akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 434 / 20.01.2000

Raus aus den Betonburgen

Für eine Politisierung der Anti-AKW-Bewegung

Die letzte Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung in Dannenberg hat viele Beteiligte rat- und fassungslos zurückgelassen. Offenbar brachte diese Konferenz nicht nur wie viele zuvor nichts an greifbaren Ergebnissen oder gemeinsamen Verabredungen für die Zukunft. Nicht einmal die erforderlichen Debatten wurden geführt. Die zentrale Frage nach der Konferenz: Wozu ist so was eigentlich gut? Antworten fallen bekanntermaßen nicht vom Himmel. Deshalb soll im folgenden versucht werden, einige der dringend zu diskutierenden Aspekte herauszuarbeiten:

Wer glaubt, die Konferenzen der Anti-AKW-Bewegung dienten dazu, politische Diskussionen zu führen, Übereinkünfte zu treffen und bundesweite Aktionen gemeinsam vorzubereiten, der/die irrt, - und zwar gewaltig. Im Grunde könnten nahezu alle Konferenzen der letzten Jahre unter einem Motto laufen: "Wir stellen uns quer". Und zwar gegen uns selbst!

Inzwischen herrscht eine Haltung vor, die die Konferenzen als reine Unterhaltungsshow betrachtet. Was die Vorbereitungsgruppe anbietet, wird ebenso artig konsumiert wie die Volksküche. Fast bekommt man den Eindruck, als sei der Freitag und der Samstag lediglich die mühselige Vorbreitung auf die abendliche Partie. Und was sollen die Ergebnisse einer solchen Konferenz sein? Die meisten würden mit den Schultern zucken: So konkret kann man das nicht sagen? Das Kuriose ist doch, dass viele zwar extrem unzufrieden nach Hause fahren (aber man hat viele Leute wiedergetroffen), aber was anders werden muss, darüber wird bestenfalls noch die nächsten drei Tage nachgedacht. Doch: Wer so wenig über die ihn umgebende Welt nachdenken mag, wer nicht bereit ist, sich intensiv mit dem sicher drastisch wandelnden politischen Umfeld und der politischen Realität in diesem Land auseinander zu setzen, - was will der wohl noch verändern? Alte Antworten, alte Reaktionsweisen reichen schon lange nicht mehr aus.

Wer auf der Frühjahrskonferenz in Heidelberg (vgl. ak 425) oder krasser noch in Berlin (ak 419) im Herbst 98 dabei war, erlebte im Grunde ein politisches Grauen. Da gab es z.B. eine nagelneue rot-grüne Bundesregierung, und bevor die auch nur irgendetwas tun konnte, wusste man schon in Berlin, dass man nichts zu erwarten hätte. In der amtlichen Tagesordnung der Konferenz war für den Regierungswechsel und eine politische Debatte darüber kein Platz.

Nicht einmal auf triviale Weise wäre es richtig, dass Rot-Grün nichts bringt. Im Gegenteil bedeutet die rot-grüne Regierung eine vermutlich tiefe Zäsur im politischen Koordinatensystem der BRD und wird deshalb gravierenden Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten nicht nur der Anti-AKW-Bewegung haben. Die grüne Beteiligung an der Regierung stellt doch viele Menschen vor die schlichte Frage: wenn nicht mal die den Ausstieg kurzfristig durchsetzen können, wer dann? Und wer könnte diese Frage heute beantworten? Und welche politische Folgen hat eine solche Sichtweise (ehemaliger) MitstreiterInnen? Resignation? Da kann man dann eben nichts machen?! Wozu dann noch auf die Straße gehen? Und was bewirkt das bei uns, in den Initiativen und Gruppen? Darüber wird bestenfalls mal in der Kneipe nach dem sechsten Korn geredet, eine politische Debatte gibt es nicht.

Grüne Regierer verändern die Verhältnisse

Dabei wissen wir bereits aus den grünen Regierungsbeteiligungen auf Länderebene wie sehr der Widerstand dadurch behindert wurde. Viele waren bereit, den Grünen eine Chance zu geben. Und viele, die in die Grünen Hoffnungen gesetzt hatten, zogen sich später aus der Politik zurück. Ein solcher Effekt dürfte auf Bundesebene erheblich krasser verlaufen.

