akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 432 / 18.11.1999

"An die eigene Nase fassen"

Eindrücke und Überlegungen zur Anti-AKW-Herbstkonferenz

Die Konferenz stand wieder einmal an wie schon seit Jahrzehnten, zweimal im Jahr, im Herbst und im Frühjahr, inzwischen zur Institution geworden.

Auch der Ablauf, die Struktur, Routine, weitgehend festgeschrieben: Veranstaltung am Freitag, offizieller Beginn mit einem Plenum am Sonnabend Vormittag, Aufteilung in die Arbeitsgruppen, Arbeitsgruppen, abends Plenum mit Bericht aus den Arbeitsgruppen, wiederholte Mahnung von verschiedenen Seiten, "nicht nur über die technischen Fragen zu reden sondern schwerpunktsmäßig über die eigentlichen inhaltlichen Fragen" (Da wurden z.B. genannt:

- der Zustand der Anti-AKW-Bewegung,

- die Katastrophe in Tokaimura und der internationale Widerstand,

- die Bedeutung der Liberalisierung des Strommarktes,

- gemeinsame Strategie und gemeinsame Aktionen der Anti-AKW-Bewegung).

Es bleibt aber regelmäßig bei diesem Appell!

Einige setzen sich zusammen und formulieren den Vorschlag für eine, diesmal für zwei Erklärungen - die eine sollte für die interne Auseinandersetzung dienen und den Verlauf der Konferenz widerspiegeln, die andere sollte für die Presse sein, während die anderen schon mit der Party beginnen. Sonntag Vormittag wird dann über die Presseerklärung und weitere Resolutionen solange diskutiert, bis ein Konsens gefunden ist. Nur, diesmal war es anders, so weit ich mich erinnern kann, wurde zum ersten Mal auf solch einer Konferenz über eine "gemeinsame Erklärung" abgestimmt, sie satzweise durchgestimmt. Das führte dann auch dazu, dass sich nur wenige diesem Prozedere unterwarfen und immer mehr die Gespräche draußen weiterführten.

Zum einen wurde an dieser Stelle sichtbar, dass es grundsätzliche kontroverse Positionen gibt und sie wurden ansatzweise auch benannt, zum anderen war das aber sicher der falsche Platz für solche Auseinandersetzungen, denn es ging dabei zu allererst nicht um die Klärung verschiedener Positionen, sondern um das Finden von Formulierungen für eine Erklärung nach Außen, was durchaus auch Kompromisse meint.

Es scheint mir unausweichlich, dass wir uns über unseren, wie sich gezeigt hat doch recht unterschiedlichen Begriff von Kommunikation, Öffentlichkeit, vom Umgang mit Medien grundsätzlich auseinander zu setzen müssen.

Harmonische Ignoranz

Das institutionalisierte Gerüst der Konferenz scheint erprobt, es trägt auch dann doch nur auf der Oberfläche und das schafft eine verhängnisvolle Illusion von getaner Arbeit-, wenn niemand mehr etwas zu sagen beabsichtigt oder zu sagen hat, niemand mehr den Streit, die Konfrontation, die Auseinandersetzung sucht, es wird i.A. alles akzeptiert und nebeneinander stehen gelassen.

Die scheinbare Harmonie verdeckt die Ignoranz den anderen gegenüber, schließt eigene und gemeinsame Entwicklung aus. Entwicklung verstanden als Bewegung in Widersprüchen, und ist sicher auch ein Zeichen von Orientierungslosigkeit und Perspektivlosigkeit.

Nur Orientierung und Perspektive lassen sich nicht über Ansprüche herbeireden und schon gar nicht über Absichtserklärungen und Propaganda nach außen. Sondern wir müssen wieder anfangen, über unsere Utopien zu reden, über unsere Vorstellungen von einem anderen Menschen, über Begriffe wie Herrschaftsfreiheit und Solidarität, über unseren Begriff von Kommunikation und Öffentlichkeit. Und ich denke auch über Vorstellungen einer humanen sozialistischen Gesellschaft. Der momentane weltweite Sieg des Kapitals wird ja hoffentlich nicht die letzte Antwort, das Ende der Geschichte sein und das liegt auch an uns. Nicht im Sinne von Rezept und fertigem Modell; denn Aussteigen aus den herrschenden Verhältnissen, aus der herrschenden Begrifflichkeit, den Denkstrukturen ist nicht möglich sondern als "das andere", das prozesshafte. In der Auseinandersetzung mit den herrschenden Widersprüchen werden wir unsere Utopien immer wieder neu entwickeln müssen. Und kritisch wird die Theorie erst in der Praxis!

