akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 440 / 06.07.2000

Die Regierung handelt -
Die Bewegung schweigt

Der Atomkonsens samt grüner Zustimmung ist unter Dach und Fach. Trotz dieses umfassenden Horrorkataloges und der Dreistigkeit von Rot-Grün, das Ganze auch noch unter dem Label "Atomausstieg" der Öffentlichkeit zu verkaufen, blieb der große öffentlichkeitswirksame Aufschrei der Anti-Atom-Bewegung aus.

Dabei hat die Verkündung des "Atomkonsenses" die Bewegung beileibe nicht unvorbereitet getroffen. Unter dem Motto "Konsens ist Nonsens" wurde das desaströse Ergebnis der Konsensstrategie bereits zu Beginn der Verhandlungen vorhergesagt.

Auf der letzten Anti-Atom-Bundeskonferenz Anfang April in Mülheim a.d.R. (vgl. ak 435, 436, 437) war die Kritik der rot-grünen Atompolitik ein Schwerpunkt in der Diskussion über Perspektiven und Strategien der Bewegung. Dort wurde bereits die Notwendigkeit einer radikalen Kritik an der Konsenspolitik der Bundesregierung formuliert. Rot-Grün sollte nicht länger kampflos die Definitionsmacht über den Begriff des Atomausstiegs überlassen werden. Mit ihrer Forderung nach sofortiger Stilllegung aller Atomanlagen wollte die Bewegung der zynischen Restrisiko-Logik rot-grüner Realpolitik offensiv entgegentreten. Die unvermeidliche politische Abnabelung von der Partei Bündnis 90/Die Grünen als moderne Sachwalterin der Interessen der Atomindustrie sollte als öffentlichkeitswirksamer Bruch inszeniert werden. Die grüne Bundesdelegiertenkonferenz in Münster erschien deshalb vielen als der geeignete Kristallisationspunkt für eine bundesweite Aktion gegen den drohenden "Atomkonsens".

Gute Vorsätze
der Bewegung

Da es bei der aktuellen Atompolitik der Regierung auch um die endgültige Stilllegung des politischen Konfliktes um die Atomenergienutzung in diesem Land geht, und die Restglaubwürdigkeit und das Befriedungspotenzial der Grünen als ehemalige Anti-Atom-Partei nicht unterschätzt werden darf, geht es bei dem Konflikt um die Konsenspolitik auch um eine Existenzfrage der Bewegung. Nur eine erfolgreiche Repolitisierung der Anti-Atom-Bewegung und das Erschließen neuer Handlungs- und Aktionsfelder kann das absehbare Ausbleiben von Castor-Transporten als Hauptkristallisationspunkt in den neunziger Jahren kompensieren.

Allen Perspektiv- und Strategiedebatten sowie allen guten Vorsätzen und Aktionsplanungen zum Trotz ist die Bewegung beim Versuch einer Umsetzung ihrer Erkenntnisse bisher jämmerlich gescheitert.

Der Versuch einer größeren Mobilisierung zur grünen Bundesdelegiertenkonferenz in Münster verlief auf Grund der mangelnden Resonanz und dem politischen Desinteresse großer Teile der Bewegung im Sande (vgl. dazu auch den Versuch einer bundesweiten Demonstration im vergangenen Jahr, ak 425 ff). Auf schlecht besuchten Vorbereitungstreffen wurde die Mobilisierung der für konfrontativere Aktionen notwendigen Mindestzahl an TeilnehmerInnen als unrealistisch angesehen. Die Chance zu einem spektakulären Bruch mit den Grünen - nach dem Vorbild der Anti-Kriegs-Bewegung beim Bielefelder Kriegsparteitag - wurde dadurch verpasst. Selbst das abgesprochene Minimalkonzept einer symbolischen Schließung der Urananreicherungsanlage in Gronau samt anschließender Schlüsselübergabe an Umweltminister Trittin scheiterte an der politischen Ablehnung auf einem Treffen der Urankampagne, die sich mehrheitlich "nicht schon wieder an den Grünen abarbeiten" wollte. Die Chance einer Verbindung der inhaltlichen Anliegen der Urankampagne mit öffentlichkeitswirksamen Anti-Konsens-Aktionen blieb deshalb ebenfalls ungenutzt.

Auch die Verkündung des "Atomkonsenses" und das Überbieten aller negativen Prognosen und Erwartungen der Bewegung ändert nichts mehr an der vorherrschenden Haltung aus Indifferenz, Desinteresse und politischer Ignoranz.

Eine öffentlich wahrnehmbare Reaktion der Anti-Atom-Bewegung auf die Festlegung der Rahmenbedingungen des Atomprogramms für die nächsten Jahrzehnte bleibt aus.

Nach den gescheiterten Mobilisierungsversuchen blieb der Anti-Atom-Bewegung in Münster nicht mehr als pflichtschuldiges Abspulen eines routinierten Minimalprogramms. Umweltverbände und Bürgerinitiativen verkünden in diversen Presseerklärungen ihre Ablehnung der Vereinbarung. Einige wenige prominente Bewegungsaktivisten äußern sich als Interviewpartner in verschiedenen Medien. Der taz-Ausgabe zur Grünen-BDK wird noch schnell eine Sonderausgabe der Anti-Atom-Zeitung "Restrisiko" beigefügt. Dort werden die Delegierten von Bündnis 90 /Die Grünen in einem offenen Brief der "Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) unter dem Slogan "Sagt Nein" dazu aufgefordert, den Pakt mit der Atomindustrie abzulehnen. Als hätten sich Delegierte grüner Landes- und Bundesparteitage in den letzten Jahren schon jemals durch gute Argumente von einer Entscheidung abbringen lassen, die die Regierungsverantwortung ihnen auferlegt.

Der Protest vor der Münsterlandhalle blieb mangels AktivistInnen fast ausschließlich Umweltverbänden wie BUND und Greenpeace überlassen. Deren symbolische Aktivitäten dürften die meisten Delegierten unter der bei grünen Bundeskonferenzen üblichen Begleitfolklore verbucht haben. Selbst das Aufhängen einiger Anti-Atom-Transparente im Tagungssaal wurde großzügig hingenommen. Ernst zu nehmende Störungen des Tagungsablaufs blieben trotz des unkomplizierten Zugangs zur Halle aus. Eine machtvolle und ernst zu nehmende soziale Protestbewegung war für die grünen Delegierten jedenfalls nicht erkennbar. Einige grüne Realos formulierten deshalb hämisch, dass auf die Anti-Atom-Bewegung in Zukunft ja wohl keine Rücksicht mehr genommen werden müsse.

Umsetzung?
Gibt es nicht!

Ob die für September im Wendland geplante bundesweite Anti-Konsens-Demonstration die bisherigen politischen Versäumnisse ausgleicht und zu einer machtvollen Manifestation gegen die rot-grüne Atompolitik wird, bleibt abzuwarten. So wie es aussieht, ist die Bewegung für eine wirkliche Kraftprobe mit der rot-grünen Bundesregierung auf neue Castor-Transporte angewiesen.

Tobi,

Anti-Atom-Plenum Ruhrgebiet


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