1894 - 1933 -1994

100 Jahre HEW - ein alternativer Bericht

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Hundert Jahre HEW - ein Grund zum Feiern?

 

Wer ist HEW

 

Hundert Jahres HEW - im Dienste des Profits

Von der Gründung bis zur Nazidiktatur

Die HEW im Faschismus

Kontinuitäten

Die HEW und die Zwangsarbeiter der Außenstelle Alt-Garge des KZ Neuengamme

Uranabbau, Menschenrechtsverletzung und Umweltzerstörung

Uranabbau: Völkermord und Ausdruck rassistischer Strukturen hierzulande

Wasserstoffimporte, die Fortsetzung der alten Politik mit anderen Mitteln

Rassismus in der Chefetage

 

Atomkraftwerke und Unterelbeindustrialisierung

 

Grenzenlose Risiken mit begrenztem Nutzen

 

Risiken und Verantwortung

- Ohne Verantwortung, ohne Konsens - aber mit vollem Risiko

HEW - mitverstrickt in die Entsorgungslüge

 

Von der Atomstromproduktion auf dem Weg zur Atombombe

 

Energiewende

 

Ziele, Hindernisse, Auswege

Szenario für die sofortige Stillegung der Hamburger AKWs

Die ökologische Energiewende

Energiewendeszenario bis 2010

Am Ende

 

Quellen, Literatur

 

 

Hundert Jahre HEW - ein Grund zum Feiern?

 

Die Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) ist vor allem aus zwei Gründen bekannt. Sie liefern den Strom für ganz Hamburg und lassen sich das gut bezahlen. Die HEW ist aber auch bekannt dafür, daß sie den Strom produziert - hauptsächlich in Atomkraftwerken. Deswegen sind sie schon lange eine Adresse unserer Aktivitäten gegen Atomanlagen.

Am 15.3.1994 hatte die HEW ihr hundertjähriges Jubiläum. In ihrer Selbstdarstellung hebt die HEW gerne die positiven Segnungen der Elektrizität hervor. Sich selbst sieht sie als ein fortschrittliches Unternehmen, das - immer auf der Höhe der Zeit - mit der Stromversorgung zu der Entwicklung der Stadt und des alltäglichen Lebens beigetragen hat. Kritische Töne tauchen nur selten auf. Viele der realen und potentiellen Gefahren, die die Stromproduktion der HEW mit sich bringen, werden gar ganz unterschlagen.

Grund genug, anläßlich der 100. ordentlichen HEW-Aktionärsversammlung am 23.6.94 einen alternativen Bericht herauszugeben. Uns ist es wichtig, die zerstörerische Kehrseite der Stromversorgung und das oft menschenverachtende Handeln der HEW deutlich zu machen. Deswegen wird dieser Bericht auch über das Jubiläumsjahr hinaus noch Aktualität besitzen.

Der Alternative Bericht zu Hundert Jahren HEW wird von einem Hamburger Anti-AKW-Bündnis herausgegeben (s. Impressum). Aus den verschiedenen Initiativen dieses Bündnisses hatten sich vor einigen Monaten Arbeitsgruppen zusammengefunden, die nachfolgende Beiträge erarbeitet haben. Die Beiträge sind gemeinsam diskutiert worden, geben aber natürlich nicht immer die Meinung jeder Initiative wieder. Wichtig war uns, wesentliche Merkmale der HEW-Geschäftspolitik herauszuarbeiten und die Geschichte eines der größten Unternehmen der Hamburger Region ansatzweise aufzuarbeiten.

Im ersten Schwerpunkt haben wir uns bemüht, Kontinuitäten in der Geschichte der HEW zu benennen. Es geht sozusagen um den Roten Faden, der das Handeln der HEW durchzieht und dazu führt, daß sich die HEW verschiedenen Verhältnissen anpassen konnte (Faschismus, bürgerliche Demokratie), mit verschiedenen Energieträgern agiert (Kohle, Uran, Wasserstoff), dabei aber immer ihren Profit aus dem Stromgeschäft ziehen konnte. Unerträglich hoch ist dabei ihre Ignoranz gegen die eigene Beteiligung an der Vernichtung menschlichen Lebens. Diese Kontinuität erkennen wir in der Verbindung der HEW-Geschichte im Einsatz von KZ-Häftlingen beim Kraftwerksbau, dem Uranabbau der letzten zwanzig Jahre für die Atomkraftwerke und den geplanten Staudammprojekten für die Nutzbarmachung der Energieträger der Zukunft - die regenerativen Energien.

In einem weiteren Beitrag zeigen wir auf, in welchem Interessensgeflecht die Atomkraftwerke entlang der Unterelbe in den siebziger und achtziger Jahren durchgesetzt wurden - Stichwort Unterelbeindustrialisierung. Es wird deutlich, daß der Völkermord beim Uranabbau die Kehrseite von "Wachstum und Wohlstand" hier ist und daß die Atomkraftwerke v.a. das Ergebnis eines Hamburger Interessenbündnisses von SPD und Wirtschaft sind.

Im dritten Schwerpunkt geht es dann um die Gefahren der Atomenergie hierzulande. Der vorläufige Stillstand der AKWs Brunsbüttel (seit August '92) und Krümmel (seit August '93) macht den Unsinn der Atomtechnologie verschärft deutlich. Beide sind selbst innerhalb der selbstgeschaffenen Sicherheitsphilosophie nicht mehr sicher genug. Trotzdem setzen sich HEW und Hamburger Senat in der Öffentlichkeit und vor den Gerichten für den Weiterbetrieb ein. Um die Notwendigkeit einer endgültigen Stillegung deutlich zu machen, wird in den Beiträgen angesichts des potentiellen SuperGAU und der Leukämie durch Niedrigstrahlung zunächst der Frage nach der Verantwortbarkeit der Atomtechnologie nachgegangen. Weiter geht es mit der Atommüllproblematik. Denn es ist nach wie vor völlig ungeklärt, wie und wo der Atommüll über Zehntausende von Jahren sicher aufbewahrt werden kann. Dazu kommt noch, daß bei der Wiederaufarbeitung von Atommüll Plutonium anfällt, der Stoff, aus dem die Bombe ist. Abschließend wird skizziert, wie eine ökologische Energiewende ohne Atomstrom aussehen könnte.

Die Redaktion

 

Wer ist die HEW?

Die Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) versorgt Hamburg mit Strom und Fernwärme. Die HEW nimmt dafür alle Funktionen von der Erzeugung über die Verteilung und Umspannung bis zur Lieferung an den Endkunden wahr. HEW ist beteiligt an vier Atomkraftwerken (Mitbetreiber ist jeweils die PreussenElektra):

AKW

Inbetriebnahme

Leistung MW

Anteil HEW(MW/ %)

Brunsbüttel

1977

770

514 / 66,67%

Krümmel

1983

1260

630 / 50,00%

Stade

1972

640

213 / 33,33%

Brokdorf

1986

1325

265 / 20,00%

 Bei Brunsbüttel und Krümmel hat die HEW die Betriebsführung.

 

Wenn alle Atomkraftwerke planmäßig laufen, hat die HEW einen Atomstromanteil von ca. 80%. Spitzenwert war 1988 ein Anteil von 87%. Der restliche Strombedarf wird mit fossiler Energie (Kohle/Gas) erzeugt, teilweise in Kraft-Wärme-Kopplung. Die ausgekoppelte Wärme wird ins Fernwärmenetz zur Versorgung von Haushalten mit Raumwärme bzw. von Industrie mit Prozeßwärme eingespeist.

Zur Zeit sind allerdings die beiden Atomkraftwerke Brunsbüttel (seit dem 25.8.92) und Krümmel (seit dem 13.8.93) abgeschaltet. In beiden Reaktoren wurden - anfangs eher zufällig - eine Vielzahl von Rissen im Rohrsystem entdeckt. Seitdem verweigert die Aufsichtsbehörde in Kiel die Wiederinbetriebnahme, weil bislang kein in ihren Augen glaubwürdiges Reparaturkonzept seitens der HEW vorgelegt wurde. Der fehlende Strom wird von der HEW aus dem Verbundnetz dazugekauft.

Die HEW hat an den Hamburger Gaswerken einen Mehrheitsanteil von 54,9%. Damit kontrolliert die HEW praktisch die ganze leitungsgebundene Energieversorgung Hamburgs, das ist ca. die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs.

 

 

100 Jahre HEW

Im Dienste des Profits

 

Der 100. Geburtstag der HEW legt den Versuch nahe, sich mit der Geschichte und Gegenwart des Unternehmens eingehender zu befassen. Während der zahlreichen Diskussionen, die wir in der Vorbereitung dieses Alternativen Geschäftsberichtes untereinander hatten, kamen wir immer wieder auf die Frage: Lassen sich Kontinuitäten in der Geschäftspolitik der HEW aufspüren, die sich wie ein roter Faden durch die nunmehr hundertjährige Stromproduktion der HEW ziehen?

Diese Fragestellung stellt einen hohen Anspruch, den wir bis heute nur teilweise einlösen können. Ein Grund dafür ist die Schwierigkeit, die Geschichte der HEW vom Kaiserreich und dem Ersten Weltkrieg, von der November-Revolution und der Weimarer Republik, vom Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg bis hinein in die Bundesrepublik zu rekonstruieren. Teilweise fehlt es an Material, teilweise fehlte es uns an Zeit.

Daher haben wir uns bei unserer Recherche auf die Zeit des Nationalsozialismus bis heute "beschränkt". Gerade der Versuch, die Geschichte der HEW im deutschen Faschismus aufzuspüren, hat dabei für uns überraschende, aber auch beklemmende Erkenntnisse erbracht. Erkenntnisse über die Verwicklungen der HEW mit dem Nazi-Staat, die in zwanzig Jahren Anti-AKW-Bewegung entweder nicht bekannt waren, - oder aber seitens der Anti-AKW-Bewegung bislang nicht zur Kenntnis genommen wurden. Heute jedoch, wo nicht nur von rechten und neofaschistischen Gruppen, Organisationen und Parteien gegen Ausländer und Flüchtlinge zur Hatz geblasen wird, wird es um so dringender, rassistische Strukturen auch in der Energiepolitik aufzudecken. Die Ursprünge der Anti-AKW-Bewegung sind auch mit einer fundamentalen Kritik gegen obrigkeitsstaatliches Denken und dem Atomstaat (Whyl, Brokdorf) verbunden und mündeten im Prinzip der Basisdemokratie. Wir halten es für nötig, daß die Anti-AKW-Bewegung sich aus ihrer Tradition zu demokratiefeindlichen und tendenziell totalitären Politikkonzepten äußert.

In folgenden Aufsatz werden wir auf wesentliche Stationen der HEW-Geschäftspolitik eingehen. Im Dienste des Profits war die HEW an der Vernichtung von KZ-Häftlingen im Nationalsozialismus ebenso beteiligt, wie an dem Völkermord, der derzeit in den Uranabbaugebieten betrieben wird, um die Versorgung für die Atomreaktoren sicherzustellen. Eine dem Uranabbau vergleichbare Zerstörung von Natur und Lebensräumen der indigene Völker wird möglicherweise durch ein Wasserstoff-Projekt, an dem die HEW beteiligt ist, auch in Zukunft fortgesetzt werden.

Die HEW ist ein kapitalistisches Unternehmen. Der Zweck dieses Unternehmens ist der Profit, das Mittel ist die Stromproduktion. Die optimalen Verwertungsbedingungen zu erhalten bzw. zu schaffen, ist vorrangige Aufgabe für die Realisierung dieses Profits aus dem Stromgeschäft, wenn dieses Unternehmen "erfolgreich" sein will. Die wichtigste Frage dieses Unternehmens war und mußte daher sein: welches politische Herrschaftssystem kann dieser Profitmaxime am meisten nützen? Theoretisch läßt sich schlußfolgern: Für ein ausschließlich am Profit orientiertes Unternehmen mußte am Ende der Weimarer Republik und den damaligen Klassenauseinandersetzungen zwischen den Kapitalisten und der Arbeiterbewegung, wenige Jahre nach der erfolgreichen Oktoberrevolution in Rußland und zahlreichen revolutionären Erhebungen und Aufständen in Osteuropa ebenso wie in München (Räterepublik) und Hamburg die faschistische Rassenideologie extrem reizvoll sein. Die Nationalsozialisten tasteten die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse nicht an, stellten aber den Klassenkämpfen eine rassistische, völkische Klassifizierung der Gesellschaft gegenüber. An die Stelle des Klassenkampf sollte der "Rassenkampf" treten. Daß diese Ideologie auch mit Terror und Gewalt zur Macht gebracht werden mußte, störte die ökonomischen Herrschaftseliten nur wenig. Zur Neuordnung der kapitalistischen Herrschaft wurde der Rassismus zur Staatsdoktrin. Praktisch läßt sich diese Schlußfolgerung nicht mit Unterlagen über die HEW belegen. Sie erklärt aber die gute Zusammenarbeit zwischen HEW und faschistischen Machthabern.

Nach der Befreiung vom Faschismus und mit der Entstehung der BRD trat die "soziale Marktwirtschaft" als sozial-ökonomisches Modell und konstituierendes Merkmal neben die Einführung der parlamentarischen Demokratie. An die Stelle des Klassenkampfes (Weimar) und des Rassenkampfes (Drittes Reich) trat nun die Sozialpartnerschaft. Die HEW benutzte diese Strukturen jeweils zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen.

Im folgenden werden wir - soweit uns das in so kurzer Zeit möglich war - die Tätigkeit der HEW in diesen beiden Epochen der politischen und ökonomischen Herrschaft des Bürgertum, unter denen die HEW-Geschäftspolitik stattfand, darlegen, um anschließend einige der aus unserer Sicht bedeutsamen Ergebnisse darzulegen.

 

Von der Gründung bis zur Nazidiktatur

Die HEW wurde 1894 als rein privatkapitalistisches Unternehmen gegründet. Sie hatte die Aufgabe, die Hamburger Stadtgebiete zu elektrifizieren. Von der Stadt Hamburg bekam sie gegen eine Produktionsabgabe und Gewinnbeteiligung die Konzession zur Elektrizitätsversorgung zugestanden. Dies war eine Entscheidung für den zentralisierten Aufbau der Stromversorgung gegen eine Vielzahl von privat betriebenen Blockanlagen. Denn diese kleinen Stromerzeuger durften die öffentlichen Wege nicht überqueren und blieben somit auf einzelne Wohnblocks und Firmen beschränkt.

Da jedoch die HEW anfangs auf die nachteilige Gleichstromtechnologie setzte und die Preise zudem vertraglich fixiert waren, entwickelte sich Hamburg zu einem Hochpreisgebiet, aus dem die Industrie fern blieb. Vor diesem Hintergrund stieg der Senat 1914 mit einer 50%igen Beteiligung bei der HEW ein und erneuerte den Konzessionsvertrag. In diesem Jahr wurden erstmals die Preise nach Tarifkunden und Sonderabnehmern gestaffelt - eine Struktur, die sich bis heute aufrecht erhalten hat. Ziel war es, Industrie und Gewerbe durch niedrigere Strompreise nach Hamburg zu holen. In den zwanziger Jahren begann die HEW eine aggressive Expansionspolitik. Sie wollte bei der deutschen Elektrizitätswirtschaft ganz oben mitmischen. Da ihr Abnahmegebiet jedoch auf Hamburg begrenzt war, konnte sie keine weiteren Preissenkungen durch den Bau noch größerer Kraftwerksanlagen erzielen. Denn dafür fehlten ihr bis dato die Abnehmer. Also war die Expansion ins Umland angesagt, insbesondere in die umliegenden Städte und Gemeinden Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg. Dem Senat wurde diese Expansionspolitik als energiepolitischer Vorgriff auf einen einheitlichen Wirtschaftsraum Groß-Hamburg schmackhaft gemacht. Wäre erst einmal die Stromversorgung der unterelbischen Gebiete in der Hand der HEW, so könnte dem politisch die zentralisierte Verwaltung in Hamburger Hand folgen. Der Senat unterstützte fortan die HEW in diesen Bestrebungen.

Gelang es der HEW in den zwanziger Jahren, einige kleinere kommunalen E-Werke zu übernehmen, so blieben doch die EWU (für Altona und Pinneberg) und die NWK (u.a. Harburg-Wilhelmsburg) die Konkurrenten, die die weitere Expansion der HEW blockierten. Erst die Nazis verhalfen der HEW hier zum Durchbruch. Unter ihnen beschleunigte sich die Übernahme kommunaler und stadteigener Anlagen.

Die HEW im Faschismus

Über die Reichsgruppe Energiewirtschaft arbeitete die HEW am Energiewirtschaftsgesetz mit, das 1935 erlassen wurde. Es diente vor allem der Absicherung der bis dahin entstandenen Gebietsmonopole der wenigen großen Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU). Es ließ Preis- und Gebietsabsprachen zu, ermöglichte die Enteignung kommunaler EVU und förderte die zentralisierte Großkraftwerkstechnologie im Verbundsystem ("Reichssammelschiene"). Dies sollte die energiepolitische Voraussetzung für die beschleunigte Wiederaufrüstung und spätere Kriegswirtschaft schaffen. Die Strommonopolisten sollten gewährleisten, daß immer ausreichend Strom für die Rüstungsindustrie bereitgestellt wird.

