akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 442 / 28.09.2000

Atommeiler für den Frieden

Waffenplutonium als ziviler Brennstoff

Jeweils 34 Tonnen Plutonium sollen laut einer Vereinbarung zwischen den USA und Russland in den nächsten Jahren aus atomaren Sprengköpfen ausgebaut und aus der militärischen Nutzung entlassen werden. Zusätzlich verschärft wird das Ganze noch durch die Plutoniummengen, die aus den zivilen Atomprogrammen der westlichen Länder stammen. Aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente deutscher Atomkraftwerke häuft sich allein für die Bundesrepublik eine Menge von über 30 Tonnen Plutonium an, und der Berg wächst weiter. Was tun mit dem Bombenstoff?

Für die zivile und nun auch die militärische Atomwirtschaft ist die Sache klar: Das aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und aus den Atomsprengköpfen stammende Plutonium soll als neuer Brennstoff für die Atomreaktoren eingesetzt werden. Plutonium Mischoxid-Brennelemente (MOX) sind für diese Kreise die Lösung. Angesichts des enormen militärischen Gefährdungspotenzials, das von dem Plutonium ausgeht, heißt die pazifistische Argumentation auch der deutschen Atombranche: Das in reiner Form vorliegende Material wird mit Uran gemischt und anschließend zu neuen Brennelementen für den Reaktorbetrieb verarbeitet. Dort werden die MOX-Elemente derart verstrahlt, das es eines enorm hohen technischen Aufwandes bedarf, um das Plutonium erneut zu extrahieren. So weit so gut. Doch damit ist der Plutoniumkreislauf noch nicht am Ende, denn Russland hat angekündigt, die bestrahlten MOX-Elemente anschließend wiederaufzuarbeiten und erneut MOX herzustellen. Außerdem plant Russland den Einstieg in die Schnelle-Brüter-Technologie.

Dieser Plan kann nur funktionieren, wenn Atomkraftwerke am Netz bleiben. Die vielfach behauptete Trennung der zivilen und militärischen Nutzung der Atomenergie ist allerspätestens mit diesen Planungen dahin.

Anzunehmen ist, dass sich in den nächsten Jahren die Debatte um den Weiterbetrieb hiesiger Atomreaktoren um Abrüstungsargumente anreichern wird. Die AKW-Betreiber werden mit Sicherheit den Weiterbetrieb ihrer Atommeiler als abrüstungspolitische Notwendigkeit verkaufen.

Atomwirtschaft macht auf pazifistisch

Die Absicht Russlands und der USA, das aus den Sprengköpfen ausgebaute Plutonium zu MOX-Elementen zu verarbeiten, dürfte für eine MOX-Schwemme sorgen. Werden diese MOX-Elemente nicht bestrahlt, ist es ein Leichtes, das Plutonium wieder herauszulösen und erneut als Bombenstoff einzusetzen. Was liegt also näher, als es in Atomreaktoren einzusetzen, um dem Frieden zu dienen?

Vor diesem Hintergrund ist der derzeit diskutierte Export einer MOX-Fertigungsanlage der Siemens AG nach Russland von überaus großer Bedeutung, weil eben auch die Frage nach dem Weiterbetrieb deutscher Atommeiler durch eine MOX-Schwemme in naher Zukunft neu gestellt werden dürfte.

Der abrüstungspolitische Schlager, den Siemens den Russen anbietet, steht derzeit noch in Hanau. Dort betrieb die Siemens AG eine kleinere MOX-Fertigungsanlage und baute zusätzlich an einer neuen, größeren Anlage. Als es Anfang der 90er Jahre in der Altanlage zu immer neuen Störfällen kam, legte der damalige hessische Umweltminister Joschka Fischer diese kurzerhand still. Auch um die im Bau befindliche Neuanlage gab es heftige Auseinandersetzungen, die letztlich dazu führten, dass Siemens 1995 aufgab und auf die Fortsetzung des Genehmigungsverfahrens verzichtete. Der Standort Hanau wurde dichtgemacht.

Schon damals hatte Siemens in der anlaufenden Abrüstungsdebatte zwischen den USA und Russland versucht, die Hanauer MOX-Anlage als friedenspolitischen Beitrag zu verkaufen. Auf allen Kanälen bot sich Siemens an, die aus den Atomwaffenprogrammen auszuschleusenden Plutoniummengen in Form von MOX-Brennelementen zu beseitigen. Damals jedoch noch ohne Erfolg.

