akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 433 / 16.12.1999

Verstopfung als Strategie

Verdauungsprobleme der Atom-Industrie

Noch hält der Atomtransporte-Stopp an und sorgt bei den AKW-Betreibern für hektische Betriebsamkeit. Denn laufen die internen Zwischenlager voll, droht die Stilllegung. Die Anti-AKW-Bewegung beobachtet die Aktivitäten der Bundesregierung zur Abarbeitung des Kontaminationsskandals intensiv. Unter dem Stichwort Verstopfung will sie dafür sorgen, dass der Atommüll nicht wieder auf die Schiene geht und die AKWs abgeschaltet werden. Es geht auch darum, die Hintertürchen und Schlupflöcher der AKW-Betreiber zu erkennen und Widerstand entgegenzusetzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den ersten Monaten des Jahres 2000 zu Transporten kommt, steigt. Den aktuellen Stand in Sachen Wiederaufnahme der Transporte und der neuen Pläne zur Verhinderung des Entsorgungs-Notstands der Betreiber und der Bundesregierung stellt Jochen Stay vor.

Die von der Bundesregierung beauftragten Gutachter (Öko-Institut und Gesellschaft für Reaktorsicherheit GRS) haben für die verschiedenen Behältertypen Maßnahmen entwickelt, die eine Wiederaufnahme der Transporte aus ihrer Sicht möglich erscheinen lässt.

Ende des Transportestopps?

Die Betreiber betrachten dies als Chance und planen wild drauflos. Allerdings ist Regierung und Atomwirtschaft zumindest bei den Transporten nach Ahaus und Gorleben klar, was sie dort erwartet. Bei der Einschätzung des Widerstandes gegen Transporte von den AKWs ins Ausland tun sie sich derzeit schwer. Dabei hat die Bewegung für sich schon lange klar, dass diese im Augenblick den gleichen Stellenwert genießen, wie die Transporte zu den Zwischenlagern.

Im Folgenden eine Aufschlüsselung der verschiedenen möglichen Transporte. Die Xe vor der jeweiligen Transport-Variante stellen eine subjektive Einschätzung der Wahrscheinlichkeit für Frühjahr 2000 dar - allerdings ohne Gewähr.

XXX La Hague - Gorleben

Frankreich erhöht in Sachen Rücktransporte von hochradioaktiven Abfällen aus der WAA ständig den Druck. Es gibt jetzt angeblich ein Junktim: La Hague ist erst wieder bereit, Transporte aus deutschen AKWs anzunehmen, wenn die sechs bereitstehenden Kokillen-Behälter in Gorleben eingetroffen sind. Selbst Transporte nach Sellafield kann Paris verhindern, da diese über französischen Boden rollen und die entsprechenden Behälter auch in Frankreich genehmigt werden müssen. Die deutsche Seite ist bemüht, dieses Junktim aufzulösen. Ob dies gelingt ist offen. Laut Presseberichten über den deutsch-französischen Gipfel Anfang Dezember wurden Jospin und Schröder sehr laut, als es um das Thema Transporte ging. Der französische Ministerpräsident soll gefordert haben, dass der Atommüll spätestens im Februar rollt.

Doch eigentlich will zumindest das Land Niedersachsen im EXPO-Jahr keine Transporte nach Gorleben. Die marode Jeetzel-Brücke auf der Bahnstrecke nach Dannenberg wird erst im Herbst 2000 wiederhergestellt sein. Die beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beantragte Ausweichstrecke über den Luftkurort Arendsee in Sachsen-Anhalt ist von der Polizei schon stark kritisiert worden. Denn von dort geht es auf 33 km Straßenstrecke durch tiefe Wälder nach Gorleben. In der Altmark, so heißt die Region um Arendsee, regt sich der Widerstand.

Trotz all dieser Vorbehalte ist aber ein Transport La Hague - Gorleben für das Frühjahr 2000 durchaus möglich, denn es kann sein, dass Frankreich mehr Druck auf die Bundesregierung ausüben kann, als die Bundesländer Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Probleme mit Außenkontamination gibt es bei diesen Behältern nicht.