Die Nazis wollten Hamburg zur vorherrschenden regionalen Metropole machen. Sie setzten das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 durch. In Folge wurden Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg und weitere Gebiete einverleibt. Damit war verwirklicht worden, was die HEW schon 1921 als Zielvorstellung formuliert hatte. Die beiden Gesetze ermöglichten es der HEW, beschleunigt gemeinde- und stadteigene Kraftwerksanlagen sowie kommunale EVU zu übernehmen und ihr Monopol auszuweiten. Denn ihr Stromversorgungsgebiet wuchs von 415.000 auf 747.000 qkm. Hamburgs Bevölkerung wuchs um eine halbe Million auf knapp 1,7 Mio. Menschen. Die Übernahme kleinerer EVU geschah im engen Zusammenspiel mit den faschistischen Machthabern. Die Zentralisierung der Stromversorgung von Groß-Hamburg bei der HEW verschaffte ihren Expansionsplänen Geltung. Die Faschisten versprachen sich davon eine direkte Steuerbarkeit der Stromversorgung über die HEW. Der größte noch verbliebene regionale Konkurrent der HEW, die Altonaer EWU, wurden dann schließlich 1940 aufgekauft. Die letzte große unabhängige Blockanlage in der Stadt war bereits 1938 stillgelegt worden. Damit wurde Groß-Hamburg strompolitisch von der HEW beherrscht und sie hatte ihre Position im monopolistischen Reichskartell der großen EVU gesichert. Zugleich siedelten sich im Stadtgebiet massiv Rüstungsindustrien an (Metall- und Mineralölverarbeitung, Ausweitung der Werftenindustrie), die den Stromabsatz der HEW in die Höhe schnellen ließen.

Die Bedienung der stark gestiegenen Stromnachfrage machte den Bau eines neuen Kraftwerks erforderlich. Nun konnte die HEW auch an größere Kraftwerkseinheiten denken. Deswegen wurde 1938 mit den Planungen für ein Großkraftwerk mit 140 MW Leistung begonnen. Als Standort wurde Alt-Garge bei Bleckede ausgewählt. Das Kraftwerk wurde bis Kriegsende nicht mehr fertig, wesentliche Bauarbeiten waren aber bereits ausgeführt.

Kontinuitäten

So konnte die HEW nach dem Krieg bruchlos da weitermachen, wo sie unter den Nazis aufgehört hatte. Weder wurden die Aktionäre der HEW enteignet (50% der Aktien gehörten der Stadt, die anderen 50% überwiegend Kleinaktionären) noch das halb fertiggestellte Kraftwerk in Alt-Garge konfisziert. Alt-Garge wurde nach dem Krieg weitergebaut und 1946 in Betrieb genommen. Es leistete den Hauptanteil an der Grundlastversorgung Hamburgs bis Ende der 50er Jahre und sicherte so die ökonomische Existenz der durch den Krieg angeschlagenen HEW. Verstaatlichungsversuche seitens der britischen Ordnungsmacht und des Hamburger Senats konnten vom Vorstand und Kleinaktionären abgewehrt werden.

Bemerkenswert auch die personellen Kontinuitäten in Vorstand und Aufsichtsrat der HEW. Laut HEW-Selbstdarstellung ("Stadt am Strom", S. 94) wurde das Unternehmen wie andere auch von den Nazis "gleichgeschaltet". Über die konkreten Umstände schweigt sich die Selbstdarstellung aus. Es wurden zwar die politischen Vertreter und die Betriebsratsmitarbeiter 1933 aus dem Aufsichtsrat entfernt, viele Industrievertreter blieben jedoch auf ihren Posten. Auch der Vorstand machte nach dem Machtantritt der Nazis weiter, lediglich der Vorsitzende Dr. Albert Bannwarth ging in den Ruhestand und wurde Aufsichtsratsmitglied. Offensichtlich gab es für die Faschisten bei den Vertretern der Industrie und bei der HEW-Spitze nichts mehr "gleichzuschalten". Umso verwunderlicher dann, daß nach '45 zwar erneut die politischen Vertreter im Aufsichtsrat ausgewechselt wurden, die Vertreter der Firmen Commerzbank, Nottebohm und Donner aber bleiben konnten. Und Dr. Bannwarth, der 12 Jahre lang dem Aufsichtsrat der "gleichgeschalteten" HEW angehört hatte, wurde wieder zum Vorstandsvorsitzenden berufen! Hier wird auf personeller Ebene verständlich, warum es nach '45 keinen Bruch bei der HEW mit ihrer bisherigen Expansionspolitik gegeben hat und insbesondere der Einsatz von KZ-Häftlingen in Alt-Garge (siehe im Anschluß) jahrzehntelang unerwähnt blieb. Immerhin mußten aber zwei Vorstandsmitglieder auf Anweisung der britischen Militärregierung ausscheiden.

Es gibt noch andere Kontinuitäten. Auch die Kundenzentren der HEW haben ihren Ursprung im Faschismus. 1933 entstand die "Elektro-Gemeinschaft Hamburg", ein Zusammenschluß von Elektro-Installateuren, dem Fachhandel und der HEW. Sie sollte die Kunden mit elektrischen Geräten versorgen, vor allem aber mit Rundfunkgeräten. Daran hatte der nationalsozialistische Propagandaapparat ein besonderes Interesse. In diesem Zusammenhang wurde 1934 beim Verwaltungsgebäude der HEW die "Elektroschau" eingerichtet, die wohl als das erste HEW-Kundenzentrum gelten kann. Diese "Elektroschau" wurde 1947 wiedereröffnet und dient seitdem der konsequenten Förderung des Stromabsatzes in Haushalten.

Die HEW und die Zwangsarbeiter der

Außenstelle Alt-Garge des KZ Neuengamme

Die HEW baute im Nationalsozialismus nicht nur ihre wirtschaftliche Machtstellung aus. Auch um die nationalsozialistische Wirtschafts- und Kriegspolitik machten sich die HEW verdient und erhielten dafür die Auszeichnung als nationalsozialistischer Musterbetrieb. Im Zusammenhang mit den faschistischen Kriegsvorbereitungen begann die HEW 1938/39 mit der Planung eines Kohlekraftwerks. Als Standort wählten sie in Erwartung des bevorstehenden Krieges Alt-Garge gegenüber von Lauenburg. Dort sollte das Kraftwerk direkt an die Elbe in den Hang gebaut werden. Dies erforderte aufwendige Vorarbeiten.

Mit den Bauarbeiten wurde im Jahr 1941 begonnen. Da aufgrund des Krieges Arbeitskräftemangel bestand, wurden für die erforderlichen Vorarbeiten (Erdarbeiten, Gleisbauarbeiten) Kriegsgefangene eingesetzt.

In Alt-Garge wurde von der Wehrmacht ein Lager für etwa 1000 kroatische, serbische und slowenische Kriegsgefangene (Lager A) eingerichtet. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene stellten somit die ersten Kolonnen für die Planierungsarbeiten und den Aufbau des neuen HEW-Werks. Über ihr Schicksal ist bis heute fast nichts bekannt. Das "Kroatenlager" ist spätestens im Frühjahr oder Sommer 1944 aufgelöst worden.

Im August 1944 wurde ein zweites Lager, das "Lager B", als Außenkommando des KZ Neuengamme eröffnet. Am 25. August 1944 kam ein erster Transport mit 500 polnischen Widerstandskämpfern an, die am Warschauer Aufstand teilgenommen hatten. Unzureichend verpflegt und bekleidet, mußten sie schwerste körperliche Arbeiten leisten, wobei mindestens 50 Häftlinge durch Entkräftung, Mißhandlungen und Arbeitsunfälle ums Leben kamen. Ein Häftling berichtet über diese Mißhandlungen: "Dezember 1944 lag der Kamerad Majewicz nach einer Rippenfellentzündung mit starkem Fieber und Geschwüren im Revier. Eines Morgens wurde er von seiner Pritsche gejagt und - obschon es über seine Kräfte ging - an den Arbeitsplatz im Freien geschleppt. Da lag er bis zum Arbeitsschluß um 18 Uhr. Dann wurde er von seinen Kameraden wieder ins Lager und ins Revier transportiert." (s. John Hopp) Als Ersatz kamen Häftlinge verschiedener Nationalität, darunter etwa 20 norwegische und 70 dänische Widerstandskämpfer.

Als Generalunternehmer des Bauvorhabens Alt-Garge war die HEW für das Schicksal der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unmittelbar verantwortlich. Die Leitung der HEW-Kraftwerksbausstelle rechnete den "Arbeitseinsatz" der KZ-Häftlinge direkt mit der Lagerkasse des KZ Neuengamme ab.

Noch im Januar 1945 berichtete der "Werksbeauftrage Osthannover", Heinemann, an das Rüstungsministerium, daß "das SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt, Amtsgruppe D, (...) beabsichtigt, die etwa 350 in Osthannover eingesetzten Sträflinge zur anderweitigen Verwendung abzuziehen. Die HEW haben sofort schriftlich bei dieser Stelle Einspruch erhoben und gebeten, die Häftlinge bis zum 15.3.1945 im Einsatz zu lassen. Sie werden sich inzwischen bemühen, Polen oder Italiener als Ersatz zu bekommen. Ich bitte Sie, die Bemühungen der HEW dadurch zu unterstützen, daß Sie sich mit dem zuständigen Herrn der Amtsgruppe D, Standartenführer Maurer, in Verbindung setzen und Verlängerung des Einsatzes befürworten."

Trotz derartiger Beweise für ihre direkte Verantwortung als Generalunternehmer hat die HEW bis heute Entschädigungsforderungen ehemaliger KZ-Häftlinge abgelehnt. 1985 hatte die HEW-Hauptverwaltung Post von einem ehemaligen KZ-Häftling erhalten, der in Alt-Garge für die HEW ausgebeutet worden war. Die HEW-Führung antwortete folgendermaßen: "Gewiß sind Sie mit uns der Meinung, daß Sie zu keiner Zeit bei unserem Unternehmen beschäftigt waren und auch kein Mitarbeiter unseres Unternehmens Ihnen Schaden zugefügt hat."

Tatsächlich befanden sich die KZ-Häftlinge in keinem "ordentlichen Arbeitsverhältnis" mit den sie ausbeutenden Firmen, weil das nazistische "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" sie aufgrund besonderer Zusatzerlasse in rassistischer Diskriminierungsabsicht von der "Betriebsgemeinschaft" ausschloß. Dieses Gesetz ist 1945 vom Alliierten Kontrollrat als typische nazistisches Gesetz annulliert worden. Und auf diese nazirassistische Diskriminierung berief sich die HEW-Führung in ihrer Korrespondenz mit dem ehemaligen KZ-Häftling, ohne sie allerdings offen beim Namen zu nennen. Die HEW-Hauptverwaltung hat sich noch 1985/86 als eine Konzernspitze präsentiert, die bewußt und planvoll an ihrer Nazivergangenheit festhält. Bis zum Mai 1994 hatte die HEW ihre Auffassung nicht geändert. Am 25. Mai erhielt der HEW-Vorstand abermals Post aus Polen. Neun Überlebende aus Alt-Garge hatten die HEW schriftlich erneut zur Zahlung einer Entschädigung aufgefordert. Diesmal reagierte die HEW moderater. Gegenüber der Presse ließ sie verlautbaren, daß zunächst geprüft werden solle, ob die Überlebenden bereits aus Bundesmitteln Zahlungen erhalten haben. Sei dies nicht der Fall, so die HEW, werde eine Entschädigungszahlung wohlwollend geprüft. Angemerkt sei dazu nur soviel: Seit rund zwei Jahren besteht eine deutsch-polnische Stiftung, deren Aufgabe die Regelung von Entschädigungszahlungen in Polen ist. Die BRD hat dafür 500 Millionen DM eingezahlt. Dabei hat die Bundesregierung jedoch die Aufforderung des Bundestages, die deutsche Industrie zu einer zusätzlichen Finanzierung zu gewinnen, bisher ignoriert. Darüber hinaus kann sich die HEW mit dem Hinweis auf Bundeszahlungen nicht aus ihrer besonderen Verantwortung gegenüber den KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern aus Alt-Garge entziehen. Die Ausbeutung und Vernichtung der Häftlinge in Alt-Garge geschah zum Nutzen der HEW.

In ihrer Jubiläumsschrift "Stadt am Strom" geht die HEW immerhin etwas auf den Zwangsarbeitereinsatz in Alt-Garge ein. Dabei mag eine Rolle gespielt haben, daß die Veröffentlichungen von John Hopp und Grit Petersen (siehe Quellen) kaum zu ignorieren waren. Zwar ist es zu begrüßen, daß die HEW nicht länger diesen Teil ihrer Geschichte totschweigt. Dennoch: Die Entschädigungsforderungen, die '85/'86 an die HEW gerichtet wurden, bleiben völlig unerwähnt.

Darüber hinaus liegen weitere Verdachtsmomente vor, die eine noch weitergehende Verstrickung der HEW in die Ausbeutung von Zwangsarbeitern erkennbar werden läßt. Ralph Giordano erwähnt in seinem Roman "Die Bertinis" an mehreren Stellen die HEW, in einer Konkretheit, die den Verdacht nahelegt, daß die historischen Fakten zutreffend sein könnten: So wird berichtet, wie die HEW einen Mitarbeiter entlassen hat, der in einer jüdischen Mischehe lebte. Dienstverpflichtete Männer aus jüdischen Mischehen wurden auf dem HEW-Kraftwerksgelände in Neuhof zu Zwangsarbeitseinsätzen herangezogen. Ebenfalls in Neuhof sind auf HEW-Gelände polnische Zwangsarbeiter eingesetzt worden, die zuvor wie die Gefangenen in Alt-Garge am Warschauer Aufstand teilgenommen hatten. Auch Roma und Cinti, so berichtet Giordano in seinem Buch, sind auf dem HEW-Gelände in Neuhof eingesetzt worden.

Historische Belege und Quellen, die diese Bemerkungen von Ralph Giordano, belegen können, haben wir bisher nicht aufspüren können. Allerdings werten wir diese Schilderungen von Giordano als Indizien. In dem Roman "Die Bertinis" sind, so der Klappentext der Taschenbuchausgabe, das "Geschehen und die Figuren frei gestaltet." Aber, so kann aus diesem Satz gefolgert werden, nicht erfunden. Außerdem hat der Autor mit "seiner Phantasie die nackte Realität überhöht". Aber sie baut eben doch auf Realität auf. Wir können dies nur so interpretieren: Die Personen und das Geschehen entspringen der Phantasie, nicht aber die HEW und die ihnen zugeordnete "nackte Realität."

Es wird Sache der Faschismusforschung in Hamburg sein, diese Hinweise zu untersuchen und aufzuklären, ob sie den Tatsachen entsprechen oder nicht. Soweit es uns möglich sein wird, werden wir versuchen, unseren Beitrag dazu zu leisten.

Die HEW haben den Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik weitgehend unbeschadet überstanden. Ihre im Dritten Reich erlangte wirtschaftliche Stellung in Norddeutschland blieb auch durch die Alliierten unangetastet. Fortgesetzt hat sie später auch ihre menschenvernichtende Politik. Damit meinen wir vor allem den Uranabbau, der für den Betrieb der Atomkraftwerke erforderlich ist. Im Vorgriff auf spätere Kapitel zu Unterelbeindustrialisierung und Atomenergie zeigen wir in den folgenden Beiträgen auf, welch zerstörerische Folgen der Uranabbau hat und daß der Bezug von Uran durchaus rassistische Merkmale aufweist.

Uranabbau: Menschenrechtsverletzungen

und Umweltzerstörung

Laut einer Informationsbroschüre der HEW ist Uran ein billiger Rohstoff, von dem praktischerweise nicht allzu große Mengen gebraucht werden. So wird das Image der "sauberen Kernenergie" gewahrt. Wer mehr darüber wissen möchte, sollte besser nicht die HEW fragen. Denn die brachte es fertig, auf eine Anfrage in der Hamburger Bürgerschaft 1992 zu antworten, Gesundheitsgefahren durch Uranabbau wären ihnen nicht bekannt. Dabei haben unabhängige Wissenschaftler und Betroffene aus den Uranabbaugebieten seit Jahrzehnten die verheerenden Folgen des Uranabbaus in zahlreichen Veröffentlichungen dargestellt.

Uran kommt nirgendwo auf Erden in reiner Form vor. Es ist immer in anderes Gestein eingebunden. Sobald an diesem Gestein gerührt wird, findet radioaktives Radongas - ein Zwischenprodukt in der langen Zerfallsreihe des Urans zu endlich nicht mehr strahlendem Blei - seinen Weg in die Atmosphäre und erhöht die Strahlenbelastung in der Umgebung. Besonders im Untertage-Bergbau sind die Bergleute hochgradig gefährdet, durch dieses Gas u.a. an Lungenkrebs zu erkranken.

Um an den brauchbaren, d.h. im Reaktor spaltbaren, Anteil Uran 235 heranzukommen, müssen riesige Mengen Erz abgebaut werden. Die HEW brauchen für ihre beiden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel ca. 44 t Uran im Jahr, was etwa 550 t Natururan entspricht. Für diese gering erscheinende Menge müssen - je nach Urangehalt - 30.000 bis 1.200.000 t Erz abgebaut werden.

Und der nicht verwertbare Abraum strahlt. Etwa 85% der Radioaktivität bleiben in ihm zurück. In der zerstörten Landschaft der Uranabbaugebiete liegen Berge aus strahlendem Abraum und große Seen mit flüssigen strahlenden und chemisch giftigen Rückständen aus der Erzverarbeitung. Anders als alle anderen Bergbauhinterlassenschaften, die man in der Regel nach 100 bis 200 Jahren vergessen kann, weil sie vollständig renaturiert sind, stellen diese strahlenden Abfälle für unvorstellbar lange Zeit eine riesige Gefahr für die Umwelt dar. Radioaktiver Staub und Radongas werden durch den Wind weiträumig verteilt. Durch Auswaschungen bei Regen oder Überschwemmungen werden Böden, Grund- und Oberflächenwasser kontaminiert und die gefährlichen Stoffe gelangen unweigerlich in die Nahrungskette. Auch große Unfälle, wie Dammbrüche bei den künstlichen Schlammseen, kommen immer wieder vor.

Drei Viertel des Uranerzes wird in Regionen der Welt abgebaut, in denen indigene Völker (Ureinwohner, in Nordamerika nennen sie sich selbst native americans) leben, für die eine intakte Umwelt absolut lebensnotwendig ist. Sie profitieren in der Regel nicht am großen Geschäft mit dem Uran, sondern sind die ersten, die unter den fatalen Folgen des Uranabbaus zu leiden haben. Ihr Trinkwasser wird verseucht, Wild, Fische und Pflanzen gehen zugrunde, Krebs und andere strahlenbedingte Krankheiten, Fehl- und Totgeburten sowie Behinderungen nehmen zu, bei Mensch und Tier.

