akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.02.2000

Hinter der Strahlung steht der Wert!

Neues Konzept für die Anti-Atom-Frühjahrskonferenz

Ablauf und Ergebnisse der letzten Anti-Atom-Bundeskonferenzen - insbesondere der Herbstkonferenz 1999 in Dannenberg - haben bei den meisten Beteiligten für viel Frust und Kritik gesorgt (vgl. die letzten ak-Ausgaben). Bemängelt wurde insbesondere die fehlende inhaltliche Positionsbestimmung gegenüber den aktuellen Entwicklungen in der Atompolitik (Konsensverhandlungen; Liberalisierung des Strommarktes; Laufzeitendebatte; Aufhebung des Transport-Stopps; Anträge für dezentrale Zwischenlager; Transportbereitstellungslagerung etc.); die mangelnde Konsequenz sich mit eigenen Positionen in die öffentliche atompolitische Debatte einzumischen und das Ausbleiben von verbindlichen Beschlüssen und Handlungsstrategien, die die Bewegung wieder in die Offensive bringen könnten. Stattdessen pflegt der harte Kern der Szene seine alten Positions- und Grabenkämpfe und wartet ansonsten sehnsüchtig auf den konkreten Termin für den ersten Castor-Transport nach Aufhebung des Transport-Stopps. Was passiert, wenn sich die "Verstopfungsstrategie" angesichts der beantragten dezentralen Zwischenlager und der Möglichkeiten zur sog. "Transportbereitstellungslagerung"' als politische Sackgasse erweist, daran möchte im Moment noch niemand allzu intensiv denken. Die hier nur angedeuteten politischen und strategischen Blindstellen wird sich die Anti-Atom-Bewegung bei Strafe ihres eigenen Untergangs nicht mehr lange leisten können.

Als Konsequenz aus der politischen Krise der Anti-Atom-Bewegung und als Reaktion auf die Kritik am Ablauf der letzten Konferenzen, schlagen Anti-Atom-Gruppen aus dem Ruhrgebiet, dem Bergischen Land und dem Münsterland für die Frühjahrskonferenz am 31. März und 1./2. April in Mülheim a.d.R. eine andere inhaltliche und formale Struktur vor. Kerngedanke ist, dass alle TeilnehmerInnen gemeinsam über die wichtigsten Fragestellungen und inhaltlichen Punkte für eine politische Positionsbestimmung der Bewegung diskutieren. Das auf den Konferenzen übliche Sammelsurium von Einzelthemen und Fachgruppen soll zu Gunsten der Konzentration auf einige Kernthemen wegfallen. Es geht um die Trends und Entwicklungen im Energiesektor; Positionen und Interventionen gegenüber der rot-grünen Atompolitik; Grenzen und Möglichkeiten der "Verstopfungsstrategie" im Hinblick auf die nächsten Castor-Transporte sowie Handlungsansätze und Strategien der Bewegung jenseits der Anti-Castor-Fixierung. Übergeordnetes Ziel ist die Entwicklung einer konkreten Kapitalismuskritik (anhand des Energiesektors) und die Wiedergewinnung einer emanzipatorischen Perspektive für die Anti-Atom-Bewegung. Verknüpft werden soll diese grundsätzliche Zielsetzung mit der Formulierung politischer Positionen zur aktuellen Atom- und Energiepolitik und der Bestimmung strategischer Ansätze zur Wiedererlangung der praktischen Handlungs- und Interventionsfähigkeit der Bewegung. In diese dringend notwendige Perspektivdebatte sollen möglichst alle politischen Spektren und Strömungen der Anti-Atom-Bewegung eingebunden werden.

Der Ablauf der Konferenz gliedert sich in die drei großen inhaltlichen Blöcke Hintergründe, Positionen, Strategien und Perspektiven. In der Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend geht es um die Hintergründe der aktuellen Entwicklung des Energiesektors. Dazu sind vier längere inhaltliche Redebeiträge geplant. Angesichts des Konferenzmottos "Hinter der Strahlung steht der Wert!", wird ein Vertreter der Gruppe KRISIS eine wertkritische Perspektive in der Analyse des Energiesektors darstellen. Jürgen Sattarie beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der "Energiepolitik im entfesselten Kapitalismus". Hier geht es um die neoliberale Umstrukturierung des Energiemarktes durch die Änderung des Energiewirtschaftgesetzes und die sog. Liberalisierung des Strommarktes (vgl. ak 425, 429 und 431).

