akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 437 / 13.04.2000

Zwischen Wendepolitik

und Energiewende

Einige Anmerkungen zur Diskussion um die Strommarktliberalisierung

Auf dem Strommarkt ist viel in Bewegung. Die europaweite Liberalisierung muss oft als Begründung für verschiedene Phänomene herhalten: Preisstürze, Arbeitsplatzabbau, Übernahmen, Fusionen, vermeintliches Ende der regenerativen Energien usw. Doch Arbeitsplatzabbau und Verkauf kommunalen Eigentums an E-Werken auf Grund leerer öffentlicher Kassen sind Entwicklungen, die nicht erst durch die Liberalisierung, sondern bereits vorher durch politische und ökonomische Strategien geschaffen wurden.

Erklärtes Ziel der CDU/FDP-Regierung seit der "Wende" 1983 war die Verbesserung der Akkumulationsbedingungen für das Kapital. Dazu gehörte die Privatisierung öffentlichen Eigentums sowie die Umverteilung des volkswirtschaftlichen Reichtums durch Steuerentlastungen und Subventionen einerseits und der Abbau von Sozialleistungen andererseits.

Diese Ziele wurden weitgehend umgesetzt: Von 1980 bis 1996 stiegen das Bruttosozialprodukt um 137%, die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 240%, das private Geldvermögen um 233% und die Nettolohn- und Gehaltssumme um 97%. Im gleichen Zeitraum verdreifachte sich die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen und vervierfachte sich die Zahl der Arbeitslosen.

Gleichzeitig lag das Aufkommen aus veranlagter Einkommens-, Körperschafts-, Kapitalertrags-, Vermögens- und Gewerbesteuer 1997 rund 17 Milliarden DM unter dem Niveau von 1992 (-12,8%). Damit verminderte sich der Anteil der fünf überwiegend den Unternehmen und den Vermögensbesitzern zuzurechnenden Steuern am Bruttoinlandsprodukt von 4,4 auf 3,3 %, während die Lohnsteuerquote bei rund 8% verblieb. Die Steuerquote insgesamt erreicht mit 21,7% den niedrigsten Stand seit 1951 und verwies Deutschland auf den vorletzten Platz der EU-Staaten (vgl. D. Horn-Wagner (ÖTV Hamburg) auf einer Veranstaltung am 26.1.2000).

Wendepolitik führt zu leeren Kassen

Das trifft für Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen zu. Mit unterschiedlichen Schlüsseln werden die einzelnen Steuern auf diesen drei Ebenen verteilt. Die Kosten der steigenden Anzahl der SozialhilfeempfängerInnen gehen einseitig allein zu Lasten der Kommunen und Städte.

Angesichts des vom Bund durchgesetzten Einnahmenverzicht blieben auch bei Ländern und Kommunen die Einnahmen hinter den Ausgaben zurück. So wurde der "Zwang" zum Verkauf kommunalen Eigentums geschaffen. Im Energiesektor wirkt dies seit einigen Jahren. Der Verkauf kommunaler Anteile an Stadtwerken findet seit Beginn der 90er Jahre statt (z.B. in Hamburg, Bremen, Berlin, Hannover).

Betriebswirtschaftlich ist bei den Konzernen seit den 90er Jahren das Konzept des Shareholder Value maßgebend. Diese Strategie zielt auf einen möglichst hohen Aktienkurs, begleitet von einer ertragsreichen Dividendenausschüttung. So sollen vorrangig die Interessen der Anteilseigner bedient werden. Wichtiges Instrument dabei ist der Abbau laufender Kosten: Einerseits durch Rationalisierung im Betrieb, d.h. technischer Fortschritt und Erhöhung des Leistungsdrucks auf die ArbeitnehmerInnen und andererseits die Auslagerung von Abteilungen, um die gleiche Leistung sodann billiger einzukaufen. Auch in großen Konzernen werden die einzelnen Abteilungen dem Konkurrenzdruck des Marktes preisgegeben: bei Leistung gleicher Qualität zählt nur noch das günstigste Angebot. Die Folge ist ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen bei gleichzeitiger Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Ein ebenso wichtiges Instrument ist die Übernahme anderer Firmen, um den eigenen Marktbereich zu vergrößern und dann doppelt vorhandene Abteilungen und Arbeitsplätze zu vernichten (die sog. Synergien). Wo Übernahmen nicht gehen, finden dann Fusionen statt.

Im Energiesektor gab es bereits die erwähnten Einkäufe der Energiekonzerne in städtische E-Werke, die spätere Übernahmen vorbereiten helfen. Eine erste Fusion unter den großen Stromkonzernen fand 1996 zwischen den Badenwerken und der EVS zur EnBW statt. In der gesamten Strombranche wurden zwischen 1991 und 1995 knapp 30.000 Arbeitsplätze (von 217.590 auf 187.860) gestrichen.