Interessanterweise gibt es bei nahezu allen indigenen Völkern, auf deren Territorien Uran vorkommt, sei es nun in Australien, Kanada, den USA, Südafrika oder Peru, Überlieferungen, die die Uranerzlagerstätten mit Tabus belegen, die Tod und Vernichtung voraussagen, wenn gerade dort in der Erde gegraben wird. Es ist bezeichnend für die Arroganz der Industrienationen, wie sie sich über dieses uralte Wissen der Menschen, die am nächsten am Uran wohnen, hinwegsetzen. Manche Vertreter der "Zivilisation" brüsten sich noch immer damit, daß sie diesen Menschen den "Fortschritt" bringen.

Die HEW baut selber kein Uran ab und sind auch nicht direkt an den Minen beteiligt, sie kaufen es nur ein. Aus diesem Grund behaupten sie stets, für die Folgen des Uranabbaus nicht zuständig zu sein. Die HEW erzeugt ihren Strom größtenteils aus Uran. Deswegen muß die Frage nach den Auswirkungen ihrer Produktionsweise gestellt werden.

Die HEW bezieht ihr Uran aus mehreren Ländern (Bü.-Drucksache 14/2527, Zahlen für 1991):

Kanada

2094 t

afrikanische Länder

1763 t

Australien

835 t

USA

63 t

Das Uran aus Kanada bezieht die HEW von der CAMECO (Canadian Mining and Energy Corporation), die u.a. die Mine Key Lake betreibt, die zu 98% auf indigenem Land liegt (Cree/Dene).

Uranabbau gefährdet das Überleben von Menschen, Tieren und der gesamten Natur egal wo er stattfindet. Da die HEW den größten Teil des Urans für ihre Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel aus Kanada beziehen, soll im folgenden der Uranabbau im Norden der kanadischen Provinz Saskatchewan als Beispiel herangezogen werden:

Kanada nennt sich einen demokratischen Staat, von dem erwartet werden könnte, daß er die Rechte seiner Minderheiten achtet und deren Leben schützt. Die Realität - nicht nur - in den Uranabbaugebieten sieht jedoch anders aus.

Nordsaskatchewan ist eines der uranreichsten Gebiete der Erde. Zahlreiche Uranminen und Uranverarbeitungsbetriebe haben seit Anfang der 50er Jahre irreparable Umweltschäden in der waldreichen Fluß- und Seenlandschaft angerichtet, in der die Gewässer untereinander in Verbindung stehen. Wie ein Flickenteppich ist das Land übersät mit vom Uranabbau verseuchten Gegenden, die von der kanadischen Regierung als "Opfergebiete" bezeichnet werden, um die Tatsache zu unterstreichen, daß sie auf Jahrtausende nicht mehr für menschliche Nutzung zu gebrauchen sind.

Die Region ist dünn besiedelt. Zwei Drittel der Bewohner sind indigener Abstammung. Ihre Lebensumstände sind für kanadische Verhältnisse sehr schlecht. Die Menschen leben in großer Armut, die Lebenserwartung ist niedriger als im übrigen Kanada, die Arbeitslosigkeit beträgt 90%. Die Uranfirmen versprachen Arbeit und Wohlstand. Tatsächlich wurden aber nur sehr wenige Bewohner des Nordens beschäftigt. Die Firmen brachten eigenes Personal aus den Süden mit. Die Bewohner des Nordens kamen noch nicht einmal in den Genuß von Verkehrswegen. Im Norden der Provinz führen alle Straßen zu den Uranminen, nicht zu menschlichen Ansiedlungen.

Als Mitte der achtziger Jahre am Wollaston See, ein autonomes Reservatsgebiet der Chipewyans, neue Uranminen in Betrieb gehen sollten, bekamen die Betreiber zum ersten Mal geschlossenen Widerstand zu spüren. Die native americans wußten aus Erfahrung mit der benachbarten Rabbit Lake Mine, daß die Minen den See, ihre Trinkwasser- und Nahrungsquelle, vergiften würden und ihr Überleben dann nicht mehr möglich wäre. Die Projekte wurden mit Gewalt gegen den Willen der Anwohner durchgesetzt. Als Rechtsgrundlagen diente der Regierung ein 90 Jahre alter Vertrag (Treaty No. 10), der ihr Bergbaurechte in den Reservaten einräumt, den native americans aber das Recht auf freie Nutzung ihre Landes, auf Jagd und Fischfang garantiert. Vergebens weisen die native americans bis heute darauf hin, daß diese Garantien mit dem Uranabbau nicht vereinbar sind. Zur Armut kommt jetzt die Not durch die Folgen des Uranabbaus. In vielen Gegenden gibt es überhaupt kein sauberes Trinkwasser mehr. Jagd und Fischfang sind kaum noch möglich, sei es wegen der Belastung der Tiere oder weil diese durch die Umweltvergiftung aussterben. Krebserkrankungen und angeborene Krankheiten bei Kindern kommen so häufig vor, daß es an die Situation im Umkreis von Tschernobyl oder in den Atomtestgebieten erinnert.

Es hat so viele Unfälle in den Minen gegeben, bei denen Radioaktivität frei wurde, daß selbst ein Sprecher der Rabbit-Lake-Mine zugeben mußte, daß es wahrscheinlich zu viele seien, um sie zu zählen. Einer der größten Unfälle ereignete sich 1984, als der Damm des Abfallsees der Key-Lake-Mine brach und sich ca. 100 Millionen Liter kontaminiertes Wasser in den Key Lake ergossen.

Durch die Sorglosigkeit in den Anfangsjahren des Uranabbaus und die fehlende Aufklärung der Bevölkerung wurde Material von strahlenden Uranabraumhalden sogar als Baumaterial für Häuser, Straßen, Schulen und andere öffentliche Gebäude verwendet.

Es gibt zunehmenden Widerstand der Einwohner Saskatchewans gegen die Zerstörung ihres Landes. Zwölf weitere Minenprojekte sind dort geplant. Dank heftigen Protests der Einwohner und internationaler Kritik an dem Vorhaben kam es zum ersten Mal zu einer ernsthaften Prüfung dieser Pläne auf ihre Umweltverträglichkeit durch eine Kommission. Bislang sind so erst drei neue Uranminen genehmigt worden, und zwar mit so hohen Umweltauflagen, daß die Betreiberfirmen sich möglicherweise aus Kostengründen aus dem Vorhaben zurückziehen werden. Das Märchen vom billigen Atomstrom wird, wenn die Opfer nicht mehr stillhalten, endgültig unglaubwürdig.

Auf der UNO-Konferenz für nachhaltige Entwicklung wurde gerade wieder festgestellt, daß angesichts der riesigen Umwelt- und sozialen Probleme der Welt auch von der Wirtschaft globales Denken und verantwortliches Handeln gefordert werden muß. Mit der Haltung der HEW, die sich für die Folgen ihrer Produktionsweise hinter ihrer Haustür nicht mehr zuständig fühlt, verträgt sich das vermutlich nicht.

URANABBAU: VÖLKERMORD UND AUSDRUCK

RASSISTISCHER STRUKTUREN HIERZULANDE

Von den vorab geschilderten sozioökonomischen Auswirkungen des Uranabbaus in Kanada sind vorwiegend indigene Bevölkerungsgruppen betroffen. Die durch den Uranabbau bedingten Folgen entziehen den indigenen Völkern ihre Lebensgrundlage und führen in direkter Folge zu einem Genozid (= Völkermord). Aus dieser Tatsache lassen sich Parallelen ableiten, die die Unternehmenstrategie der HEW betreffen. Zur Zeit des Faschismus hatte die HEW unter Zuhilfenahme des unfreiwilligen Arbeitseinsatzes von KZ-Häftlingen ihr Energieunternehmen ausgebaut. Heute sind es indigene Völker, auf deren Kosten die HEW ihre derzeitige Energiepolitik aufrechterhalten kann. Durch den Kauf des Urans von Händlern und Produzenten ist die HEW mittelbar beteiligt an den Folgen des Uranabbaus.

Die Problematik des Uranabbaus nimmt die HEW nicht zur Kenntnis und verweist bei Nachfragen (s. Bü.-Dr. 14/2527) nach ihrer Verantwortung auf den Zuständigkeitsbereich der jeweiligen nationalen politischen Ebene, die die Rechte indigener Völker zu regeln habe. Die festgesetzten Grenzwerte für Radioaktivität der Uranminen und -verarbeitungsanlagen sind in Kanada praktisch lebensbedrohend. Die Genehmigungen der kanadischen Behörde AECB lassen Schwermetall- und Radioaktivitätsabgaben von Uranminen und -mühlen zu, die das Trinkwasser der Menschen verseuchen und Wasserlebewesen vergiften. Für die geschilderten Folgen ist die HEW aufgrund ihrer Atomstrompolitik mitverantwortlich.

Der größte Teil der indigenen Bevölkerung Kanadas spricht sich gegen den Uranabbau auf ihrem Land aus. Seit der Kolonisierung Kanadas durch europäische EinwanderInnen begann der Kampf der UreinwohnerInnen um ihre Landrechte. Das bedeutet bis heute, daß jeder Landanspruch und damit die Nutzung des Landes durch bundesstaatliche Reglementierungen beantwortet wird. Den UreinwohnerInnen Kanadas wird somit die Möglichkeit entzogen, über die wirtschaftliche Nutzung ihrer angestammten Territorien selbst zu entscheiden. Die bundesstaatlichen Behörden diktieren wo, wann und wie auf indigenem Territorium Bodenschatzabbau betrieben werden kann und das beinhaltet in der Regel die Verletzung indigener (Land)Rechte.

Bis heute erklären die UreinwohnerInnen, daß sie ihre Landrechte niemals abgetreten haben. Zum Teil existieren keine Gesetze, die eine Landabgabe geregelt hätten, noch ist jemals ein Preis vereinbart worden, um indigenes Land zu (ver)kaufen. Dennoch hat die kanadische Regierung Gesetze verabschiedet, in denen die Vergabe von indigenem Land an Weiße ermöglicht wurde. Ungeregelte indigene Landrechtsansprüche nehmen gemessen an der Landfläche Kanadas immerhin 40% ein. In diesen Fällen existieren keine Verträge, die eine Nutzung seitens der Uranindustrie rechtfertigen würden.

Im Frühjahr 1987 endete die Verfassungskonferenz, die das Recht der Eingeborenen Kanadas auf Autonomie innerhalb der Verfassung verankern sollte, ohne Erfolg. Die native americans Kanadas werden weiterhin in allen sozioökonomischen Belangen diskriminiert. Die Cree haben sich daher u.a. an die UN-Menschenrechtskommission gewandt, wo Kanada bereits mehrfach wegen Menschenrechtsverletzungen gegenüber indigenen Nationen kritisiert wurde.

Das Ignorieren der Forderungen der UreinwohnerInnen, den Uranabbau auf ihrem Land zu stoppen, kann solange fortgesetzt werden, wie es Abnehmer für Uran gibt. Alle Belange der Sicherung indigener Interessen der kanadischen Regierung zu überlassen, heißt die dortige Praxis zu unterstützen, die die UreinwohnerInnen einer permanenten radioaktiven Strahlung aussetzt. Die Nachfrage der HEW nach Uran beinhaltet somit die permanente Verletzung indigener Rechte. Mit der Verlagerung der Problematik des Uranabbaus nach Kanada glaubt die HEW in der Lage zu sein, die Verantwortung für die entstehenden Folgen von sich weisen zu können.

Würde das Uran für deutsche AKW`s hier abgebaut, müßten die Betreiber für die Sicherung stillgelegter Bergwerke und die Rekultivierung (wenn überhaupt möglich) zerstörter Flächen aufkommen. Sie sparen diese Kosten durch die Methode des "Problem-Exports" zum Land indigener Völker, deren Rechte staatlicher Diskriminierung unterliegen. Deswegen ist das Uran aus den Gebieten indigener Völker auf dem Weltmarkt auch so "billig" zu haben. Daraus ergibt sich eine Verpflichtung der Nutznießer zur Wiedergutmachung.

Der Versuch eines Brückenschlages von der Vergangenheit (die nicht vergangen ist) über die Gegenwart in die Zukunft der Wirtschaftstätigkeit hat uns zu einer Technologie geführt, die heute von vielen Kreisen auch innerhalb der Anti-AKW-Bewegung als zukunftsweisend und wünschenswert betrachtet wird: Die Wasserstofftechnologie. Nicht diese Technologie, wohl aber die derzeitigen Bedingungen und Planungen, wie diese unter aktiver Beteiligung der HEW derzeit angegangen wird, haben uns mehr als nachdenklich gemacht. Denn wie der Uranabbau soll die Wasserstoffproduktion auf den Gebieten der indigenen Nationen Kanadas betrieben werden.

Wasserstoffimporte - die Fortsetzung

der alten Politik mit neuen Energieträgern

Als einen möglichen Nachfolger der Atomtechnologie hat sich die HEW die Wasserstofftechnologie ausgeguckt. Bislang müssen regenerative Energien (Sonnen-, Wind- und Wasserenergie) in dem Moment genutzt werden, in dem sie erzeugt wird. Wasserstoff könnte sich als Speicher- und Transportmedium für regenerative Energien eignen. Technisch gesehen funktioniert das so: Wasser wird mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt. Der so gewonnene Wasserstoff wird zum Verwendungsort transportiert und dort bis zur Verwendung gelagert. In Gasturbinen oder in Brennstoffzellen kann er dann zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Wie ökologisch diese Art von Stromlagerung ist, wird sich erst noch klären müssen. Zweifelhaft wird es dann, wenn zum Transport und zur Lagerung des Wasserstoffs giftige Chemikalien eingesetzt werden. Davon abgesehen ist jedoch das größte Problem, wo der Wasserstoff erzeugt wird. Denn die HEW denkt hier typischerweise in erster Linie nicht an die Windräder in Norddeutschland, sondern an Staudämme in Kanada.

Die HEW ist mit 20% an der GHW (Gesellschaft für Hochleistungselektrolyseure zur Wasserstofferzeugung) beteiligt (weitere Beteiligungen: Dasa 40%, Linde AG 40%), die in Hamburg Demonstrationsanlagen sowohl für die Wasserstofferzeugung als auch dessen Anwendung in einer Brennstoffzelle (Produktion von Strom und Fernwärme) planen. Parallel dazu ist die HEW zusammen mit 20 weiteren deutschen Firmen am kanadischen Euro-Quebec Hydro-Hydrogen Pilot Project beteiligt. Dort soll zunächst in einem 100-MW-Projekt die großtechnologische Anwendung von Wasserstoff - Erzeugung, Transport über den Ozean, Anwendung in Europa - erprobt werden. Sollte das Projekt erfolgreich sein und u.a. die HEW große Mengen Wasserstoff nachfragen (z.B. weil sie damit später die AKW ersetzen will), dann soll in der James Bay in Quebec ein Riesen-Staudammkraftwerk mit einem Flächenbedarf von 4485 qkm gebaut werden. Das hätte den Ethnozid der dort lebenden indigenen Völker und ökologische Katastrophen zur Folge. Denn das betroffene Gebiet ist der am dichtesten besiedelte Lebensraum der Cree und der Inuit, die dort traditionell vom Jagen, Fallenstellen und Fischen leben. Ihnen wäre mit einem Schlag ihre Lebensgrundlage entzogen, eine Umsiedlung hätte eine Auflösung ihrer sozialen Strukturen zur Folge. Ökologisch gesehen würde u.a. der Treibhauseffekt verstärkt, denn die unter Wasser gesetzten Waldgebiete setzen Methan und COČ frei. Das Aufstauen der Wassermassen würde die Flußläufe verändern und nachhaltig in die Tierwelt eingreifen. Nistplätze und übliche Wanderrouten würden zerstört und dadurch viele einheimische Tiere vernichtet.

Dies alles macht deutlich, daß dieser scheinbar umweltfreundliche Energieträger wiederum verheerende Wirkungen in seiner Herstellung zeitigt und in seiner Struktur (HEW kauft auf dem Weltmarkt Energieträger ein und kümmert sich nicht um die Herstellungsbedingungen) dem Uranabbau sehr ähnlich ist. Gerade jetzt werden aber die Voraussetzungen geschaffen, um tatsächlich in den nächsten Jahrzehnten massenhaft in die Wasserstofftechnologie - und damit in den Bau von Mega-Staudämmen - einzusteigen.

  

Rassismus in der Chefetage

Die dargelegten Etappen aus der Geschichte der HEW ergeben aus unserer Sicht durchaus einen Zusammenhang. Dabei ist einerseits das Profitinteresse eines der mächtigsten norddeutschen Konzerne ausschlaggebend. Doch das allein würde nicht ausreichen, um das Engagement der HEW zwischen Zwangsarbeit im Faschismus und dem Umgang damit heute, sowie die Beteiligung am Völkermord gegen die indigenen Völker Kanadas hinreichend zu erklären.

Der Rassismus der Eroberer und Kolonialisten des nordamerikanischen Kontinents hat dazu geführt, daß die indigenen Nationen weitgehend ausgerottet wurden. Die letzten Überlebenden wurden in Reservate auf für die weißen Siedler totem Land gesperrt. Doch selbst dieses "Tote Land" bot für die indigenen Nationen keine Sicherheit. Die Geschichte der Vernichtung der indigenen Völker in Nordamerika nahm ihre Fortsetzung, nachdem die militärischen und später "zivilen" Segnungen des Urans entdeckt wurden. Denn genau dieses Uran fand sich in der Folge auf den Gebieten, in denen diese Nationen ihre letzten Zufluchtsstätten erhalten hatten. Das "Tote Land" bestand aus den größten und ergiebigsten Uranerzvorkommen.

"Das Uran muß in der Erde bleiben" ist eine der Forderungen der indigenen Völker, der wir uns angesichts der ökologischen, militärischen und "zivilen" Gefahrenpotentiale voll anschließen.