Doch das ist nur eine Seite der Realität: Die andere Seite besteht in den Menschen, die auch in der grünen Partei wie Hunde leiden, wenn sie heutige grüne Politik erleben. Wer diese schlicht ignoriert, sie nicht in eine Debatte einzubeziehen versucht, nimmt sich selbst doch jeden Handlungspielraum, gibt von vornherein die Chance verloren, aus dem massiven Rechtskurs der Grünen zumindest teilweise einen politischen Gewinn zu erzielen. Wer stattdessen einfach die Parole ausgibt, "mit den Grünen reden wir nicht mehr" und dies sogar noch für "links" hält, schüttet das Kind mit dem Bade aus. Die Frage muss doch lauten: Wie geht man mit Tausenden von politisch Aktiven in Kreisen, Bezirken, Städten und Dörfern um? Mit denen, denen es selbst graut, wenn sie die Bonner und Berliner Verlautbarungen hören. Die im Rahmen der Lokalpolitik für vernünftige (linke) Projekte streiten, die aber für sich keine politische Alternative jenseits der Grünen sehen? Natürlich, - dann sollen sie doch austreten. Und wenn sie es nicht tun? Genau, - dann reden wir nicht mehr mit denen.

Klar, dass das zu nichts führt. Wie soll es mit so einer Einstellung eigentlich gelingen, diese Gesellschaft zu verändern, wenn man nicht mal mehr mit den Grünen sprechen will (was ja nicht heißt, dass man ihre Positionen nicht scharf kritisieren kann)? Wie großartig müssen unsere (!linken!) Medien eigentlich sein, damit sie Kraft des geschriebenen Wortes doch die Massen überzeugen? Wie sagenhaft erhellend sind unsere Flugblätter, dass Millionen sofort alles stehen und liegen lassen, um mit uns gemeinsam eine anti-atomare oder gar anti-kapitalistische Welt aufzubauen?

Dass derart wenig über die politische Landschaft in diesem Land gesprochen wird, dürfte aber auch damit zu tun haben, dass die Anti-AKW-Bewegung nur noch in wenigen Regionen überhaupt Politik macht. Fast überwiegend ist es doch heute so, dass AKW-Widerstand lediglich noch in der Form eines Flugblattes mit beiliegender Aktion stattfindet. Wenn dabei überhaupt mal ein Bürger herumstehen sollte, bekommt er eines der Blätter verpasst. Das war dann Bürgerdialog.

Widerstand wird nur noch als Aktion begriffen, die am besten auf einer Schiene und noch besser mit einem Castor davor abläuft. Doch das reicht einfach nicht. Wie vermitteln wir derartige Aktionen in der Bevölkerung, wie überzeugen wir andere Menschen, dass unsere Aktionen nicht nur legitim sind. Wie machen wir klar, dass wir nur gemeinsam etwas ändern können? Wer rennt den Regierenden, den Herrschenden, den Parteien, den Verbänden, den Lobbyisten, den Geschäftsführern, den Stadtteilgruppen, Verbraucherverbänden, Gewerkschaften, Orts- und Kreisverbänden und und und die Bude ein und fordert die Debatte, fordert Erklärungen für politischen Wahnsinn, für Ungerechtigkeit und Unterdrückung? Wie soll das gehen, wenn die Lust auf Debatte nicht einmal untereinander vorhanden ist?

Mit VertreterInnen politischer Parteien, womöglich den etablierten, gibt es keine Diskussion. Bündnispolitik, die danach sucht, möglichst viele gesellschaftliche Kräfte (und nicht nur die eigene Szene) in eine politische Diskussion (!) einzubinden, dabei leidenschaftlich über die gemeinsamen Inhalte zu streiten, gibt es nicht. Es ist geradezu beklemmend, wenn zum Beispiel der PDS verweigert wird, als Organisation den Aufruf der Berlin-Demo zu unterschreiben (und dies von grünen BewegungskämpferInnen durchgesetzt wird, vgl. ak 432 S.2). Wenn eine große und in Teilen linke Partei sich den Zielen der Anti-AKW-Bewegung anschließen will und mit der Unterschrift unter einem Flugblatt dies öffentlich nachlesbar dokumentiert, dann ist dies in aller Regel gut und nicht schlecht. Gut, weil eine Organisation, die nicht gerade die Anti-AKW-Arbeit erfunden hat und in Ostdeutschland sicher auch Leute zu ihren Mitgliedern zählt, die in DDR-Zeiten den atomaren Segnungen positiv gegenüber stand, sich politisch bewegt, inhaltliche Veränderungen (in unsere Richtung) vollzieht. Ist nicht unser Ziel, so viel politische Macht in diesem Land zu organisieren, um den Druck auf Regierung und Wirtschaft so stark zu machen, dass der Ausstieg möglich wird?

