akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 433 / 16.12.1999

Farbenspiel

Die Auswirkungen des liberalisierten Strommarktes

In ak 431 berichteten wir über die Entwicklungen auf dem liberalisierten Strommarkt. In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns weiter mit den laufenden Umstrukturierungsprozessen, den Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und betrachten unter ökologischen Gesichtspunkten die derzeitigen Stromangebote.

Die Liberalisierung der Energiewirtschaft, wie sie seit dem 29. April 1998 nach Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) gilt, hat eine große Dynamik entfaltet. Mit der Yello-Werbeoffensive des Atomstromers Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) ist der Stein ins Rollen gekommen. Was als Werbegag gedacht war, kommt nun modisch daher: Strom soll eine Farbe haben. Zufall dabei, dass ausgerechnet der Atomstrom der EnBW die Farbe gelb trägt?

Die Karten werden neu gemischt. Ab sofort kann jede Stromverbraucherin ihren Versorger selbst wählen. Die noch unter dem FDP-Wirtschaftsminister Rexrodt auf den Weg gebrachte Gesetzesnovelle verfolgt vor allem das Ziel, die Strompreise insbesondere für die Wirtschaft zu senken und so die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Fallende bzw. geringe Strompreise sind zwar vordergründig verbraucherfreundlich, aber unter ökologischen Gesichtspunkten absolut kontraproduktiv. Der Anreiz, Energie zu sparen, wird durch fallende Preise verringert; Energieverschwendung bleibt an der Tagesordnung. Aber auch die Notwendigkeit des Umbaus der Energieversorgung von den Großkraftwerken hin zu dezentraler Energieversorgung wird mit diesen Preissenkungen nahezu unmöglich gemacht. Jetzt zählt nur noch die billigste Art, Strom herzustellen, und da sind bereits abgeschriebene Anlagen ein großer Vorteil für die Betreiber.

Mit Sonderangeboten versuchen die Energieversorger (EVU) die Privat-KundInnen an sich zu binden. Gelb, blau, rot. Nur grün haben die EVU selten auf der Liste. Denn auch in einem liberalisierten Energiemarkt haben sich die Erzeugungsstrukturen erst mal nicht geändert. Atom- und Kohlestrom Strahlung und Kohlendioxid. Damit bei sinkenden Preisen die Rendite noch stimmt, werden Arbeitsplätze wegrationalisiert. Allein in Deutschland stehen deshalb nach Aussagen der ÖTV ca. 40.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die Entlassungswelle hat bereits begonnen - nahezu lautlos. Bei dem Berliner Stromversorger Bewag soll allein vom Dezember 1999 bis Ende 2002 die Zahl der MitarbeiterInnen von 8.500 auf 4.500 sinken. Das bedeutet, dass bereits in diesem Geschäftsjahr die Bewag "für diese außerordentliche Restrukturierung" einen Aufwand von 700 Mio. DM haben wird. Der Vorstandsvorsitzende Winje gibt zu, dass "ein solch drastischer Personalabbau ohne den Preisdruck durch die Liberalisierung des Strommarktes nicht durchsetzbar gewesen sei". Die Gewerkschaften schreien aber erst, wenn die Arbeitsplätze in der Atomindustrie auf der Kippe stehen. Auch hier ist die Rede von 40.000 Arbeitsplätzen, die längerfristig bei einem Atom-Ausstieg wegfallen sollen. Dass die nur instrumentalisiert werden, liegt spätestens jetzt auf der Hand.

Lizenz zum Gelddrucken

Um die gegenwärtigen Entwicklungen besser zu verstehen, ist ein kurzer Rückblick sinnvoll: Mit dem Gesetz aus der Nazizeit (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG - von 1935) und der Ausnahmeregelung vom Verbot, Kartelle zu bilden, konnten die Energiekonzerne ihre Strukturen in die noch junge Bundesrepublik hinüberretten. Acht Unternehmen teilten sich die BRD auf und waren alleinige Stromversorger in ihrem Gebiet. Dermaßen abgeschottet, konnten sie selbst entscheiden, wie die Stromproduktion erfolgen soll und welcher Preis dafür zu zahlen war. Bei der Preisgestaltung hatte zwar der jeweilige Wirtschaftsminister des Landes noch mitzureden, aber die konsequente Einbindung der Politik in die Unternehmen schaffte die nötigen Voraussetzungen, um die Gelddruckmaschine in Gang zu setzen.

