akLogo  ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 431 / 21.10.1999

Macht's der Markt?

Stromkonzerne, AKWs und der freie Markt

Was vor einem Jahr kaum jemand für möglich gehalten hätte, ist jetzt Wirklichkeit geworden: überraschend früh führt die Liberalisierung des deutschen Strommarktes zu sinkenden Preisen auch für private Stromkunden. Innerhalb kurzer Zeit sind sämtliche großen deutschen Stromkonzerne in den Wettbewerb eingetreten und haben die Preisspirale nach unten in Gang gesetzt. Der Strommarkt wird kräftig durcheinander gewirbelt werden - mit sehr widersprüchlichen Auswirkungen auf Atomkraftwerke und ökologisch erzeugten Strom.

Bereits Anfang der neunziger Jahre hatte die Diskussion um eine EU-Richtlinie zur Liberalisierung der nationalen Strommärkte der EU-Mitgliedsländer begonnen. Zum damaligen Zeitpunkt waren die Strommärkte durch Gebietsmonopole abgeschottet. Die großen deutschen Stromkonzerne und AKW-Betreiber (Veba, RWE, Viag, VEW, HEW ...) konnten sichere Gewinne einfahren und wirtschaftlich in den Kreis der mächtigsten Industriekonzerne Europas aufsteigen. Strompreiskonkurrenz gab es nur gegenüber Großkunden aus einigen speziellen Industriebranchen (Aluminium, Stahl, Chemie), bei denen der Preis aufgrund des hohen Stromverbrauchs eine wichtige Rolle bei der Wahl des Produktionsstandortes spielte. Die KleinverbraucherInnen dagegen hatten keine andere Wahl, als den Strom von "ihrem" Gebietsmonopolisten zu beziehen und dafür die politisch genehmigten Tarife zu zahlen. Daraus entwickelten die Stromkonzerne eine Preisstruktur, die die Tarifkunden (KleinverbraucherInnen, Privathaushalte) mit hohen Kosten belastete, um den Großverbrauchern aus der Industrie äußerst günstige Preiskonditionen anbieten zu können. Als die Konzerne zur Finanzierung der Atomkraftwerke in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre viel Geld brauchten, wurden kurzerhand und stetig die Tarife erhöht. Der Atomstrom wurde dann für wenig Geld den stromintensiven Kunden verkauft. Auf diese Weise organisierten die Stromkonzerne eine dauerhafte Quersubventionierung der Großverbraucher durch die Tarifkunden.

EU-Richtlinie zur Marktöffnung

Dies geschah in der Regel auch auf ausdrücklichen Wunsch der jeweils zuständigen Politik (Bundes-, Landesregierungen). Die EU-Politiker bedrückte jedoch etwas ganz anderes: auf europäischer Ebene gab und gibt es ein großes Gefälle bei den Strompreisen für die Industrie. Durch eine Öffnung und Angleichung der nationalen Strommärkte sollte eine Anpassung der Großkundenpreise nach unten erreicht werden, wovon dann allgemein die europäische Industrie profitieren würde. Ein späteres Sinken der Preise für die Privathaushalte wurde nur als ein möglicher Nebeneffekt betrachtet.

Die Öffnung der europäischen Märkte war jedoch kein leichtes Unterfangen. Zu viele unterschiedliche nationale und Wirtschaftsbrancheninteressen galt es zu berücksichtigen. So drängelte insbesondere Frankreich und deren einziger Atomstrommonopolist EdF darauf, mit Billigstrompreisen europaweit Großkunden beliefern zu können. In Frankreich sind, staatlich stark subventioniert, atomare Überkapazitäten vorhanden. Die deutschen Atomstromer wiederum fürchteten vor allem genau diese Konkurrenz und waren deshalb gegen eine Aufgabe der Gebietsmonopole.

