akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 440 / 06.07.2000

Altlastenbeseitigung auf grüne Art

Die Grünen haben sich endgültig von ihrer Geschichte verabschiedet und die wenigen Linken, die noch in der Partei verblieben waren, haben sich selbst entsorgt. So lässt sich wohl die Bundesdelegiertenkonferenz vom 23. bis 24. Juni in Münster zusammenfassend bilanzieren. Das deutliche Ergebnis, mit dem der von der Bundesregierung ausgehandelte Atomkonsens verabschiedet wurde und den Fischer, Trittin und andere aufs engste mit der Fortsetzung der Berliner Koalition verbunden hatten, macht klar, dass die Grünen auf dem direkten Weg zur Mitte nicht mehr aufzuhalten sind.
Mit der neuen Parteispitze Künast und Kuhn sowie dem neuen Parteirat wird sich Bündnis90/
Die Grünen vor allem an der FDP ausrichten und abarbeiten.

Es mag nach diesem Parteitag diverse Austritte geben. Doch nach dem weitgehend gescheiterten Versuch eines organisierten Austritts im letzten Jahr (Kosovo-Kriegs-Zustimmung) wird es mit Sicherheit ein Austritt in Richtung einer kleinen Bürgerinitiative oder ins Privatleben sein. Mehr ist offenkundig nicht drin. Doch für viele vermeintliche Linke innerhalb der Grünen kommt selbst das nicht in Frage. Antje Radcke, die sich in weiser Vorausschau, dass sie bei den Wahlen zum Sprecheramt gegen Künast sowieso keine Chance haben würde, wenige Tage vor der BKD weit aus dem Fenster lehnte und der Versammlung die Ablehnung des Atomkonsens empfahl, will nach ihrer Niederlage nicht austreten. Stattdessen will sie die Basisarbeit vor Ort wieder aufnehmen, weil es da so viel zu tun gibt. Die Linke ist auf Abtauchstation gegangen und räumt kleinlaut das Feld. Dass sie sich - betrachtet man die hohen Ergebnisse bei den Wahlen zum Parteivorstand und -Rat - an den Wahlen beteiligt haben und die Personalentscheidung im Kern mittragen hat, macht deutlich, dass sich die Linken in ihr Schicksal fügen.

Der Marsch in die Mitte dürfte nun noch glatter verlaufen. Egal ob es um die Umstrukturierung der Bundeswehr für weltweite Kriegseinsätze, die weitere Einsparpolitik gegen SozialhilfeempfängerInnen oder etwa die "Effizienzsteigerung" in der deutschen Flüchtlings- bzw. Einwanderungspolitik (weniger Asyl - mehr nützliche Ausländer) geht: die Grünen modernisieren für ein effizientes Deutschland mit dem besser verdienenden Mittelstand. Hier liegt jetzt das Zentrum grüner Politik. In der Wirtschaftspolitik werden die Unterschiede zur FDP kleiner werden. In Fragen Minderheitenschutz, liberale Grundhaltungen und Ökologie stellen die Grünen das fortschrittliche Element dar, dass sich wirtschaftkonform mit intelligenten Lösungen zu etablieren versuchen wird und so die Räume gegen die FDP abstecken wird. Dabei setzten die Grünen - das hat die BDK deutlich gemacht - vor allem auf ein verbessertes Marketing. Künast und Kuhn werden das Image aufpolieren, was das Zeug hält. Uns werden die Erfolge grüner Politik in den kommenden Monaten vermutlich nur so um die Ohren fliegen.

