akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 432 / 18.11.1999

Bewusstlos in die Konferenz?

Herbstkonferenz berät vielfältige und fantasievolle Presseerklärungen

Vom 22.-24. Oktober fand die Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung im wendländischen Dannenberg statt. Mehr als 170 TeilnehmerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet waren zusammengekommen, um über den Stand und die Perspektiven der weiteren Arbeit für den Ausstieg aus der Atomenergie zu beraten. Raus gekommen ist dabei fast nichts. Das ist zwar nichts sonderlich neues (vgl. ak 419 über die Herbstkonferenz 1998 in Berlin und die Frühjahrskonferenz 1999 in Heidelberg ak 425), aber diesmal war das Grauen für viele wohl größer als sonst. Wenige Wochen vor der bundesweiten Demonstration in Berlin war die Stimmung auf einem Tiefpunkt, Frust überall. Kurios, wenn man bedenkt, dass außerhalb der harten Anti-AKW-Kader die Stimmung für diese Demo überaus gut war, die Mobilisierung zwar wenig organisiert, dafür aber wirkungsvoll verlief und sich zahlreiche Menschen angesprochen fühlten, die sonst nicht gerade versierte DemobesucherInnen sind.

Um eine dringend erforderliche Diskussion über die Zukunft und den Nutzen der Frühjahrs- und Herbstkonferenzen anzuschieben bringen wir in dieser Ausgabe Kommentare und Stellungnahmen. Diese können nicht mehr sein als ein erster Versuch, die Debatte einzuleiten. Fritz Storim aus Hamburg, Stefan Scheloske (vom Anti-Atom-Plenum Hannover) und Michael Zuchold (freier Journalist, u.a. für die Elbe Jeetzel Zeitung) kommen in dieser Ausgabe zu Wort:

"Wir werden unseren Widerstand in vielfältigen und fantasievollen Presseerklärungen zum Ausdruck bringen!" So oder so ähnlich hätte das Fazit der Dannenberger Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung lauten können. Was war passiert?

Unübersichtlich,
aber spannend!

Die Dannenberger Konferenz fand in einer Situation statt, in der in die Auseinandersetzung um die Atomenergie in der BRD viel Bewegung in völlig unterschiedliche Richtungen gekommen ist:

Einerseits sind die rot-grüne Bundesregierung und die Atomindustrie dabei, unter dem Stichwort Energiekonsens die Modalitäten für den ungestörten Weiterbetrieb der 19 AKWs in der BRD abzukaspern. Die Energieversorgung ist dem "freien Spiel der Marktkräfte" ausgeliefert worden mit allen bekannten Folgen, Stichwort Liberalisierung, und täglich fordern Sprecher der Konzerne in allen Medien die umgehende Wiederaufnahme der auf Grund der Außenkontaminationen ausgesetzten Atomtransporte. Gleichzeitig sichert ihnen die rot-grüne Regierung das selbstverständliche Recht zur ungehinderten Verwertung des in den AKWs eingesetzten Kapitals zu. Laufzeiten von unter 25 Jahren, geschweige denn von 0 Tagen, sind nicht im Gespräch und werden auch von niemanden öffentlich vernehmbar gefordert.

Andererseits hat die von der Anti-AKW-Bewegung seit vielen Jahren verfolgte "Flaschenhalstheorie" (die Behinderung der Abtransporte der abgebrannten Brennelemente als Instrument für den "Entsorgungsinfarkt" der AKWs) von vielen so nicht mehr erwartete Erfolge gezeitigt. Begünstigt durch die Tatsache, dass es den Betreibern nicht gelungen ist, ihre eigenen Grenzwerte beim Transport einzuhalten, sind die internen Lager mehrerer AKWs randvoll gelaufen. Die als Reaktion auf die erfolgreichen Anti-Castor-Aktionen geplanten Zwischenlager an den AKW-Standorten können erst in mehreren Jahren in Betrieb gehen und ob alle AKWs mit Entsorgungsnöten technische Ausflüchte finden wie die in Stade geplante Erweiterung der internen Lagerkapazität oder juristische wie die Behälterlagerung auf dem Kraftwerksgelände, steht noch in den Sternen.

Bemerkenswert, dass die Bewegung zwar aktuell kaum sichtbar ist, aber auf Grund vergangener Aktivitäten und eines latent vorhandenen Drohpotenzials für so stark gehalten wird, dass die Atomindustrie die Transporte abgebrannter Brennelemente kurzfristig minimieren und mittelfristig möglicherweise ganz abschaffen will.

Alles in allem eine spannende Situation, in der ein Eingreifen der Anti-AKW-Bewegung in die öffentliche Debatte zwingend erscheint, will sie denn noch ernst genommen werden und will sie vor allem sich selbst ernst nehmen. Weder ist es wegweisend, auf den nächsten Castor zu warten, noch macht es Spaß, ständig die Plattheiten der Herren Harig (PreussenElektra), Majewski (Bayernwerk), Goll (Energie Baden-Württemberg) usw. zu lesen, ohne dass wir dem etwas entgegensetzen.

"Wie immer, nur schlimmer?"

Nun ist es lange her, dass von einer der halbjährlichen Konferenzen der Anti-AKW-Bewegung wegweisende Signale ausgegangen sind. Bei näherem Hinsehen war das auch dieses Mal nicht zu erwarten gewesen. Die einzige inhaltsschwere Diskussion, die im Vorfeld der Konferenz bewegungsintern geführt wurde, war die um Castor/Grenze/Nation, die sich am Nationalismusvorwurf gegen Blockaden von Rücktransporten aus La Hague entzündet hatte.