Heute hingegen scheint ein Verkauf der Hanauer Anlage als durchaus wahrscheinlich. Eine entsprechende Voranfrage zum Export dieser Anlage hat Siemens inzwischen gestellt. Schröder hat bislang keine Bedenken gegen einen solchen Export geäußert und auch der grüne Fischer sieht rechtlich keine Handhabe, den Deal zwischen Siemens und Russland zu verhindern. In einem Brief an die grüne Bundestagsfraktion verspricht er aber, dass die Bundesregierung sich an der Finanzierung eins "MOX-Projektes" nicht beteiligen wird. Mit anderen Worten: Bürgschaften der Bundesregierung soll es für dieses Siemens-Geschäft mit Russland nicht geben. Fischer verspricht seiner Fraktion, dass "Deutschland ... deshalb die Immobilisierungsoption verfolgen" und erreichen will, dass zumindest Teile des Waffenplutoniums verglast oder keramisiert werden. Große Probleme scheint die Grünen-Fraktion mit diesem Deal aber kaum zu haben. Die energiepolitische Sprecherin Michaele Husstedt verweist lediglich darauf, dass das gesamte Projekt der Zustimmung der G7-Länder bedarf. Schärfere Kritik kommt lediglich von VertreterInnen der neu gegründeten "atompolitischen Opposition" der Grünen. Hartwig Berger (Berlin) und die niedersächsische Landesvorsitzende Heidi Tischmann forderten, den Export durch "mehr Rückgrat" bei den beteiligten Grünen zu verhindern.

Um das Plutonium zu "entschärfen", stehen nur wenige Möglichkeiten zur Verfügung. Neben dem MOX-Einsatz kommt lediglich die Verglasung oder die Keramisierung des Plutoniums in Frage. Dabei wird der Bombenstoff mit hochradioaktiven flüssigen Lösungen aus der Wiederaufarbeitung von Brennelementen vermischt und anschließend entweder in Glas oder in ein Keramikgebinde eingeschmolzen. Dieses Material könnte dann endgelagert werden. Die enorm hohe Strahlung dieser Kokillen soll dann die Schutzfunktion übernehmen, zu verhindern, dass das Plutonium wieder als Bombenstoff eingesetzt werden kann. Angesichts der hohen Strahlung kann es nur mit enorm hohem technischen Aufwand wieder separiert werden.

Während die USA zumindest eine Menge von 8,5 Tonnen der aktuell 34 Tonnen Plutonium auf diese Weise aus dem Kreislauf ziehen will, weigert sich Russland konsequent, diese Form der Plutonium-Entsorgung auch nur in Betracht zu ziehen. Angesichts knapper Divisen setzt Russland offenbar darauf, die neu gefertigten MOX-Brennelemente in alle Welt zu verkaufen. Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass dann auch deutsche Energieversorger zu den Abnehmern zählen werden.

Grüner Widerstand
nicht vorhanden

Mit Blick auf Fischers Zusage, dass die Bundesregierung sich gegenüber Russland für die Verglasung einsetzen wird, stellt sich die Frage, mit welchen Argumenten das geschehen soll. Denn Russland kann ohne weiteres darauf verweisen, dass Deutschland selbst nichts anderes mit den vorhandenen Plutoniummengen aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente macht. Nach dem Ende der MOX-Fertigung in Hanau haben die deutschen Energieversorger neue Verträge mit französischen Unternehmen abgeschlossen. Vor einigen Jahren haben die Franzosen in Cadarache extra eine neue MOX-Fabrik in Betrieb genommen, die ausschließlich für das Ausland und eben auch deutsche Abnehmer MOX herstellt. Chef dieser Anlage ist inzwischen der ehemalige Leiter der Hanauer Plutoniumfabriken.

Angesichts dieser Faktenlage dürfte die Überzeugungskraft der Bundesregierung gegenüber Russland nicht allzu groß sein. Berücksichtigt man außerdem, dass es aus Grünen-Kreisen keine hörbaren Stimmen gegen die USA gibt, die nur einen kleinen Teil verglasen, das meiste Plutonium aber ebenfalls zu MOX verarbeiten will, dann darf man gespannt sein, mit welchen diplomatischen Zaubertricks Fischer Russland überzeugen will.

Die Debatte um den Export der Hanauer Anlage macht das Plutonium-Desaster auch der bundesdeutschen Atompolitik deutlich. Im Atomkonsensvertrag wird dieses Problem mit keiner Silbe erwähnt, obwohl es von enormer Brisanz für den weiteren Betrieb der AKWs ist. Jenseits des MOX-Einsatzes verfügt auch die Bundesrepublik über keine Möglichkeit, das Plutonium zu verglasen. Dazu würde ihr auch die erforderliche Menge an hochradioaktiven flüssigen Abfällen fehlen, mit der das Plutonium vermischt werden müsste. Lediglich in den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield könnte das angegangen werden. Bislang zeigten sich deren Betreiber aber nicht sonderlich interessiert. Ohne konkrete Alternativen der Plutonium-Entsorgung bleibt der MOX-Einsatz als einziger Weg. Und dazu müssen die AKWs noch einige Jahrzehnte am Netz bleiben, wenn sie die immer noch wachsenden Plutoniumberge abarbeiten wollen.

