten Interessensvertretungen und die Regierungspartei durchsetzen konnte, gilt als bemerkenswert in der Zweiten Republik.

Eine hauchdünne Mehrheit von 20.000 Stimmen brachte die Ablehnung für die Atomkraft in Österreich. Die Regierung und die Parteien reagierten prompt: Nur wenige Wochen nach der Abstimmung wurde am 15. Dezember 1978 im Nationalrat einstimmig das "Atomsperrgesetz" verabschiedet, das die Stromerzeugung aus Kernspaltung in Österreich verbietet. Diese Entscheidung machte einen der letzten Industriestaaten ohne Atomkraft zu einem der ersten Industriestaaten ohne Atomkraft.

Nur wenige Monate nach dem Referendum ereignete sich der Unfall im AKW Three Mile Island in den USA. Vielen Menschen wurde dann klar, wie weise das "Nein" gegen Zwentendorf war. Es folgten einige Initiativen seitens der E-Wirtschaft und der Gewerkschaften, doch noch eine Inbetriebnahme von Zwentendorf zu erwirken. Diese Träume mußten nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahre 1986 endgültig begraben werden.

Peter Weish, Wien

Peter Weish ist Obmann von Anti Atom International (AAI), Dachverband österreichischer und grenzüberschreitender Anti-Atom-Initiativen. Volksgartenstr. 1, A-1010 Wien, Austria; Tel.: +43/1/5229102; Fax: +43/1/5229103; e-mail: AAI@aai.at;
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