Letztendlich trat dann nach langjähriger Diskussion am 19.2.97 die EU-Richtlinie zur Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte in Kraft. Sie sieht eine stufenweise Öffnung der Märkte über einen Zeitraum bis 2006 vor und läßt vor allem zu, daß in der nationalen Umsetzung der Richtlinie ein unterschiedliches Tempo angeschlagen wird. Insbesondere sind die Interessen sowohl der stromverbrauchenden Industrie als auch die der Stromkonzerne selbst berücksichtigt. So soll die Marktöffnung zunächst nur für die Großkunden ab 40 GWh Jahresverbrauch eingeführt werden. Bis spätestens Februar 2000 soll der Markt ab 20 GWh Verbrauch und bis spätestens Februar 2003 für Kunden mit mindestens 9 GWh Stromabnahme pro Jahr geöffnet worden sein. Erst im Februar 2006 soll dann überlegt werden, ob die Märkte ganz geöffnet werden, also auch für uns kleine Endverbraucher mit 0,0002 GWh Jahresverbrauch.

Die Marktöffnung soll erfolgen, indem die Gebietsmonopolisten ihre Verbundnetze zur Verfügung stellen. Die Stromkonzerne selbst hatten in den letzten Jahrzehnten intensiv daran gearbeitet, ein europaweites Verbundnetz herzustellen. Auf diese Weise konnten sie kurzfristig Strom einkaufen, wenn sie Kapazitätsengpässe hatten (z.B. aufgrund von AKW-Stillständen). Und sie konnten ihrerseits überschüssigen Strom verkaufen. Über das Hochspannungsverbundnetz war somit ein europaweit belieferbarer Markt für Strom hergestellt. Die EU-Richtlinie verpflichtet die Konzerne, nun auch Strom anderer Anbieter durch ihre Netze durchzuleiten, wenn ein Kunde dies wünscht (Durchleitungspflicht).

Umsetzung der EU-Richtlinie

Erstaunlich war das Tempo, in dem die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt wurde. Am 29. April 1998 trat das neue deutsche Energierecht in Kraft, welches insbesondere die bisherigen Gebietsmonopole der Stromkonzerne aufhebt. Statt dessen gilt nun freier Wettbewerb auf dem Strommarkt, weitgehend ohne Eingriffe des Staates. Das Überraschende ist, daß in Deutschland von vornherein eine vollständige Marktöffnung vorgesehen ist. Während auf europäischer Ebene vorrangig die Interessen der Industrie bedient wurden, setzte sich in Deutschland mit dem noch vom FDP-Wirtschaftsministerium entwickelten Energierecht die Variante des vollkommen freien Wettbewerbs durch.

Vorrangig war die Marktliberalisierung für die mittelständische Wirtschaft gedacht, die sinkende Preise erwarten konnte. Niemand erwartete ernsthaft einen absehbaren Preissturz für die PrivatkundInnen. Da für die ehemaligen Gebietsmonopolisten die Erlöse durch die Tarifkunden eine sichere finanzielle Basis darstellte, hatte tatsächlich keiner der Stromkonzerne ein Interesse an einem ruinösen Preiswettbewerb auf diesem Marktsegment. Lukrativ erschien allenfalls die Konkurrenz um Großkunden, die früher als Standortkonkurrenz ohnehin schon geführt wurde.

Diese stillschweigende Übereinkunft, den Wettbewerb um KleinverbraucherInnen zu vermeiden, wurde erst gebrochen, als neu auftauchende Stromhändler sich anschickten, ihnen massenhaft Kunden abzuwerben. Dies versetzte die Stromkonzerne so in Angst und Schrecken, daß sie überstürzt selbst in den Preiskampf um die PrivatkundInnen einstiegen. Erklärbar ist dies unter anderem dadurch, daß die Stromkonzerne auf einem anderen kürzlich liberalisierten Markt, den für Telekommunikation, den kürzeren gezogen haben.

