akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 435 / 17.02.2000

Countdown zum Konsens?

Gehen die Verhandlungen um die Zukunft der Atomenergie jetzt wirklich in die entscheidende Runde? Oder wird die am 4. Februar vom Bundeskanzler und den Konzernchefs vereinbarte Frist bis Ende des Monats erneut verlängert, so wie bisher alle von der Bundesregierung veröffentlichten Zeitpläne über den Haufen geworfen wurden?

Angeblich hat Gerhard Schröder bei dem Treffen mit den Strommanagern mächtig Druck gemacht. Und zwar interessanterweise mit der durch die Anti-Atom-Bewegung drohende Atommüll-Verstopfungen der AKWs.

Des Kanzlers O-Ton: "Um eine Verstopfung der Kernkraftwerke mit Abfall zu vermeiden, ist in den nächsten Jahren eine große Zahl von Transporten nötig. Es ist aber völlig ausgeschlossen, dass wir diese Transporte wie in der Vergangenheit unter dem Schutz von 40.000 Polizeibeamten durchführen. (...) Irgendwann wird die Gewerkschaft der Polizei erklären, dass die Beamten nicht mehr bereit sind, sich diesen Gefahren auszusetzen. Ohne einen Atomkonsens können wir auf Dauer nicht den Betrieb der Kraftwerke und die Entsorgung gewährleisten. Das ist eben nicht nur eine juristische Frage." (Süddeutsche Zeitung)

Noch fordern die Konzerne eine Laufzeit von 35 Vollast-Jahren. Die rot-grüne Koalition will, falls es beim Dissens bleibt, 30 Kalenderjahre ins Gesetz schreiben, allerdings mit einer dreijährigen Übergangsfrist für die Alt-AKWs Stade und Obrigheim. Damit würde vor der nächsten Bundestagswahl kein Reaktor vom Netz gehen.

Im Konsens-Falle sind Schröder und Jürgen Trittin bereit, die Laufzeiten flexibel zu regeln. Wird ein AKW früher abgeschaltet, darf ein anderes entsprechend länger laufen. Die Betreiber befürworten dies im Prinzip, wollen aber statt mit Kalenderjahren lieber mit Strommengen handeln. So wurde als Angebot kolportiert, dass eine noch zu produzierende Menge von 3.000 Terrawattstunden für die Wirtschaft akzeptabel wäre. Dafür würden sie sogar vier unrentable Kraftwerke baldigst stilllegen. Doch diese Strommenge ist mehr als alles, was bisher in den Reaktoren hergestellt wurde.

Der Deal mit Strommengen hätte für die EVUs auch den Vorteil, dass selbstverschuldete Stillstände oder gründlichere Sicherheitsauflagen der Behörden keine negativen Folgen auf die Laufzeiten hätten. "Stünde ein Reaktor auf Weisung atomkritischer Landesminister still", so die Berliner Zeitung, "würde sich die Gesamtlaufzeit automatisch verlängern." Noch ist Trittin gegen diese Kontingente, weil so das Ende der Atomenergie nicht mal mehr für ihn absehbar ist und auch weil dann der Bundesrat bei einem entsprechenden Gesetz zustimmungspflichtig wäre.
Bei der Entsorgung zeichnete sich beim Konsensgespräch ein Kompromiss ab: Moratorium beim Endlager Gorleben, Genehmigung von Schacht Konrad, ohne dass von dieser Gebrauch gemacht wird, Erarbeitung neuer Endlager-Kriterien, Wiederaufnahme der Transporte, Stopp der Wiederaufarbeitung sobald die Zwischenlager an den AKWs fertig gestellt sind - also frühestens in fünf Jahren. Diese inzwischen an allen (außer den bayerischen) Standorten beantragten Lagerhallen sollen auch als alleiniger Entsorgungsnachweis dienen.

Kommt es zu einem Konsenspaket, werden die Grünen Spitzen alles versuchen, um dies der Bevölkerung und der eigenen Basis als einzigen Weg zum Ausstieg zu verkaufen. Das wurde deutlich, wenn Trittin auf dem Landesparteitag der niedersächsischen Grünen in Celle (7. Februar) erklärte, dass alle bisherigen Ansätze sowohl der Anti-AKW-Bewegung als auch der ausstiegsorientierten Politik gescheitert sind. Einzig die Festlegung auf Restlaufzeiten könne ein Ende der Atomenergienutzung herbeiführen.

Doch die Parteibasis in Celle folgte ihm nicht und verabschiedete eine regierungskritische Erklärung, in der u.a. die Stilllegung von mindestens drei AKWs bis zur nächsten Wahl gefordert wird.

Zum grünen Bundesparteitag Mitte März in Karlsruhe kann es also zum Showdown kommen. So wie bereits beim Kosovo-Parteitag 1999 geht es um ein ehemaliges grünes Essential. Und letztendlich werden die Delegierten vor die Wahl gestellt, die Kröte zu schlucken oder die Koalition platzen zu lassen. Dass spätestens an diesem Punkt sogar die radikalsten Verfechter einer klareren atompolitischen Linie einknicken, hat sich in den letzten Wochen immer wieder gezeigt. Außer bei denjenigen, die mehr oder weniger spektakulär die Partei verlassen, wie jetzt die Gründungsmitglieder Marianne Fritzen und Rolf Bertram.

Doch was passiert, wenn Konzerne, Kanzler und die grüne Spitze sich einigen: gibt es dann noch eine Chance, die Zustimmung des Parteitags zu verhindern? Diese Frage wird in manchen grünen Landesverbänden, in Anti-Atom-Gruppen und Umweltverbänden zur Zeit diskutiert. Und es werden erste Ideen angedacht, was in Karlsruhe möglich sein könnte ...

Gelingt es nicht, den Parteitag noch umzustimmen, dann wird es u.U. einen Atomkonsens geben, der von den EVUs bis zu den Grünen auf Zustimmung stößt. In den Medien wird dann zu hören sein, dass mehr ja nun wirklich nicht drin war und dass dies doch gelungene Realpolitik sei. Wie viele Menschen werden das glauben? Und wie viele werden trotzdem weiter auf Widerstand setzen?

In einem offenen Brief der Kampagne "X-Tausendmal quer - überall" an die Mitglieder der Bündnisgrünen, abgedruckt als Anzeige in der Parteizeitschrift "schrägstrich", heißt es u.a.: "Egal, welche Fristen letztendlich in einem geänderten Atomgesetz stehen, sie sind angesichts der Risiken viel zu lang, und wir möchten gemeinsam mit Euch dafür streiten, dass die Reaktoren schneller vom Netz gehen."

Angesprochen werden die einfachen Parteimitglieder, nicht die Bundestagsabgeordneten und FunktionärInnen. Denn um diese "grüne Basis", ob Mitglied oder nur WählerIn der Partei, muss die Anti-AKW-Bewegung in den nächsten Monaten kämpfen. Je mehr Menschen sich mit der Kanzler-Linie nicht einverstanden erklären, je mehr Menschen nicht resignieren, sondern weiter Widerstand leisten, um so größer ist die Chance, dass mit dem möglichen Konsens oder Dissens noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Jochen Stay


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