Allerdings ist für uns auch wichtig, die Motivationen solchen Handelns, an dem die HEW beteiligt ist, herauszustellen. Was treibt ein Unternehmen wie die HEW dazu, ihren Uranbedarf unter Beteiligung am Völkermord zu beschaffen und es in Atomkraftwerken einzusetzen, die im Falle eines jederzeit möglichen Super-GAUs den nordeuropäischen Kontinent unbewohnbar machen können?

Menschenverachtung, war unsere erste Antwort. Kapitalistisches Profitinteresse war die zweite Antwort. Doch bei genauerem hinsehen waren uns diese Antworten nicht ausreichend.

Sämtliche Uranerzminen, die es in der Bundesrepublik gibt, sind in den vergangenen Jahren dichtgemacht worden. Bemerkenswert ist sicherlich die Tatsache, daß auch die Wismut-AG, ein Uranabbaugebiet, daß jahrzehntelang zu fast einem Drittel an der realsozialistischen Uranproduktion beteiligt war, umgehend geschlossen wurde, nachdem die DDR aufgehört hatte zu existieren. Entscheidend waren dafür aber nicht so sehr wirtschaftliche Überlegungen, sondern vor allem ökologische. Denn die Umweltbelastungen und Altlasten ebenso wie die gesundheitlichen Risiken waren derart gravierend, daß der Weiterbetrieb dieser Abbaustätten zu schweren politischen Auseinandersetzungen geführt hätte.

Nun gibt es keinerlei Grund anzunehmen, daß die Belastungen und Folgen des Uranabbaus in Kanada (oder Australien, USA ...) nicht zumindest vergleichbar wären. Doch offenbar ist es ein Unterschied, ob man Mitteleuropäern derartige Belastungen zumutet oder aber "irgendwelchen unzivilisierten Indianern". Wir sehen in der Geschäftspraxis der HEW daher nicht nur ein "normales" kapitalistisches Interesse sondern auch ein rassistisches Verhalten.

Um es verständlicher zu machen: Der Uranabbau in Kanada führt zum Völkermord an den indigenen Nationen, denn deren Kultur und Existenz ist angesichts deren Wertevorstellungen, deren Religion und Verbundenheit zu ihrer Heimat akut bedroht. Da sterben nicht nur Menschen, sondern Völker, die mit ihrer Tradition und Geschichte, mit ihrer Religion und Gegenwart einzigartig und von "unseren" westlichen Traditionen und Wertvorstellungen gänzlich zu unterscheiden sind.

Dieser Unterschied ist gemeint, wenn wir den HEW rassistische Geschäftspraktiken vorwerfen, die sie mit dem Einkauf von Uran von Regierungen betreiben, die ihrerseits Uranabbau auf Kosten der indigenen Völker betreiben. Zwar sind wir der Meinung, daß das Uran in der Erde bleiben soll, nicht nur in Kanada, sondern überall. Aber: Wenn die HEW ihre AKWs weiter betreiben wollen, was wir entschieden bekämpfen werden, dann sollen sie das dafür notwendige Uran dort besorgen, wo Völkermord ausgeschlossen werden kann, und die dabei entstehenden Konflikte mit den dort lebenden Menschen lösen. Damit wäre dann Uranabbau auch nicht zu akzeptieren. Aber die HEW müßte die Auseinandersetzung mit einer Bevölkerung eingehen, die nicht zusätzlich rassistisch diskriminiert wird und als Verbraucher von Atomstrom dann auch mit dessen negativen Folgen konfrontiert wird.

Die Verweigerung der Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln kennen wir aus dem Nationalsozialismus und der beschämenden Umgehensweise der HEW mit ihrer eigenen Vergangenheit. Noch vor wenigen Jahren lehnte die HEW das Ansinnen eines ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters ab, der für seine erzwungene Arbeit beim Bau des HEW-Kraftwerks in Alt-Garge entschädigt werden wollte. Die Begründung dieser Ablehnung macht deutlich, wie lebendig die nazistische Vergangenheit noch heute ist. Ohne sie beim Namen zu nennen lehnten die HEW eine Entschädigungszahlung ab, indem sie die nationalsozialistische Gesetzgebung heranzogen, nach der der ehemalige Zwangsarbeiter nicht bei den HEW angestellt war. Nach dem Motto, was damals Recht war muß auch heute rechtens sein, bestätigten die HEW, daß moralische oder völkerrechtliche Kategorien dann keine Rolle spielen, wenn es der eigenen Geschäftspolitik nützt.

Wer sich wie die HEW auf faschistisches Recht auch nur indirekt positiv bezieht, der muß sich vorwerfen lassen, ein bestenfalls funktionelles Verhältnis zu diesem durch und durch rassistischen Rechtssystem zu haben. Eine demokratische, moralische und antifaschistische Wertestruktur hätte ein deutlich anderes Vorgehen der HEW als Reaktion auf das Ansinnen des ehemaligen Zwangsarbeiters aus Polen erwarten lassen müssen.

Das kapitalistische Verwertungsinteresse der HEW hat zur Folge, daß sich dieses Unternehmen opportunistisch in die jeweiligen Herrschaftssysteme, die diese Eigentumsverhältnisse respektierten, eingeordnet hat. Dort, wo sich diese Eigentumsverhältnisse nur über eine völkische, rassistische Politik erhalten ließen, hat die HEW sich diesem System eingepaßt, es unterstützt und zu ihrem ökonomischen Vorteil benutzt. Moralische oder ethische Skrupel hat die HEW offenbar nicht geplagt.

Der Rassismus der Nationalsozialisten, der Ausgangspunkt für die Vernichtung der "Ostarbeiter" in Konzentrationslagern und Zwangsarbeitseinsätzen war, ist keineswegs verschwunden. Elemente einer rassistischen Wirtschaftspolitik lassen sich in den Wirtschaftsbeziehungen der HEW am Beispiel des Uranabbaus ebenso wie bei den Planungen für den großindustriellen Einsatz von Wasserstoff als Energieträger erkennen.

Nur daß dies heutzutage - im Gegensatz zur Zeit des Faschismus - scheinbar hinter den stummen Zwängen des Weltmarktes verschwindet. Das marktwirtschaftliche System kennt keine moralische oder ethische Verantwortung. Der Käufer gibt vor, nicht für die Entstehung des Produkts verantwortlich zu sein. Wegen der Maxime der Profitproduktion kennt die HEW keine übergeordneten menschlichen Kriterien. Das Grundproblem bleibt das kapitalistische System, daß die Erdkugel nach Verwertbarem abgrast - mit der Folge der Zerstörung von Mensch und Natur. Das Problem mit der HEW ist deren Profitorientierung, die sie veranlaßt(e), sowohl in faschistischen Strukturen zu arbeiten als auch Energieträger unter Ausnutzung rassistischer Strukturen einzukaufen.

Wohlgemerkt: Die Dimension eines faschistischen Deutschlands, unter denen die HEW rassistische Politik betrieben und unterstützt haben, soll keineswegs mit der heutigen Praxis beim Uranabbau gleichgestellt werden. Die HEW ist heute kein faschistisches Unternehmen und wir können auch nicht erkennen, daß die HEW in irgendeiner Form an der Herstellung ähnlicher Verhältnisse interessiert wäre.

Allerdings: Nicht erst wenn man sich die heutige Rechtsverschiebung innerhalb der BRD ansieht, die mit der Entstehung neofaschistischer Organisationen einhergeht, muß der Finger auf jeden Ansatz von rassistischen Handlungsmustern gelegt werden. Eine im Kern rassistische Wirtschaftspolitik, wie sie sich heute in den Urangeschäften der HEW zeigt, muß als solche kritisiert werden und es ist Aufgabe sämtlicher demokratischer Kräfte in diesem Land, daß derartige Geschäfte sofort gestoppt werden. Wer rassistische Geschäftspraktiken heute duldet oder verharmlost, der geht nicht nur leichtfertig mit der deutschen Geschichte um. Der hilft möglicherweise auch, daß sich in Zukunft ähnliche Dinge wie im Dritten Reich in anderer Form wiederholen könnten. Noch sind es die indigenen Nationen in Kanada, die die Folgen einer rassistischen Wirtschaftspolitik zu spüren bekommen. Doch das kann sich jederzeit ändern und nach innen umschlagen.

Atomkraftwerke und Unterelbeindustrialisierung

  

In den bisherigen Beiträgen ist deutlich geworden, mit welch zerstörerischer Kontinuität die HEW ihre Geschäftspolitik betreibt. Bevor wir nun zu den Gefahren der Atomenergie hierzulande kommen, wenden wir unsere Aufmerksamkeit noch einmal auf die jüngste Vergangenheit. Im folgenden Beitrag geht es darum, in welchem Kontext in den siebziger und achtziger Jahren die Atomkraftwerke an der Unterelbe hochgezogen wurden.

Zur Zeit des Faschismus hatte es die HEW geschafft, ihre Monopolstellung als Stromversorger zu festigen, indem das Versorgungsgebiet ausgeweitet und darüber der Stromabsatz dauerhaft erhöht wurden. Der räumlichen Expansion waren in der Nachkriegszeit jedoch enge Grenzen gesetzt. In den fünfziger und sechziger Jahren waren die Versorgungsgebiete per Demarkationsverträge unter den großen Verbundunternehmen aufgeteilt. Die HEW konnte sich nicht weiter ins Umland von Hamburg ausbreiten, weil sich dort bereits PreussenElektra und NWK die Absatzgebiete gesichert hatten. Deswegen entbrannte der Konkurrenzkampf um zusätzliche Anteile am bundesdeutschen Strommarkt, indem versucht wurde, die multinationalen Konzerne als Großverbraucher ins eigene Versorgungsgebiet zu holen. Und dazu schien der HEW die AKWs das geeignete Mittel zu sein. Diese Absatzexpansion gelang ihr jedoch wiederum nur in enger Zusammenarbeit mit der regierenden SPD in Hamburg, die ihrerseits AKWs für Wachstum und sogenannten Wohlstand bauen wollte. Im folgenden wird den jeweiligen Interessen von HEW und SPD, den Umsetzungsmechanismen dieser Interessen und ihrer engen Zusammenarbeit nachgegangen.

Als Aktiengesellschaft war die HEW immer dem Profit verpflichtet. Um die Gewinne zu erlangen und langfristig zu sichern, war die HEW stets bemüht, größer zu werden. Denn mit zunehmender Größe stieg die eigene Macht, die Profitinteressen durchzusetzen. Expansion betrieb die HEW auf zwei Wegen: zum einen durch die Vergrößerung des Versorgungsgebietes (Expansion nach außen) und zum anderen durch die Erschließung des Versorgungsgebietes (Expansion nach innen). Durch die Festigung der Stromversorgungsmonopole während und nach dem Faschismus hatte die HEW in der Nachkriegszeit keine Möglichkeiten mehr, nach außen zu expandieren. Und das eigene Versorgungsgebiet war soweit erschlossen, daß praktisch jeder Haushalt und jede Firma Stromanschlüsse hatte. Weitere Absatzsteigerungen waren also nur möglich, wenn die vorhandenen Kunden mehr Strom verbrauchen - oder wenn neue Großkunden ins eigene Gebiet geholt werden. Da bei den vorhandenen Kunden nur geringe, aber stetige Zuwächse zu erwarten waren, richtete sich das Augenmerk der HEW auf die großen Stromverbraucher: die Konzerne der Grundstoffindustrie. In den sechziger Jahren gab es durch die Entfaltung des Massenkonsums hohe Zuwachsraten bei den Grundstoffen der Industriegesellschaften: Stahl, Aluminium, Kupfer, Chemie usw. Bis dato bauten diese neue Produktionsstätten jedoch am ehesten im Ruhrgebiet auf, weil sie dort von der RWE den konkurrenzlos billigen Braunkohlestrom bekamen. Von den Atomkraftwerken versprach sich die HEW demgegenüber einen erheblichen Konkurrenzvorteil. Zum einen wurde Uran aufgrund der zerstörerischen Abbaubedingungen in den Minen billig auf dem Weltmarkt angeboten, zum anderen wurden die Baukosten für AKW damals noch sehr niedrig eingeschätzt. HEW tat sich deswegen mit der PreussenElektra bzw. der NWK zusammen, um gemeinsam gegen den Konkurrenten RWE aus dem Unterelbegebiet ein zweites Ruhrgebiet zu machen. Stade und Würgassen waren die ersten kommerziellen AKW, und an Stade war die HEW zu einem Drittel beteiligt. In den Jahren darauf folgte dann auch der Auftrag für das AKW Brunsbüttel, daß zu zwei Dritteln der HEW gehört. Auf Basis des vermeintlich billigen Atomstroms bot die HEW ansiedlungswilligen Grundstoffindustrien extrem niedrige Strompreise an.

Die eigentliche Planung der Unterelbeindustrialisierung und das Anwerben von potentiellen Konzernen oblag jedoch der regierenden SPD in Hamburg. Sie verfolgte damit eine Wirtschaftskonzeption, die auf Wohlstand durch Wachstum und Arbeitsplätze setzte. Der Hamburger Wirtschaftssenator Kern hatte für die gesamte Unterelberegion einen Industriealisierungsplan entworfen, der Hamburg als Zentrum vorsah, von dem aus Entwicklungsachsen sternförmig in regionale Zentren führen. Durch massive staatliche Vorleistungen (Infrastrukturaufbau, Kredite, direkte Subventionen) und der Bereitstellung von niedrigen Energiepreisen sollten Investitionen in die Region geholt werden. Das erwartete Wirtschaftswachstum sollte sowohl Hamburgs Metropolenstellung in der Region stärken als auch über einen Zuwachs an Arbeitsplätzen die Wählerbasis der SPD stärken. Für die bereits ansässige Hamburger Wirtschaft ergab sich der positive Effekt, günstige Strompreise zu erhalten und vom Infrastrukturausbau im Umland zu profitieren.

So wurden die AKW mit Hamburger Beteiligung seit Ende der sechziger Jahre allein für Großverbraucher, allen voran die Grundstoffindustrie gebaut. Zur Versorgung der Kleinverbraucher (Haushalte, Gewerbe) wären die AKW nicht nötig gewesen. Die Atomenergietechnologie wurde als beherrschbar gepriesen. Doch in Vorwegnahme der Bevölkerungsproteste wurden die Kraftwerke vorsichtshalber in dünner besiedelte Gegenden gebaut. Deswegen mußte zusätzlich ein Netz von Höchstspannungsleitungen aufgebaut werden, um den Strom nach Hamburg transportieren zu können.

Um die AKW gegen die Bevölkerung durchzusetzen, wurde der Polizeistaat mobilisiert. Hunderttausende versuchten in den siebziger und achtziger Jahren mit Demonstrationen, Bauplatzbesetzungen, Blockaden und anderen Aktivitäten die AKW zu verhindern. Mit massiven Polizeiaufgeboten, Wasserwerfern, Hubschraubern und Tränengas wurde gegen Demonstranten vorgegangen. Das führte zu vielen Verletzten und zahlreichen Gefängnisstrafen bei denen, die sich gegen die zerstörerische Großtechnologie zur Wehr setzen. Auch dies ist eine erschreckende Folge der Politik von HEW und Hamburger Senat: Wenn Teile der Bevölkerung sich wehren, wird solange auf sie eingeprügelt, bis der Widerstand gebrochen ist. Immerhin gelang es der Anti-AKW-Bewegung, einige Projekte (u.a. Brokdorf) zu verzögern und den Ausbau des Atomprogramms zu stoppen.

Während die aktiven AKW-GegnerInnen massiv bekämpft wurden, wurde auch der passive Teil der Bevölkerung zur Kasse gebeten. Denn die niedrigen Strompreise der Großverbraucher konnten nur durch eine interne Subventionierung durch die Tarifkunden erreicht werden. Die Strompreise werden einfach so kalkuliert, daß die Tarifkunden einen großen Teil der festen Kosten tragen müssen, während die Großkunden möglichst nur mit den variablen (Brennstoff-) Kosten belastet werden. Auch wenn Atomstrom durch die hohen Baukosten letztlich nicht billiger war als anderer Strom, führte er doch durch diese Kalkulation zu niedrigeren Preisen für die Industrie. Denn AKW haben - verglichen mit Kohlekraftwerken - wesentlich höhere Investitionskosten und wesentlich niedrigere Brennstoffkosten. Durch dieses System der Preiskalkulation ist eine permanente indirekte Subventionierung der Industrie durch die Vielzahl der Tarifkunden über den Strompreis gewährleistet. Kalkulatorisch wird dies erreicht, indem die Stromkosten der Tarifkunden nach dem Höchstlastverfahren und dem Anteil an der Verteilung über verschiedene Spannungsstufen errechnet werden. Weiterhin hat die Masse der Sondervertragskunden Preisgleitkauseln, wonach es z.B. möglich ist, Senkungen der Brennstoffkosten an die Großkunden weiterzugeben (wurde zuletzt 1990 praktiziert).

Trotz dieser immensen Aufwendungen ließen sich nur zwei große Grundstoffindustrien in Hamburg nieder: der US-Aluminium-Multi Reynolds, heute Hamburger Aluminiumwerke, und der badische Stahlproduzent Korf, heute Hamburger Stahlwerke. In den Genuß niedriger Strompreise kam außerdem die bereits ansässige Kupferhütte Norddeutsche Affinerie.

Die Hamburger Aluminiumwerke (HAW) haben heute 700 Beschäftigte, ein Alu-Walzwerk von Reynolds weitere 500 Beschäftigte. Dafür wurden Anfang der siebziger Jahre 227 Mio. DM an staatlichen Leistungen zum Ausbau der Infrastruktur und für Investitionen gezahlt. Weiterhin zahlte die Stadt Hamburg eine einmalige Strompreissubvention von 78 Mio. DM. und übernahm Bürgschaften über 466 Mio. DM. Reynolds selber investierte lediglich 30 Mio. DM. Die HEW ihrerseits legte sich noch 1975 auf einen Strompreis von 2 Pf/kWh für 20 Jahre fest. Dieser Preis wurde Anfang der 80er in einem gerichtlichen Vergleich auf 2,8 Pf erhöht. Dies bedeutet, daß der HAW-Strom seitdem jährlich in einer Größenordnung von 80 bis 120 Mio. DM subventioniert wird. Um diese Verluste in der Kalkulation nicht nur den Sondervertragskunden anzulasten, hat der Hamburger Senat 1984 beschlossen, daß diese Verluste von allen Stromkunden, also auch von den Tarifkunden zu tragen sind.