Neben den "Großen Acht" gab es noch weitere ca. 1000 kleine EVU und Stadtwerke, die vor allem in der Stromverteilung tätig waren. Trotz dieser Vielzahl gab es auf Grund der Monopolstrukturen keinen Wettbewerb - die KundInnen waren den EVU gnadenlos ausgeliefert.

Das überregionale Verbundnetz - die Hochspannungsleitungen, die sich quer durch die Republik ziehen - ging in den Besitz der "Deutschen Verbundgesellschaft - DVG" (Heidelberg), deren Gesellschafter wiederum die "Großen Acht" sind. Mit diesen Leitungen ist zwar grundsätzlich die Möglichkeit geschaffen, die Grenzen der Monopole zu überwinden und Stromlieferungen quer durch die BRD zu tätigen, doch dienten sie jahrzehntelang nur dem Austausch von Strom zur Versorgungssicherheit.

So bauten die "Großen Acht" ihre Machtbasis aus und wurden zu profitablen Konzernen, die sich in den neunziger Jahren mit kaum da gewesener finanzieller Macht in andere Bereiche der Wirtschaft einkauften (z.B. Telekommunikation, Entsorgung, vgl. auch ak 423/431).

Monopole bleiben Monopole

Seit Beginn der Liberalisierung sind die "Großen Acht" in Aufbruchstimmung. Fusionsverhandlungen bestimmen das Bild. Gegenüber dem Konkurrenten Electricité de France - EDF, dem staatlichen Atomstromproduzenten aus Frankreich, sind die hiesigen EVUs eher klein. Dadurch befürchten die EVUs Nachteile auf dem europäischen Markt. Unterstützt werden die Fusionen durch die finanziellen Problem der Länder, die deshalb staatliche Anteile an Firmen privatisieren. So steht derzeit z.B. ein 25%-Anteil des Landes Baden-Württemberg an der Energie Baden-Württemberg - EnBW - (erst 1997 aus einer Fusion von Energieversorgung Schwaben AG und Badenwerk AG hervorgegangen) zum Verkauf an. Bewerber für dieses Tortenstück sind unter anderem RWE und EDF. Die Chancen für die EDF stehen gut: eine Offerte von 5 Mrd. DM macht es möglich.

Doch nicht nur diese beiden Fusionen (RWE und VEW sowie EnBW und EDF) machen derzeit von sich reden: Im September 1999 wurde die Fusion der beiden AKW-Betreiber Bayernwerke AG und PreussenElektra AG (beziehungsweise deren Mütter Viag AG und Veba AG) verkündet.

Die RWE sind derzeit mit 20 Mrd. DM (!) im Portemonnaie auf Einkaufstour. Neben dem Einstieg bei der EnBW haben sie noch ein Strom- und Gasunternehmen aus Großbritannien und ein norwegisches Gasunternehmen im Visier.

Die Monopole von einst sind auch die Monopole von morgen. Dabei wird es jedoch nicht bei acht EVUs bleiben, sondern bald nur noch "vier Große" geben.

Für die VerbraucherInnen mag im Moment der Wechsel zu den Billiganbietern lukrativ erscheinen, aber sie machen sich damit auch zu nützlichen Idioten der alten und neuen Monopolisten: einerseits wird so der Weiterbetrieb der AKW legitimiert, und andererseits wird den kommunalen Eigenerzeugern (Stadtwerke etc.) der Garaus gemacht. Doch gerade in den Stadtwerken steckt ein großer Teil der Hoffnung, eine ökologisch und sozialverträgliche Energiewende zu gestalten.

Der Preiskampf und die gut gefüllten Kriegskassen der Monopolisten offenbaren aber auch, dass in der Vergangenheit im Schutz der Monopolstellung abgezockt worden ist. Die vorhandenen Kraftwerks-Überkapazitäten werden nun mit Dumping-Preisen ausgelastet.

Nicht nur die Farbe zählt

Wie schon auf dem Telefonsektor beginnt nun auch auf dem Strommarkt die Jagd nach dem billigsten Anbieter. Was allerdings im Telefonsektor bei jedem Anruf im Call-by-Call-Verfahren neu entschieden werden kann, gestaltet sich beim Strom schwieriger. Laufende Verträge müssen gekündigt, Lieferverträge mit dem neuen Versorger abgeschlossen werden. Die haben eine bestimmte Laufzeit, in der ein weiterer Wechsel nicht gerade problemlos ist. Und so mancher Lieferant legt wechselwilligen KundInnen enorme Steine in den Weg. Kein Wunder, dass nur ein kleinerer Teil der StromkundInnen derzeit zu einem Wechsel bereit ist. Die Erwartungen der Anbieter, vor allem der aggressiv werbenden, sind bisher nicht erreicht worden.