Der Telefonmarkt

Die Liberalisierung des Strommarktes ist vergleichbar mit der Öffnung des Telekommunikationsmarktes zum 1. Januar 1998. Die Telefoniererei war jahrzehntelang Monopol der Deutschen Telekom (vorher: Deutsche Bundespost) gewesen. Diese konnte die Preise konkurrenzlos festsetzen und dadurch hohe Gewinne erzielen. Andere deutsche Konzerne hatten schon auf die Freigabe des Marktes gewartet. In der ersten Reihe drängelten die Stromkonzerne, die aus den AKW-Rückstellungen gewaltige Mittel frei hatten und diese in gewinnträchtigen neuen Märkten anlegen wollten (s. ak Nr. 423 "Vertreibung aus dem Paradies"). Die Telefontochtergesellschaft von RWE und Veba, O.tel.o, steckte viele Millionen in bundesweite Werbekampagnen und in den Kauf und Aufbau von Leitungskapazitäten. Der Preis wurde so kalkuliert, daß er unter dem der Telekom lag. Die Markteroberungsstrategie bestand darin, sich bekannt zu machen und über den Aufbau eigener Telefonleitungen eine sichere Basis für die Konkurrenz zur Telekom zu schaffen. Über die immer noch recht hohen Preise sollte in wenigen Jahren die Gewinnzone erreicht werden. Jedoch erwiesen sich die Konzerne mit dieser Strategie als viel zu unbeweglich. Frühzeitig erkannten kleine neue Firmen die Chancen der Marktliberalisierung und mieteten sich Leitungskapazitäten bei der Telekom, die sie zu einem Drittel des Telekom-Endpreises auf den Markt brachten - erfolgreich. Vorher unbekannte Firmen wie Mobilcom und Teldafax wachsen dadurch rasant. Allein der Handel mit Telefonminuten zu niedrigen Preisen bringt ihnen Gewinne ein. Die öffentliche Diskussion durch Preisvergleiche in Zeitungen und Internet verschafft ihnen den nötigen Bekanntheitsgrad, ohne daß sie dafür teuer werben müßten.

Nach anderthalb Jahren ist der erste Teil des Rennens um die Marktanteile gelaufen, und die Stromkonzerne sehen ziemlich alt aus. Die großen Herausforderer der Telekom sind heute Mannesmann-Arcor, Mobilcom und Teldafax. RWE und Veba haben inzwischen entnervt aufgegeben und ihre äußert verlustintensive Tochter O.tel.o (Verlust 1998: rund 2 Milliarden DM) an Arcor verkauft. Viag Interkom macht noch weiter, fährt aber ebenfalls massive Verluste ein (Verlust 1998: rund eine Milliarde DM) und steht auf der Verkaufsliste. Die Annahme der Stromkonzerne, ein eigenes Leitungsnetz sei der Garant für Markterfolg, war falsch. Entscheidend für die Verteilung der Marktanteile unter den Konkurrenten der Telekom war nicht der Besitz eines eigenen Netzes, sondern das Angebot günstiger Verkaufspreise.

Niedrige Strompreise für alle

Diese Konkurrenz durch flexible Anbieter bekommen die großen Stromversorger nun auch in ihrem Kerngeschäft zu spüren. Strombroker versuchen, die Nachfrage von Stromverbrauchern zu bündeln, die von den ehemaligen Monopolisten bislang nur zu hohen Preisen beliefert wurden. Die Berliner Firma Ampere AG sammelte die Nachfrage von 100 Unternehmen für ein Gesamtpaket von 122 Mio. kWh und suchte dafür den günstigsten Anbieter. Künftig werden diese ehemaligen Bewag-Kunden von der VEW beliefert - mit einem Preisnachlaß von ca. 27%. Der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen holt für die gesammelte Stromnachfrage seiner Mieter (in Hamburg: 290.000 Wohnungen) europaweit Angebote ein. Die Firma Ares versucht über die Ladenkette Pro-Markt gezielt, PrivatkundInnen zu werben. Den Stromhändlern fällt es dabei leicht, die Konzerne zu unterbieten. Deren Tarife waren dermaßen überhöht, daß Stromverkäufer, die deutlich günstigere Preise anbieten und sich mit geringeren Gewinnspannen zufriedengeben, trotzdem ein gutes Geschäft machen. Die Ex-Monopolisten versuchten diese Entwicklung zunächst durch hohe Durchleitungsgebühren zu stoppen. Dies ist auf Dauer jedoch nicht durchzuhalten, da ein gesetzlich niedrigerer Durchleitungspreis droht.

In dieser Situation sind die Stromkonzerne Ende Juli 99 zum Angriff übergegangen. Als erstes startete Yello, eine Gesellschaft der Energie BadenWürttemberg (EnBW), und RWE Energie eine Preisoffensive und boten bundesweit Strom an. Zuvor hatte die EnBW noch schnell versucht, ihre eigenen Kunden mit nur geringen Preisnachlässen, dafür aber langen Vertragslaufzeiten an sich zu binden.