Das gilt gerade auch für die Anti-AKW-Bewegung, die meiner Meinung nach schon lange zu einer rein technischen verkommen ist. Die Angst vor Katastrophen und vor Krankheiten, die durch radioaktive Strahlung ausgelöst werden und auch die Werbung damit für den Widerstand stehen im Vordergrund, die Veränderung der Gesellschaft kommt kaum noch vor.

Das hat auch dazu geführt, dass sich Interesselosigkeit und gähnende Langweile breit gemacht haben, bestenfalls noch Pflichtbewusstsein die Disziplin aufrecht erhält und Lebenslust, Freude am Streit, an der Auseinandersetzung und am Zusammenkommen, an gemeinsamer Entwicklung und Stärke, der Wille, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen und die Hoffnung auf Veränderung kaum noch zu spüren sind.

Oft werden Aktionen schon mit der Einstellung geplant, doch zu unterliegen und es wird dann als Erfolg gewertet, wenn die Presse empört die Beteiligten als unschuldige Opfer darstellt. Ja die Aktionen selbst verkommen immer stärker zu Inszenierungen für die Presse. Wir kommen da dann nur noch als Statisten vor.

Haben wir überhaupt noch eine Chance, der Macht der ökonomischen Rationalität, die ja alle Lebensbereiche bis ins innerste Private durchzieht - eigene Vorstellungen entgegenzusetzen und zu realisieren? Was ist realistischer Ausdruck unserer Möglichkeiten, und wo setzt das Wunschdenken ein?

Fragen über die wir reden sollten! Gemeinsame Ansätze finden und ausprobieren!

Keine Erwartungen

Ich hatte keine große politische Erwartung an die Konferenz, war deshalb auch kaum zu enttäuschen. Mir ging es nicht um Information oder neue Einsichten oder um die Organisation neuer Aktionen. Das habe ich, was solche Konferenzen betrifft, schon lange aufgegeben. Das ist sicher auch ein Ausdruck von Resignation und ich denke, diese Haltung ist nicht zu rechtfertigen und ich gelobe Besserung!

Ich bin hingegangen hauptsächlich um Leute zu treffen, mit ihnen Erfahrungen und Meinungen auszutauschen, die Beziehung aufzufrischen. Das ist sicher auch eine wichtige Möglichkeit solcher Treffen, aber sollte nicht die alleinige sein. Ich weiß auch, dass es für manche gute und interessante Diskussionen gab. Aber mir scheint das so beliebig, brauchen wir dafür die Konferenz? Ich sehe kein gemeinsames Ziel, auf das wir hinarbeiten und das wir selbst ernst nehmen. Wir warten auf den nächsten CASTOR und füllen die Zeit dazwischen mit interessanten Diskussionen aus!?

Aber wenn Leute jetzt über den Konferenzverlauf unzufrieden sind, sich beschweren, schimpfen, sollten sie sich an die eigene Nase fassen. Sie hätten alle Möglichkeiten gehabt, sich in die Vorbereitung einzumischen, Einfluss zu nehmen.

Das eigentliche Problem ist, dass sich so wenige Leute mit eigenen Vorstellung, eingebracht haben, dass so viele darauf gewartet haben, etwas angeboten zu bekommen und ist nicht das der Moderation oder der technischen Bedingungen.

Im Ablauf und in der Form spiegeln sich gerade auch unsere Inhalte, unsere politischen Absichten und Vorstellungen wieder. Und wenn wir mit der Konferenz unzufrieden sind, werden wir das nicht durch eine technisch bessere Organisation verändern. Da müssen wir schon etwas grundsätzlicher über uns, unsere Ziele, unsere Bereitschaft und Möglichkeiten, sie zu verwirklichen nachdenken und reden. Auf jeden Fall, sollten wir nicht einfach so weitermachen wie gewohnt und üblich.

Eigene Schwächen bearbeiten

Ein Schritt in diese Richtung scheint mir ein viel selbstkritischer und offener Umgang mit uns selbst zu sein als bisher. Dazu einige Beispiele.

Da wurde z.B. eine Presseerklärung vorgeschlagen, die Stärke und Geschlossenheit nach außen vermitteln sollte, die meiner Einschätzung nach zur Zeit überhaupt nicht vorhanden sind. Also durch Kaschieren der eigenen Schwäche, Stärke propagieren. Ich denke, dass geschieht aus der Angst heraus, dass wenn Unsicherheit und Widersprüche nach außen dringen, Leute, die wir ja für uns gewinnen wollen, abgeschreckt werden. Meine Erfahrung ist genau das Gegenteil: Wir werden längerfristig nicht über Taktiererei und hohle Propaganda Leute für eine gemeinsame Auseinandersetzung gewinnen, sondern indem wir versuchen, sie in unsere Probleme, Widersprüche einzubeziehen.