Die europaweite Liberalisierung sichert diese Entwicklungen auf den Strommärkten ordnungspolitisch ab und führt gleichzeitig zu ihrer Beschleunigung. Die Preiskonkurrenz in allen Marktsegmenten erhöht den Druck, die Kosten zu senken, um am Markt bei sinkenden Preisen bestehen zu können. Gleichzeitig bieten Fusionen unter den großen Energieversorgern die Möglichkeit, die eigene wirtschaftliche Macht zu vergrößern sowie Hauptkonkurrenten auszuschalten, in dem man mit ihnen zusammengeht. Durch die derzeit beschlossenen Fusionen reduziert sich die Zahl der großen Energieversorger auf drei bis vier Unternehmen, die bundesweit in allen Bereichen tätig sind:

1. RWE AG, gebildet aus der jetzigen RWE und VEW,

2. die zur VEBA/VIAG gehörende E.ON, gebildet aus PreussenElektra und Bayernwerk,

3. EnBW, bei denen die französische EdF eine Minderheitsbeteiligung hält,

4. VEAG, sofern das Kartellamt erzwingt, dass sich dort ausländische Konzerne einkaufen können.

Wichtig ist jedoch, dass Maßnahmen zur Kostensenkung bereits vor der Liberalisierung der Märkte getroffen wurden, zu einem Zeitpunkt, wo die doch recht plötzliche Konkurrenz in allen Marktsegmenten noch nicht absehbar war. Die Liberalisierung wird von den Unternehmensleitungen gern als Begründung für unpopuläre Maßnahmen herangezogen, auch wenn sie dafür nicht die Ursache ist. Zitat Simson (Vorstandsvorsitzender der Bayernwerke): "Glauben Sie, in der alten Struktur hätten unsere Stromtöchter PreussenElektra und Bayernwerk 2.300 Arbeitsplätze abbauen können, wie es im Rahmen der Fusion geplant ist? Wir sind nicht stolz darauf, aber es ist nötig, um die Kosten zu senken und wettbewerbsfähig zu bleiben." (Spiegel, 4.10.99, S. 138ff)

Arbeitslosigkeit + Gewinne steigen - Steuern sinken

Das Argument kommunaler Parlamente, ökologische und soziale Forderungen könnten nicht erfüllt werden, weil kein Geld vorhanden sei, ist also ein selbstgeschaffener Sachzwang. Ökologische und soziale Forderungen sollen nicht erfüllt werden, weil dies die Verwertungsbedingungen einschränkt und damit die Gewinnmaximierungsmöglichkeiten derer, die sich an der Börse reich spekulieren.

Energiepolitisch geht es um mehr als nur der Frage nach dem Ende der Atomenergie. Wegen des zunehmenden Treibhauseffekts wird seit Jahren auch das Ende fossiler Energieträger diskutiert. Welche Folgen hat also die Liberalisierung des Strommarktes auf die weitere Entwicklung?

Eine ökologische Energiewende ist anhand von vier Punkten zu definieren:

1. Stilllegung der Atomanlagen,

2. Effizienter Einsatz von Primärenergie, um ausgehend vom aktuellen Verbrauch ca. ein Drittel einzusparen,

3. Erzeugung eines weiteren Drittel durch regenerative Energien (v.a. Wind und Sonne),

4. Erzeugung des letzten Drittel in KWK-Anlagen mit hohem Wirkungsgrad, vorzugsweise (wegen der geringeren Co-Emissionen) erdgasbefeuert.

Zu 1.: Die Liberalisierung stärkt vordergründig die AKW. Da die Investitionskosten bei laufenden AKW überwiegend bereits über die Abschreibungen wieder verdient wurden, können sie unter den gegebenen Rahmenbedingungen kostengünstig Strom produzieren und ermöglichen gleichzeitig enorm hohe steuerfreie Rückstellungen. Die EVU werden also die alten AKW so lange wie möglich weiterbetreiben wollen. Andererseits können technologische Alternativen (GuD-Kraftwerke), die auch als Neuanlagen zu konkurrenzfähigen Preisen produzieren, auf Grund des freien Marktzugangs wirksam werden. Zudem werden die EVU jetzt mit einzelnen Atomanlagen angreifbarer: Unter Konkurrenzbedingungen werden lange Stillstandszeiten von AKW sofort ökonomisch wirksam und könnten diese schnell vom Markt kicken. Die Liberalisierung schafft also andere Rahmenbedingungen für den Betrieb der AKW. Laufen sie ungestört, bleiben sie eine Goldgrube. Gelingt es durch politische Maßnahmen, längere Stillstandszeiten zu erreichen, kann der ökonomische Druck schnell für das vorzeitige Aus einzelner Anlagen sorgen.

