akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 441 / 31.08.2000

Pokern um den ersten Castor

Nach nun schon über zwei Jahren ohne Castortransporte wird es in den vorhandenen Lagern der Atomkraftwerke eng. Inzwischen hat die rot-grüne Bundesregierung erste Genehmigungen für Atomtransporte bewilligt. Nur Castoren sind seither noch nicht gerollt.

In der Anti-Atom-Bewegung ist mensch etwas unschlüssig, was davon zu halten ist. Einerseits sind viele stolz, dass sich Staat und Atomwirtschaft so vor dem Widerstand fürchten, dass sie nun seit über zwei Jahren keine Castoren mehr auf Reisen schicken. Vor allem durch die fehlenden Transporte zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und Sellafield könnte dazu beigetragen werden, die verantwortungslose WAA-Technologie früher als geplant zu beenden.

Andererseits gibt es bei manchen inzwischen den heimlichen Wunsch nach einem neuen Transport. Dies vor allem deshalb, weil AKW-Betreiber und Regierung versuchen, das weitere Wachstum des Atommüll-Berges durch Verzicht auf Transporte zu verschleiern.

Weil aber die Lagerkapazität in den sogenannten Abklingbecken bei einigen Reaktoren erschöpft ist, drängen die AKW-Betreiber in letzter Zeit wieder massiver auf Transporte.

Noch in diesem Jahr, so fordern die Stromkonzerne, sollen zwei Castor-Züge von den süddeutschen AKWs Neckarwestheim und Biblis zum westfälischen Zwischenlager Ahaus rollen. Hoher Druck herrscht auch weiter zur Wiederaufnahme der Transporte von hochaktiven WAA-Abfällen aus La Hague nach Gorleben. Bis 2005, so wird vorgerechnet, sollen 100 Behälter ins Wendland rollen, im nächsten Jahr sind zwei Sixpack-Züge vorgesehen. Wichtig ist für die deutsche Seite der erste Gorleben-Transport auch deshalb, weil Frankreich daran bisher die Bereitschaft knüpft, auch wieder Müll aus den hiesigen AKWs anzunehmen. Und gerade diese Transporte zu den Wiederaufarbeitungsanlagen sollen in den nächsten Jahren jegliche Atommüll-Engpässe überbrücken helfen. Noch im September wird mit den ersten Genehmigungen für Castor-Züge nach La Hague gerechnet.

Doch noch gilt es für die Atommüll-Spediteure einige Hürden zu überwinden. Da sind zum einen Probleme mit einem neuen Beladeverfahren für die Castoren. Nur in Neckarwestheim ist es bisher gelungen, sechs Behälter zu packen - sie stehen praktisch abfahrbereit auf dem Gelände. Doch in Biblis und Philippsburg geht es nicht mehr voran. Dort hat es trotz mehrmaliger Versuche nicht geklappt, die Behälterdeckel vollständig abzudichten. Jetzt möchten die Betreiber zum alten Beladeverfahren zurückkehren, obwohl dann wahrscheinlich wieder Probleme mit Restfeuchte im Dichtungsbereich auftreten - ein Teufelskreis, der den Atomstromern noch schlaflose Nächte bereiten kann.

Castor im November
nach Ahaus?

Zweites Problem ist noch immer die etwas altersschwache Seerauer Bahnbrücke bei Dannenberg im Wendland. Zwar können normale Personenzüge das Bauwerk überqueren, aber für die schweren Castoren ist die über 100 Jahre alte Stahlkonstruktion nicht ausgelegt. Bisher konnte ein Abriss und Neubau auf Grund der Denkmalschutzbestimmungen verhindert werden. Doch jetzt soll trotzdem gebaut werden. Kein Gesetz ohne Ausnahmeregelung und so kann auch der Denkmalschutz aufgehoben werden, wenn wichtige öffentliche Belange dafür sprechen. In den nächsten Wochen wird im Wendland mit dem Baubeginn gerechnet. Doch es hat sich eine Initiative zum Erhalt des Denkmals gegründet, die auch ein Widerstandscamp plant, sobald die Baumaschinen anrollen.

Aber selbst wenn alle technischen Probleme gelöst sind, bleibt die Furcht des Staates vor dem massiven Widerstand der Anti-Atom-Bewegung. So wurde im Juli erstmals in der Geschichte ein Transportantrag vom Bundesamt für Strahlenschutz abgelehnt, weil die Polizei die Sicherung der Strecke nicht gewährleisten konnte. Geplant war ursprünglich, die Seerauer Brücke weiträumig zu umgehen und die Castoren im sachsen-anhaltischen Arendsee zu verladen. Doch die Innenministerien der beteiligten Bundesländer machten deutlich, dass es für sie unmöglich ist, die mehr als 30 km waldreiche Straßenstrecke zwischen Arendsee und Gorleben entsprechend zu sichern.

Auch bei den jetzt lautstark geforderten Transporten nach Ahaus spielt die nordrhein-westfälische Polizei auf Zeit. Sie fordert immer wieder aufs Neue eine sechsmonatige Vorbereitungsfrist ein, obwohl diese eigentlich schon längst angelaufen ist. Dieses seltsame Spiel macht AtomkraftgegnerInnen aus dem Münsterland misstrauisch. Schließlich wurden sie schon beim letzten Ahaus-Transport 1998 beinahe ausgetrickst, als der Castor-Zug einige Tage früher als angekündigt durch die Republik rollte.

Der Ahauser Bürgerinitiative liegen ernst zu nehmende Hinweise vor, dass der Bundesgrenzschutz Vorbereitungen für einen Transport Anfang November getroffen hat. Dies wird von offizieller Seite dementiert. Erst in den nächsten Wochen wird sich herausstellen, wie es wirklich kommt.

Wachsamkeit ist also geboten. Gleiches gilt für die absehbare Genehmigung für Transporte zur Wiederaufarbeitung. Weiterhin geht die baden-württembergische Polizei davon aus, dass sie mit relativ geringem Aufwand einen WAA-Transport beispielsweise aus dem badischen Philippsburg zügig über die französische Grenze schaffen kann. Es könnte also plötzlich sehr schnell gehen.

Taugt der Castor also noch zum Symbol für die Auseinandersetzung um die Atomkraft? Solange die Atommüll-Züge nicht rollen, wäre es falsch, in Inaktivität zu verharren. Aber wenn der erste auf Reisen geht, dann gilt es die Chance beherzt zu nutzen. Die Gefahr: Der Castor rollt genau dann, wenn kein Mensch mehr daran glaubt, dass er kommt.

Jochen Stay

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