Hier entstehen neue "Sachzwänge", die die Atomwirtschaft ganz sicher für sich nutzen wird. Das Ende der Atomwirtschaft, wie es die rot-grüne Bundesregierung verspricht, dürfte auf lange Sicht eine leere Versprechung bleiben.

DSe

Kein MOX aus Hanau

Mitte der 90er Jahre musste die Siemens AG mit ihren Hanauer MOX-Fabriken feststellen, dass es für diese Technik nur ein begrenztes Interesse auch bei den AKW-Betreibern gab. Nachdem auf Grund von zahlreichen Störfällen die alte MOX-Anlage in Hanau vom damaligen hessischen Umweltminister Joschka Fischer dichtgemacht wurde, gab Siemens 1995 auch die fast fertiggestellte neue und größere MOX-Anlage auf. Zuvor hatten die immer weiter ansteigenden Fertigungskosten dieser Anlage dazu geführt, dass sich die bundesdeutschen Atomunternehmen weigerten, die eskalierenden Kosten weiter zu tragen. Schon damals - die Abrüstungsdebatten zwischen den USA und Russland in Sachen Plutonium hatten begonnen - versuchte Siemens die Hanauer Fabriken mit dem Hinweis darauf zu retten, dass das militärische Plutonium in Hanau zu MOX-Brennelementen verarbeitet werden könnte. Damals hatte das keine Chance. Die bundesdeutschen AKW-Betreiber schlossen Verträge mit Frankreich zur Fertigung von MOX. Siemens gab den Standort Hanau vollkommen auf.

DSe

Teures MOX

Im Bereich der zivilen Atomenergienutzung ist das Modell MOX nichts Neues. Das in der Wiederaufarbeitung aus den bestrahlten Brennelementen abgetrennte Plutonium sollte ehemals als Ausgangsmaterial für die Schnellen Brüter eingesetzt werden. Als klar wurde, dass diese Technologie keine Chance haben würde, setzten die deutschen und andere Atomunternehmen dann auf die MOX-Karte. Angesichts der wachsenden Plutoniummengen mussten Anwendungen für diesen Stoff gefunden werden. Mit dem Einsatz des Plutoniums in Form von MOX-Brennelementen in den hiesigen Atomkraftwerken sollte die vom noch geltenden Atomgesetz geforderte "schadlose Verwertung" der abgebrannten Brennelemente umgesetzt werden. Über 30 Tonnen waffenfähiges Plutonium haben die deutschen Betreiber inzwischen angehäuft.

Doch der MOX-Einsatz ist für die AKW-Betreiber keine einfache Sache. Allein die Kosten für diese MOX-Brennelemente sind im Vergleich zu herkömmlichen Uran-Brennelementen um ein Vielfaches teurer. Dies führte schon in der Vergangenheit dazu, dass die Atomwirtschaft nicht gerade versessen war, diese MOX-Brennelemente auch tatsächlich in den AKWs einzusetzen. Nur knapp die Hälfte der AKWs hat für diesen speziellen Brennstoff eine Genehmigung. Einige andere AKW-Betreiber haben teilweise schon Ende der 80er Jahre entsprechende Anträge gestellt. Dazu zählen beispielsweise die HEW, die seit nun schon über zehn Jahren die Anträge aufrechterhalten, aber an einer Genehmigung offenbar nicht ernsthaft interessiert sind. Bis heute ist nicht erkennbar, dass die MOX-Verfahren für die AKWs Brunsbüttel und Krümmel einen Schritt vorangebracht werden. Aber auch diejenigen Betreiber, die Genehmigungen für den MOX-Einsatz besitzen, nutzen diese nur in begrenztem Maße.

Inzwischen verschärft sich der kommerzielle MOX-Einsatz noch zusätzlich dadurch, dass die rot-grüne Bundesregierung den Unternehmen die Bildung von Rückstellungen für die MOX-Brennelemente verboten hat. Außerdem führt der wachsende Kostendruck seit der Liberalisierung der Strommärkte dazu, dass die Betreiber mit spitzer Feder rechnen müssen. Der Einsatz von MOX wird dadurch aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten noch unattraktiver. Allerdings waren bei der Atomenergie noch nie wirtschaftliche Aspekte wirklich ausschlaggebend.

DSe


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