akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 436 / 16.03.2000

Repolitisierung des Sofortausstiegs

Die Anti-AKW-Bewegung diskutiert: In der letzten ak kritisierte Wolfgang Ehmke u.a., dass die Politik der Anti-AKW-Bewegung sich auf Aktionsfähigkeit reduziert habe. Aufgaben, wie die Mobilisierung der öffentlichen Meinung in Form von Veranstaltungen etc. müsten ebenso erledigt werden. Sonst könnte die Bewegung ihre Handlungsfähigkeit verlieren. Es reiche nicht aus, nur die Forderung nach dem Sofortausstieg vor sich herzuschieben, so richtig diese auch angesichts der atomaren Gefahren ist. Will die Anti-AKW-Bewegung politisch ernst genommen werden, dann muss sie sich auch darum bemühen, zu zeigen, wie denn der Sofortausstieg politisch durchgesetzt werden kann. Die Marburger Gruppe Anna-Liese antwortet auf diesen Teil der Kritik von Ehmke.

Bis in die 90er Jahre stellten Forderungen nach der "Beendigung des Atomprogramms", der "Energiewende" oder des "Sofortausstiegs" den Atomstaat BRD in Frage. Sie unterschieden sich vermeintlich nur im Grad der "Verbalradikalität". Seit dem Machtwechsel brechen die Widersprüche zwischen den vormals nur im Duktus verschiedenen AtomkraftgegnerInnen auf und werden sich wohl noch vertiefen. Nach dem Wehklagen über die Inhaltsleere der letzten Buko warf Wolfgang Ehmke in ak 435 der Anti-Atom-Bewegung vor, sich einer konstruktiven Kritik der Atom-Konsens-Gespräche zu verweigern, und sich stattdessen in "Gejammer" und "Verbalradikalität" zu üben.

Zur Forderung nach der sofortigen Stilllegung schreibt er: "Die Forderung ist aber auch billig, weil sie die Antwort auf die Frage verweigert, wie aus einem unbefristeten Reaktorbetrieb auf einen Schlag ein befristeter wird. (...) Denn ich kenne niemanden, der seriös und unter Beachtung der rechtlichen und machtpolitischen Verhältnisse dargelegt hätte, was ,sofort` eigentlich bedeutet".

Kritikwürdig ist hier das Verständnis politischer Praxis sozialer Bewegung, die sich daran zu messen habe, wie realistisch ihre Position sei. Diese Lesart fußt darauf, vorzurechnen, dass keine Lichter ausgehen, wenn morgen abgeschaltet würde und dass es verfassungsrechtlich zwingend sei, sofort stillzulegen. Argumente, dies zu belegen, gibt es zuhauf. Doch wie wirkt eine Bewegung auf den Atomkonflikt, wenn sie die kompetentere Version der Grünen spielen will?

Kern der Sofortausstiegsforderung ist nicht ihre Machbarkeit, sondern dass nur so der brutalen Realität der "friedlichen Nutzung der Kernenergie" entsprochen wird. Jede Debatte um Restlaufzeiten trägt dazu bei, die täglichen Opfer der Atomenergie in Uranabbaugebieten und an den Atomanlagen gegen Konzerninteressen bzw. volkswirtschaftliche "Sachzwänge" aufzurechnen. Das Aufmachen dieser Rechnung und nicht ihr vermeintlich falsches Ergebnis ist der Menschen verachtende Zynismus hinter den Konsensversuchen. Hier begründet sich das bedingungslose "Sofort" und hier ist die Trennlinie zu grüner "Realpolitik" - nicht in der schlichten Substraktion der verbleibenden 19 Jahre Restlaufzeit. Nur mit der Forderung nach sofortiger Stilllegung bleibt die Bewegung realistisch, also der Wirklichkeit der Betroffenen angemessen. Dieses "Sofort" ist weder ein linksradikales Identitätsprojekt noch ein alternativ zu den Grünen aufgestelltes realpolitisches Konzept - das wäre ein rein gradueller Unterschied zwischen außerparlamentarischer Bewegung und "ihrem" parlamentarischen Arm. Nein, die Forderung der "Sofortisten" entspricht dem Anspruch, dass parlamentarische Politik nur ein Teil politischer Intervention sozialer Bewegung sein kann. Nicht mehr und nicht weniger.