Erfolge sind, was hinten raus kommt

In Sachen Atomausstieg haben sich die Grünen nun endgültig von ihren Roots verabschiedet. Dabei halten sie es nicht einmal für wichtig, um Verständnis bei der Anti-AKW-Bewegung zu bitten. Offenkundig interessiert es die große Mehrheit bei den Grünen nicht die Bohne, was die Anti-AKW-Bewegung vom Atomkonsens hält. Es wird sicherlich noch viele Grüne geben, die sich auch weiter an Aktionen der Anti-AKW-Bewegung beteiligen werden, die zur Demo am 23. September in Gorleben mobilisieren oder sich zu den kommenden Castortransporten auch quer stellen werden. Doch das dürfte nur noch im Rahmen der Freizeitbeschäftigung stattfinden. Dass sich die Grünen für diesen Konsens ausgesprochen haben, ist nicht unbedingt verwunderlich. Auch das Maß der Zustimmung kann heute wirklich niemanden mehr umhauen. Der echte Hammer an dem Ja der Grünen zu diesem Konsens ist, dass sie damit definitiv der Atomwirtschaft aus ihrer schlimmsten Problemlage heraushelfen - dem Entsorgungsdesaster. Jahrzehntelang haben die Grünen gemeinsam mit der Anti-AKW-Bewegung gegen die vollkommen ungelöste Entsorgung argumentiert und die These vertreten, dass die Stilllegung sämtlicher AKWs schon deshalb auch rechtlich geboten sei, weil es den geforderten Entsorgungsnachweis faktisch nicht gäbe. Ein Endlager ist nicht vorhanden, Gorleben in jedem Fall ungeeignet. Die Wiederaufarbeitung habe mit Entsorgung nichts zu tun, sondern vervielfache sogar noch die zu entsorgende Atommüllmenge. Gerade der heutige Staatssekretär im Umweltministerium Rainer Baake hatte in seiner Zeit in Hessen massiv und intensiv diese faktisch fehlenden Entsorgungsnachweise zum Thema gemacht, wollte auf diesem Weg die Betreiber des AKW Biblis zum Abschalten zwingen. Mehrfach war ihm die damalige CDU-Bundesumweltministerin Merkel in die Parade gefahren, hatte per Weisung die Behörde aufgefordert, an dieser Problematik nicht weiter zu sticheln. Davon weiß Baake heute nichts mehr.

Die Grünen hatten schon vor der letzten Bundestagswahl in der Vorbereitungsphase die Entsorgung als Ansatzpunkt für eine Ausstiegspolitik beiseite geschoben. Vor allem die Hessen waren es, die die Debatten um die Entschädigung in den Mittelpunkt rückten und die Entsorgungsproblematik klein redeten. Ganz zu schweigen davon, dass bis zur Bundestagswahl die Grünen Restlaufzeiten von nur noch fünf (!) Jahren für verfassungsrechtlich ausreichend hielten und in umfangreichen rechtlichen Studien klarstellten, das die Abschaltung der AKWs in dieser Frist auch entschädigungsfrei möglich wäre.

Was war noch
vor der Wahl?

Egal was die Bundesregierung nun in das zu novellierende Atomgesetz schreiben wird. Nach einer nächsten Bundestagswahl und einem Regierungswechsel könnte das mühelos wieder zurückgeholt werden. Braucht es aber nicht. Mit den vereinbarten Strommengen ist die Atomwirtschaft mehr als zufrieden gestellt und zukunftsfähig. Mit den neuen Lagerhallen an den Standorten sorgt die jetzige Regierung dafür, dass es in etwa fünf Jahren auch fast (!) keine Castortransporte mehr geben wird. Einer der wenigen Aspekte des Atomprogramms, an dem es der Anti-AKW-Bewegung über Jahre gelungen war, den Druck gegen die Atomwirtschaft immer weiter zu erhöhen, wird damit abgeschafft. Das Problem ist damit nicht aus der Welt und die Grünen können sich als Verdienst an die Brust nageln, dass sie es waren, die die neuen Standort-Zwischenlager letztlich durchgesetzt haben. Nun werden sie diese Lager noch genehmigen müssen. Dann werden die Castoren nur noch auf dem Betriebsgelände hin und her geschoben. Besser hätte die ungelöste Entsorgung für die Atomwirtschaft gar nicht entpolitisiert werden können.

Überhaupt Biblis: da behaupteten die hessischen Grünen mit Baake an der Spitze in ihrer dortigen Regierungszeit, dass das AKW Biblis aus Sicherheitsgründen sofort abgeschaltet werden müsste. Merkel ging dazwischen und kassierte sämtliche Stilllegungsverfügungen aus dem damals grünen hessischen Umweltministerium. Heute ist auch dazu nichts mehr zu hören. Auch die ältesten Schrottmeiler dürfen im Konsens mit den Grünen weiter betrieben werden und nur die Atomwirtschaft selbst entscheidet - natürlich nach wirtschaftlichen Kriterien, wann ein AKW abgeschaltet wird. Dazu hätte es wahrlich keines Konsens bedurft, dass macht der Kapitalismus ganz allein klar.

DSe


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