akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 441 / 31.08.2000

Wendland in der Ukraine

International gegen Endlagerprojekte

Auf Einladung der Umweltinitiativen Bahmat und Mama 86 aus Artemovsk im Donetsker Gebiet startete eine 10köpfige Gruppe von Atomkraftgegner/innen aus dem Wendland Ende Juli zu einer Infotour in die Ukraine. Ein Salzbergwerk in der Nähe von Artemovsk wird vom ukrainischen Geologen und Chefberater der ukrainischen Regierung, Dimitriy Krushchev, als Endlagerstätte für schwach- und mittelaktive Abfälle favorisiert. Per Internet hatten sich die Umweltschützer beider Länder "kennen gelernt". Eine Fahrt in die Sperrzone von Tschernobyl, zahlreiche Pressegespräche und ein umfangreiches Besichtigungsprogramm im Raum Artemovsk standen auf dem Besucherprogramm.

Gleich drei Meldungen in der englischsprachigen Kyiv Post vom 27. Juli illustrieren das Desaster der gegenwärtigen ukrainischen Energiepolitik. Als diplomatischen Erfolg feiert das Kiewer Blatt die Weigerung Polens, eine neue Gaspipeline der russischen Gazprom durch Polen bauen zu lassen und somit die Ukraine zu umgehen. Wegen Fluchtgefahr - so die zweite Meldung - sitzt der ehemalige ukrainische Ministerpräsident Pavlo Lazarenko in den USA in Untersuchungshaft. Er wurde in der Schweiz in Abwesenheit wegen Geldwäsche verurteilt, und 6,6 Millionen US-Dollar von seinen Schweizer Konten wurden konfisziert. Der dritte Artikel befasst sich ausführlich mit einem Untersuchungsprogramm in der 30-Kilometer-Sperrzone rund um Tschernobyl. Dort werden strahlenbelastete Kühe gehalten, deren Fleisch und Milch immer noch stark kontaminiert ist.

Der Super-GAU ist hier in erster Linie forschungspolitisch von Interesse. Eine leise Ahnung des entsetzlichen Leids, dem die Bevölkerung in den Dörfern und der Geisterstadt Pripjet sowie die sogenannten Liquidatoren ausgesetzt waren, spürt nur, wer die Region besichtigt, wer die Erdhügel gesehen hat, unter denen ganze Dörfer begraben sind, oder wer den Friedhof hochverstrahlter Militärfahrzeuge, Feuerwehren und Helikopter zu Gesicht bekommen hat, die in der 30-Km-Zone in Reih und Glied für die Ewigkeit als Atomschrott dauergeparkt sind.

75 Milliarden Kubikmeter Gas konsumieren die Ukrainer bzw. verbraucht die Industrie, 18 Mrd. Kubikmeter werden im Lande gefördert, der Rest kommt aus Russland. Als Mautgebühr für die Durchleitung des Gases nach Westeuropa bekommt das Land 30 Mrd. Kubikmeter "geschenkt", die restlichen 27 Mrd. Kubikmeter hat das Land bislang abgezweigt, ohne zu zahlen. Offiziell eingestanden wird ein Schuldenberg von 1,4 Mrd. US-Dollar, Moskau fordert hingegen über 2 Mrd. Dollar von der Ukraine.

Korruption, Schulden und Verschwendung

Das Land geht mit Energie extrem verschwenderisch um. Angesichts des "Gasklaus" ist es kein Wunder, wenn Energie als Kostenfaktor bislang so gut wie gar nicht ins Gewicht fiel. Im Vergleich zu Westeuropa ist der Energieeinsatz in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt vier Mal höher. Die Ineffizienz der Industrie wiederum hat mit der Energieverschwendung, hohen Leitungsverlusten sowie der Ausbeutung unrentabler Kohlegruben zu tun. Aber auch die Macht der alten Nomenklatura spielt eine große Rolle. Acht bis zehn Oligarchen beherrschen das Land, meist sind oder waren sie die Chefs der staatlichen Schlüsselindustrien wie jener Pavlo Lazarenko. Der ehemalige Direktor der staatlichen Energiebehörde Jedinyje Energetitscheskije Sistemy, 1997 für 11 Monate Premierminister unter Kuchma, mit dem er zudem verschwägert ist, soll, so das Gerücht, 907 Mio. US-Dollar in seine Tasche gewirtschaftet haben: das ist knapp ein Drittel des ukrainischen Staatshaushalts.

Um energetisch von Russland unabhängiger zu werden, setzt Präsident Leonid Kuchma mit breiter Unterstützung durch das Parlament auf die Atomkraft. Die bestehenden fünf Atomkraftwerke mit ihren 14 Blöcken schlagen mit ihrer 67%igen Verfügbarkeit alle anderen Energieträger haushoch. Die Ukraine will mit Mitteln der Europäischen Bank für Wiederaufbau (EBRD) die Blöcke Rovno 2 und Chmelnitsky 4 (Kürzel R2/K4) vollenden als Kompensation für die Stilllegung der Reaktoren in Tschernobyl. Der letzte Reaktor soll dort am 15. Dezember abgeschaltet werden. Für die erneute Ummantelung des brüchigen Sarkophags fehlen immer noch 62 Mio. Dollar. 760 Mio. Dollar sind seitens der G-7 Staaten für den Einschluss des Katastrophenreaktors zugesagt. Experten rechnen allerdings damit, dass allein für die nächsten 15 Jahre die doppelte Summe nötig wird, um den Sarkophag zu sichern.