Die einzige größere Aktion, deren Verabschiedung anstand, war die Stunkparade in Berlin, die die wendländischen Bauern als Ersatz für die erst beschlossene und dann zerredete Herbstdemo in Hannover angeleiert hatten. Beide Themen bestimmten dann auch die Konferenz, also alles erwartungsgemäß und im "grünen Bereich" (sic!!)? Nein, aber fangen wir mit dem Positiven an:

Obwohl Konferenzen seit Jahren unbefriedigend verlaufen, waren auch diesmal wieder 170 TeilnehmerInnen erschienen. Sicher tat der Mythos Wendland dazu ein übriges, aber die Bewegung ist doch weit von den Auflösungsdiskussionen vergangener Jahre entfernt. Zudem spiegeln die lethargisch bzw. chaotisch verlaufenen Plena nicht den tatsächlichen Stand der Bewegung wieder, wie die allerorts laufenden Aktivitäten zeigen. Informelle Ziele einer Konferenz wie Absprachen am Rande, Festigen persönlicher Kontakte, Kennenlernen anderer AKW-GegnerInnen wurden auch diesmal schon durch das Zusammentreffen der AktivistInnen befördert.

Die Fixierung auf Castor-Transporte und besonders auf Transporte zu deutschen Zwischenlagern ist als politisch fragwürdig thematisiert worden. Dennoch ist die Organisation des Widerstands gegen die Wiederaufnahme der Castor-Transporte unverzichtbar, wenn sie auch ohne inhaltliche Erweiterung nur die Verwaltung einer Patt-Situation darstellt.

Auch die breite Thematisierung der Kriminalisierung von AtomkraftgegnerInnen ist hervorzuheben.

Nicht zuletzt war die Rahmenorganisation (VoKü etc.) routiniert gut. Das war es aber auch schon.

War also alles "wie immer, nur schlimmer", wie auf den Fluren zu hören war? In der Tat ist es Tradition, dass sich inhaltliche Diskussionen, die bis Sonntagmittag ausbleiben, in den letzten zwei Stunden an der Presseerklärung entzünden. In die gleiche Gewichtsklasse (unschön, aber erträglich) können wir Kuriosa abbuchen wie die Einsprüche der Ökologischen Linken gegen Personenkult und die Auseinandersetzung um die Zulässigkeit einer "Propaganda"-Presseerklärung (taktischer Umgang mit der bürgerlichen Presse vs. authentische Information).

Wirklich schlimm und nicht mehr unter "wie immer" abzutun, aber war die Sprachlosigkeit zu aktuellen Themen. Der Eindruck, dass die Anti-AKW-Bewegung den Menschen nichts mehr zu sagen hat, war überdeutlich:

Der drohende Konsens zwischen Atommafia und Regierung, der den Betrieb der AKWs für lange Zeit festklopfen soll? - Kein Thema!

Die Liberalisierung des Strommarktes, die Zigtausende Arbeitsplätze bei Stadtwerken kostet, aber auch Ansätze zur Bündnispolitik mit Betriebsräten bietet? - Uninteressant!

Die Selbstverständlichkeit, mit der den Konzernen ein uneingeschränktes Verwertungsrecht an ihren AKWs zugestanden wird? - Warum sollen wir uns dazu äußern!

Die Frage, warum nun einige wendländische Bauern dem offensichtlich doch vorhandenen Demonstrationsdrang Bahn brechen müssen und ob dies der richtige Weg ist, "bundesweite Großdemonstrationen" zu beschließen, wurde ebenfalls nicht diskutiert.

Und nu?

So lassen sich m. E. zwei Dinge als Fazit festhalten:

1. Die halbjährlichen Konferenzen sind z. Zt. nicht der Ort, an dem Politik gemacht wird. Gefasste Beschlüsse sind nicht verbindlich und verbindliche Beschlüsse werden woanders gefasst.

2. Eine inhaltliche Positionsbestimmung der Anti-AKW-Bewegung zu aktuellen Auseinandersetzungen in ihrem ureigenen Konfliktfeld findet nicht statt.

Da frage ich mich schon: Ist es nur gemeinsames Biertrinken und Abtanzen, was uns noch zu Konferenzen motiviert? Wozu treffen wir uns, wenn nicht, um aktuelle Themen zu diskutieren, Positionen dazu zu formulieren und diese dann (!) in Aktionen umzusetzen?

Keine weiteren Konferenzen mehr durchzuführen - wie als Vorschlag zu hören war - würde ich für ahistorisch und für das falsche Signal halten. M. E. zehrt die Anti-AKW-Bewegung heute noch von anstrengenden, aber guten Diskussionen aus ähnlichen Treffen der Vergangenheit, wo z.B. der heute noch gültige Grundkonsens (Selbstbestimmung der Aktionsformen, Einheit in der Vielfalt) beschlossen und immer wieder erneuert wurde. Leider werden wir von Dannenberg 1999 nicht zehren können, aber wir werden nicht umhin kommen, zu inhaltlich guten Konferenzen zurückzukehren, die dann von ganz allein höhere Verbindlichkeit bekommen werden.

Dies zu gewährleisten, ist eine Frage der Organisation (inhaltliche Konferenzvorbereitung), vor allem aber der Wiederherstellung des irgendwo zwischen den Castor-Gleisen verloren gegangenen politischen Anspruchs.

Stefan Scheloske

anti-atom-plenum Hannover


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