Die Hamburger Stahlwerke (HSW) haben 800 bis 900 Beschäftigte. Bei der Ansiedlung Anfang der siebziger Jahre brachte Hamburg ca. 25 Mio. DM zum Ausbau der Infrastruktur auf, außerdem wurde das Betriebsgelände zu einem niedrigen Pachtzins bereitgestellt. Aktuell beträgt die Höhe der städtischen Bürgschaften für die HSW mindestens 174 Mio. DM, die im Falle des drohenden Konkurses ausgezahlt werden müßten. Außerdem erhält die HSW eine Subventionierung über den Strompreis von 20 Mio. DM jährlich.

Beide Unternehmen haben nur einen geringen Verflechtungsgrad mit der Hamburger Wirtschaft aufzuweisen. Es wurden nur wenige Hamburger Arbeitsplätze in nachgelagerten Betrieben geschaffen. Die gewinnträchtige Weiterverarbeitung der Metalle erfolgt i.d.R. in anderen Regionen.

Die immensen staatlichen Vorleistungen und Strompreissubventionen stehen also in einem eklatanten Mißverhältnis zu den erreichten Ansiedlungen. Der ungeheure Aufwand des SPD-Senats entpuppte sich als einzige Arbeitsplatz- und Wohlstandspropaganda. Es wurden mit viel Geld wenig Arbeitsplätze geschaffen, dafür aber viel Umwelt zerstört. Letztendlich diente die Unterelbeindustrialisierung der Anhäufung von Reichtum bei den HEW-Aktionären und der Industrie, indem den Leuten über Steuern und über die Strompreise das Geld aus der Tasche gezogen wurde.

All diese Anstrengungen haben zwar Vorteile für die HEW und deren Aktionäre, für die Menschen und die Umwelt aber nur Nachteile gebracht. Sowohl AKWs als auch die subventionierte Grundstoffindustrie (Alu, Stahl, Kupfer) sind zerstörerische Großtechnologie mit erheblichen Folgen. Die Aluminiumproduktion z.B. führte zu ausgedehnten Deponien giftigen Rotschlamms und zur Fluoremissionen in Hamburg. Durch die Kupferproduktion wurden ganze Stadtteile flächendeckend mit Arsen verseucht. Die Belastung der Elbe mit Schwermetallen stieg, ganze Landschaftsräume wurden zerstört.

Aber auch bei der Grundstoffproduktion fängt die Zerstörung schon beim Abbau der Rohstoffe an. Hier zeigen sich parallele Strukturen zum Uranabbau, denn die Rohstoffe kommen meist aus Gebieten in denen ohnehin benachteiligte Menschen die zerstörerischen Folgen zu tragen haben. Für den Bauxitabbau (Aluminiumrohstoff) werden in Brasilien Tropenwaldgebiete abgeholzt und die dort lebenden Ureinwohner vertrieben. Beim Kupferabbau in Papua Neuguinea werden durch den schwermetallhaltigen Abraum Trinkwasser, Fische und Pflanzen vergiftet und so der indigenen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen. All dies interessierte HEW und Hamburger Senat jedoch herzlich wenig, denn sie dachten nur an die Durchsetzung ihrer eigenen Machtinteressen.

Das enge Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik zur Durchsetzung dieser Interessen läßt sich aus der Struktur der HEW ablesen. Die Stadt Hamburg hält über HGV und Landesbank über 75% der HEW-Aktien. Der Rest ist im wesentlichen in Streubesitz. Die Stadt stellt traditionell den Aufsichtsratsvorsitzenden.

Die 20 Sitze im Aufsichtsrat verteilen sich so: 10 Vertreter der ArbeitnehmerInnenschaft, 3 unmittelbare Senatsvertreter und weitere 7 Kapitalvertreter, davon einer von Siemens und einer von der Landesbank. Früher waren auch Landesvertreter von Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie der AEG im Aufsichtsrat anzutreffen. Gewerkschafter, SPD-Senat, Hamburger Wirtschaft und die AKW-Kraftwerksbauer haben also immer ihre Interessen im Aufsichtsrat der HEW aufeinander abgestimmt. Personalpolitisch wird bei der HEW die Sozialpartnerschaft großgeschrieben. So sind z.B. regelmäßig Betriebsratsangehörige in den HEW-Vorstand aufgestiegen. Dadurch und durch überdurchschnittlich hohe Löhne sicherte sich der Vorstand die Loyalität der ArbeitnehmerInnenvertreter für seine Atompolitik.

Zwar könnte die Stadt über ihre Mehrheitsaktien die Politik der HEW im Sinne einer menschlichen und ökologischen Politik gestalten, da sie aber ihr finanzielles Interesse an die HEW gebunden hat, läßt sie dem betriebswirtschaftlichem Kalkül der Wirtschaft ihrem Lauf. Die Stadt kassiert jährlich 43 Mio. Dividende und 100 Mio. DM Konzessionsabgabe (1992). Dazu kommen noch die anteiligen Steuereinnahmen. Die Dividende wird unmittelbar zur Verlustfinanzierung beim HVV verwandt.

Allerdings hat auch dieses Bündnis Brüche. Überraschend wurde der HEW-Vorstandsvorsitzende Roland Farnung (seit 1985) am 9.5.94 vom Aufsichtsrat "gegangen". Die Gründe werden nicht genannt. Möglicherweise spielt der geplatzte Stromlieferungsvertrag mit Norwegen eine Rolle. HEW wollte über ein Seekabel 500 MW Wasserkraftstrom aus Norwegen beziehen. Weil sie aber dafür einen zu niedrigen Preis geboten hatten, kam der Vertrag nicht zustande. Den ArbeitnehmerInnenvertretern wird's recht gewesen sein, wollte Farnung doch 800 Arbeitsplätze wegrationalisieren bzw. auslagern.

HEW und SPD fahren auch zukünftig in ihrer Politik unbeirrt fort. Die SPD macht damit ihre Unfähigkeit oder Unwilligkeit, aus der Vergangenheit zu lernen, deutlich. Sie verfolgt noch immer eine Wirtschaftspolitik des ungehemmten Wachstums. Derzeit sind es vor allem die geplanten Projekte Hafenerweiterung, Elbvertiefung und Bau des Transrapids, die dies illustrieren.

Mit Strompreissenkungen sollen auch weiterhin die hochsubventionierten Industriearbeitsplätze erhalten werden. Der HSW-Strompreis wurde von 11,4 auf 8,5 Pf gesenkt. Die Angebote für die HAW für Strombezug ab '95 werden bei 6 bis 8 Pf liegen. Die HSW würde der Senat allerdings am liebsten verkaufen, da inzwischen die Angst um den Verlust der immer höher werdenden Bürgschaften überwiegt.

Auch die HEW setzt ihren Expansionskurs fort und hat sich dafür seit Ende der achtziger Jahre neue Wege erschlossen. Bereits 1988 hat sie eine Mehrheitsbeteiligung bei den Hamburger Gaswerken erworben. Damit kontrolliert die HEW jetzt die Hälfte des Hamburger Endenergieverbrauchs (Strom, Gas, Fernwärme).

Anfang 1991 stieg die HEW auch in die Müllbranche ein; seitdem sind sie an den beiden Müllverbrennungsanlagen in der Borsigstraße für Hausmüll (zu 80%) und Sondermüll (zu 20%) beteiligt.

Neben dieser Ausweitung in andere Branchen gab es durch den Anschluß der DDR überraschend auch wieder räumliche Expansionsmöglichkeiten in den Osten. Entsprechend ihres bundesweiten Stromversorgungsanteils bekam die HEW bei der Aufteilung des Gebietes der ehemaligen DDR 5% zugestanden. Dies sieht konkret so aus, daß HEW

- zu 5% an der VEAG beteiligt ist.

- an zwei der 15 Regionalversorger beteiligt sind, nämlich zu 51% an der WEMAG (Schwerin) und zu 22% an der ESAG (Dresden).

- versucht hat, Beteiligungen an Stadtwerken zu erwerben. Dies ist ihr z.B. über die ESAG in Dresden und in Wittenberge gelungen. In Schwerin dagegen mußte die HEW draußen bleiben.

HEW und Hamburger Senat setzen auch weiterhin auf Expansion und Wirtschaftswachstum - ungeachtet der negativen Folgen. Nötig tut deshalb nicht nur die Abschaltung der Atomkraftwerke. Nötig tut vor allem ein Bruch mit dieser Politik, die nicht nur einfach Profite für Unternehmen und Aktionäre schafft, sondern auch zerstörerische Wirkungen für Mensch und Natur hat.

Grenzenlose Risiken mit begrenztem Nutzen

  1. Der in unserer gegenwärtigen Gesellschaft existierende Konflikt über Technologien und deren Anwendung läßt sich charakterisieren als einer zwischen zwei gesellschaftlichen Gruppen. Auf der einen Seite befinden sich diejenigen, die eine hohe Risikobereitschaft aufweisen. Sie sind bereit, individuelle und kollektive Gefahren und zukünftige Schäden im Zuge eines gegenwärtigen Gewinns bei Nutzung einer Technologie zu akzeptieren. Auf der anderen Seite finden sich diejenigen wieder, denen die Gefahren und zukünftigen Schäden in Verbindung mit der Einführung und Anwendung einer Technologie zu groß erscheinen, um durch einen wie auch immer gearteten gegenwärtigen Nutzen gerechtfertigt zu sein. Wirtschaftsunternehmen wie die HEW zeichnen sich durch eine hohe Risikobereitschaft aus. Der gegenwärtige Gewinn für die HEW stellt sich in Form von monetären Profiten und Marktvorteilen dar. Die von den Aktivitäten der HEW mittelbar und unmittelbar Betroffenen, die in der Regel weniger risikofreudig sind, haben aufgrund der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse keinerlei Einflußmöglichkeiten auf die Unternehmenspolitik. Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel der Nutzung der Atomenergie.
  2. Die Nutzung der Atomenergie wurde und wird in unserer Gesellschaft von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Dies ist eine unverrückbare Tatsache, auch wenn die Atomlobby durch gezielte Umfragen versucht, einen anderen Eindruck zu erwecken. Dabei ist sie sich der Unterstützung der Politik sicher, die durch den Betrieb von AKW's potentiell ihre Atombombengelüste befriedigt sieht. Eine der Ursachen für diese ablehnende Haltung großer Teile der Bevölkerung in Deutschland liegt in den Gefahrenpotential der Atomenergie begründet. Bis zum heutigen Tage ist niemand in der Lage, die Konsequenzen eines jederzeit möglichen und in Tschernobyl schon geschehenen Super-GAU's für die Natur, die Umwelt, einzelne Gesellschaften und die Menschheit zu benennen. Dies gilt sowohl für die Höhe der zu erwartenden Schäden als auch für deren Qualität (Beeinflussung des Klimas, Verseuchung der Umwelt, Krebserkrankungen als Spätschäden, genetische Schäden, etc.).

... Hier fehlt ein Kapitel aus der Druckfassung der Broschüre ...

HEW - mitverstrickt in die Entsorgungslüge

"Ziel einer sicheren Endlagerung radioaktiver Abfälle muß es sein, die von ihnen ausgehende schädigende Strahlung vollkommen von der Biosphäre abzuschirmen. Je nach Zusammensetzung der Abfallstoffe beträgt die notwendige Isolierungszeit wenige Jahrzehnte bis einige 100 000 Jahre". Als die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe im Mai 1977 diese Zielvorgabe publizierte, traf sie - unfreiwillig - den Nagel auf den Kopf. In der Tat wäre es notwendig, den Nuklearmüll für die beschriebenen Zeiträume von der Biosphäre abzuschirmen. Aber das ist nicht möglich. Ob oberirdisch oder unterirdisch: die "sichere" Abschirmung der strahlenden Abfälle aus der Atomstromproduktion (wie aus der Atomwaffenproduktion!) über lange Zeiträume ist ein Ding der Unmöglichkeit. So gibt es weder technische noch geologische Barrieren, die uns gegen den Austritt von Radioaktivität aus den Deponien wirksam und dauerhaft schützen können. Radioaktive Isotope treten z.B. bei der Untertagedeponie über die Bewetterung des Bergwerks (Luft) oder Wässer aus. Die oberirdische Lagerung setzt auch unmittelbar Strahlung frei. Die Entsorgung des Atommülls ist bisher ungelöst und scheint unlösbar. Zuletzt wurde diese prinzipielle Problematik auf dem internationalen "Endlagerhearing" der niedersächsischen Landesregierung im September 1993 in Braunschweig deutlich. Zahlreiche Wissenschaftler arbeiten dennoch an einer pragmatischen "Lösung" im Sinne von Schadensbegrenzung, zu der Forderung "Ausstieg aus der Atomenergie sofort!" mochten sich auf dem Hearing nur wenige Fachleute durchringen. Aus unserer Sicht wäre das die einzig akzeptable Form der Schadensbegrenzung.

Die Atommüllawine beginnt bereits beim Uranerzabbau. Er hinterläßt riesige Abraumhalden, die radioaktiv sind (Radongas). Bei der Uranerzaufbereitung, bei der Anreicherung des Urans, bei der Brennelementefertigung...in jeder Station des sogenannten Brennstoffkreislaufes fallen radioaktive Abfälle an. Die immensen ökologischen und gesundheitlichen Schäden beim Uranabbau sind unübersehbar. In den USA und in Kanada sind es meist die native americans, die unter dem Uranerzabbau in ihrem Lebensraum zu leiden haben.

In den offiziellen Atommüllbilanzen fehlen diese Halden. Die offizielle Bilanzierung setzt erst mit dem Betrieb eines Atommeilers ein. Seit 1976 muß nämlich ein Kraftwerksbetreiber für den Bau und Betrieb des AKW den Nachweis führen, daß dessen "Entsorgungsvorsorge" für 6 Jahre gesichert sei. Gesetzliche Grundlage dafür ist die Novelle des Atomgesetzes. Als Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre die ersten Reaktoren in Betrieb gingen, war die Atommüllproblematik kein Thema. Nach 1976 wurde von der Bundesregierung (mit wechselnden parteipolitischen Konstellationen) definiert, was unter "Entsor- gung" zu verstehen sei. Dieser Text, dessen rechtliche Verbindlichkeit völlig in Frage steht (!), ging als "Entsorgungsgrundsätze" in die Annalen ein, und deren Fortschreibung bilden bis heute den Kern der Entsorgungslüge. Wir zitieren aus der ersten Fortschreibung der Entsorgungsgrundsätze aus dem Jahr 1980. Der Entsorgungsvorsorgenachweis für den Bau und Betrieb von AKW's ist demnach "erbracht" bei: "a) Vorauswahl eines oder mehrerer grundsätzlich geeigneter Standorte für ein externes Zwischenlager, soweit nicht eine Zwischenlagerung am Standort des Kernkraftwerks gewährleistet ist, oder für eine Wiederaufarbeitungsanlage. b) Positive Beurteilung der grundsätzlichen sicherheitstechnischen Realisier- barkeit der Zwischenlagerung über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren durch RSK und SSK. /Anm. Reaktorsicherheits- und Strahlenschutzkommission/ c) Fortführung des laufenden Planfeststellungsverfahrens sowie Fortschritte bei der Erkundung und Erschließung eines Endlagers.   Allein aus dem Text wird deutlich, daß die Nukleartechnokraten in erster Linie die hochaktiven abgebrannten Brennelemente im Blick hatten. Nach einer Abschätzung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt aus dem Jahre 1987 würden aber bis zum Jahr 2000 rund 200.000 Kubikmeter schwach- und mittel- aktive Abfälle und rund 6000 Kubikmeter hochaktiver Abfälle anfallen. Diese Zahlen sind mit allergrößter Vorsicht zu genießen! Es fehlen die Stillegungsabfälle, die beispielsweise beim geplanten Abriß von Reaktoren entstehen. Die Müllmengen aus der Wiederaufarbeitung (WAA) abgebrannter Brennelemente im europäischen Ausland, die das Abfallvolumen um den Faktor 20 erhöht, können sowieso nur abgeschätzt werden. In der kleinen WAA in Karlsruhe allein tickt eine Zeitbombe, dort lagern hochaktive Flüssigabfälle, die in Spezialbehälter umgefüllt und zur Verfestigung ins belgische Atomzentrum Mol gebracht werden müssen. Hinzu kommt das ganze Nuklearerbe aus der DDR: aus dem Forschungszentrum Rossendorf bei Dresden, aus dem AKW Rheinsberg... In Greifswald sollen die 5 kontaminierten AKW-Blöcke abgerissen werden, dort entstehen überdimensionierte Zwischenlager. Eines wird schnell klar: es gibt zwar das Problem, daß das Abfallvolumen gar nicht ganz erfaßt wurde, aber es gibt längst ein Mengenproblem.

Die großen Mengen radioaktiver Abfälle (rd 95% des Gesamtvolumens) sollen im stillgelegten ehemaligen Erzbergwerk "Schacht Konrad" bei Salzgitter eingelagert werden. Da die Betriebsgenehmigung letztlich aussteht, hat der derzeitige Reaktorminister Klaus Töpfer die DDR-Altlast Morsleben reaktiviert. In dem dortigen ehemaligen Kalibergwerk wurden Abfälle aus dem AKW-Komplex Greifswald versenkt, seit Februar 1994 wird auch "West"abfall eingelagert - allen Sicherheitsbedenken zum Trotz (Ablaugung, Wasserwegsamkei- ten). Schon jetzt ist absehbar, Morsleben ist der Notnagel der Atomindustrie, denn die Betriebgenehmigung ist bis zum Jahr 2000 befristet. Zwischenzeitlich hofft die Atomlobby auf den Start des "Schachtes Konrad". Schon jetzt ist absehbar, Morsleben wird eine nukleare Altlast wie das ehemalige Kalibergwerk "Asse" bei Wolfsbüttel. Dort wurden in den Jahren 1962 bis Ende 1978 ca. 126.000 Gebinde mit schwachaktivem Müll und 1.300 Rollreifenfässer mit mittelaktivem Müll eingelagert.