Oder, es wurde vorgeschlagen, öffentlich zu äußern, sinngemäß: "dass sich die von der bäuerlichen Notgemeinschaft geplante Stunkparade vom 13. 11. in Berlin zu einem wichtigen Ereignis für die Anti-AKW-Bewegung entwickelt hat. Ja, sie Gradmesser für unsere Stärke für die zukünftigen Auseinandersetzungen mit der Rot-Grünen Bundesregierung und für die bald zu erwartende Wiederaufnahme des CASTOR-Transporte sei". Das mag sich ja alles so entwickeln, oder einige mögen sich das wünschen, aber es lässt sich nicht darüber hinwegsehen, dass die Stunk-Parade zu keiner Zeit irgendeine Bedeutung auf der Konferenz hatte. Übrigens, sehr zu meinem Bedauern.

Mein Problem ist nicht, einem abstrakten Wahrheitsbegriff das Wort zu reden, sondern dass wir auf die Auseinandersetzung unter uns verzichten und uns nur noch darüber Gedanken machen, was wir wie in die Presse bekommen und damit die Medien zum eigentlichen Feld unserer Wirkung machen. D.h. wir selbst, als Subjekt kommen gar nicht mehr vor, projizieren uns in einen virtuellen, weitgehend beliebig manipulierbaren Raum, blockieren damit und verzichten auf die Auseinandersetzung unter uns.

Die Presse sollte nur Vehikel sein, um an die Menschen heranzukommen, die wir ansprechen wollen und nie Selbstzweck, der Widerstand nie Widerstandsdesign.

Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit der Stunk-Parade. Die bäuerliche Notgemeinschaft veranstaltet eine Kundgebung und Demonstration und lädt uns dazu ein. Natürlich hat sie das Recht, eine eigene Ausdrucksform für ihren Protest zu finden und wir sollten sie dabei auch tatkräftig unterstützen. Aber im Rahmen der gesamten Anti-AKW-Bewegung ist ihr Vorgehen voller Widersprüche und das muss auch kritisiert werden. Es gibt keine gemeinsame Vorbereitung, keine gemeinsamen Absprachen, Auseinandersetzungen, Bündnisse, gemeinsame Gestaltung. Gerade das, was eigentlich die Grundlage für gemeinsame politische Entwicklung und Ausdruck politischer Stärke nur sein kann. So können wir hingehen und uns überraschen lassen, von dem was geboten wird. Es werden Statisten gebraucht. Der Erfolg wird dann an der Anzahl der beteiligten Füße gemessen.

So will ich Erfolg nicht begreifen. Unabhängig von den Anzahlen und auch von dem eventuell Erreichten kann das Ergebnis nur ein technisches sein.

Aus aktuellem Anlass, einige Worte zu den Grünen.

Das taktische Verhältnis zu den Menschen kommt in einer besonders zynischen Form zum Ausdruck, wenn die Grünen, wie in Bremen in einer TAZ-Anzeige oder auch wie die niedersächsische Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms oder die ehemalige Europaabgeordnete Undine von Blottnitz zu der Demonstration nach Berlin aufrufen. Die Grünen, wenn es um die Macht geht, einerseits Garant für das Fortschreiben und für die Modernisierung des Atomprogramms, andererseits, wenn es um Wählerstimmen geht, was auch wieder Macht bedeutet, auf der Seite des "Widerstandes".

Das scheint kein Widerspruch mehr zu sein in einer Welt, wo es nicht mehr um Verantwortung geht (s. auch die Rolle der Grünen als KriegstreiberInnenpartei im Angriffskrieg gegen Jugoslawien), sondern scheinbar um die Optimierung von Möglichkeiten im Rahmen "objektiver Sachzwänge" die PolitikerInnen so immer nur unschuldig sein können, wenn sie denn gewissenhaft und fleißig ihre Arbeit machen.

Die Anti-AKW-Bewegung täte gut daran zu zeigen, dass sie diese Umarmungs-Taktik der Grünen durchschaut und auch bei dieser Demonstration dazu ein klares Signal setzt: "Keine Zusammenarbeit mit den Grünen und keinen Frieden mit ihrer Politik!" (aus der Presseerklärung der Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung in Berlin, 16. 18.10.98).

Fritz Storim


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