akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 08.06.2000

Unterversichert -
Kein Fall für die Allianz

Die Ärzteorganisation IPPNW hat eine neue Kampagne gegen die Atomenergie begonnen, mit der sie vor allem auf eine eher konservative Öffentlichkeit zielt. Mit einer bundesweiten Unterschriftenaktion macht sie die Versicherung der AKWs gegen Unfälle aller Art zum Thema und will erreichen, dass die künftig nur noch mit einer vollen Haftpflichtversicherung betrieben werden dürfen.

Derzeit sind die AKWs nur mit einer Schadenssumme von einer Milliarde DM gegen die Folgen von Unfällen versichert. Davon müssen die Betreiber allerdings nur 500 Millionen DM selbst tragen, bzw. die entsprechenden Prämien bezahlen. Die diesen Betrag übersteigenden Kosten übernimmt der Staat. Das dieser Betrag den tatsächlichen Schäden, die ein schwerer Atomunfall in der Bundesrepublik auslösen könnte, in keiner Weise angemessen ist, erkennt vermutlich schon der Laie. Die rot-grüne Bundesregierung hatte schon vor einiger Zeit angekündigt, im Rahmen der Novellierung des Atomgesetzes die Schadensvorsorge auf einen Betrag von 5 Milliarden DM festzusetzen. Doch auch ein solcher Betrag ist geradezu lächerlich. Bezogen auf eine Stadt wie Hamburg mit rund 1,8 Millionen EinwohnerInnen würde das bedeuten, das jeder nur einen Betrag von 2.777 DM als Entschädigung erhalten würde.

So beeindruckend also die Geste der rot-grünen Regierung auf den ersten Blick sein mag, die derzeitige Schadenssumme quasi zu verfünf- bzw. zu verzehnfachen, so weit liegt sie von der Wirklichkeit entfernt. In einer Studie der keineswegs atomenergiekritischen Prognos AG, die noch vom damaligen Wirtschaftminister Rexrodt (FDP) in Auftrag gegeben wurde, kamen die Gutachter zu dem Ergebnis, das sich der Schaden nach einem Super-Gau in einem deutschen Atommeiler auf die unvorstellbare Summe von 10.000 Mrd. DM belaufen dürfte. So makaber derartige Rechenbeispiele sein mögen, wenn man die grausamen und tödlichen Folgen für die betroffenen Menschen bedenkt: Klar ist, das die AKWs gegen die Schäden, die sie auslösen können, hoffnungslos unterversichert sind. Ein klarer Fall für die Allianz-Versicherung. Doch die will damit nichts zu tun haben.

Nach dem Unfall von Tschernobyl haben alle Versicherungen eine Konsequenz gezogen: in jeder Versicherungspolice ist seit dem der Hinweis, das Schäden, die in Folge radioaktiver Strahlung eintreten, als höhere Gewalt von der Schadensregulierung und der Versicherung ausgenommen ausgenommen sind. Rainer Stephan von der IPPNW nennt dies eine faktische Enteignung. Denn sollte es zu einem Super-Gau kommen, dann dürften die Opfer, wenn sie denn überhaupt die Katastrophe überleben, ohne jede Entschädigung dastehen.

Bernd Hahnfeld von der Neuen Richtervereinigung, einem Zusammenschluss von bundesweit rund 500 Juristen, weist darauf hin, das allein nach dem Atomgesetz Handlungsbedarf besteht. Denn im Paragraf 13 des Atomgesetzes, der die Schadensersatzpflicht regelt, ist vorgesehen, das die Ermittlung der Schadenskosten alle zwei Jahre vorzunehmen ist. Die derzeitige Regelung mit der Grenze bei einer Milliarde DM stammt aber noch aus den 60er Jahren, als das Atomgesetz geschaffen wurde. Seitdem hat sich an dieser Summe nichts geändert. Hahnfeld sieht hier sogar verfassungsrechtliche Probleme. Aus seiner Sicht verstößt die derzeitige Situation gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes (Artikel 3) und gegen den Artikel 14, der den Schutz des Eigentums garantiert. Ersterer sei deshalb verletzt, weil "Atomkraftwerke im Gegensatz zu anderen Fabrikanlagen und sonstigen gefahrengeneigten Aktivitäten unangemessen haftpflichtversichert" sind. Der Verstoß gegen die Eigentumsgarantie besteht aus seiner Sicht darin, das angesichts der geltenden Schadenssumme derzeit lediglich "nur rund 0,1 Prozent der Sach- und Vermögensschäden unser Mitbürger entschädigt werden können."

IPPNW fordert daher, dass die rot-grüne Bundesregierung die Versicherungsprämien der AKW-Betreiber endlich auf das Niveau der tatsächlich zu erwartenden Schäden bringen muss. Renate Backhaus, atompolitische Sprecherin des BUND, beziffert die erforderliche Versicherungsprämie auf satte 350 Millionen DM pro Jahr und AKW.

Mit der jetzt laufenden Unterschriftenaktion wollen die Initiatoren erreichen, das endlich auch wieder über die Gefahren der Atomenergie-Nutzung öffentlich diskutiert wird. Auf einer Pressekonferenz in Hamburg kritisierten sie die rot-grüne Bundesregierung und die laufenden Konsensgespräche auch damit, dass nur noch über die wirtschaftlichen Verluste der Atomindustrie geredet werde, nicht aber über das enorme Sicherheitsrisiko, das die AKWs darstellen.

Das Bündnis, das sich für diese Unterschriftenaktion zusammengetan hat, ist einigermaßen interessant, - weil bemerkenswert konservativ besetzt. Denn neben der IPPNW, dem BUND und der Neuen Richtervereinigung unterstützen auch die Christlichen Demokraten gegen Atomkraft (CDAK) und die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) diese Aktion. Der KLJB hat bundesweit immerhin 70.000 Mitglieder und ist neben ländlicher Jugendarbeit auch im Bereich des "Dritte-Welt-Handels" aktiv. Im Rahmen der katholischen Kirche engagiert sich der KLJB derzeit auch dafür, das die Kirchen und ihre Einrichtungen künftig keinen Atomstrom mehr einsetzen und auf regenerativen Strom umsteigen. Der CDAK besteht aus CDU/CSU-Mitgliedern, die sich nach eigenem Anspruch für die "Überwindung der Kernenergie" einsetzen. Bundesweit zählt der CDAK rund 700 Mitglieder. Vor allem bei den Grünen müsste die Kritik dieses Kreises an der rot-grünen Atompolitik tiefste Bestürzung auslösen. In einer Presseerklärung wirft Detlef Chrzonsz, Bundesvorsitzender des CDAK, der Bundesregierung "Täuschung und Doppelzüngigkeit vor, weil sie vom Ausstieg nur redet und gleichzeitig zu Lasten der Volkswirtschaft den nuklearen Weiterbetrieb noch über den Rahmen hinaus absichert, den die Regierung Kohl der Atomwirtschaft zugestehen wollte."

DSe

Infos und Unterschriftenlisten gibt es unter: www.atomhaftpflicht.de


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