Die restlichen 5% der Abfälle repräsentieren aber rd 90% der Gesamtradioaktivität, so stark ist ihre Strahlung. Für die Endlagerung dieses hochaktiven (wärmeent- wickelnden) Mülls steht bislang nur Gorleben auf der Liste. Dort wird seit 1982 im Salzgestein gebohrt, Schächte werden in den Untergrund geteuft. Bis zum Jahr 2008, hieß es einmal, sei bei positiver Begutachtung des Standorts mit dem Einlagerungsbeginn zu rechnen.

Zweckoptimismus paart sich hier mit der Entsorgungslüge. Einmal angenommen, die Teufarbeiten in Gorleben gingen unvermindert weiter, dann stünde der Termin der Fertigstellung des Endlagerbergwerks und dessen Genehmigung noch lange nicht fest. Die Erbauer sind völlig aus dem Zeitplan, weil 1987 der Schacht 1 beinahe zusammengekracht wäre, Laugenzuflüsse immer wieder zu schaffen machen und in Zukunft nicht auszuschließen sind...Ein Vabanquespiel wäre es sowieso, im Salzstock Gorleben heizen Müll einzulagern, denn der Salzstock wird ebenfalls abgelaugt, eine wasserisolierende Tonschicht über dem Salzgestein fehlt. Ob Salz überhaupt vorteilhaft für die Einlagerung hochaktiver Abfälle wäre, steht außerdem dahin. Bei extremer Strahlung, unter Druck und bei Hitze, warnen Experten, kann nach 50 Jahren bereits Natrium- chlorid in Natrium und Chlor rückverwandelt werden. Bei Feuchtigkeit im Salzstock reagiert Chlor. Höchste Explosionsgefahr!  

Vorsichtig beginnt die Atomlobby von Gorleben als Endlagerstandort abzurücken. Bei den sogenannten "Energiekonsensgesprächen" im Sommer 1993 zwischen den Parteien und der Stromwirtschaft (unter Beteiligung des DGB und der Umweltver- bände) signalisierte Klaus Töpfer unisono mit dem sozialdemokratischen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, sie seien für ein "Moratorium" in Gorleben. Bis zum Jahr 2005 sollten die Arbeiten dort ruhen, wenn zugleich ausreichend Zwischenlagerkapazitäten bereit stünden. Ruhen ist nicht gleichbedeutend mit Abbruch. Zwischendurch müssen also Zwischenlösungen her. Einer der Irrwege für die "Lösung" der nuklearen Entsorgung verbindet sich mit dem Kürzel WAA. Eine Wiederaufbereitungsanlage sollte zunächst in Gorleben gebaut werden, aber der Widerstand in der Bevölkerung war so groß, daß die Deutsche Gesellschaft zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) auf der Suche nach einem "geeigneten" Standort zu einem Irrlauf durch die Republik antrat, um am Ende Wackersdorf zu favorisieren. 1989 rechnete einer der Stromgiganten, die VEBA, vor, daß sich die WAA wirklich nicht rechne. Von 1976 bis 1989 wuchs den Befürwortern in Parteien und Wirtschaft nicht nur der Widerstand über den Kopf, sondern auch der Preis. Seitdem werden abgebrannte Brennelemente nach Frankreich (Cap de la Hague) oder Großbritannien (Sellafield) gebracht, und die DWK wurde liquidiert. Aber auch so bleibt die Wiederaufarbeitung (d.h. das Abtrennen noch brauchbaren Urans und das Extrahieren von Plutonium, was beim Reaktorbetrieb angefallen ist) zu teuer. Es heißt, im Vergleich zur direkten Endlagerung sei das Wiederaufarbeiten doppelt bis dreifach teurer. Und ein Schritt zur Beseitigung des Atommülls ist es ohnehin nicht. Die WAA vergrößert die Abfallberge um den Faktor 20!

Die erneute Novelle des Atomgesetzes am 27.4.94 (per "Artikelgesetz) trägt dem Rechnung. Die Bonner Administration gab den gesetzlichen Weg frei für die direkte Endlagerung als Entsorgungsschritt. Was aber tun, wenn ein Endlager gar nicht vorhanden ist? "Zwischenlager" müssen her! Im Atomgesetz des Jahres in der Fassung des Jahres 1976 fehlte übrigens noch jeder Hinweis auf Zwischenlager, inzwischen werden diese mangels Endlager als Dauerlager gehandelt (so ein Vorstoß des energiepolitischen Sprechers der CDU/CSU-- Fraktion, Heinrich Seesing). Auch wenn im Rahmen der Debatte um die Neurege- lung des Atomgesetzes eine 100 Jahre lange oberirdische Lagerung nicht festgeschrieben wurde, so müssen wir nüchtern konstatieren, daß die Zwischen- lagerung (ob mit oder ohne weitere Nutzung der Atomkraft) der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Regierungskoalition (CDU/FDP) und Opposition (SPD) ist. Auf diese Weise kann mit Unterstützung der SPD das zentrale Problem - die ungelöste Atommüllagerung - der Atomindustrie umschifft werden.

Was bleibt von den "Entsorgungsgrundsätzen" des Jahres 1980? Fortschritte bei der Erkundung in Gorleben? Sagen wir so: der Schein wird gegenwärtig gewahrt, denn noch wird in Gorleben gebuddelt. WAA als Entsorgungsschritt? Das war einmal. Es kristallisiert sich heraus: für die großen Mengen nicht-wärmeent- wickelnder Abfälle soll der Schacht Konrad herhalten, ab 1997 kommen diese Abfälle aus Frankreich nach Deutschland. Für die kleineren Mengen hochaktiver Abfälle und die abgebrannten Brennelemente sollen in Ahaus (Nordrhein-West- falen), Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) und Gorleben (Niedersachsen) "Zwischen"lager bereit stehen. Übrigens nicht vergessen: auch in Wackersdorf (Bayern) steht eine Zwischenlagerhalle auf dem ehemaligen WAA-Gelände, die derzeit aber anders genutzt wird.

Zwischenlagerung heißt, daß der Atommüll in seinen Transportbehältern (hochradioaktiver in CASTOR-Behältern, mittel- und schwachaktiver in Fässern und Container) einfach in eine Halle gestellt wird. Die externe Zwischenlagerung über große Zeiträume hinweg ist weltweit nicht erprobt. Versprödung der Behälterwände durch starke Strahlung, Deckelundichtigkeit, Korrosion im Innern können auftreten. Einzige Barriere zur Zurückhaltung der Aktivität von ca 20 Hiroshimabomben, die in einem Lagerbehälter stecken, ist eben dieser Behälter. Die externen Zwischenlager sind nur unzureichend gegen äußere Einwirkungen geschützt (Brände, Flugzeugabsturz).   Im Klartext: Entsorgung in regierungsoffizieller Diktion heißt ganz einfach, den Müll in Lagerhallen abzustellen. Bedenkt man, daß von Atomanlage zu Atomanlage ständig Transporte auf der Straße und/oder auf der Schiene rollen, bedenkt man ferner, daß das Unfallrisiko beim Transport 1:1000 beträgt, dann kann von ent-sorgen keine Rede sein.

Die HEW ist über ihre Beteiligung an vier AKW's mitverstrickt in die Entsorgungslüge. Zum einen sind die HEW an der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) mit 5,5% beteiligt, an der - nach dem Fall von Wackersdorf - aus- rangierten Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) mit 7,5%. Zum Thema DWK bleibt anzumerken, daß das "Endlagerbergwerk" in Gorleben, das im Bundesauftrag gebaut wird, auf DWK-Gelände errichtet wird.

An dem Bau des Endlagers Gorleben wirkt die HEW über ihre Zahlungen an den Bund entsprechend der Endlagervorausleistungsverordnung (EnlagerVlV) kräftig mit. Die beiden AKW's, bei denen die HEW die Betriebsführung innehaben, haben in den Jahren 1990 bis 1993 84,6 Millionen DM für den Bau des Endlagers Gorleben gezahlt. Von den HEW ist bislang in keiner Stellungnahme Zweifel an diesem Projekt laut geworden. Selbst die Atomstromhardliner der PreussenElek- tra haben sich mittlerweile von Gorleben distanziert und öffentlich die Frage aufgeworfen, warum für ein fragwürdiges Unterfangen wie die "Erkundung" des Salzstocks Gorleben noch Geld ausgegeben werden sollte.

Die GNS, an der die HEW beteiligt ist, ist die Monopolfirma in Deutschland, die für den Transport und die Konditionierung von Atommüll zuständig ist. Die GNS ist Bauherrin der Pilot-Konditionierungsanlage (PKA) in Gorleben. Die PKA ist eine Experimentieranlage für unerprobte Entsorgungstechniken. In den Jahren seit ihrer Baubeantragung wandelt sich jedoch ständig ihre Zweckbestim- mung. Erst sollten dort nur Brennelemente konditioniert werden, die nicht wiederaufarbeitungsfähig sind, z.B. aus dem Kugelhaufenreaktor in Hamm und dem Schnellen Brüter in Kalkar. Diese Reaktorlinien wird es nicht mehr geben. Bleiben die Brennelemente aus Forschungsreaktoren und die MOX-Brennelemente. Diese sollten zerschnitten werden und endlagerfertig verpackt werden. Die heisse Zelle für diesen Verfahrensschritt ist im Rohbau fertig! Heute ist jedoch davon die Rede, die PKA solle Serviceleistungen für das Brennelement- zwischenlager auf dem gleichen Betriebsgelände übernehmen. Ob es überhaupt Sinn macht - unter dem Gebot der Minimierung der Strahlendosis - eine zentrale anstelle der dezentralen Konditionierung im jeweiligen AKW vorzunehmen, müßte dringend erörtert werden. Die HEW hat sich zum Bau der PKA bislang nicht ablehnend geäußert. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der GAL zur Entsorgungs- politik der HEW heißt es lapidar und unkritisch: "Die vom Senat angestrebte Direkte Endlagerung abgebrannter Brennelemente bedingt aus sicherheits- technischen und radiologischen Gründen eine Konditionierungsanlage. Die Pilotkonditionierungsanlage Gorleben (PKA) dient der Erprobung der erforderli- chen Techniken. Die Beurteilung der Detailausführung der PKA fällt in die Zuständigkeit der Genehmigungsbehörde." (Drucksache 15/1095) Im Brennelementzwischenlager Gorleben hat die HEW Stellplätze für die abgebrannten Brennelemente reserviert: für das AKW Brunsbüttel 19, für Krümmel 19, die Zahlen für die beiden weiteren AKW's mit HEW-Beteiligung: 10 Stellplätze sind für Brokdorf, 26 für Stade gemietet. Verträge zur Wiederauf- arbeitung abgebrannter Brennelemente wurden mit Sellafield (Großbritannien) und Cap de la Hague (Frankreich) geschlossen und komplettieren das Bild - auf dem Papier ist die Entsorgung gesichert. Papier ist geduldig, aber wir sind es nicht, denn auch Entsorgungslügen haben kurze Beine!

 

Von der Atomstromproduktion auf dem Weg zur Atombombe

Neben sehr vielen direkten Folgen, die der wirtschaftlichen Tätigkeit der HEW entspringen, gibt es auch einige sehr indirekte Gefahren, die mit dem Betrieb von Atomkraftwerken verbunden sind. Aber obwohl diese Verbindungen nur sehr schwierig zu skizzieren sind, sind sie doch für die politische Entwicklung der BRD von großer Bedeutung. Eines dieser wichtigen Themen ist der Zusammenhang von ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie.

Im nächsten Jahr (1995) läuft der Atomwaffensperrvertrag aus und muß neu verhandelt werden. Zwar werden die HEW nicht an diesen Verhandlungen teilnehmen, aber ohne Unternehmen wie den HEW und der anderen EVUs wäre es für die BRD im Grunde kein Thema, sich über die Verbreitung von Atomwaffentechniken Gedanken machen zu müssen. Gedanken, die sich im Rahmen des wiedervereinigten Deutschlands um die Mitverfügung über Atomwaffen drehen.

Die 100. Hauptversammlung der HEW findet statt in einer Zeit, in der die politischen und ökonomischen Strukturen, die sich nach der Zerschlagung des deutschen Faschismus und in der Etappe des Kalten Krieges entwickelt haben, einer grundsätzlichen Veränderung und Neuordnung unterworfen sind.

Die Angliederung der ehemaligen DDR hat die BRD wieder zu einem mit vollständiger Souveränität ausgestatteten Staat gemacht. Ein Ausdruck davon ist das verstärkte Streben der BRD nach einer Weltmachtrolle, die sich in Parolen wie "der neuen Verantwortung gerecht werden" niederschlägt.

Seit einigen Jahren läuft die Umstrukturierung der Bundeswehr hin zu einer Eingreifarmee, die im Verbund mit den anderen NATO-Staaten zu weltweiten Kriegseinsätzen (out of area) innerhalb kürzester Zeit in der Lage sein wird. Das wiedervereinigte Deutschland strebt im Rahmen der Vereinten Nationen nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, in dem bis heute nur Atomwaffenstaaten einen festen Sitz einnehmen. Und im Rahmen von UN-Blauhelm-Einsätzen ist die BRD derzeit dabei, die verfassungsmäßigen Beschränkungen für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten auch außerhalb des NATO-Gebietes auszuweiten. Es bedarf nicht viel Phantasie, davon auszugehen, daß in nicht allzu ferner Zukunft auch "normale" Kriegseinsätze der BRD gegen Staaten der Dritten Welt wieder vorstellbar werden.

Vor dem Hintergrund des "zivilen" Atomprogramms der BRD kommt diesem Streben nach einer Weltmachtrolle eine zusätzliche Brisanz zu. Schon vor 20 Jahren haben viele Atomkritiker davor gewarnt, daß die zivile Atomstromproduktion nicht von der militärischen Nutzung zu trennen sei. Ein Staat wie die BRD verfügt über das erforderliche Know-how als auch über die technischen Potentiale zum Bau von Atombomben. Nicht zuletzt deshalb sind die BRD in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in den Ruf gekommen, über eine überaus liberale Exportpolitik höchst direkt an der Entwicklung von Atombomben beteiligt gewesen zu sein. Selbst heftige politische Auseinandersetzungen mit der US-Regierung unter Präsident Carter scheute die BRD nicht, als sie in den siebziger Jahren mit Brasilien ein umfangreiches Atomgeschäft abschloß. Und noch Ende der achtziger Jahre lieferten deutsche Firmen Bauteile und Stoffe zur Atomwaffenproduktion an Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hatten. Auch die Weigerung der Bundesregierung sowie großer Teile der SPD Anfang der 90er Jahre, den Atomwaffenverzicht der BRD ins Grundgesetz aufzunehmen, macht deutlich, daß die BRD nicht gewillt ist, einen umfassenden Verzicht auf die Atombombe zu erklären.

Die Atomwaffenambitionen der BRD lassen sich auch an den Vorbehalten zum Atomwaffensperrvertrag sowie bei der Ratifizierung der Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen über das Kriegsvölkerrecht überdeutlich ablesen. Immerhin fünf Jahre dauerte es, bis die BRD nach ihrem Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag 1969 das Abkommen im Bundestag nach langwierigen und heftigen Auseinandersetzungen ratifizierte. 90 Abgeordnete der CDU/CSU stimmten 1974 gegen die Annahme des Sperrvertrages. Im Atomwaffensperrvertrag verzichtet die BRD zwar auf den Besitz und den Bau von Atomwaffen auf dem eigenen Territorium. Allerdings legte die sozialdemokratische Bundesregierung 1975 einen Vorbehalt zum Atomwaffensperrvertrag ein, nach der "keine Bestimmung des Vertrages so ausgelegt werden kann, als behindere sie die weitere Entwicklung der europäischen Einigung, insbesondere die Schaffung einer Europäischen Union mit entsprechenden Kompetenzen." (s. Küntzel 1992) Im Klartext bedeutet dieser Vorbehalt aus dem Jahre 1975, daß sich die BRD das Recht vorbehält, trotz Nichtverbreitungsvertrag die rechtliche Möglichkeit zusammen mit anderen europäischen Staaten die Verfügungsgewalt über Atomwaffen im Rahmen einer gemeinsamen nuklearen Streitmacht zu erwerben. Willi Brandt brachte dies laut FAZ bereits 1967 auf den Punkt: Der Beitritt zum Atomwaffenspervertrag dürfe "nicht eine europäische gemeinsame Atommacht versperren..." (3.1.1967, FAZ).

Anfang 1991 legte die BRD ihren Vorbehalt gegen einige Punkte des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen ein. Bereits 1977 war dieses Zusatzprotokoll fertiggestellt worden. Neben vielen Regelungen zum Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall enthält das Zusatzprotokoll auch ein sogenanntes Repressalien-Verbot. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen dieses Verbot wird als Kriegsverbrechen gebrandmarkt.

Bislang war es im Völkerrecht "erlaubt", Angriffe auf die gegnerische Zivilbevölkerung zu führen, wenn zuvor dieser Staat ihm gegenüber die Regeln des Kriegsrechts mißachtet hat und beispielsweise zuvor Städte des Gegners bombardiert hatte. Da in der Vergangenheit diese Möglichkeit immer wieder "mißbraucht" wurde, also derartige Situationen schlicht konstruiert wurden, verbietet das I. Zusatzprotokoll nun derartige Repressalien und erklärt diese zu Kriegsverbrechen.

