akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.01.2000

Vorsicht an der
Bahnsteigkante

Wendland erwartet Atommüll ab März

Die Vorbereitungen gegen einen Castor-Transport ins wendländische Gorleben werden konkreter. Die BI Lüchow-Dannenberg geht inzwischen davon aus, dass es noch im März oder April ernst werden könnte. Im Süden der Republik bereiten sich Anti-AKW-Gruppen darauf vor, dass erste Transporte noch im Frühjahr in Richtung Ahaus oder aber zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in La Hague und/oder Sellafield rollen könnten. Lediglich am AKW Stade, das bislang als dringend transportverdächtig angesehen wurde, scheinen Transporte zumindest in nächster Zeit immer unwahrscheinlicher.

Im Wendland verlässt man sich nicht auf die starken Worte aus dem niedersächsischen Innenministerium. Wiederholt hat Innenminister Heiner Bartling (SPD) darauf hingewiesen, dass Niedersachsen angesichts der im Juni beginnenden EXPO 2000 dieses Jahr nicht mehr in der Lage sei, einen Atomtransport nach Gorleben zu schützen.

Rund 3.000 PolizistInnen sind während der EXPO täglich im Einsatz, darunter schon massive Unterstützung aus anderen Bundesländern. Schon das bringt Überstunden ohne Ende. Norbert Spinrath, Chef der Gewerkschaft der Polizei, forderte inzwischen, dass Atomtransporte erst nach einem Konsens der Regierung mit den AtomkraftgegnerInnen wieder zugelassen werden sollten.

Sicher ist, dass der Castor wohl auf einer neuen Strecke seinen Weg nach Gorleben finden muss. Nachdem die bisherige Strecke auf Grund einer reparaturbedürftigen Brücke nicht passierbar ist, sollen die derzeit im französischen La Hague bereitstehenden sechs Transporte mit hochradioaktivem Atommüll über Sachsen-Anhalt angekarrt werden. In Arendsee sollen die sechs Behälter auf die Straße umgeladen werden. Der Umschlagplatz ist ungesichert, die Straßen sind schmal, führen durch viele kleine Ortschaften und Wälder, die Länge der Transportstrecke auf der Straße verdoppelt sich. Das erfordert einerseits enorm viel Polizei und bietet andererseits jede Menge Eingreifmöglichen für die Anti-AKW-Bewegung.

Nach Angaben der Berliner Zeitung sollen Transporte nach Ahaus und Gorleben jedoch nicht vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen (Mai) stattfinden. Das Blatt beruft sich auf Regierungskreise. Laut Berliner Zeitung würde die unmittelbar bevorstehenden Transportgenehmigungen lediglich der Verbesserung des Klimas in den Konsens-Verhandlungen dienen. Statt diese Genehmigungen sofort zu Transporten zu nutzen, soll den Betreibern die Möglichkeit eingeräumt werden, beladene Atommüllbehälter für einige Zeit auf ihrem Betriebsgelände zu lagern und diese dann erst im Sommer oder später auf die Reise zu schicken. Auf diese Weise könnten auch diejenigen AKWs, deren Lager demnächst überlaufen würden, den Entsorgungsnotstand verhindern und ungestört weiter am Netz bleiben.

Auszuschließen ist ein solches Szenario nicht. Doch so nachvollziehbar es aus Regierungssicht aus wäre, Transporte bis hinter die NRW-Wahlen zu verschieben: Bei der BI Lüchow-Dannenberg sollen sich die Anzeichen für einen Transport im März/April immer mehr verdichten. Entsprechend hat man sich mit AtomgegnerInnen aus dem Raum Salzwedel-Arendsee zusammengetan und das bisherige Streckenkonzept den neuen Anforderungen angepasst.

Auch im Gebiet von Hessen (Biblis) und Baden-Württemberg (Neckarwestheim) geht man davon aus, dass es mit den Transporten schon vor dem Sommer wieder losgehen könnte. 30 süddeutsche Initiativen haben Anfang Januar in Heidelberg ihre gemeinsamen Aktivitäten weiter abgesprochen. Denn die Betreiber in Neckarwestheim und Biblis planen nicht nur Transporte nach Ahaus. Ein entsprechender Transport soll bis spätestens zum 24. November durchgeführt werden. Bis Ende Dezember, so ein weiterer Transportantrag, soll Atommüll wieder nach Sellafield in England gehen. Das gleiche Ziel soll von Biblis aus angesteuert werden, außerdem noch Transporte nach La Hague. Mit einer breit gefächerten Veranstaltungsserie wollen die süddeutschen Gruppen bis dahin die Öffentlichkeit auf die Risiken der Atomenergie aufmerksam machen und der Bundesregierung Handlungsalternativen zum Konsens aufzeigen. Parallel laufen die Planungen für "Widerstand-Camps" an den jeweiligen Reaktoren, denn schon bei der Abfahrt sollen die Transporte blockiert werden. Mit Sonntagsspaziergängen, z.B. am 23. Januar ab 14 Uhr am AKW Biblis, soll das Spielfeld schon mal sondiert werden.

Von der Liste der dringend auf Atomtransporte angewiesenen Reaktoren kann man das AKW Stade vermutlich streichen. Das niedersächsische Umweltministerium hat ebenfalls Anfang Januar klargemacht, dass die Betreiber von Stade vermutlich das beantragte zusätzliche Lagergestell einsetzen können. Damit können die Betreiber erheblich mehr abgebrannte Brennelemente als bisher im Lager unterbringen und den für den 11. Februar vorgesehenen Brennelementewechsel planmäßig durchführen. Eine Stilllegung wegen mangelnder Entsorgung ist dann nicht mehr erforderlich. Das Umweltministerium, das im Herbst letzten Jahres den Einbau dieses Gestells noch als "wesentliche Änderung" im Rahmen des Atomgesetzes bezeichnet hatte, sieht bis heute keine Gründe, um eine Öffentlichkeitsbeteiligung anzuordnen. Dadurch wird eine schnelle Genehmigung möglich. Andernfalls wären eine zweimonatige Auslegung der Antragsunterlagen und ein Erörterungstermin Pflicht gewesen. Stade wäre dann längst vom Netz. Die offizielle Erklärung des Ministeriums steht zwar noch aus. Aber am Ergebnis der ministeriellen Prüfung dürfte nun kein Zweifel mehr bestehen. Ob Bundesumweltminister Jürgen Trittin nun durchatmet, weil seine Zusage, keine Verstopfungsstrategie an der Atommüllfrage zu betreiben, nun eingehalten wird, - darüber darf man spekulieren.

DSe

Weitere Infos: BI Lüchow-Dannenberg, Drahwehnerstr. 3, 29439 Lüchow, Tel: 05841-4684, Fax: 05841-3197, www.bi-luechow-dannenberg.de. Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim, anti-akw.neckarwestheim@s.netic.de,
Infotel: 07141-903363, Fax: 07141-923991, www.i-st.net/~buendnis/


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