XX Stade - La Hague

Ob das beantragte zusätzlichen Lagergestell für Stade rechtzeitig vor der Revision im Februar vom niedersächsischen Umweltminister Wolfgang Jüttner genehmigt wird, ist weiterhin offen. Wenn ja, gibt es noch mal Luft für ein allerletztes Jahr. Wenn Nein ist Schluss. Deshalb drängeln die Betreiber mächtig auf Transporte.

Das Gutachten von dem Öko-Institut und der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) zur Kontaminationsfreiheit der Behälter für die WAA-Transporte wurde Mitte November vorgelegt. Es geht davon aus, dass die französischen "Stachelbehälter" zwar, falls sie stark kontaminiert sind, nicht mehr sauber zu bekommen sind, falls aber noch saubere Behälter vorhanden sind, diese auch sauber zu halten und vor allem auch zu messen sind. Die Abarbeitung der im Gutachten genannten Auflagen soll bis Februar abgeschlossen sein.

Stade hat ein spezielles Problem, weil auf keinen Fall Transporte in Zwischenlager möglich sind. Die entsprechenden Behälter sind zu groß und passen nicht ins Becken. Aber statt dem nur in kontaminierter Form vorhandenen bisher genutzten Behälter TN 17/2 soll jetzt evtl. der Castor 2B für La Hague-Transporte eingesetzt werden. Wahrscheinlich deshalb werden diese eigentlich veralteten Behälter neuerdings wieder hergestellt. Die WAA-Betreiber wären auch bereit, diese deutschen Behälter anzunehmen. Er fällt auch nur unter einen Teil der noch bis Februar abzuarbeitenden Auflagen und könnte schon früher eingesetzt werden.

XXX Neckarwestheim / Biblis - Sellafield

Auch hier gilt: Das dritte Gutachten fertig. Auflagen bis Februar wahrscheinlich abgearbeitet. Zulassung der Behälter wahrscheinlich im Februar. Transportgenehmigung im Februar/März möglich. Vielleicht geht alles sogar noch schneller, denn die englischen Behälter (Excellox) sind einfacher zu reinigen und zu messen als französische. Deshalb treffen die meisten Auflagen aus dem Gutachten auf diese Behälter nicht zu. Zehn Transporte sind für 2000 allein aus Neckarwestheim geplant. Mindestens ein Behälter ist schon da. Technisch spricht also wahrscheinlich bald nichts mehr dagegen. Es wird sogar überlegt, dass diejenigen Kraftwerke, für die Verträge mit Sellafield existieren, einen Teil ihrer Liefermengen an diejenigen AKWs abgeben, die keine England-Verträge haben. Die baden-württembergische und die hessische Landesregierung drängen auf Transporte. Gerüchteweise sehen sie bei diesen auch am ehesten die Chance, ohne viel Widerstand und ohne großen Polizeiaufwand die relativ kurze Strecke bis zur französischen Grenze zu bewältigen. Also eine sehr wahrscheinliche und für die Verstopfungsstrategie gefährliche Variante.

X Biblis / Philipsburg - La Hague

Ebenfalls durch das dritte Gutachten abgedeckt. Falls es gelingt, saubere Behälter aufzutreiben, dann kann es auch hier bis März zu Genehmigungen kommen - es könnte auch noch ein wenig länger dauern. Vorbehalt ist noch die französische Weigerung, Müll in der WAA anzunehmen, bevor nicht die Kokillen-Fuhre in Gorleben ist. Aber ob dieses Junktim hält, ist völlig offen. Die Landesregierungen wollen Transporte, sie und die Betreiber - so sagt eine interne Quelle - fantasieren, dass es ja nicht weit zur Grenze sei und auch nur wenige Bundesländer in die Planungen einzubeziehen seien, und so seien sehr kurzfristig Transporte möglich. Also im Augenblick auf Grund der Frage nach sauberen Behältern und dem Junktim nicht die wahrscheinlichste Variante, aber eine der gefährlichsten.