So radikal
wie die Wirklichkeit

Das Ausklammern der realen täglichen, nicht bloß potenziellen Opfer bei Uranabbau und an den WAAs, macht es den Grünen heute so leicht, die Debatte auf Konzernbilanzen und juristische Machbarkeit zu verkürzen.

Niemand kann den Grünen vorwerfen, sie hätten in den Konsensgesprächen zu wenig erreicht. Unter dem Titel "Atomkonsens" kann nichts anderes herauskommen, als ein Wunschkonzert für die Atomkonzerne. Fatal ist aber der grüne Versuch, das ungestörte Auslaufen der Reaktoren als "Ausstieg" zu verkaufen und den Alleinanspruch auf den Atomausstieg zu erheben.

Keine Stilllegung der Anti-AKW- Bewegung

Hier liegt das Besondere an der machtpolitischen Rolle der Grünen: Ihre Befriedungskompetenz, d.h. die ihnen zugesprochene Fähigkeit zur Befriedung der gesellschaftlichen Konflikte aus deren oppositionellen Bewegungen sie einmal entstanden sind. Ein Beispiel: Castor-Transporte als Kristallisationspunkt der Bewegung werden durch Zwischen- und Transportbereitstellungslager an den AKW-Standorten abgeschafft. Wenn hier von den Grünen gesprochen wird, sind die Führungskader gemeint und nicht jener große Teil der Basis, der den Atomkonsensversuchen ablehnend gegenübersteht. Die rot-grünen Kader sind dabei, statt der AKWs die Protestbewegung stillzulegen und wissen dies. Die drohende Marginalisierung der Bewegung vollzieht sich nicht durch den von Ehmke konstatierten Verbalradikalismus, sondern durch den selbstauferlegten Zwang, unbedingt ernst genommen zu werden. Der Ort, wo mensch ernst genommen werden soll, ist aus dieser Sicht der offiziell dafür vorgesehene: Parlament und bürgerliche Öffentlichkeit.

Auch wir halten die von Ehmke geforderte Aufklärung (Kongresse, Symposien etc.) für einen wichtigen Bestandteil der Anti-AKW-Arbeit. Dass dies zu wenig geschieht, ist aber weniger den Anti-Castor-AktivistInnen vorwerfen, sondern den "SpezialistInnen" der institutionalisierten KernkraftgegnerInnen (z.B. dem Öko-Institut), die sich auf Konferenzen etc. der Bewegung nicht mehr sehen lassen. Stattdessen stellen diese Fachmenschen ihr Know-how in den Dienst des "sicherstmöglichen" Weiterbetriebs der Atomanlagen.

Wenn er schreibt , "all diese Instrumente müssen eingesetzt werden, wenn man sich in die laufenden politischen Debatten einmischen und ernst genommen werden will, wenn gesellschaftliche Veränderungen erreicht werden sollten", ist dies zumindest schwammig. Energiepolitische Ratschläge werden allein auf Grund ihrer vernünftigen Inhalte kaum Einfluss auf das Konsensgeschehen haben, wenn daraus keine konkreten politischen Aktionen entstehen. Es ist nicht die bloße öffentliche Meinung, sondern dass Wissen auch zu Widerstand werden kann, was bei Parteien und Atomlobby für Kopfschmerzen sorgt. Der Anspruch anstiftender Aufklärung untergräbt sich aber selbst, wenn dabei ständig die Machbarkeit der Forderungen Bezugspunkt ist und nicht die Verhältnisse, die eine Intervention notwendig machen.

Der mittelfristige Wegfall der Castor-Transporte durch den Neubau von Zwischenlagern stellt eine Chance dar, die real Betroffenen der Kernenergie, z.B. in den Uranabbaugebieten Kanadas und Australiens, in Zukunft auch bei Aktionen sichtbar zu machen. Den nächsten Castor-Transport nach Ahaus mit Aktionen an der nahe gelegenen Urananreicherungsanlage in Gronau zu beenden, ist der erste Schritt, dies in die Praxis umzusetzen. Darüber hinaus sollte auf der Frühjahrskonferenz in Mülheim die laufende Debatte über eine langfristige Urankampagne forciert werden.

Gruppe Anna-Liese, Marburg


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