Diese Strategie wurde aus dem Stand auch von anderen Konzernen aufgenommen. So versuchte auch die HEW anfangs mit einem etwas günstigeren Stromtarif und langjährigen Vertragslaufzeiten, die eigenen Kunden an sich zu ketten. Sehr zum Ärger der Konzerne herrscht auf dem neuen Strommarkt jedoch große Transparenz: die Zeitungen überschlagen sich mit Strompreisvergleichen und Verbrauchertips. So mußte HEW zähneknirschend nach einigen Wochen den eigenen Spartarif nachbessern. Der Preis wurde noch einmal erheblich gesenkt und die Vertragslaufzeiten deutlich gekürzt. Auch die anderen Konzerne (Veba/PreussenElektra, Viag/Bayernwerk) sind mit vergleichbaren Tarifen auf dem Markt. So wurde innerhalb von nur zwei Monaten ein Preissturz von ca. 25% erreicht, und ein Ende ist noch nicht absehbar. Wer jetzt einen großen Teil seiner Tarifkunden verliert, wird in Zukunft kaum noch eine relevante Rolle auf dem Markt spielen können. Auch die Fusion von Veba und Viag ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß hier die eigene Überlebensgröße gesichert werden soll.

Konsequenzen

Die Freigabe des Marktes per Durchleitungspflicht, das Auftauchen von Händlern und der Versuch der Konzerne, Kunden über Preisnachlässe zu halten bzw. selbst neu zu gewinnen, hat zu purzelnden Strompreisen geführt. Angeheizt wird dies noch dadurch, daß sowohl national als auch europaweit erhebliche Überkapazitäten vorhanden sind, so daß es auch auf längere Sicht einen Angebotsüberhang gibt. Aus heutiger Sicht scheint es sicher, daß sich die Strompreise innerhalb der nächsten Monate und Jahre auf einem deutlich niedrigeren Niveau einpendeln werden. Dies führt zu einem Druck auf die Erzeugerpreise. Regenerativ erzeugter Strom aus Wind und Sonne wird dadurch weiter an Konkurrenzfähigkeit verlieren. Gleichzeitig ist jedoch durch die Marktfreigabe die Chance gegeben, umweltbewußte Käufer zu erreichen. Das heißt, regenerative Energiegewinnung wird eine Marktnische ausfüllen, deren Größe im erheblichen Maße von der Bereitschaft der PrivatkundInnen abhängt, für Ökostrom höhere Preise zu zahlen. Hier liegt allerdings auch eine Chance für Bewegungskampagnen, die z.B. zu einem Stromboykott der Atomkonzerne auffordern.

Unter Druck geraten auch die kommunalen 570 Stadtwerke. Aus ökologischen Gründen erzeugen sie den Strom zusammen mit Heizwärme in kraft-wärme-gekoppelten Anlagen. Dadurch wird der Energieeinsatz reduziert. Der Strom kann jedoch nicht so kostengünstig erzeugt werden wie in Großkraftwerken, die nur Strom produzieren. Deswegen werden die Stadtwerke zu kostensenkenden Maßnahmen gezwungen sein. Dies wird vor allem auch zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. Zudem wurden die Überschüsse der Stadtwerke im Stromgeschäft für die Finanzierung anderer kommunaler Aufgaben genutzt, z.B. öffentlicher Nahverkehr, Betrieb von Schwimmbädern und Sportstätten. Auch hier werden als Folge der sinkenden Strompreise Arbeitsplätze gefährdet sein. Deswegen demonstrierten am 27. September in Berlin Stadtwerker aus dem ganzen Bundesgebiet gegen die Strommarktliberalisierung im kommunalen Bereich. Im Bundeswirtschaftsministerium wird mittlerweile darüber nachgedacht, wie möglicherweise einzelne Stadtwerke mit einem hohen Anteil an KWK-Anlagen geschützt werden können.

Auch die Stromkonzerne verlieren im Privatkundenbereich einen erheblichen Teil ihrer Umsatzerlöse. Dadurch wird die Möglichkeit der Quersubventionierung der Großkundenpreise durch die KleinverbraucherInnen stark eingeschränkt. Deswegen wird es auch bei den Konzernen zu Rationalisierungen und erheblichem Abbau von Arbeitsplätzen kommen. Ob dies im Rahmen der sozialpartnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Konzernleitungen und Belegschaftsvertretungen vollzogen wird oder zu größeren Konflikten führt, bleibt abzuwarten.