Die marktradikale Wende in der Energiepolitik hat einen rasanten Strompreiskrieg und einen gewaltigen Konzentrationsschub des Energiekapitals bewirkt. Die Formierung der großen Energiekonzerne verschlechtert längerfristig die Position kleiner und alternativer Anbieter auf dem Energiemarkt. Mit der "Zukunft der Atomenergie auf dem Energiemarkt des 21. Jahrhunderts" beschäftigt sich der Beitrag von Henrik Paulitz (vgl. ak 428/ 429). Hierbei geht es um die Frage, ob es sich bei der Atomenergie um ein ökonomisches Auslaufmodell oder weiterhin um eine Zukunftstechnologie handelt. Der Neubau von Atomkraftwerken ist in den meisten hoch entwickelten kapitalistischen Staaten nicht mehr geplant.

Atomfrühling
im Osten?

Einige Länder entwickeln langfristige Ausstiegsprogramme. Sind AKW's also zu teure technologische Dinosaurier (vgl. ak 429) aus einer längst untergegangenen fordistischen Entwicklungsepoche des Kapitalismus? Oder erlebt die Atomenergie einen zweiten Frühling als Exportschlager im Fernen Osten oder in Osteuropa? Wie steht es um die Bedeutung der Atomenergie als militärische Schlüsseltechnologie? In einem vierten Beitrag geht es unter dem Stichwort "Solare Revolution?" um Konzepte einer vollständigen Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Energieträger. Wie verändert sich die stoffliche und ökonomische Struktur einer Gesellschaft bei einem Abschied von fossilen und atomaren Brennstoffen? Verlangt eine in diesem Sinne radikale Energiewende nicht zwangsläufig eine grundlegende Umwälzung der politischen und ökonomischen Machtverhältnisse? Gibt es eine konkrete Utopie der Anti-Atom-Bewegung jenseits von marktfähigem "Ökostrom" der Energiekonzerne? Zu diesem Thema ist ein prominenter Träger des alternativen Nobelpreises im Gespräch (Anmerkung der Redaktion: Herrmann Scheer (SPD)). Die Inhalte der Eröffnungsveranstaltung sollen möglichst auch in die Diskussionen der nächsten beiden Konferenztage einfließen.

Der Samstag gliedert sich in zwei große inhaltliche Blöcke. Vormittags geht es um Positionen und Interventionen der Bewegung gegenüber der rot-grünen Atompolitik (Konsens ist Nonsens!) und um eine selbstkritische Diskussion über die tendenzielle Entpolitisierung der Anti-Atom-Bewegung. Wie kann sich die Anti-Atom-Bewegung mit radikalen Positionen in der aktuellen atompolitischen Debatte Gehör verschaffen? Wie definiert sie ihr oppositionelles Verhältnis zu den Regierungsparteien? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es für eine Basisbewegung auf der Ebene der "großen Politik" ohne in die klassische Falle der Lobbypolitik zu tappen? Warum hat sich die Bewegung in den letzten Jahren zu so vielen Entwicklungen in ihrem originärsten Themenbereich in politischer Enthaltsamkeit geübt? Ist die Bewegung auch jenseits des Castor-Themas mobilisierungsfähig?

Zu diesen Fragestellungen gibt es am Samstagmorgen zunächst zwei kurze Redebeiträge im Plenum. Danach wird dann in maximal sechs Diskussionsgruppen über die vorgestellten Thesen und Positionen diskutiert. Die jeweilige Moderation bemüht sich um eine Aufbereitung der Diskussionsergebnisse für das Plenum.