Das Problem ist, dass vielen VerbraucherInnen die Herkunft des Stroms des jeweiligen Anbieters völlig egal ist. Die Informationen hierüber werden in der Regel nur von den Versorgern gestreut, die hundertprozentig Strom aus regenerativen Quellen oder Blockheizkraftwerken verwenden. Müsste Strom deklariert werden, so hätte beispielsweise Yello mit zur Zeit mindestens 50% Atomanteil sicherlich mehr Akzeptanzprobleme. Selbst die bundesweit agierenden Stadtwerke sind nicht frei von Atomstrom - auch wenn sie ihn selber gar nicht produzieren. Die Stadtwerke Braunschweig können mit 20% Atomstrom aufwarten, die Elektrizitätswerke Minden-Ravensburg dank der Nähe zum AKW Grohnde sogar mit 68%.

Doch die großen Atomstromer sind dabei, ihr Image mit Öko-Angeboten aufzupolieren. Die Bayernwerke etwa bieten Aquapower zu 100% aus Wasserkraft, RWE und die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) bieten Ökostrom, für den die KundInnen aber mehr bezahlen müssen als für den "normalen" Strom. Der Anreiz auf jenen umzusteigen, dürfte nur bei IdealistInnen gegeben sein.

Für eine unter ökologischen Aspekten durchgeführte Bewertung der Stromangebote darf allerdings nicht allein der verwendete Energiemix herangezogen werden. Dann stünden zum Beispiel die Bayernwerke mit Aquapower auf der Empfehlungsliste. Es ist vielmehr notwendig, das Gesamtangebot des Anbieters und seine Verflechtungen zu betrachten. Das ist naturgemäß schwieriger, werden solche Daten doch ungern als Werbebotschaft verwendet. So ist die EAM - Energieaktiengesellschaft Mitteldeutschland zwar nicht Betreiber von Atomkraftwerken, aber mit 46% ist die PreussenElektra AG Gesellschafter der EAM und liefert den Strom aus den Atommeilern. Oder der Regionalversorger EWE AG, der die Strommarke NaturWatt anbietet. Auch hier tritt die PreussenElektra AG als Gesellschafterin auf, und EWE hat Atomstrom im Netz.

Die Verflechtungen sind vielfältig, und nahezu keines der "alten" EVU ist frei von Verquickungen in den Atomsektor. Bei den neuen Anbietern fällt es schwerer, eine Einordnung vorzunehmen, sind die Gesellschafterstrukturen doch bisher nicht oder nur wenig publiziert. Die seit einigen Jahren in Deutschland agierende Vasa Energy GmbH beispielsweise stellt immer wieder ihr Engagement auf dem Ökosektor heraus, ist aber eine direkte Tochter der schwedischen Vattenfall AB, die die AKW Forsmark und Ringhals betreibt und sich gerade bei HEW eingekauft hat. Mehr Beispiele könnten genannt werden.

Schatten ohne Licht?

Einige neuere Anbieter sind in ihren Strukturen und Angeboten konsequenter. Vorreiter für eine atomstromfreie Zukunft sind die sogenannten Stromrebellen aus Schönau. Die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) haben nicht nur das Netz gekauft, sondern weiten auch die Produktion durch regenerative Anlagen aus, bieten mittlerweile bundesweit garantiert atomenergiefreien Strom an. Bliebe nur der kleine Wermutstropfen einer Kooperation mit bereits genannter Vasa Energy.

Andere Anbieter wie z.B. der Bund der Energieverbraucher, die Naturstrom AG oder Greenpeace Energy garantieren atomenergiefreien Strom und sind nicht mit der Atomwirtschaft verflochten. Hier kann derzeit sorglos eingekauft werden. Aber der Markt ist enorm in Bewegung.

Eine Entscheidungshilfe für die VerbraucherInnen sollen Zertifikate sein. Damit soll garantiert werden, dass der angebotene Öko-Strom bestimmten Anforderungen hinsichtlich Umwelt- und Klimaschutz genügt.