Dennoch wird der Erzeugermarkt zunächst vor allem von den Atomkraftwerken dominiert werden. Durch bereits weitgehend erfolgte Abschreibungen (und Ausgrenzung einiger Folgekosten) ist die Atomstromproduktion zur Zeit die betriebswirtschaftlich günstigste Art, Strom zu erzeugen. Diese Situation ändert sich jedoch durch die Entwicklungen im Bereich der Kraftwerkstechnologie sowie durch Preissenkungen auf anderen Energiemärkten. So ist einer von der Hamburger Umweltbehörde in Auftrag gegebenen Studie zufolge Strom aus neu gebauten GuD-Kraftwerken sogar günstiger zu haben als aus abgeschriebenen Atomanlagen (siehe ak 429, "Gib Gas für den Atomausstieg"). Deswegen ist zu erwarten, daß es bei den Großkraftwerken eine zunehmende Erzeugerkonkurrenz zu den AKW (und auch zu Kohlekraftwerken) geben wird. Zwar haben die Stromkonzerne selber kein Interesse daran, dieser Alternative nachzugehen, da eine Stillegung ihrer AKW vorzeitig zu der Situation führen würde, daß die Entsorgungsrückstellungen für ihren eigentlichen Zweck gebraucht werden. Diese ungeheuren Finanzmassen brauchen die Stromkonzerne aber noch, um sich auf den liberalisierten Märkten groß kaufen zu können. Auch kann wegen des Investitionsvolumen wohl nicht damit gerechnet werden, daß die Händlerfirmen Kraftwerke finanzieren und bauen, um Strom günstiger zu erzeugen.

Doch die Stromgroßverbraucher aus der Industrie könnten sich selber Kraftwerke für den Eigenbedarf bauen, wenn sie dies günstiger kommt, als den Strom aus bestehenden AKW zu beziehen. Diese Situation könnte insbesondere bei weiter sinkenden Gaspreisen bald eintreten. Außerdem planen bereits Anbieter aus dem Ausland, mit eigenen GuD-Kraftwerksneubauten auf den deutschen Markt zu gehen (s. ak 425 "Freiheit für das Elektron").

Bei sinkenden Preisen bekommt jedenfalls die Frage der Verfügbarkeit der AKW eine wesentlich höhere Bedeutung. Konnten frühere AKW-Stillstände (und damit verbundene Mehrkosten durch Stromeinkauf) innerhalb der bestehenden Erlöslage aufgefangen werden, so schlagen sie jetzt voll und ganz auf die Konkurrenzfähigkeit der AKW durch. Dies erklärt zum Teil das jetzige Interesse der Atomindustrie, tatsächlich einen Konsens mit der Bundesregierung über den Weiterbetrieb der AKW zu stricken. Ausdrücklich soll festgeschrieben werden, daß die bisherigen Sticheleien von Landesregierungen aufgrund von Sicherheitsnachfragen aufhören. Denn genau die daraus eventuell erfolgenden Stillstände und erhöhten Sicherheitsaufwendungen können die Preiskalkulation schnell zuungunsten der AKW kippen.

Damit soll hier nicht gesagt werden, die Liberalisierung des Strommarktes würde jetzt fast automatisch zum Ende der AKW führen. Natürlich werden die Konzerne und ein Großteil der etablierten Parteien viel unternehmen, um die AKW noch über die nächsten Jahrzehnte zu retten. Und natürlich ist zu befürchten, daß nun auch noch französischer oder auch osteuropäischer Atomstrom zu Niedrigstpreisen importiert wird. Gleichzeitig werden jedoch die ökonomischen Widersprüche, die die AKW mit sich bringen, offener zutage treten. Die starke Abhängigkeit der Konzerne von der Atomtechnologie kann sie jetzt auch betriebswirtschaftlich schnell in existentielle Krisen führen. Die Verstopfungsstrategie der Anti-AKW-Bewegung, die zu AKW-Stillständen mangels Atommüllabstransporte führen soll, kann in diesem Sinne überaus positiv dazu beitragen, daß einige AKW auch aus wirtschaftlichen Gründen bald stillgelegt werden.

Peter Probst


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