In dem anschließenden zweiten Block geht es um "Strategien und Perspektiven". Angesichts der Aufhebung des Castor-Transport-Stopps und im Herbst 2000 drohender neuer Transporte in die deutschen Zwischenlager wird es um die politischen Möglichkeiten und Grenzen der sog. "Verstopfungsstrategie" gehen. Kann die Bewegung angesichts voller Abklingbecken wirklich durch einen massiven Widerstand "AKW's vom Netz blockieren"? Sind wir bei Wiederaufnahme der Transporte dazu in der Lage, die Machtfrage zu stellen und die rot-grüne Bundesregierung erstmals mit einem ernst zu nehmenden außerparlamentarischen Widerstand zu konfrontieren? Oder ist die Orientierung auf eine Verhinderung der Transporte angesichts der beantragten dezentralen Zwischenlager und der Möglichkeit, Atommüll einfach in den Castorbehältern auf dem AKW-Gelände zu parken, eine politische Sackgasse?

Emanzipatorische Perspektiven

Neben der Ausweitung und Effektivierung des Castor-Widerstandes soll es in diesem Block aber auch um "Perspektiven über den Castor hinaus" gehen. Dazu wollen wir einen konkreten Vorschlag, die Mobilisierung für den nächsten Castor-Transport (vermutlich nach Ahaus) mit Aktionen gegen Urantransporte und Urananreicherung (in Gronau) zu verknüpfen, zur Diskussion stellen. Anfang und Ende des atomaren Brennstoffkreislaufs ließen sich so in einem gemeinsamen Widerstandskonzept verbinden und die unfruchtbare Frontstellung von Castor-Mobilisierung und anderen Widerstandsansätzen aufheben. Doch auch die Erschließung neuer Aktionsfelder neben den klassischen Bezugspunkten der Anti-Atom-Bewegung soll hier angesprochen werden. Die Androhung einer Beteiligung des wendländischen Anti-Atom-Widerstandes an der Mobilisierung gegen die EXPO 2000 in Hannover hat ja bereits für einigen Wirbel gesorgt.

Zur Wiedergewinnung einer emanzipatorischen Bewegungsperspektive gehört unseres Erachtens unbedingt auch der Blick über den eigenen Tellerrand und die Vernetzung mit anderen fortschrittlichen Widerstandsansätzen und Bewegungen. Das Mobilisierungspotenzial der Anti-Atom-Bewegung könnte so zur Stärkung des gesamten außerparlamentarischen Widerstandes in der Bundesrepublik beitragen.

Auch dieser Block wird durch kurze Plenumsbeiträge eröffnet, während die Diskussion wieder aufgeteilt in entsprechende Gruppen stattfindet. Am Samstagabend werden dann in einem ersten Zwischenplenum durch die jeweiligen Moderationen wichtige Ergebnisse aus den Diskussionsgruppen zusammengetragen. Konkrete Positionen und Vorschläge sollen dabei zugespitzt und zur Entscheidung für das Abschlussplenum am Sonntag vorbereitet werden.

Der Sonntagvormittag dient dann der Verabschiedung von Positionen, Resolutionen und konkreten Aktionsvorschlägen. Über den Inhalt einer Pressemitteilung wollen wir uns dabei allerdings nicht mehr streiten. Dies soll einer kleinen autorisierten Pressegruppe vorbehalten bleiben. Nachdem die Köpfe am Wochenende hoffentlich geraucht haben, wollen wir die Konferenz mit einer lustigen kleinen Überraschungsaktion beenden. Schließlich befindet sich das Autonome Zentrum in Mülheim als Konferenzort ja sozusagen "Mitten im Herzen der Bestie".

Auf Kritik, Anregungen und Fragen zum Konferenz-Konzept sind wir sehr gespannt. Die Debatte ist hiermit eröffnet.

Tobi

(Anti-Atom-Plenum Ruhrgebiet)

Inhaltliche Beiträge zur Konferenz werden in einem Vorbereitungsreader als Sondernummer der anti-atom-aktuell veröffentlicht (Redaktionsschluss 27. Februar). Der Reader soll auch Stellungnahmen und Artikel zu Themen umfassen, die auf der Konferenz keinen Platz haben. Zur Planung der Konferenz würde uns eine rechtzeitige verbindliche Anmeldung sehr weiterhelfen. Alle Angemeldeten erhalten auf jeden Fall ein Exemplar des Konferenzreaders zur inhaltlichen Vorbereitung.
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