Bisher sind vier Institutionen aufgetreten, die Zertifikate ausstellen: die Technischen Überwachungsvereine, grüner Strom vom Bremer Energiekonsens und dem Ökoinstitut in Freiburg, das Grüne Strom Label e.V. und der Blaue Engel (Umweltbundesamt).

Vergeben wurde bisher allein das Zertifikat der Technischen Überwachungsvereine. Für das Grüne Strom Label e.V. und den grünen Strom vom Bremer Energiekonsens und dem Ökoinstitut Freiburg läuft gerade die Pilotzertifizierung. Die Vergabekriterien für den Blauen Engel sind noch in Arbeit.

Die wichtigsten Merkmale der verschiedenen Zertifikate sind:

Bei der TÜV-Zertifizierung muss der Anteil regenerativer Energiequellen bei 100% liegen, d.h. kein Anteil von Strom aus fossiler Kraft-Wärme-Kopplung. Ein bestimmter Anteil Photovoltaikstrom ist nicht vorgeschrieben. Ein Zubau der regenerativen Erzeugungskapazitäten muss ein wesentliches Ziel der Unternehmenspolitik sein. Es wird überprüft, dass ein erheblicher Teil der Erlöse in den Zubau investiert wird. Auch Anbieter von Strom aus Altanlagen können die TÜV-Zertifizierung bekommen.

Beim Grünen Strom (Bremer Energiekonsens & Ökoinstitut Freiburg) gibt es zwei Zertifikate: "regenerativ" und "effektiv". Bei "regenerativ" muss der Anteil regenerativer Energiequellen bei 100% liegen, d.h. kein Anteil von Strom aus fossiler Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Anteil von 1% Photovoltaikstrom ist vorgeschrieben. Der Anteil von Neuanlagen ergibt sich implizit aus der Anforderung zur Reduktion der Treibhausgase. Durch den Betrieb von Neuanlagen müssen sich die Emissionen der Treibhausgase um mindestens 75% gegenüber konventionell erzeugtem Strom reduzieren. Neuanlagen sind alle Anlagen, die nach dem 31.12.1997 in Betrieb gegangen sind. Anlagen, die zwischen 1995 und 1997 errichtet wurden, gelten anteilig als Neuanlagen. Bei Anlagen von 1995 gelten 25% der Erzeugung als neu, bei Anlagen von 1996 50% und bei 97er Anlagen 75%. Im Zertifikat "effektiv" muss der Anteil regenerativer Energiequellen bei 50% liegen, d.h. ein Anteil von maximal 50% aus fossiler Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Anteil von 1% Photovoltaikstrom ist vorgeschrieben. Mindestens 25% des Stromes aus regenerativen Energiequellen muss aus Neuanlagen stammen.

Grünes Strom Label e.V. unterscheidet nach "Goldenem" und "Silbernem Label". Beim "goldenen Label" muss der Anteil regenerativer Energiequellen bei 100% liegen, d.h. kein Anteil von Strom aus fossiler Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Anteil von 1% Photovoltaikstrom ist vorgeschrieben. Der Händler hat jährlich eine Strommenge entsprechend 10 % des im Vorjahr verkauften Grünstroms aus neuen erneuerbaren Energie-Anlagen zu beziehen. Beim "Silbernen Label" muss der Anteil regenerativer Energiequellen bei 50% liegen, d.h. ein Anteil von maximal 50% aus fossiler Kraft-Wärme-Kopplung. Ein Anteil von 1% Photovoltaikstrom ist vorgeschrieben. Der Händler hat jährlich eine Strommenge entsprechend 10 % des im Vorjahr verkauften Grünstroms aus neuen erneuerbaren Energie-Anlagen zu beziehen.

Bislang gibt es erst wenige nach diesen Zertifikaten beurteilte Anbieter. So hat z.B. die EWE NaturWatt GmbH das TÜV-Zertifikat vom TÜV Nord erhalten. Auch auf diesem Sektor ist einiges noch in Bewegung, und es bleibt abzuwarten, wie sich der Markt um Labels und Zertifikate noch entwickeln wird. Aber eins sollte sicher sein: solange die Anbieter in irgendeiner Weise noch in den Verflechtungen der Atomwirtschaft stecken, gehört dieser Strom nicht in die Steckdose kritischer NutzerInnen.

Jürgen Sattari


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