XX Neckarwestheim/Biblis/ Philippsburg - Ahaus

Die Vorbereitungen auf technischer Ebene sind schon sehr weit: Das hier nötige erste Gutachten war bereits im Sommer fertig. Die Auflagen sind abgearbeitet und von den Gutachtern anerkannt. Seit kurzem ist der Castor V/19 als Behälter wieder genehmigt. In Biblis stehen drei noch leere Exemplare vom V/19. In Neckarwestheim auch. In Philippsburg stehen zwei oder drei. Transportanträge sind (wie in allen anderen Fällen) gestellt. Geplant ist für das Jahr 2000 jeweils ein Sixpack von jedem Standort nach Ahaus. Möglich ist auch ein Misch-Transport (z.B. drei aus Philippsburg, drei aus Biblis). Es kann schon um den Jahreswechsel herum Transportgenehmigungen geben. Größtes Problem ist hier die Situation in NRW. Dort sind im Mai Wahlen und die rot-grüne Regierung in Düsseldorf kann vorher keinen Castor nach Ahaus brauchen. Gerade für die Grünen wäre ein Ahaus-Transport der atompolitische GAU.

Der Kontaminations-Skandal ist also weitgehend abgearbeitet. Zumindest administrativ. Dass die jetzt vorgesehenen Maßnahmen wirklich zu sauberen Behältern führen, ist allerdings fraglich. So wurden in Frankreich seit der Wiederaufnahme der dortigen Transporte schon wieder in 15 Fällen Grenzwertüberschreitungen bis zum 250fachen festgestellt.

Ist nun also wirklich, wie bereits mehrfach angekündigt, mit der schrittweisen Aufhebung des Transportestopps für Anfang 2000 zu rechnen? Zuerst für innerdeutsche Transporte und Rücktransporte aus der WAA, danach für Sellafield-Touren und schließlich für alles, was nach Frankreich geht?

Gut möglich! Aber es gibt - neben einigen noch nicht abgearbeiteten technischen und administrativen Problemen - noch eine grundlegende Schwierigkeit, die Transporten im Wege steht. Im Atomgesetz regelt der Paragraf 4 die "Beförderung von Kernbrennstoffen". In den Sätzen 5 und 6 des zweiten Absatzes ist zu lesen, dass diese Transporte nur dann genehmigt werden dürfen, wenn "der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter gewährleistet ist" und wenn "überwiegende öffentliche Interessen der Wahl der Art, der Zeit und des Weges der Beförderung nicht entgegenstehen."

Die Polizei als Zünglein an der Waage

Die Polizei wird also zum Zünglein an der Waage. Wenn sie den "erforderlichen Schutz" nicht organisieren kann oder wenn sie die am 1. Juni 2000 startende EXPO in Hannover als "der Zeit der Beförderung entgegenstehendes öffentliches Interesse" bewertet, dann darf auch nicht genehmigt werden.

Die Innenminister von Bund und Ländern und der Bundesgrenzschutz haben eine "Koordinierungsgruppe zur Sicherung von Kernbrennstofftransporten (Kosikern)" eingerichtet. Federführend ist hier das niedersächsische Innenministerium. Und dieses hat stellvertretend für alle Länder dem BfS als Genehmigungsbehörde mitgeteilt, dass die Polizei bereits sechs Monate im Voraus genaue Transportstrecke und Terminplanung erfahren muss, um entsprechende Großeinsätze planen zu können. Ob sich diese Forderung durchsetzen lässt, ist noch offen.

Genauso offen ist, ob das Bundesamt für Strahlenschutz die Transportgenehmigung wirklich erst dann erteilt, wenn die Polizei sozusagen startbereit ist, oder ob - wie es in der Vergangenheit gehandhabt wurde - die Genehmigung schon mal erteilt wird, allerdings mit der Auflage versehen, vor der wirklichen Abfahrt das mit der Sicherung noch zu klären. Diese zwei Möglichkeiten unterscheiden sich in ihren Auswirkungen gravierend, wie wir noch sehen werden.

Zu spät fürs Hintertürchen?

Der Lagerplatz in den AKWs wird immer knapper. Ohne Transporte brauchen die Betreiber anderweitige Maßnahmen, um das Abschalten zu verhindern. Dazu haben sie sich einiges ausgedacht. Doch die meisten Ideen brauchen zur Umsetzung mehr Zeit als vorhanden ist. Und sie können durch weiteren Widerstand zusätzlich verzögert werden.