In der Konsequenz bedeutet dieses Repressalienverbot auch, daß die lange Jahre gültige NATO-Nuklearstrategie, die ja den Tod von Millionen Zivilisten kalkulierte, als kriegsverbrecherisch bewertet werden muß. So haben denn auch die Atomwaffenstaaten USA, Frankreich und England das I. Zusatzprotokoll nie ratifiziert. Was bei den Nuklearmächten noch einleuchtend erscheinen mag, trifft auf die BRD nicht zu. Im Februar 1992 legte die BRD einen Vorbehalt vor. Zwar ratifizierte die BRD das Abkommen bei konventionellen Einsätzen, ausdrücklich wurden jedoch die Massenvernichtungswaffen ausgeklammert. (Wie die BRD haben auch bsp. Kanada, Spanien und Belgien einen solchen Vorbehalt abgegeben.) Dieser Vorbehalt "befreit" die BRD künftig von der Bindung des I. Zusatzprotokolls zum Schutze der Bevölkerung im Kriegsfall beim Einsatz von Massenvernichtungswaffen wie der Atombombe.

Ein solcher Vorbehalt der BRD macht nur vor dem Hintergrund Sinn, daß die BRD künftig selbst eine Verfügungsgewalt über Atomwaffen anstrebt. Der Vorbehalt zu den Genfer Protokollen folgt damit den Vorbehalten, die die BRD im Rahmen der Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrages gemacht hat. Auch in einem völlig veränderten Europa halten die BRD zusammen mit den anderen NATO-Mitgliedsstaaten daran fest, Atomwaffen als einen wesentlichen Bestandteil der Militärdoktrin einzusetzen.

Ohne die zivile Atomstromproduktion der HEW und der anderen EVUs wären derartige militärische Ambitionen der BRD auf der internationalen "Bühne" kaum vorstellbar. In den von der HEW betriebenen Atomreaktoren wird jährlich rund eine dreiviertel Tonne Plutonium produziert (300 kg in Brunsbüttel, 450 kg in Krümmel). Die Abtrennung dieses Atomwaffenstoffes erfolgt in den Wiederaufarbeitungsanlagen der beiden westeuropäischen Atomwaffenstaaten Frankreich und England. Dies erschwert der BRD zwar den direkten Zugang zu dem Plutonium (allerdings lagert in Hanau ausreichend Plutonium, mit dem Atomwaffen gebastelt werden können), läßt aber eine politische Entwicklung zu, in der die BRD im Rahmen der europäischen NATO-Achse und der Europäischen Verteidigungsunion ein Mitverfügungsrecht über die Atomwaffen Frankreichs und Großbritanniens anstrebt. Die Drohung, ohne diese Mitverfügungsrechte ggf. eigene Atomwaffen herzustellen, könnte das wiedererstarkte Deutschland schnell zu einer Atommacht werden lassen.

Die Mit-Verantwortung der HEW wie der anderen atomaren Stromerzeuger am Bau einer deutschen Atombombe oder an der Mitverfügung über eine europäische Atombombe liegt auf der Hand.

Nur über den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie, den vollständigen Verzicht auf jegliche nationale oder internationale Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente kann die Risiken einer deutschen Atommacht reduzieren. Bezüglich des bereits abgetrennten und in reiner Form vorliegenden Plutoniums haben der Hamburger Umweltsenator und Aufsichtsratsvorsitzender Fritz Vahrenholt mit Unterstützung der HEW den Einsatz des Plutoniums in MOX-Brennelementen gefordert. Nur so können aus Sicht Vahrenholts der militärische Mißbrauch des bereits abgetrennten Plutoniums verhindert werden. Ein Position, die einerseits den weiteren Betrieb von AKWs fordert und andererseits auch noch Unsinn ist. So hat das Öko-Institut Darmstadt in einem eigens von der Hamburger Umweltbehörde beauftragten Gutachten vorgeschlagen, daß bereits abgetrennt vorliegende Plutonium nicht zu MOX zu verarbeiten sondern es statt dessen in die hochradioaktiven Atomabfälle aus der Wiederaufarbeitung zu mischen, es in Glas zu verpacken und zur Endlagerung bereitzustellen. Ein solches Verfahren, das beispielsweise in der WAA der Cogema in Frankreich machbar wäre, hätte den entscheidenden Vorteil, daß die AKWs abgeschaltet werden können, ohne das das abgetrennte Plutonium zu einem militärischen Risiko werden würde. Denn in dieser Form verpackt, so die Gutachter, müßte ein enormer Aufwand betrieben werden, solle das Plutonium jemals für militärische Zwecke verwendet werden. Doch weder die HEW noch der Umweltsenator haben diese Vorschläge bisher ernsthaft aufgegriffen.

Auch vor diesem Hintergrund findet die 100. Hauptversammlung der HEW statt. Eines derjenigen Unternehmen, dessen zivil erzeugtes Plutonium möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft in Atomsprengköpfen eingesetzt den militärischen Großmachtgelüsten der BRD neue Energie geben wird.

 

ENERGIEWENDE

 

Atomenergieproduktion ist zerstörerisch. Schon beim Uranabbau werden die dort lebenden Menschen verstrahlt. Durch den Betrieb der AKW erkranken und sterben Menschen hier an Leukämie. Wir alle sind täglich bedroht durch den Super-GAU, der weite Gebiete unbewohnbar und die Menschen unheilbar verstrahlen würde. Und der ständig wachsende Atommüllberg gibt das Verstrahlungsrisiko an viele Generationen nach uns weiter.

Kein Zweifel - wir müssen sofort raus aus der Atomenergie. In dem Moment stellt sich allerdings die Frage nach einer alternativen Energieversorgung. Denn die bisher gebräuchlichen fossilen Energieträger (Kohle, Öl, Gas) geben bei der Verbrennung viele Schadstoffe in die Umwelt - und vor allem tragen sie durch ihre CO2-Emissionen zum Anheizen der Erdatmosphäre bei. Eine Energiewende erfordert also auch, dem Treibhauseffekt durch eine drastische Reduzierung der CO2-Emissionen beizukommen.

Ziele

Eine Energiewende in Hamburg hat aus ökologischer Sicht zunächst zwei Oberziele zu erreichen.

1. den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie

2. eine deutliche Reduzierung der CO2-Emissionen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.

Auf der Weltklimakonferenz in Toronto (1988) wurde eine weltweite Reduzierung der CO2-Emissionen um 20% bis zum Jahre 2005 gefordert. Weil die Industrieländer die höchsten pro Kopf-Emissionen haben und viele Jahre bereits untätig vergingen, ergibt sich daraus für Deutschland die Forderung, die Emissionen bis zum Jahre 2010 um 50% zu senken.

Aufgrund der weltweiten negativen Erfahrungen mit der Atomenergie (Unfälle in Harrisburg und Tschernobyl, ungelöste "Entsorgung") hat auch der Hamburger Senat den Ausstieg aus dieser Art der Stromerzeugung beschlossen. Allerdings bedeutet die Bedingung, unter der der Ausstieg in der HEW-Satzung verankert wurde ("Ausstieg muß wirtschaftlich vertretbar sein"), eine wesentliche Einschränkung. Denn in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation der HEW, in der Kosten der Endlagerung und möglicher Unfälle nicht auftauchen, gilt der AKW-Betrieb als wirtschaftlich. Dies kann dazu benutzt werden, den Ausstieg in eine ferne Zukunft zu verschieben. Andererseits heißt dies aber auch: wenn ernsthaft alle zu fordernden Sicherheitsinvestitionen in AKWs mit berechnet werden, wäre deren Betrieb unwirtschaftlich.

Um den Treibhauseffekt einzudämmen, hat der Senat ein 24-Punkte-

Programm beschlossen. Diese Punkte sind isoliert aufgeführt und nicht in ein zielgerichtetes Konzept eingebunden. Damit werden voraussichtlich bis 2010 lediglich die CO2-Emissionswerte von heute gehalten werden können.

Hindernisse

In ihren Werbekampagnen erklärt die HEW, daß ohne AKW's noch wesentlich mehr CO2 ausgestoßen würde; die AKW's demzufolge also "Klimaretter" sind. In einer umfassenden Betrachtung ist genau das Gegenteil festzustellen.

Der wesentliche Hinderungsgrund für die Lösung des Klimaproblems sind die AKW's. Sind die Investitionskosten amortisiert, kann der Strom sehr billig hergestellt werden, aus betriebswirtschaftlicher Sicht kann damit kein Interesse am Abschalten vorhanden sein. Sind die Investitionen noch nicht amortisiert, ist noch weniger Interesse am Abschalten vorhanden.

Gerade die HEW, die über 80% ihres Stromes aus AKW's bezieht, hat deswegen aus dieser Sicht kein Interesse an einem AKW-Ausstieg. AKWs erreichen ihre höchste Rentabilität, wenn sie auf Vollast gefahren werden. Deswegen ist ein hoher Verbrauch zwingend nötig. Diese sogenannte Angebotsstrategie bewirkt also ein um so besseres Betriebsergebnis, je mehr Strom verkauft wird. An der Einführung der rationellen Nutzung von Strom kann kein Interesse bestehen. Die Aktivitäten der HEW in den Bereichen rationelle Energieverwendung/regenerative Energien/Werbung für Elektrogeräte sind ein exaktes Abbild dieser Konstellation: Es wird an einer ganzen Reihe von Pilotprojekten gearbeitet, die schon von unzähligen Vorgängern im Detail untersucht wurden. Damit läßt sich Zeit gewinnen. Was not tut ist eine breitflächige Umsetzung.

Ein Abschalten der AKWs würde die Voraussetzung dafür schaffen, die rationelle Verwendung von Strom und die Einführung regenerativer Energie massiv zu beschleunigen. Genau dies ist nötig, um das Klimaproblem zu lösen, wie ein Blick über den Tellerrand hinaus, also eine globale Betrachtung zeigt. Die Weltenergie-Konferenz hat ein Szenario vorgelegt, nachdem bis zum Jahr 2060 der Ausbau der Atomstromproduktion im Vergleich zu 1984 um das 20fache gesteigert würde. Trotz dieses exorbitanten Ausbaus steigen auch die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2060 auf das Doppelte (s. Hennicke 1993). Zurückkehrend zu Deutschland gilt die in die gleiche Richtung gehende Aussage der Bundesregierung, daß trotz Beibehaltung der AKW's bis 2010 nur eine CO2-Reduzierung von 10% erreicht werden kann. (s. Bu-Dr. 12/1799)

Anderseits zeigen die Effizienzszenarien ohne AKW's, dass die Eindämmung des weltweiten CO2-Ausstosses auf die vorgegebenen Ziele machbar und wirtschaftlich vertretbar ist. Ein hochindustrialisiertes Land wie die BRD ist weltweit in erster Linie gefordert, rationelle/regenerative Energieversorgungs-Systeme einzuführen.

Auswege

Eine Stillegung der AKW könnte ein handlungswilliger Senat bereits in der gegebenen Hamburger Struktur politisch umsetzen. Dazu bieten sich über die Mehrheitsaktien und dem Aufsichtsrat genügend Einflußmöglichkeiten auf die HEW (s. Beitrag AKW und Unterelbeindustrialisierung). Für eine durchgreifende Energiewende sind jedoch grundlegende Veränderungen nötig. Die HEW und die HGW (Gaswerke) sollen vordringlich in einem Stadtwerk zusammengefaßt werden. Dafür muß die Stadt in einem ersten Schritt die HEW-Aktien aufkaufen und in einem zweiten Schritt die HEW die restlichen HGW-Anteile kaufen. Damit bestimmt der Senat allein die Politik der HEW und ist nicht mehr durch das Aktienrecht (Vorstand, Kleinaktionäre) eingeschränkt. Ferner kommt in dieser Konstellation die HEW z.B. durch die Installation eines Erdgas-Blockheizkraftwerks (BHKW) nicht mehr in die Situation, daß sie der Konkurrenz zu einem Geschäft verhilft.

Parallel dazu wird das sich entwickelnde Stadtwerk von einem Energielieferanten in ein Energie-Dienstleistungs-Unternehmen umgewandelt (EDU). Damit wird von der Angebotsstrategie auf die Nachfragestrategie gewechselt.

Bei der Angebotsstrategie wird eine möglichst große Energiemenge verkauft, damit ist der Gewinn des Energie-Versorgungs-Unternehmen (EVU) am grössten. Bei der Nachfragestrategie wird dem Kunden primär eine Dienstleistung zur Verfügung gestellt (warmes Haus, angemessene Beleuchtung). Dabei wird der Kunde selbstverständlich jenes Angebot nützen, das für ihn langfristig das beste Preis-/Leistungsverhältnis darstellt.

In einer Ganzheitsbetrachtung, d.h. also in der volkswirtschaftlichen Betrachtungsweise, muß es nun so sein, dass das günstigste Angebot auch dasjenige mit dem geringsten Energieeinsatz ist. In manchen Fällen ist dies automatisch der Fall, z.B. ist es für die Stadtwerke Rottweil günstiger, Strom und Wärme aus einem stadteigenen Erdgas-BHKW anzubieten anstatt (eingekauften) Strom weiterzuverkaufen und separat Gas für die Wärmebereitstellung zu verkaufen.

In anderen Fällen ist allerdings eine Lenkung erforderlich, indem die EVU's an den Gewinnen beteiligt werden, die entstehen, wenn sie Programme für rationelle Stromnutzung auflegen. Der Gewinn darf nicht alleine beim Kunden bleiben. Hier ist die Strompreisaufsicht gefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Ferner wird es nötig sein, durch eine Energiesteuer die Energieträger mit ihren wirklichen Kosten zu belasten (Verursacher-Prinzip), damit das ökologischste Dienstleistungsangebot auch das günstigste sein kann.

Szenario für die sofortige Stillegung der Hamburger Atomkraftwerke

Ist die Abschaltung der Atomkraftwerke politisch durchgesetzt, sollte der dann ausbleibende Atomstrom kurzfristig soweit wie möglich aus eigenen Reserveanlagen ersetzt werden. Voraussetzung ist die sofortige und umfassende Modernisierung der fossilen Kraftwerkskapazitäten der HEW. Denn nach den Auflagen des Bundes-Immissions-Schutz-Gesetz (BImSchG) dürfen die Reseverkraftwerke der HEW nur eine geringe Stundenzahl im Jahr laufen.

Ob die fossilen Kraftwerke der HEW ausreichen, kurzfristig den fehlenden Atomstrom auszugleichen, hängt vom Verlauf der Jahreslastkurve ab. Denn die Höchstlast fällt nur einmal kurzfristig an. Im Jahres- und Tagesverlauf schwankt der Stromverbrauch immer zwischen Minimal- und Maximalwerten. Es müssen also genug Kapazitäten vorhanden sein, um die ständige Mindestnachfrage nach Strom abdecken zu können (Grundlast), und zusätzliche Kapazitäten, um die ständig schwankende Mittellast sowie die kurzfristig auftretenden Spitzenlastwerte abzudecken.

Die beiden Moorburg-Blöcke (1000 MW) würden vermutlich ausreichen, um den größten Teil der Jahres-Grundlast zu decken. Und auch die bisherige Höchstlast von 2007 MW ist gesichert. Aus Tabelle 2 geht hervor, daß die HEW über Reservekapazitäten von insgesamt 2.194 MW verfügt.

Entscheidend wird also sein, wie sich notwendige Nachrüstungen, begrenzte Einsatzzeiten, Stromzukauf und Energiewendemaßnahmen (rationelle Anwendung/neue Kapazitäten) sinnvoll aufeinander abstimmen lassen. Folgende Schritte sind notwendig:

1. Die Nachrüstung von Moorburg 1 und 2 muß unverzüglich durchgeführt und beendet werden mit dem Minimum an Zeitaufwand, der nötig ist, um die Auflagen des BImSchG zu erfüllen. Sodann wären beide Blöcke wieder unbegrenzt verfügbar. Derzeit hat die HEW die Modernisierung bereits begonnen, allerdings nicht mit der Prämisse, in jedem Fall damit AKW zu ersetzen

2. Der Vertrag mit der VEAG, ab 1.7.96 500 MW für Lieferungen bereitzustellen, muß rückgängig oder zumindest zeitlich ausgesetzt werden. Dieser Anteil wird mittelfristig für Hamburgs Versorgung ohne Atomstrom gebraucht.

3. Die Primäraluminiumproduktion in Hamburg (HAW) wird aufgegeben. Dies spart (bei gleichzeitigem Ersatz durch Sekundäraluminiumproduktion) ca. 1600 Mio. kWh oder 180 MW in der Grundlast ein. Der Stromliefervertrag endet am 30.6.1995. Sollte eine frühere Beendigung nicht möglich sein, sollte bis dahin für die HAW Strom aus dem Verbundnetz dazugekauft werden.

4. Erforderlich ist dann eine genaue Jahreslastplanung, um notwendige Nachrüstungen und Einsatzzeiten der Ersatzkraftwerke so abzustimmen, daß ein Stromzukauf möglichst überflüssig ist. Entscheidend wird sein, in welchem Zeitraum die notwendigen Nachrüstungen erfolgen können und zu welcher Jahreszeit sie vorgenommen werden. Fehlender Strom muß übergangsweise dazugekauft werden.

5. Konsequenz ist ein kurzfristig drastischer Anstieg der COČ-Emissionen, der bis 2010 im gesamten Energiebereich nicht nur ausgeglichen, sondern auch deutlich gesenkt werden soll.

Die ökologische Energiewende

Während die Stillegung der Atomanlagen sofort erfolgen kann, was aufgrund ihrer Gefährlichkeit auch geboten ist, wird eine Energiewende längere Zeiträume in Anspruch nehmen. Denn um die CO2-Emissionen zu senken, müssen durchgreifende Maßnahmen erstmal wirksam werden.

Eine Energiewende beruht auf den drei Pfeilern

- Energie einsparen (rationelle Anwendung)

- Energie rationell erzeugen (Kraft-Wärme-Kopplung)

- Einsatz regenerativer Energien (Wind, Sonne, Wasser, Biomasse)

Um einen Energiewendepfad für Verbrauch und Erzeugung von Strom skizzieren zu können, zeigen wir in den Tabellen 1 und 2 zunächst die aktuelle Situation auf.