Politische Veränderung hat schlicht damit zu tun, in den Köpfen der Menschen die Vorstellung zu initiieren, dass es anders, - besser sein kann. Dazu braucht man 1. Fragen und Antworten, wie es anders sein kann, und 2. muss man sich die endlose und anstrengende Arbeit machen, mit möglichst vielen Menschen in die Debatte zu kommen, darüber zu diskutieren, wie es denn besser werden könnte.

Doch statt solcher Haltungen zeigen zumindest die Teile der Anti-AKW-Bewegung, die sich auf den Konferenzen rumtreiben, überwiegend ein vollkommenes Desinteresse. Doch das Problem scheint mir nicht mit verbesserter Ablaufplanung beherrschbar zu werden. Vielmehr muss sich in den Köpfen der Linken etwas Entscheidendes ändern. Wenn der eigene Frust, das Erleben, dass man in den vergangenen Jahren immer weniger geworden ist, die Linke fast ausgestorben ist, das Gefühl, alles schon mal erlebt zu haben, die Schwarz-Weiß Malerei von den Bösen und Guten, von denen da draußen und uns hier drinnen: wenn dies nicht überwunden wird, dann gibt es für die Anti-AKW-Bewegung keine politische Zukunft. Wer den Kampf um gesellschaftliche Mehrheiten im Grunde aufgegeben hat und lediglich mit scheinradikalen Platitüden Abgrenzungsmauern (Marke: klare Inhalte) um sich zieht, der/die kann doch nicht wirklich was verändern.

Wie verändern wir die Verhältnisse?

Was wir brauchen, ist eine Debatte über die schlichte Frage: Wie eigentlich stellen wir uns vor, dass eine Gesellschaft wie wir sie hier haben, gravierend und radikal verändert werden kann. Wie funktioniert politischer und gesellschaftlicher Wandel? Wie bewegt man diesen zu fortschrittlichen und emanzipativen Inhalten? Ich will dies nur an einem (vielleicht etwas kuriosen) Beispiel deutlich machen - die Erörterungsverfahren, die wir seit Jahren zur Genüge kennen und die uns in den nächsten Jahren wohl vermehrt ins Haus stehen werden: Klar: die jetzigen Form der Öffentlichkeitsbeteiligung ist in jedem Fall ungenügend und kann allzu leicht als Alibi einer demokratischen Beteiligung missbraucht werden. Und dennoch: solche Verfahren bieten immer auch die Chance, die eigenen Forderungen leichter in die Öffentlichkeit zu bringen. Nicht zuletzt aus diesem Grund werden solche Verfahren trotz harter Magenschmerzen immer wieder auch von uns mitgemacht. Also warum nicht den Kopf darüber anstrengen, wie eine öffentliche Beteiligung im Rahmen von (nicht nur atomaren) Genehmigungsverfahren aussehen müsste, damit unsere Inhalte in diesen Verfahren mehr Gewicht erhalten? Wie könnte die "Öffentlichkeit" in die Lage versetzt werden, nicht nur angehört zu werden, sondern auch mit abzustimmen?

Und warum fordern wir immer nur, dass derartige Termine nach Feierabend oder am Wochenende stattfinden sollen? Als Gewerkschafter finde ich diese Forderung geradezu einen Rückschritt. Ich bin der Auffassung, dass jedeR BürgerIn arbeitsfrei bekommen muss, wenn er/sie sich für das "Gemeinwohl" einsetzt, sich um die Gestaltung dieser Gesellschaft kümmert und an der politischen Willensbildung beteiligt. Dadurch würden sich die Chancen für Tausende BürgerInnen in zahlreichen Genehmigungsverfahren vermutlich deutlich verbessern. Und es wäre eine Forderung, die nicht nur den Anti-AKW-Bewegten zugute kommt, sondern in vielen anderen gesellschaftlichen Konfliktfeldern zu einer neuen Politisierung mit beitragen könnte. Hier ginge es nicht mehr nur um Widerstand, sondern es ginge auch um die weitere Demokratisierung. Und eben an dieser Frage hat m.E. die Anti-AKW-Bewegung u.a. in den 70er Jahren entscheidend an politischen Spielraum gewonnen. Sie war nicht nur gegen eine bestimmte Technik, sondern hatte mit der Basisdemokratie ein (so dachte man damals) neues demokratisches Organisationsprinzip für eine ganze Gesellschaft "erfunden". Dies machte die sozialen Bewegungen weit über den eigenen Dunstkreis attraktiv. Und ich finde: unsere Aufgabe muss es sein, nicht nur gegen Atomanlagen zu streiten, sondern eben auch für eine konkrete (!) Demokratisierung zu kämpfen: dafür, dass nicht eine Minderheit von Kapitalisten entscheiden, wo es lang geht.

DSe


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