Standorteigene Zwischenlager: Eine Idee der Grünen: An jeden AKW-Standort oder zumindest in der Nähe (also z.B. für Brokdorf im 15 km entfernten Brunsbüttel) sollen eigene Zwischenlager gebaut werden. Dort werden die abgebrannten Brennelemente so lange in Castor-Behältern aufbewahrt, bis irgendwo, irgendwie, irgendwann ein Endlager zur Verfügung steht. So werden Castor-Transporte vermieden und das Kraftwerk kann trotzdem am Netz bleiben. Obrigheim hat bereits ein standorteigenes Zwischenlager in Betrieb genommen. In Lingen ist der Bau einer Halle beantragt, die den Müll der nächsten 50 Betriebsjahre aufnehmen kann. Auch Brunsbüttel und Krümmel haben Anträge gestellt (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Es wird erwartet, dass Anfang 2000 Philippsburg und Neckarwestheim und im Laufe des Jahres noch weitere Standorte folgen werden.

Allerdings nützen diese geplanten Hallen bei den augenblicklichen Lagerplatz-Engpässen wenig. Denn Genehmigungsverfahren und Bauzeit summieren sich auf drei bis fünf Jahre. Genug Zeit also auch, um sich einzumischen.

Zusätzliche Lagergestelle: In Stade und Biblis soll der Platz im Abklingbecken durch den Einsatz zusätzlicher Lagergestelle erweitert werden. Allerdings ist dies nur ein einziges Mal möglich, bringt also höchstens ein Jahr Aufschub. Ob dieses Gestell ohne ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung eingesetzt werden darf, wird zur Zeit vom niedersächsischen Umweltministerium geprüft. Kommt es zu einem solchen Verfahren, dann muss Stade im Februar erst mal vom Netz, denn so etwas dauert.

Transportbereitstellungslagerung: Die Idee ist simpel: Statt sie abzutransportieren, werden die beladenen Castoren auf dem Kraftwerksgelände geparkt. Doch die Juristen sagen klar: Dazu braucht es eigentlich einer Zwischenlagerungsgenehmigung. Und diese gibt es nur nach einem aufwendigen und Zeit raubenden Genehmigungsverfahren. Nur wirkliche Transportbereitstellung ist zulässig. Dazu muss aber eine Transportgenehmigung vorliegen. Hier schließt sich der Kreis: Bereitstellungslagerung nur bei Transportgenehmigung und diese nur bei Bereitschaft der Polizei, den Castor zu sichern. An dieser Stelle wirkt sich der Streit um die Reihenfolge bei der Transportgenehmigung entscheidend aus. Denn wenn eine Genehmigung unter Vorbehalt erteilt wird, dann können schon mal Castoren auf das Kraftwerksgelände gepackt werden, obwohl die Polizei noch nichts zugesagt hat.

Zwischenlagerbereitstellungslagerung: Noch einen Schritt weiter geht man beim AKW Philippsburg. Hier wollen die Betreiber für den Fall vorsorgen, dass nie wieder Transporte möglich werden. Deshalb planen sie zusätzlich zur eigenen Castor-Halle sogenannte "Garagen", in denen bis zu 24 Behälter zwischengelagert werden können, bis die große Halle fertig gestellt ist. Dazu braucht es zwar auch eine weitgehende Genehmigung, aber die Betreiber denken, dass sie die noch rechtzeitig vor einer endgültigen Verstopfung erhalten können. Ob auch bei anderen AKWs über diese Variante nachgedacht wird, ist bisher nicht bekannt.

Es wird in den nächsten Monaten sehr ernst. Aber es kann alles auch ganz anders kommen. Schließlich läuft im Dezember oder Januar wahrscheinlich auch noch eine Konsens-Runde. Vielleicht einigen sie sich ja doch noch auf irgendwas, was dann auch Einfluss auf die Transporte hat. Also: Ob es in den nächsten Monaten einen Tag X geben wird, ist noch nicht völlig sicher. Aber wenn es ihn geben wird, dann kommt er wahrscheinlich bald.


© a.k.i Verlag für analyse, kritik und information GmbH, Rombergstr. 10, 20255 Hamburg
ak Logo www.akweb.de   E-Mail: ak-redaktion@cl-hh.comlink.de
Weiterveröffentlichung in gedruckter oder elektronischer Form bedarf der schriftlichen Zustimmung von a.k.i.