Die Bundesregierung wird sich an der Finanzierung der Reaktoren R2/K4 nicht beteiligen. Leonid Kuchma wurde bei seinem Deutschlandbesuch im Juli in Leipzig bedeutet, dass Rot-grün jedoch bereit ist, den deutschen Beitrag im Rahmen des 1995 unterzeichneten Memorandum of understanding zu zahlen: allerdings für die Förderung konventioneller Energien oder für die Ertüchtigung von Leitungsnetzen. Diese gewandelte Position unterstrich auch der deutsche Botschafter Dr. Eberhard Heyken gegenüber der Besuchergruppe. Damit ist die Vollendung der Reaktoren jedoch nicht ausgeschlossen: einerseits wollen die anderen G-7 Staaten das auf 1,4 Mrd. Dollar veranschlagte Projekt unterstützen, vor allem Siemens und Framatome hoffen auf die milliardenschweren Kredite, andererseits unterbreitete kürzlich auch Russland das Angebot, die beiden Blöcke für nur 800 Mio. Dollar zu Ende zu bauen. Ein Controllingverfahren soll außerdem verhindern, dass diese Gelder in den Taschen von korrupten Oligarchen verschwinden.

Ein Land, in dem es noch nicht einmal Gaszähler gibt, ist anfällig für "Billiglösungen". Eine dieser Billiglösungen schlägt der Geologe Dimitrij Krushchev vor: er möchte in einem ausgedienten Salzbergwerk im Gebiet Artemovsk im südöstlichen Teil der Ukraine ein Endlager für nicht-wärmeentwickelnde Abfälle einrichten. Dass in diesem Gebiet Speisesalz seit dem Mittelalter abgebaut wird und die erste Schachtanlage bereits vor 130 Jahren gebaut wurde, dass das Bergwerk nur 280 Meter unter der Erdoberfläche liegt und Wasserwegsamkeiten bestehen, spielt in den Überlegungen Krushchevs keine bedeutende Rolle. Er debattierte auf der abschließenden Pressekonferenz in Kiew aggressiv mit dem mitgereisten Kieler Quartärgeologen und Gorleben-Experten Professor Klaus Duphorn. Irgendwo unter Tage ließe sich schon ein Platz für den Müll finden.

Kein deutsches Geld für das Atom

In Soledar, dem Bergwerksort, und Artemovsk ist die Position der kommunalen VertreterInnen einhellig. "Wenn hier ein Atommülllager eingerichtet wird, ist die Stadt tot", sagte Walentina Laschko, die Bürgermeisterin in Soledar. 30 Prozent der Werktätigen aus Soledar sind im Salzbergwerk beschäftigt, und bei der Einlagerung von Atommüll sei der Rufschaden so groß, dass sich das Speisesalz nicht mehr vermarkten ließe. In den Salzkavernen ist ein Sanatorium eingerichtet, das könnte man dann ebenfalls gleich schließen. Und Artemovsk fürchtet ebenfalls um den guten Ruf: dort wird der weltberühmte Krimsekt in einem Bergwerk unter Tage im Kreidefels gebraut. Sind bei so einhelliger Ablehnung in der Region die Endlagerpläne in Soledar nicht vom Tisch? Walentina Laschko warnt: "Die Verfassung und die Gesetze funktionieren noch nicht so, deshalb kann das trotzdem passieren, schließlich kann man damit auch viel Geld verdienen."

Was gibt eine deutsche Delegation, vornehmlich Mitglieder einer Nicht-Regierungs-Organisation, auf einer abschließenden Pressekonferenz in der deutschen Botschaft zu Protokoll? Sie gibt sich diplomatisch: Dass die Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen hat, dass es Aufgabe der Bürgerbewegung sei, diesen - unzulänglichen - Beschluss wirklich werden zu lassen und den Atomausstieg zu beschleunigen, dass man sich in Deutschland gegen Hermesbürgschaften für den Bau von Atomanlagen und gegen den Export von Atomtechnologie einsetzen wird. Dass Wissen Macht ist und deshalb dem Informationsaustausch mit den ukrainischen Umweltschützer/innen ein hoher Stellenwert zukommt.

Wolfgang Ehmke


Europäische Endlagersuche in der Ukraine

Im Auftrag der Europäischen Kommission erstellten deutsche, englische und ukrainische Wissenschaftler eine "Machbarkeitsstudie" (Feasibility Study for an Underground repository) für die Atommüllendlagerung in der Ukraine.

In ihrem Abschlussbericht, der 1999 vorgelegt wurde, schlägt das Forscherteam ausgediente Erz- und Uranminen und auch das Salzbergwerk bei Artemovsk als potenzielle Endlagerstätten vor. Das Erz von Saksagan in der Nähe des Atomzentrums Zaporizhzha rangiert aus hydrogeologischen Erwägungen in der Vorschlagsliste ganz oben.

Bereits 1997 legte die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) eine Vorläuferstudie vor, in der ausgediente Bergwerke in der Ukraine auf ihre Eignung als mögliche Endlager vorgestellt wurden. Auch hier tauchen Erz, Uran und Salz als Endlagerstein auf.

Dass mit der Endlagerung des Atommülls auf dem internationalen Parkett lukrative Gewinne winken, hat den russischen Atomminister Jewgeni Adamow kürzlich dazu bewogen, die ehemaligen nuklearen Testgebiete Sibiriens als Atommülllagerstätten ins Gespräch zu bringen. Nach Angaben Adamows könnten Dumping-Preise Interessenten locken, die er in Vorgesprächen in der Schweiz, Deutschland, Spanien, Südkorea und Taiwan ausgemacht haben will.


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