Zu 2.: Für die Einsparmöglichkeiten durch Energieeffizienz bedeutet der Preiskampf in jedem Fall einen deutlichen Rückschritt. Großverbraucher in Industrie und Gewerbe können seit der Marktfreigabe Preisnachlässe von ca. 30% verbuchen. Effizienzstrategien sind oftmals mit hohen Investitionskosten verbunden, die durch Einsparungen im laufenden Verbrauch wieder verdient werden. Sinkende Strompreise verlängern aber die Amortisationszeiträume, so dass weniger in Effizienz investiert werden wird. Die seit April 1999 geltende Stromsteuer konnte anfangs den Preisverfall verlangsamen, reicht aber bei weitem nicht aus, um die Preisstürze zu kompensieren.

Zu 3.: Bei der regenerativen Energieerzeugung werden weiterhin jährliche Zuwachsraten realisiert. Machte der Anteil der regenerativen Erzeugung (Wasser, Wind, Sonne, Biomasse, Müll) 1998 noch 5,2% aus, so stieg er 1999 auf 5,9% bei etwa gleich bleibendem Stromverbrauch. Zwar war der Zuwachs v.a. durch höhere Erträge der bestehenden Wasserkraftwerke bestimmt (regenreiches Jahr). Aber auch die Windenergie legt nach wie vor zu. Ein Ende der Steigerungsraten ist noch lange nicht erreicht. Auf Grund technologischer Entwicklung können zukünftig Offshore-Standorte vor der Küste bezogen werden, was größere Anlagen ermöglicht. Die Folge sind höhere Erträge und damit niedrigere Kosten pro kWh. Bei der Photovoltaik geht die technologische Entwicklung in Richtung drastische Kostensenkung in der Herstellung.

Folgen für Ausstieg + Energiewende

Die rot-grüne Bundesregierung hat durch die Novellierung des Einspeisegesetzes vom 25.2.00 die regenerative Stromerzeugung abgesichert. Die Stromversorger sind nun verpflichtet, zu festen Preisen regenerativen Strom unbegrenzt abzunehmen. Die Kosten dafür werden über eine bundesweite Umlage auf die Strompreise umgelegt. Die Einspeisevergütungen reichen aus, um den Ausbau der Windenergie fortzuführen. Damit wird Solarstrom möglicherweise erstmalig in nennenswerten Mengen produziert werden. Rot-Grün geht davon aus, dass das neue Gesetz sogar die Rahmenbedingung dafür bietet, den Anteil der regenerativen von heute fünf auf 10% im Jahre 2010 zu steigern.

Zu 4.: Wegen des Preisverfalls war das große Sterben von Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung befürchtet worden. Diese Anlagen sind umweltfreundlich, haben aber einen höheren Stromerzeugungspreis. Auch hier hat Rot-Grün durch ein am 24.3.00 beschlossenes Vorschaltgesetz für den Schutz der Anlagen gesorgt. Die Netzbetreiber müssen nun auch für KWK-Strom festgelegte Preise zahlen, deren Kosten über eine bundesweite Umlage finanziert werden. Dieses Soforthilfeprogramm soll bald von einem KWK-Ausbaugesetz abgelöst werden, das den Anteil von KWK-Strom von heute 10% auf 20% im Jahre 2010 steigern soll.

Werden diese Prognosen realisiert, wäre es Rot-Grün tatsächlich gelungen, negative Folgen der Liberalisierung für regenerative und KWK-Erzeugung zu verhindern und diese Bereiche sogar auszubauen. Über den Erhalt der KWK-Anlagen wäre dann auch der Arbeitsplatzabbau bei den Stadtwerken bei weitem nicht so heftig wie im völlig liberalisierten Markt. Damit ließe sich ein Teil der SPD-Basis (Stadtwerke) und ein Teil der Grünen-Basis (Energiewende-Szene) wieder in rot-grüne Regierungspolitik einbinden, ohne dass es zum großen Konflikt mit den AKW-Betreibern kommt.

Eine echte ökologische Energiewende ist dies natürlich noch lange nicht. Der verhaltene Ausbau von Ökostrom bekämpft weder wirksam den Treibhauseffekt noch verdrängt er in absehbarer Zeit den Atomstrom. Durch das Bedienen ökonomischer Interessen wird jedoch entstandener Unmut bei Stadtwerken und Ökoverbänden befriedet. Politisch bleibt es deshalb erforderlich, die gegenwärtige Energiepolitik zu bekämpfen, ohne dabei die veränderten Rahmenbedingungen aus den Augen zu verlieren.

Peter Probst


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