akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 437 / 13.04.2000

Der Krise ins Auge geblickt

Konferenz der Anti-AKW-Bewegung berät Lage der Dinge

Etwa 160 AtomkraftgegnerInnen versammelten sich vom 31. März bis 2. April in Mülheim an der Ruhr zur diesjährigen Frühjahrskonferenz. Anders als sonst üblich, hatten die Organisatoren der Konferenz klare Diskussionsvorgaben gemacht. So sollte es um die Liberalisierung der Strommärkte gehen, eine Standortbestimmung unter der rot-grünen Bundesregierung versucht werden und schließlich über die weiteren Aktivitäten auf Bundesebene beraten werden. Das Ganze stand außerdem unter der Fragestellung, eine "konkrete Kapitalismuskritik" zu entwickeln und es sollte um "die Wiedergewinnung einer emanzipatorischen Perspektive" der Anti-Atom-Bewegung gehen.

Nach dem Desaster der letzten Herbstkonferenz in Dannenberg kann die Mülheimer Konferenz zumindest als Teilerfolg bewertet werden. Natürlich ist es nicht die Bohne gelungen ist, den Anti-Kapitalismus wirklich konkreter zu fassen und auch über eine emanzipatorische Perspektive ist nicht wirklich diskutiert worden. Allerdings hat sich die Bewegung seit längerer Zeit erstmalig wieder die Zeit genommen, die politischen und ökonomischen Verhältnisse und die Auswirkungen auf die eigenen Handlungsmöglichkeiten genauer unter die Lupe zu nehmen. Schon das ist als Teilerfolg zu bezeichnen. Bereits am Freitag Abend versuchten sich drei Referenten mit der ökonomischen Realität auseinander zu setzen. Während Ernst Lohoff von der Gruppe Krisis sich verzweifelt abmühte, das Konferenz-Motto "Hinter der Strahlung steht der Wert" zu fassen (und scheiterte), gingen Jürgen Sattari und Henrik Paulitz (vgl. dazu die letzten ak) auf die konkreten Entwicklungen im liberalisierten Strommarkt und bei den internationalen (Atom-)Kraftwerksbauern ein. Paulitz begründete seine These, dass der Ausstieg aus dem Atomprogramm ein längerer Auslaufprozess werden dürfte, wenn nicht die Anti-AKW-Bewegung entscheidend die laufenden Prozesse störe oder ein schwerer Atomunfall den Lauf der Dinge gravierend beeinflusse. Im Rahmen dieses Prozesses schloss Paulitz nicht aus, dass es vor allem im asiatischen Raum auch noch vereinzelt zu AKW-Neubauten kommen könne. Sattari zeigte auf, dass die Liberalisierung der Strommärkte dazu führen werde, dass in den nächsten Jahren vermutlich nur noch drei oder vier dann auch international agierende Stromkonzerne übrig bleiben werden. Dadurch würden die jetzt aufgelösten Monopolgrenzen auf höherem Niveau neu etabliert.

In diesem Zusammenhang mit den möglichen Chancen durch die Liberalisierung kam es zu einer längeren Debatte über den Vorschlag eines Atomstromboykotts.

Atomstromboykott erschließt neue Konfliktfelder

Eine solche Atomstromboykott-Kampagne zielt darauf, die kommunalen bzw. städtischen Entscheidungsträger dazu aufzufordern, neue Stromverträge für städtische Verwaltungen und sämtliche öffentlichen Einrichtungen (Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen etc.) nur dann abzuschließen, wenn der Lieferant keinen Atomstrom in das örtliche Netz einspeist. Unter einer solchen Zielsetzung, so der Ansatz der Kampagne, könnte unabhängig von Atomtransporten regional in nahezu jeder Stadt das Thema Atomausstieg wieder problematisiert werden. Gleichzeitig könnte über die (positiven und negativen) Folgen der Liberalisierung der Strommärkte diskutiert werden. Mit einer Orientierung auf die politischen Entscheidungsträger vor Ort soll gewährleistet werden, dass eine solche Kampagne nicht zur alternativen VerbraucherInnenberatung verkommt.

Teilerfolg der Konferenz

Der Vorschlag für eine dezentrale Kampagne wurde zwar durchaus als eine Handlungsmöglichkeit angesehen, das Atomthema wieder stärker auch lokal zu etablieren. Doch offenkundig hatten vor allem die autonomen Gruppen heftige Magenschmerzen damit, dass eine solche Kampagne die Liberalisierung positiv darstelle, weil sie auf der Möglichkeit aufbaut, den Stromlieferanten frei zu wählen.

Am Samstag Vormittag ging es dann um das Verhältnis der Bewegung zur rot-grünen Regierung. Kritisch wurde festgestellt, dass sich die Anti-AKW-Bewegung unter der rot-grünen Bundesregierung öffentlich abgemeldet und so den Grünen die Möglichkeit geboten hat, sich als der entschlossenste Aussteiger zu präsentieren. Die Kritik, dass die Grünen mit Restlaufzeiten von 30 Jahren das Atomprogramm eher verlängern, dass sie mit der Schaffung von Zwischenlagern an den AKW-Standorten die Entsorgungsfrage politisch entschärfen und dass der Ausbau von Anlagen wie der Uran-Anreicherungsanlage in Gronau auch unter Rot-Grün munter weitergeht, ist kaum ernsthaft in die Öffentlichkeit transportiert worden. Dies zu ändern, wurde zwar mehrfach proklamiert, Instrumente dafür aber kaum in die Debatte gebracht.