Tabelle 1

Stromverbrauchsgruppen der HEW in Hamburg für 1992

Tarifkunden

3153 Mio. kWh

Sondervertragskunden

8342 Mio. kWh

Nachtspeicherkunden

779 Mio. kWh

Gesamtbedarf

12274 Mio. kWh

Tabelle 2:

STROMLIEFERANTEN FÜR HAMBURG IM JAHRE 1992 HEW

Grund- und Mittellast

Anlage

Primär

HEW-Anteil (%)

Leistung el.(MW)

Wärme (MW)

Mio. kWh

Stade

Uran

33,3

213

---

}

Brunsbüttel

Uran

66,7

514

---

}

Krümmel

Uran

50

630

---

}

Brokdorf

Uran

20

265

---

9733

Wedel 1+2

Kohle

100

217

300

}

Tiefstack

"

100

177

645

}

Hafen 2

"

100

55

418 inkl.

}

Neuhof

Öl

100

9

282

}

Harburg

Öl/Kohle

100

0

270

 

Spitzenlast und Schnellstart

Geesthacht

Wasser

100

120

---

}

Schnellstart-/Dauer-/nicht gesicherte Reserve

Gasturbinen

Öl

100

530

---

}

Moorburg

Öl/Gas

100

954

---

}

Hafen 1

Öl

100

115

s.Hafen 2

}

Wedel 4

Kohle

100

128

---

2003

Stromzukauf - Netzverluste

 

 

 

 

786

Verkauf gesamt

 

 

 

 

12522

Weitere Stromerzeuger

Öffentlich geförderte BHKW

33

67

191

(bis '96), ca. 5800h/a

Stadt Hamburg, BHKW und MVA

38

ca.76

219

ca. 5800h/a

Windkraft

1,8

4

0

(bis '95), ca. 2200h/a

Photovoltaik, ca. 1500h/a

0,25

0,4

0

 

Daten von weiteren Stromerzeugungsanlagen sind uns nicht bekannt, bzw. die Anlagen der Industrie unterliegen dem Betriebsgeheimnis.

CO2-Emissionen 1992

Der CO2-Ausstoss im Strombereich wird durch die mit Steinkohle, Öl und Gas befeuerten Kraftwerke der HEW verursacht. Bei der Verbrennung von 1 kWh aus Steinkohle entstehen 0,33kg CO2, bei 1 kWh aus Heizöl 0,28kg CO2 und bei 1 kWh aus Erdgas 0,19kg CO2. Für die Erzeugung von 2003 Mio. kWh (1992) entstehen also 1,7 Mio. Tonnen CO2/a (bezogen auf den Primärenergie-Einsatz).

Energiewendeszenario für 2010

Wesentlicher Pfeiler einer Energiewende ist die rationelle Anwendung von Energie, um gegenüber dem heutigen Zustand soviel Energieverbrauch wie möglich einzusparen. Für die einzelnen Verbrauchskundengruppen könnte das im Jahre 2010 so aussehen:

1. Die Stromabnahme bei den Tarifkunden ist in den letzten Jahren ohnehin rückläufig. Da aber bislang nur sehr spärliche und zögerliche Maßnahmen zur Stromeinsparung getätigt werden, sind die ausgewiesenen Potentiale von 10 bis 70% (z.B. im Enquete-Bericht, S. 162) noch längst nicht erschlossen. Deswegen wird hier für das Jahr 2010 eine Einsparung von 30 % bzw. ein Restbedarf von 2200 Mio. kWh angenommen. Einsparmöglichkeiten bestehen beim Kauf energiesparender Haushaltsgeräte und Lichtquellen, Nichtbenutzung von Standby-Schaltungen, Austausch der elektrischen Warmwasserbereitung usw.

2. Bei den Sondervertragskunden wird zunächst der Primäraluminiumanteil von 1600 Mio. kWh abgezogen. Vom verbleibenden Wert von 6800 Mio. kWh wird eine generelle Einsparung von 20% angenommen. Die Enquete-Komission geht von 10 bis 15 % (S. 162) aus. Der Bremer Energie-Bericht (S. 84)ermittelte in einer Unterstudie 11 bis 19%. Allerdings klammern diese Werte grundlegende technologische Neuerungen der nächsten Jahrzehnte aus und stützen sich auf eine schwache Datenbasis in einem wenig erforschten Gebiet. So verweisen sowohl ein Minderheitenvotum im Enquetebericht (S. 647) als auch der Bremer Energiebericht auf Einzelfallstudien, die wesentlich höhere Potentiale ausweisen. Die ermittelten Werte sind demnach als die Mindestpotentiale im Industriesektor anzusehen. Einsparpotentiale sind z.B. die Beleuchtungen von Produktionshallen, exaktere Regelungen und Dimensionierungen von Motoren, Warmluftvorhänge in Kaufhäusern, Klimaanlagen, Rolltreppen, usw. Abhängig vom Einzelfall gehören dazu auch technische Neuerungen. Somit verbleibt hier ein Bedarf von 5440 Mio. kWh. Sollten jedoch auch die Stahlwerke die Produktion in Hamburg aufgeben, würde sich der Bedarf noch einmal um zusätzliche 700 Mio. kWh reduzieren.

3. Die Nachtspeicher sollen als Heizungsart generell verschwinden. Dies ist so schnell wie möglich mittels beschleunigten Ersatz durch andere Heizungsarten zu erreichen. Im Jahre 2010 soll es dann nur noch einen Restverbrauch von maximal 100 Mio. kWh geben, weil sich aus baulichen, wirtschaftlichen oder technischen Gründen möglicherweise nicht alle Nachtspeicher ersetzen lassen.

Tabelle 3

Elektrizitätsbedarf in 2010

 eh. Tarifkunden

2200 Mio. kWh

eh. Sondervertragskunden

5440 Mio. kWh

eh. Nachtspeicherkunden

100 Mio. kWh

Gesamtbedarf

7740 Mio. kWh

Der Gesamtbedarf aus Tabelle 3 soll im wesentlichen durch Regenerative Energien und in Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt werden. Dazu ist es natürlich erforderlich, daß die Wind- und Sonnenenergienutzung massiv ausgebaut wird und fossile Energieträger nur noch mit einem hohen Wirkungsgrad - wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung - eingesetzt werden.

Tabelle 4

Stromerzeuger im Jahre 2010

Strom-Erzeugung (Mio. kWh)

 

Ort der Erzeugung

Regenerativ 4000

davon:

Windkraft 1900

Photovoltaik 2000

 

Wasserkraft 100

überwiegend Schleswig-Holst. u. Nieders

auf bebauten Flächen in Hamburg

überw. Geesthacht, ohne zus. Elbanstauung

Fossil 3740

davon:

KWK Industrie 1000

Eigenerzeugung in GuD-Kraftwerken, haupts. in Großunternehmen wie Raffinerien, usw

BHKW 1240

 

 

Wohnblöcke, Krankenhäuser, Schulen, Klein- und Mittelbetriebe

HEW-Kohle-KW 1500

 

z.B. die Blöcke in Wedel und Tiefstack

Gesamt 7740

 

 

Ferner kann durch den Betrieb von Biogasanlagen (als BHKW) aus verschiedenen Quellen ein weiterer Anteil an regenerativer Energie gewonnen werden. Brennstoffzellen können eine interessante Alternative sein, da sie Erdgas oder Wasserstoff mit einem elektrischen Wirkungsgrad von erwartungsweise 60% in Strom umwandeln (bei sehr guten Abgaswerten). Auch der Einsatz synthetischer Brennstoffe (Methan) aus Solarem Wasserstoff und Kohlenmonoxid könnte einen Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen leisten.

CO2-Emissionen 2010

Die CO2-Emissionen werden durch die Kohle-Kraftwerke, die Erdgas-BHKW und die in KWK betriebenen Anlagen (Erdgas) der Industrie verursacht. Für die Erzeugung von 3740 Mio. kWh aus fossilen Energieträgern (Kohle, Erdgas) entstehen also 2,4 Mio. Tonnen CO2/a (bezogen auf den Primärenergie-Einsatz).

Dies stellt gegenüber 1,7 Mio. Tonnen im Jahre 1992 eine Zunahme dar. Im Szenario für 2010 ist die Wärmenutzung aus der Stromerzeugung jedoch wesentlich umfangreicher als 1992. Das heißt, daß konventionelle Heizungen (Öl, Kohle, Nachtspeicher, Gas) in den Häusern durch Nah- und Fernwärme ersetzt werden können, ohne daß dadurch zusätzliche Emissionen entstehen. Allein dies wird zu einer Reduzierung der CO2-Emissionen im Wärmebereich führen, die wir hier nicht weiter quantifizieren konnten, jedoch wesentlich zum Ziel, die Emissionen langfristig absenken zu können, beitragen wird. Darüber hinaus gibt es im Heizungsbereich noch erhebliche Reduktionspotentiale (durch Wärmedämmung, passive Sonnennutzung), die die Enquete-Kommission mit über 70% angibt (S. 164). Und auch im Verkehrsbereich lassen sich die CO2-Emissionen mittels durchgreifender Maßnahmen (Tempo 30, Verlagerung von Individualverkehr auf Fahrrad, Busse und Bahnen, Verkehrsvermeidung, Autos mit geringerem spezifischen Verbrauch) deutlich senken.

In diesem Beitrag konnten wir auf begrenzter Seitenzahl ein Energiewendekonzept für Hamburg nur grob skizzieren. Eine ausführliche Broschüre zur Hamburger Energiepolitik und Möglichkeiten einer Energiewende wird in den nächsten Monaten vom Energiewendekomitee herausgebracht werden. Sie wird über die Kontaktadressen zu beziehen sein.

AM ENDE

In unserem Diskussionsprozeß zu den verschiedenen Aspekten der HEW-Geschäftspolitik sind wir nicht zu einem vorläufigen Schluß gekommen. Viele Dinge konnten wir nur anreißen. So haben wir zwar die Wachstumspolitik und Sozialpartnerschaft als gesellschaftlichen Rahmen für den Bau der AKWs benannt, sie aber nicht ausdrücklich mit der Kontinuität vom Faschismus der 30er / 40er zu dem über die Weltmarktstrukturen vermittelten Rassismus beim Uranabbau zusammenbringen können. Manch notwendige Diskussion fehlt ganz. Die derzeit gängigen Energiewendekonzepte versuchen das Problem mit den Atomkraftwerken zu lösen, indem Szenarien entwickelt werden, die sich innerhalb der gegebenen gesellschaftlichen Strukturen bewegen. Machverhältnisse und Profitorientierung werden nicht prinzipiell in Frage gestellt, sondern höchstens für Teile der Energiewirtschaft. Die Beiträge im Schwerpunktteil dieser Broschüre legen nahe, die Lösung in der Beseitigung einer profitorientierten Wirtschaftsweise zu suchen. Denn eines dürfte deutlich geworden sein: das Problem sind nicht alleine die Atomkraftwerke, sondern darüber hinaus die gesellschaftlichen Strukturen, die es der HEW ermöglicht haben und weiterhin ermöglichen, ihren Profit auf Kosten von Mensch und Natur zu machen, mit welchem Energieträger auch immer.

Klar ist, wir werden uns weiterhin für die sofortige Stillegung der Atomkraftwerke einsetzen und uns darüber hinaus auch gegen eine Energiepolitik wenden, die wiederum an anderer Stelle zerstörerisch wirkt (Treibhauseffekt durch CO2-Emissionen, Staudammbauten für Wasserstofftechnolgie). Die HEW wird da auch weiterhin eine Adressen unserer Aktivitäten bleiben.

Unklar bleibt, wie Wege zur Veränderung zwischen reformerischen Energiewendekonzepten und einer grundsätzlichen Ablehnung marktwirtschaftlichen und rassistischen Struktur dieser Gesellschaft zu finden sind. An dieser Diskussion wollen wir dranbleiben. Die werte LeserInnenschaft ist aufgefordert, sich daran zu beteiligen.

Hamburg im Juni 1994

Impressum: HG: Aktionskreis Stillegen Brunsbüttel, Anti Atom Büro, Gewaltfreies Aktionsbündnis, BI Umweltschutz Geesthacht, BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg, Eltern für unbelastete Nahrung e.V., Energiewendekomitee Hamburg, LBU Niedersachsen, Robin Wood Hamburg, Tschernobyl Gruppe Hamm /Horn

Quellenangaben bzw. weiterführende Literatur zu den einzelnen Kapiteln:

Quellen zum Faschismus:

- Karl Heinz Roth: Die HEW - ein Nazikonzern. Arbeiterkampf Nr. 320 v. 25.6.94 - HEW-Jahresberichte 1931 bis 1946

- Beimel/Grobeker/Verg. Stadt am Strom. 100 Jahre Strom und Fernwärme für Hamburg - HEW. Hamburg 1994

- Hennicke/Johnson/Kohler/Seifried: Die Energiewende ist möglich. Frankfurt am Main 1985

- Eckardt/Meinerzhagen/Jochimsen: Die Stromdiktatur. Hamburg 1985, Rasch und Röhring Verlag

- John Hopp, Die Hölle in der Idylle, Das Außenlager Alt-Garge des Konzentrationslagers Neuengamme, 2. Auflage, zu beziehen beim Autor, Postfach 1338, 21413 Winsen / Luhe (die 1. Auflage wurde von John Hopp und Grit Petersen veröffentlicht)

- Ralph Giordano, Die Bertinis, Fischer Taschenbuch, November 1988

Quellen zu Uranabbau:

- "Voices from Wollaston Lake", Miles Goldstick 1987, verlegt von Earth Embassy und WISE

- "Das Uran und die Hüter der Erde", Holger Schuhmacher u.a. 1990, Quell Verlag Stuttgart

- "Das Uran muß in der Erde bleiben", Informationsmappe des BUND und der Gesellschaft für bedrohte Völker 1988

- "Canada, Credibility Environmental rewind process damaged", aus WISE News Communique Nr. 407 (Feb. 94)

- "Environmental racism and nuclear development", aus WISE News Communique Nr. 387 (März 93)

- Gesellschaft für bedrohte Völker (Hrsg.): Pogrom: Der lange Weg zur Selbstbestimmung, Nr. 140, 19.Jahrgang, Göttingen 1988

- Hensel, Gert: "Strahlende Opfer", Ökozid extra, Focus-Verlag Giessen 1987

- Bü.-Drucksache 14/2527: Schriftliche kleine Anfrage des Abgeordneten Holger Matthews (Grüne/GAL) an die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21.9.1992

Quellen zu Wasserstoff:

- Jürgen Deppe, Quebecs Flüsse unter Strom. die tageszeitung, 17.12.92.

- Rede von R. Domnick auf der HEW-Aktionärsversammlung am 8.7.93

- GHW (Hrsg.), Wasserstoff - Energieträger für eine saubere Zukunft

- HEW-Geschäftsbericht 1992

Quellen zur Unterelbeindustrialisierung:

- Reynolds-Industrieansiedlung Modell Hamburg. Dokumentation der AG gegen die Unterelbeindustrialisierung. Selbstverlag Hamburg 1978

- Nach Tschernobyl Stade? Abschalten! Broschüre hrsg. v. BBA, Bremen 1987

- Markus Mohr, Alles wie geplant. Magazin-Verlag Kiel 1985

- Ja - ich auch! Eine Broschüre zur HEW-Atompolitik. Hrsg. Gewaltfreies Aktionsbündnis Hamburg 1990.

- Hennicke/Johnson/Kohler/Seifried: Die Energiewende ist möglich. Frankfurt am Main 1985

- Friderike Seithel, Indigene Völker - Unterdrückte im eigenen Land! in: Klima Konkret Nr. 1/1994

- HEW-Geschäftsberichte

- diverse Zeitungsmeldungen, s. Pressearchiv vom Anti-Atom-Büro/Gewaltfreies Aktionsbündnis

Quellen zur Leukämie:

- Matthias Demuth, Leukämiemorbidität bei Kindern in der direkten Umgebung des

Kernkraftwerkes Krümmel, Verlagsgemeinschaft Eickholt/Harden, Juni 1991

- J.Michaelis, B.Keller, G.Haaf, P.Kaatsch, Untersuchung der Häufigkeit von

Krebserkrankungen im Kindesalter in der Umgebung westdeutscher kerntechnischer

Anlagen, Schriftenreihe Reaktorsicherheit und Strahlenschutz des BMU, Februar 1992

Quellen zur Entsorgungslüge:

- Der Sorgenbericht. Argumente für sofortige Stillegung. Hrsg. vom Umweltzentrum Münster, September 1990.

- Bürgerschafts-Drucksache 15/1095 v. 22.4.94. Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der GAL-Fraktion.

Quellen zur Atombombe:

- Hans-Michael Empell,Die BRD - eine künftige Nuklearmacht? in: ak Nr. 354, Mai 1993

- Matthias Küntzel, Bonn und die Bombe. Deutsche Atomwaffenpolitik von Adenauer bis Brandt. Frankfurt/Main 1992

- Hans-Peter Hubert, ... und der atomare Status (Groß)Deutschlands? in: ak 1990

Quellen zu Energiewende:

- Hennicke, Peter. Atomenergie am Ende, 1993

- Krupp, Christoph. Hamburgs Beitrag zum Treibhauseffekt, Veröffentlichung des Energiewende-Komitees, Hamburg 1992

- Strom aus Wasser-, Wind- und Sonnenenergie in Hamburg. Studie von Irmhild Kopfermann für Umschalten e.V., Hamburg 1992

- Gärtner, Klaus. Kann Hamburg ohne Atomkraftwerke mit Strom versorgt werden? Unveröfftl. Skript, Hamburg 1992

- HEW-Geschäftsbericht 1992

- Schutz der Erde. Dritter Bericht der Enquete-Kommission des 11. Deutschen Bundestages "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre". Bonn 1990, Band 2

- Das energiepolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung - Energiepolitik für das vereinte Deutschland. Bundestags-Drucksache 12/1799 vom 11.12.1991