Allerdings ist sich die Anti-AKW-Bewegung bewusst, dass der nächste Castor unter anderen Bedingungen als die bisherigen Transporte nach Ahaus oder Gorleben stattfinden wird. Rot-Grün wird diese Transporte als "Ausstiegs-Castoren" verkaufen, denn bevor der Atommüll auf der Schiene rollt, wird es einen Konsens geben. Zumindest gehen fast alle davon aus. Zusätzlich dürfte es Probleme in der Mobilisierung und auch Vermittlung von Aktionen geben, sollte der Atommüll zuerst aus Frankreich rollen. Trittin und andere werden dann die Bewegung mit dem Nationalismus-Vorwurf angreifen und die deutsche Verantwortung für den in Frankreich lagernden und zurückzunehmenden Atommüll betonen. Dies in Verbindung mit einem massiv propagierten Ausstiegkonsens dürfte dazu führen, dass die Anti-AKW-Bewegung schon im Vorfeld die Auseinandersetzung suchen muss. Dazu soll vor allem eine Demonstration am 7. Juni in Münster dienen. Dort halten die Grünen planmäßig ihre nächste Bundesdelegiertenkonferenz ab, zu der die Bewegung bundesweit mobilisieren will. So soll der Konflikt der Anti-AKW-Bewegung zum rot-grünen Konsens-Nonsens öffentlich zugespitzt werden.

Eher nebenher und am Rande verlief die Debatte, die Wolfgang Ehmke (in der vorletzten ak) von der BI Lüchow Dannenberg angezettelt hatte. Er hatte die Sofortausstiegsforderung als einerseits recht und anderseits billig bezeichnet. Für Ehmke ist es demnach selbstverständlich, dass es angesichts der Gefahren durch die Atomenergienutzung in all ihren Schritten nur Sofortausstieg heißen kann. Doch es reiche eben nicht aus, dies wie ein Schutzschild vor sich herzuschieben. Die Bewegung müsse sich auch darum bemühen, in die politischen Auseinandersetzungen einzugreifen, Ausstiegskonzepte diskutieren und auf diese Weise versuchen, gesellschaftliche Verhältnisse zu erzeugen, die einen Sofortausstieg auch umsetzbar machen könnten.

Am 7. Juni Demo gegen die Grüne BDK in Münster

Aktionen sind zwar dazu immer erforderlich, reichen aber allein nicht. Dies war vieler Orts so verstanden worden, als wolle sich Ehmke von der Sofortausstiegsforderung verabschieden. Deshalb hatte u.a. die Gruppe Anna-Liese aus Marburg betont, dass jede Beteiligung an Diskussionen über Restlaufzeiten schon von übel und daher abzulehnen sei. (vgl. auch die letzte ak) Ein Widerspruch, der auf dieser Ebene keiner ist. Denn natürlich lassen sich die Widersprüche rot-grüner Ausstiegskonzepte ohne weiteres öffentlich und kritisch diskutieren, ohne sich an der Frage von Restlaufzeiten zu beteiligen. Dass es im Kern derartiger "Missverständnisse" eher um unterschiedliche Politikbegriffe geht, dass es offenkundig vollkommen unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie eine Bewegung politische Stärke erreicht, wie sie auf Entscheidungsprozesse und öffentliche Meinung einwirkt und wie sie sich die Legitimation für ihre Aktionen besorgt, darüber gab es keine Debatte.

Eine klare Einordnung hat die sogenannte Uran-Kampagne erfahren. Seit über einem Jahr arbeiten verschiedene Gruppe daran, das Thema Uranabbau und die Brennstoffversorgung der AKWs stärker in den Blickwinkel zu rücken. Anknüpfungspunkt ist hier die Gronauer Uran-Anreicherungsanlage, in der das zur Brennelemente-Herstellung erforderliche spaltbare Uran produziert wird. Dazu finden fast täglich Atomtransporte mit Uranhexafluorid, einem zwar wenig strahlenden, aber chemisch umso gefährlicheren Stoff statt.

Urankampagne: wichtig, aber
kein Highlight

Um diesen für das Atomprogramm wichtigen Bereich stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit zu rücken, soll der nächste Castor-Transport nach Ahaus genutzt werden. Nach den Aktionen gegen den noch im Herbst möglichen Transport soll im Anschluss in dem nur zehn Kilometer entfernten Gronau die Abschlusskundgebung durchgeführt werden. Einig waren sich aber fast alle, dass mit diesem Thema ein neuer Kristallisationspunkt, wie es die Castor-Transporte sind, nicht machbar sein dürfte. Dazu fehlt bislang eine emotionale oder auch symbolische Aufladung dieser Transporte.

DSe


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